D6 304774-2/2008/3E
D6 304774-3/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzer über die Beschwerde des P.D., geb. 00.00.1986 alias 00.00.1988, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.7.2006, FZ. 05 05.068-BAT, und gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.2.2008, FZ. 05 06.068-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde von P.D. vom 7.8.2006 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.7.2006, FZ. 05 05.068-BAT, wird gemäß § 63 Abs. 5 AVG als unzulässig zurückgewiesen.
II. In Erledigung der Beschwerde von P.D. vom 10.3.2008 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.2.2008, FZ. 05 06.068-BAT, wird der bekämpfte Bescheid dahingehend abgeändert, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 7.8.2006 zurückgewiesen wird.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste eigenen Behauptungen zufolge am 26.4.2005 über die Slowakei in das Bundesgebiet ein und stellte am 27.4.2005 einen Asylantrag. In der Folge wurde er am 2.5.2005 und am 16.9.2005 vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.7.2006, Zahl: 05 06.068-BAT, wurde der Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 abgewiesen, gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer nach zwei Zustellversuchen durch Hinterlegung beim Zustellpostamt 2320 am 20.7.2006 zugestellt.
3. Am 7.8.2006 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und erhob gleichzeitig Berufung. In diesem Schriftsatz brachte der Antragsteller im Wesentlichen vor, er habe den Bescheid am 4.8.2006 beim Postamt behoben. Die Zustellung durch Hinterlegung sei ihm nicht bekannt gewesen, da er sich zu diesem Zeitpunkt bei einem Freund in Salzburg aufgehalten habe, zumal er unter schweren Depressionen gelitten habe und von dem Freund versorgt worden sei. Sein Telefon habe er verloren, daher sei es nicht möglich gewesen, ihn von der Hinterlegung zu verständigen. Sein Wohnungskollege habe "den gelben Zettel" dem Nachbarn gegeben, der ihm am 4.8.2006 die Benachrichtigung übergeben habe. Er habe sich daraufhin um die Abholung des Briefes gekümmert, sodass ihm ein Verschulden nicht vorzuwerfen sei. Es sei nicht sorglos, dass er sich nach Salzburg begeben habe. Er habe sofort nach seiner Rückkehr aus Salzburg nachgefragt, ob Post für ihn gekommen sei. Gleichzeitig beantragte der Beschwerdeführer die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
4. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.8.2006 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG zurückgewiesen und dem Antrag die aufschiebende Wirkung zuerkannt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass es dem Antragsteller möglich gewesen wäre, nach Bemerken des Verlustes seines Telefons an seine Wohnadresse zurückzukehren oder sich in regelmäßigen Abständen bei seinem Wohnungskollegen zu informieren, ob Post für ihn hinterlegt worden wäre. Daher seien dem Antragsteller genügend Möglichkeiten offen gestanden, die vom Gesetz geforderte Sorgfaltspflicht einzuhalten.
5. Dagegen erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung. In der Berufungsbegründung wiederholte er sein Vorbringen, wonach er zum Zeitpunkt der Zustellung in Salzburg gewesen sei. Er habe trotz Verlustes seines Telefons in regelmäßigen Abständen mit seinem Wohnungskollegen gesprochen. Als er von der hinterlegten Post erfahren habe, habe er versucht, auf dem schnellsten Weg nach Wien zurückzufahren, daher sei ihm kein Verschulden vorzuwerfen.
6. Mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 8.11.2006, Zahl: 304.774-C1/E1-XIV/39/06, wurde der bekämpfte Bescheid des Bundesasylamtes vom 17.8.2006 behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass sich das Bundesasylamt nicht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt habe und somit nicht geklärt worden sei, ob der angefochtene Bescheid dem Beschwerdeführer überhaupt ordnungsgemäß zugestellt wurde.
Am 5.2.2007 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt statt, in welcher er im Wesentlichen zur Ortsabwesenheit ausführte, Anfang Juni 2006 nach Salzburg gefahren zu sein und sich bis Ende Juli dort bei einem Freund, der A. heiße, aufgehalten zu haben. Er habe ihn über das Internet kennengelernt habe und wisse nicht mehr über ihn. Er habe die Wohnung nie alleine verlassen und könne daher auch nicht die Adresse angeben. Als die Benachrichtigung von der Hinterlegung im Briefkasten deponiert wurde, habe ihm ein ?ekannter telefonisch davon berichtet. Als er von der Benachrichtigung erfahren habe, habe er kein Geld für die Rückfahrt besessen, daher seien nochmals zwei bis drei Tage verstrichen, ehe ihm seine Freundin Geld für seine Rückreise nach Wien geschickt habe. Nach Erhalt des Geldes sei er sogleich nach Wien zurückgefahren. Er sei im Juni 2006 deshalb nach Salzburg gegangen, weil er depressiv gewesen sei. Er sei damals von Tschetschenen bedroht und sogar angegriffen worden. Daher sei er in Salzburg für einige Zeit "untergetaucht".
7. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.2.2008 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erneut gemäß § 71 Abs. 2 AVG abgewiesen und dem Antrag gemäß § 71 Abs. 6 AVG die aufschiebende Wirkung zuerkannt. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, dass es gänzlich unglaubwürdig sei, dass sich der Beschwerdeführer für mehrere Wochen in einer für ihn fremden Stadt aufgehalten und die Wohnung nie alleine verlassen habe. Folglich sei nicht möglich gewesen, den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in Salzburg zu überprüfen. Der Beschwerdeführer sei auch der Aufforderung der erkennenden Behörde nicht nachgekommen, den vollständigen Namen des Freundes, bei dem er sich angeblich aufgehalten habe, bzw. dessen Wohnadresse oder Telefonnummer festzustellen und der Behörde zu übermitteln. Daher könne von einer Einvernahme des Zustellorgans Abstand genommen werden, weil die Zustellung durch Hinterlegung an der Wohnadresse rechtmäßig gewesen sei. Es liege somit kein Grund vor, dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.
8. In der fristgerecht eingebrachten Berufung vom 10.3.2008 wiederholte der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine Ausführungen und führte ergänzend aus, dass es nicht unglaubwürdig sei, dass er über den Freund