TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/19 S2 314573-3/2008

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Veröffentlicht am 19.09.2008
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Spruch

S2 314.573-3/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer- Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des A.H., geb. 00.00.1968, StA: Russische Föderation, vertreten durch Michael Genner, Asyl in Not, Währingerstraße 59, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.08.2008, Zahl 08 01.285-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I.1. Vorausgeschickt wird, dass der Beschwerdeführer, ein aus Tschetschenien stammender Staatsangehöriger der Russischen Föderation, vor dem nunmehr verfahrensgegenständlichen dritten Asylantrag vom 04.02.2008 bereits zwei Anträge auf internationalen Schutz in Österreich gestellt hatte, und zwar am 06.08.2007 (AIS 07 07.116) sowie am 25.09.2007 (AIS 07 08.884). Beide Anträge wurden bereits mit vom Instanzenzug bestätigten Bescheiden des Bundesasylamtes auf Grundlage des § 5 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen und jeweils die Zuständigkeit der Slowakei auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO (Abk. für: Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist ) festgestellt.

 

2. Verfahren betreffend den ersten Antrag auf internationalen Schutz: Der Beschwerdeführer reiste erstmals aus der slowakischen Republik kommend illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 06.08.2007 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Aufgrund eines Eurodac-Treffers für die slowakische Republik und aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer dort bereits einen Asylantrag gestellt hatte, wurden auf Grundlage der Dublin II - VO Konsultationen mit diesem Staat geführt. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.08.2007, Zl. 07 07.116 EAST-OST, wurde der Antrag vom 06.08.2007 unter Berufung auf § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen; gleichzeitig wurde ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO "die Slowakei " zuständig sei. Mit Spruchteil II des genannten Bescheides wurde der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die "Slowakei" ausgewiesen; weiters wurde ausgesprochen, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die "Slowakei" gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

Die dagegen eingebrachte Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 24.09.2007, Zl. 314.573-1/2E-VI/42/07, abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der dieser Beschwerde die

 

aufschiebende Wirkung zuerkannte (Beschluss vom 07.01.2008, Zlen AW 2007/19/0968, 0976). In der Folge wurde die Behandlung der Beschwerde gegen diesen ersten, die Zurückweisung bestätigenden Berufungsbescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 09.04.2008, Zlen. 2007/19/1341, 1351, abgelehnt.

 

3. Verfahren betreffend den zweiten Antrag auf internationalen Schutz: Unmittelbar nach Zustellung des ersten Berufungsbescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 24.09.2007, nämlich am 25.09.2007, stellte der Beschwerdeführer seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Auch dieser Antrag wurde schließlich mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.10.2007, Zl. 07 08.884-EAST Ost, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen; gleichzeitig wurde neuerlich ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO die "Slowakei" zuständig sei. und mit Spruchteil II der Beschwerdeführer unter Berufung auf § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die "Slowakei" ausgewiesen; weiters wurde ausgesprochen, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die "Slowakei" gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

Die dagegen gerichtete Berufung wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 29.11.2007, Zl 314.573-2/2E-VI/42/07, abgewiesen.

 

4. Der Beschwerdeführer wurde am 06.12.2007 in die Slowakei abgeschoben.

 

II.1. Während seines Aufenthaltes in der Slowakei reiste nunmehr die Kernfamilie des Beschwerdeführers, nämlich seine Ehegattin mit seinen drei minderjährigen Kindern aus Tschetschenien kommend illegal in Polen ein, alle vier Personen stellten in Polen erstmals in der EU einen Asylantrag.

 

Mit Schreiben vom 18.12.2007 ersuchte der Beschwerdeführer in der slowakischen Republik ausdrücklich um die Familienzusammenführung mit seiner Ehegattin und den minderjährigen Kindern, wobei dieses Ersuchen am 09.01.2008 im Migrationsamt des Innenministeriums der slowakischen Republik, Dublinabteilung, einlangte (AS 193; Übersetzung bei OZ 1).

 

2. Im Hinblick auf dieses Ersuchen des Beschwerdeführers ergab das daraufhin zwischen der slowakischen Republik und Polen geführte Konsultationsverfahren, dass Polen auf Grundlage des "Art. 8" der Dublin II-VO die Verantwortung für die Behandlung des Asylantrages des Beschwerdeführers in Polen übernehme (siehe Übernahmserklärung Polens an die slowakische Republik vom 06.02.2008, AS 111/113).

 

3. Ohne das Ergebnis der Konsultationen zwischen Polen und der slowakischen Republik zu seinem Familienzusammenführungsersuchen abzuwarten bzw. die gewünschte Familienzusammenführung in Polen vorzunehmen, reiste der Beschwerdeführer neuerlich in Österreich ein und stellte am 04.02.2008 den hier verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz.. Auch seine Familie reiste schlepperunterstützt von Polen - ohne dort das Asylverfahren abzuwarten - nach Österreich weiter, seine Gattin und die drei Kinder stellten hier am 17.03.2008 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz (siehe die die Ehegattin und die minderjährigen Kinder betreffenden Verfahren des Asylgerichtshofes, Zahlen S2 401.420 bis 401.423).

 

III. Verfahrensgang zum dritten hier verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz:

 

1. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 05.02.2008 legte der Beschwerdeführer seinen bisherigen Reiseweg, die Antragstellung in der Slowakei sowie die Abschiebung durch die österreichischen Behörden dorthin und seine Rückkehr nach Österreich dar und verwies darauf, dass sein Leben in seinem Heimatstaat in Gefahr sei (AS 21ff).

 

2. Konsultationsverfahren:

 

Das Bundesasylamt richtete am 06.02.2008 ein Rückübernahmeersuchen an die slowakische Republik (AS 35f). Mit Schreiben vom 06.02.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 06.02.2008 "Dublinkonsultationen mit der Slowakei" geführt würden (AS 51/53). Mit Schreiben vom 20.02.2008 teilte die slowakische Republik zu dem Wiederaufnahmeersuchen mit, dass sie einer Wiederaufnahme des Beschwerdeführers nicht zustimme, da nunmehr die polnischen Dublinbehörden aufgrund des Ansuchens des Beschwerdeführers auf Familienzusammenführung mit Schreiben vom 13.02.2008 die Verantwortlichkeit für die Prüfung des Asylantrages des Beschwerdeführers auf Grundlage des Art. 8 der Dublin II-VO übernommen hätten (AS 111/1113).

 

Am 22.02.2008 richtete die österreichische Dublinabteilung ein auf Art. 8 Dublin II-VO gestütztes Übernahmeersuchen an Polen unter Darstellung des bisherigen Verfahrensganges (AS 117f).

 

Mit Schreiben vom 27.02.2008, bei der Erstbehörde am 04.03.2008 eingelangt, teilte Polen Österreich zunächst mit, der Übernahme auf Grundlage des Art. 8 Dublin II-VO nicht zuzustimmen, weil keine Zustimmung des Beschwerdeführers zur Vereinigung mit seiner Familie in Polen vorliege (AS 147).

 

Daraufhin übermittelte die Erstbehörde dem Beschwerdeführer am 05.03.2008 eine Zustimmungserklärung, wonach er einer Zusammenführung mit seiner Ehegattin und den drei minderjährigen Kindern für Polen zustimme und er damit einverstanden sei, dass sein Asylverfahren und das seiner Familie in Polen geführt werde. Diese Erklärung unterzeichnete der Beschwerdeführer ausdrücklich nicht (AS 173 bis 177).

 

Daraufhin holte die Erstbehörde von der slowakischen Republik das ausdrückliche Ersuchen des Beschwerdeführers um Familienzusammenführung mit seiner Familie in Polen ein (AS 181; Ansuchen des Beschwerdeführers AS 193/195).

 

Mit Schreiben vom 31.03.2008 trat die Erstbehörde neuerlich mit den polnischen Behörden in Kontakt, nahm Bezug auf die erste Ablehnung der Übernahme des Beschwerdeführers durch Polen und wies daraufhin, dass zwischenzeitlich Polen der Rückübernahme der Ehegattin und der drei minderjährigen Kinder mit Schreiben vom 20.03.2008 auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit.c der Dublin II-VO zugestimmt habe. Weiters wurde den polnischen Behörden dargelegt, dass ihrerseits bereits eine Zustimmung zur Übernahme des Beschwerdeführers gegenüber den slowakischen Behörden aufgrund dessen ausdrücklichem Zusammenführungsansuchen erteilt worden war (AS 225f).

 

Daraufhin stimmte Polen nunmehr der Rückübernahme des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 04.04.2008 auf Grundlage des Art. 8 der Dublin II-VO zu (AS 233), wobei die polnischen Behörden anmerkten, dass aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers, der nicht nach Polen sondern nach Österreich weitergereist war, ihrer Ansicht nach eine neuerliche Zustimmung des Beschwerdeführers zur Vereinigung der Familie in Polen empfehlenswert wäre.

 

3. Die gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß § 10 AsylG, die aufgrund einer von der Erstbehörde veranlassten Untersuchung von Dr. I.H., Ärztin für Allgemeinmedizin und psychotherapeutische Medizin, am 12.08.2008 vorgenommen wurde, ergab, dass beim Beschwerdeführer aus aktueller Sicht keine belastungsabhängigen krankheitswerten psychischen Störungen vorlägen und einer Überstellung nach Slowakei / Polen keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden (AS 275 bis 279).

 

4. In der niederschriftlichen Einvernahme vom 20.08.2008 (AS 293ff) erklärte der Beschwerdeführer, selbst gesund zu sein und gab über Befragen an, einer seiner Cousins lebe in Österreich als anerkannter Flüchtling und sei etwa seit 5 Jahren hier. Mit diesem habe er nie im gemeinsamen Haushalt gelebt, nur die Häuser, die denen sie gewohnt hätten, hätten einen gemeinsamen Hof gehabt. Die Frage, ob er mit dem Cousin in einem besonderen Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis gelebt habe, verneinte er.

 

Über Vorhalt der erfolgten Zustimmung Polens auf Grundlage des Art. 8 Dublin II-VO brachte der Beschwerdeführer folgendes vor: "In Polen gibt es andere Tschetschenen. Sie geben sich als Asylwerber aus und arbeiten für die Russen und verraten Asylwerber nach Russland. Es gibt dort auch Wahabiten. Diese wissen, dass ich für Kadyrov gearbeitet habe. Sie können mich dort auch gleich auf der Stelle selbst umbringen, obwohl sie auch Flüchtlinge wie ich sind. Der einzige Unterschied, dass sie einen Bart tragen. In Polen habe ich keine Verwandten und daher keine familiäre Unterstützung." Auf die Frage, in wie fern er familiäre Unterstützung benötige, gab er an:

"Hier hatte ich auch Schwierigkeiten mit den Wahabiten. Ich habe meine Verwandten angerufen. Es gab dann ein Gespräch. Dann haben mich die Wahabiten in Ruhe gelassen." In der Slowakei und Polen wisse jeder Tschetschene, dass es Wahabiten und Tschetschenen gäbe, die einander umbrächten. Das mit den Russen sei ein anderes Problem, in Tschetschenien habe er Probleme mit Russen, er sei von ihnen verschleppt und ins Gefängnis gebracht worden. Er habe auch in Österreich Probleme mit den Wahabiten gehabt, sei von ihnen verprügelt worden. Das habe er aber nicht angezeigt. Jetzt bereue er, dass er es nicht getan habe. Über Vorhalt, dass im EU-Mitgliedstaat Polen die Staatsgewalt funktioniere und es daher bei einer tatsächlichen Bedrohung zumutbar sei, sich an die Polizei oder sonstige staatliche Einrichtungen zu wenden, antwortete der Beschwerdeführer: "Das habe ich schon einmal gehört. Das ist alles Unsinn. Tun sie, was sie tun müssen."

 

5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 8 Dublin II-VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen zulässig sei.

 

Begründend wurde iW auf die Zustimmung Polens auf Grundlage des Art. 8 Dublin II-VO hingewiesen und ausgeführt, dass die Zuständigkeit Polens ab dem Zeitpunkt, ab dem Polen diese gegenüber der Slowakei erklärt habe, gegeben sei. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdeführer in unverkennbarer Absicht, eine Familienzusammenführung und Antragsbehandlung in Österreich zu erreichen, hier seine Zustimmung zur Familienzusammenführung in Polen verweigert habe, weil betreffend seine Familie ebenfalls Zuständigkeitserklärungen Polens vorlägen.

 

Aus der Dublin II-VO ergebe sich nicht, dass ein Mitgliedstaat, in den Familienmitglieder nach erfolgten Erstantragstellungen in von ihm verschiedenen anderen Mitgliedstaaten illegal weiterreisen, nach in diesem erfolgten weiteren Asylantragstellungen verbindlich verpflichtet sei, die Familie auf dessen Hoheitsgebiet zusammenzuführen und somit die Zuständigkeit betreffend einer meritorischen Prüfung der Anträge von einem anderen Mitgliedstaat an sich zu ziehen. Eine solche Verpflichtung zur Familienzusammenführung in einem dritten Mitgliedstaat würde auch das Ziel und den Zweck der Dublin II-VO hinsichtlich der Zuständigkeitsregelung der einzelnen Mitgliedstaaten gefährden und durchbrechen, weil für Asylwerber eine Wahlfreiheit des Mitgliedstaates, in dem sie wünschten, dass ihr Verfahren abgeführt werde, entstünde.

 

Insbesondere könne im Beschwerdefall aus Art. 8 Dublin II-VO keine faktische Zuständigkeit Österreichs zur Familienzusammenführung abgeleitet werden, weil der Beschwerdeführer zuerst in der Slowakei eine Zustimmungserklärung zur Familienzusammenführung mit seinen Familienangehörigen in Polen erteilt habe und sich anschließend zur Verunmöglichung einer solchen wieder nach Österreich begeben habe, um sich hier mit seinen zuvor in Polen aufhältig gewesenen Familienmitgliedern zu treffen. Weder vom Beschwerdeführer noch von seinen Familienmitgliedern sei eine Erstantragstellung in Österreich erfolgt.

 

Weiters wurde hervorgehoben, dass der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er tatsächlich Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder ihm eine Verletzung der in Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohe. Rechtlich begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Eine konkrete Schutzunwilligkeit oder - unfähigkeit des polnischen Staates sei nicht substantiiert glaubhaft gemacht worden. Der Behauptung, dass Polen besonders loyal zu den "Russen" sei und Russen keine Probleme hätten, nach Polen zu gelangen, werde kein Glaube geschenkt, zumal zwischen Russland und Polen kein "besonderes Freundschaftsverhältnis" bestehe, Polen in der EU sei und der Schengenvertrag gelte, womit die Infrastruktur für einen ausreichenden Grenzschutz (auch gegen "Russen") geschaffen worden sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe daher zu. Es hätten sich keine medizinischen Indikationen ergeben, welche aus rechtlicher Sicht im Hinblick auf Art 3 EMRK einer Überstellung nach Polen entgegenstehen würden. Zu verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkten führte die Erstbehörde aus, dass ein Familienverfahren vorliege und die Kernfamilie des Beschwerdeführers eine gleich lautende Entscheidung erhalten würde. Zu dem als Flüchtling anerkannten Cousin des Beschwerdeführers bestehe kein gemeinsames Familienleben oder ein sonstiger besonderer Nahe - oder Abhängigkeitsbezug. Somit bestehe kein Familienbezug zu einer anderen in Österreich zum Aufenthalt berechtigten Person und stelle die Ausweisung daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.

 

Der Bescheid enthält eine ausführliche Darstellung zur Lage in Polen, zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern einschließlich der Behandlungsmöglichkeiten traumatisierter Asylwerber, zu staatlichen Leistungen für Fremde mit (bloß) toleriertem Aufenthalt sowie insbesondere auch die Ausführung, wonach tschetschenischen Asylwerbers idR zumindest subsidiärer Schutz gewährt werde.

 

6. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, die samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt am 10.09.2008 beim Asylgerichtshof einlangte. Darin wird im Wesentlichen der Sache nach vorgebracht, dass sich die belangte Behörde über die familiäre Bindung an den Cousin des Beschwerdeführers ebenso hinweggesetzt hätte wie auch über die psychische Krankheit des Sohnes des Beschwerdeführers, sowie über die Bedrohung des Beschwerdeführers durch die Wahabiten in Polen. Insbesondere wurde darauf verwiesen, dass Dr. H. zum Sohn des Beschwerdeführers festgehalten hätte, dass ein psychogener Anfall bei Belastungen nicht ausgeschlossen werden könne. Dazu wurde vorgebracht, dass, sollte das Kind im Zuge der Abschiebung bewusstlos werden oder in Atemnot geraten, ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Die Abschiebung sei daher unzulässig.

 

Ferner wurde vorgebracht, dass das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 12.02.1987 eine Wahlfreiheit der Asylwerber hinsichtlich des Asyllandes in der Europäischen Gemeinschaft gefordert habe und dass die Asylbehörden gut beraten wären, sich danach zu richten.

 

IV. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Hinsichtlich des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes wird auf die obige Darstellung des Verfahrensganges verwiesen (Punkt I bis III. ), der sich aus der Aktenlage ergibt und als solcher im Verfahren nie bestritten wurde.

 

2. Rechtlich ergibt sich daraus Folgendes:

 

2.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz im Februar 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

2.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Kapitel IV enthält eine humanitäre Klausel (Art. 15 Dublin II-VO), die mit der Bestimmung des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO korreliert und über Ersuchen eines anderen Mitgliedstaates Anwendung finden kann (Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K4 zu Art 15 Dublin II-VO). Kapitel V (Art. 16 bis 20 Dublin II-VO) regelt die Aufnahme und Wiederaufnahme von Asylwerbern durch den zuständigen Staat aus dem unzuständigen Staat.

 

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin II-VO lauten:

 

"Artikel 8

 

Hat ein Asylbewerber in einem Mitgliedstaat einen Familienangehörigen, über dessen Asylantrag noch keine erste Sachentscheidung getroffen wurde, so obliegt diesem Mitgliedstaat die Prüfung des Asylantrags, sofern die betroffenen Personen dies wünschen.

 

.....

 

HUMANITÄRE KLAUSEL

 

Artikel 15

 

(1) Jeder Mitgliedstaat kann aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, Familienmitglieder und andere abhängige Familienangehörige zusammenführen, auch wenn er dafür nach den Kriterien dieser Verordnung nicht zuständig ist. In diesem Fall prüft jener Mitgliedstaat auf Ersuchen eines anderen Mitgliedstaats den Asylantrag der betroffenen Person. Die betroffenen Personen müssen dem zustimmen.

 

...

 

(4) Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Ersuchen statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.

 

....

 

KAPITEL V

 

AUFNAHME UND WIEDERAUFNAHME

 

Artikel 16

 

(1) Der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

a) einen Asylbewerber, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 17 bis 19 aufzunehmen;

 

b) die Prüfung des Asylantrags abzuschließen;

 

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen;

 

.....

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.

 

...."

 

Im Beschwerdefall wurde zunächst angesichts der Einreise und Asylantragstellung des Beschwerdeführers in der slowakischen Republik die Zuständigkeit dieses Staates festgestellt und der Beschwerdeführer von Österreich dorthin abgeschoben. Das innerstaatliche Verfahren in Österreich zur Frage dieser Zuständigkeit wurde rechtskräftig abgeschlossen, eine entsprechende Beschwerdebehandlung durch den Verwaltungsgerichtshof durch Beschluss abgelehnt.

 

Aufgrund seines eigenen Ersuchens gegenüber den slowakischen Behörden um Familienzusammenführung mit der in der Zwischenzeit aus Russland nachgereisten Familie (Ehefrau und drei Kinder) ergab ein entsprechendes an Polen gerichtetes Ersuchen der slowakischen Republik im Rahmen eines weiteren Konsultationsverfahrens zwischen diesen Staaten, welches mit einem Selbsteintritt Polens in Ansehung des Beschwerdeführers endete. Durch diesen Selbsteintritt ging die Zuständigkeit von der slowakischen Republik auf Polen über, wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Begründung der Zuständigkeit nun tatsächlich auf Art. 8 oder aber auf Art. 15 Dublin II-VO basiert. Im Beschwerdefall geht es daher im Ergebnis an sich nicht mehr um die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates, sondern um die Verpflichtungen des zuständigen Staates zur Auf- bzw. Wiederaufnahme des Asylwerbers aufgrund einer bereits eingetretenen Zuständigkeit, welche unter dem Regime des Kapitels V Dublin II-VO abläuft.

 

An dieser Zuständigkeit Polens ändert auch weder der Umstand etwas, dass der Beschwerdeführer - ohne das Ergebnis des Konsultationsverfahrens zwischen Polen und der slowakischen Republik abzuwarten - neuerlich nach Österreich einreiste und einen dritten Asylantrag stellte, noch, dass der Beschwerdeführer eine neuerliche Zustimmung zur Familienzusammenführung in Polen verweigerte, geht es doch - wie oben ausgeführt - nicht mehr um die Frage, welcher Mitgliedstaat für die Verfahrensführung zuständig ist, sondern nur noch um die Überstellung des Asylwerbers in den zuständigen Mitgliedstaat, für welche eine Zustimmung des Betreffenden aber keine Voraussetzung ist.

 

Polen hat letztlich auch seine Zuständigkeit nicht mehr in Abrede gestellt und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers und Behandlung seines Antrages - wie auch hinsichtlich der übrigen oben angeführten Familienmitglieder des Beschwerdeführers - bereit erklärt.

 

Zu der in der Beschwerde angeführten Argumentation zur Freiheit der Asylwerber, sich einen Mitgliedstaat selbst frei auswählen zu können, ist auf den Hauptzweck der Dublin II -VO zu verweisen, nämlich eine im Allgemeinen von individuellen Wünschen der Asylwerber losgelöste Zuständigkeitsregelung zu treffen.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile"- Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: Es leben (mit Ausnahme der Ehegattin und den drei minderjährigen Kindern, deren Asylverfahren unter einem geführt werden) keine Familienangehörigen des Beschwerdeführers in Österreich, zu denen er einen engen Familienbezug hätte. Zu dem als Flüchtling anerkannten Cousin des Beschwerdeführers verneinte der Beschwerdeführer selbst ein besonderes Nahe - oder Abhängigkeitsverhältnis. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK vorgebrachten Umstände, nämlich nicht näher präzisierte Gefahren, die von bärtigen Wahabiten sowie von in Polen befindlichen Russen ausgingen, wird auf die Ausführungen der Erstbehörde verwiesen, wonach eine ausreichend konkrete Gefahr nicht plausibel dargelegt wurde. Es ist auch nicht konkret bzw. plausibel dargetan worden, inwiefern gegen Übergriffe Dritter eine konkrete Schutzunfähigkeit- bzw. Schutzunwilligkeit des polnischen Staates vorläge. Im Beschwerdefall greift daher die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005, wonach ein Asylwerber in einem "Dublinstaat" Schutz vor Verfolgung findet.

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keinesfalls ein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

2.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers nach Polen (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist, noch der Beschwerdeführer in Österreich über - die erwähnten Familienmitglieder hinausgehende - Verwandte verfügt, zu denen er einen engen Familienbezug hätte. Zu dem in Österreich als Flüchtling anerkannten Cousin des Beschwerdeführers ist nochmals darauf zu verweisen, dass ein besonderes Nahe - oder Abhängigkeitsverhältnis nicht einmal vorgebracht wurde. Das wurde bereits von der Erstbehörde richtig erkannt, weshalb die Beschwerdebehauptung, die Erstbehörde hätte sich über die familiäre Bindung zum Cousin des Beschwerdeführers hinweggesetzt, nicht nachvollziehbar ist. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

2.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
Ausweisung, Familienverfahren, Familienzusammenführung, private Verfolgung, real risk, staatlicher Schutz, Zumutbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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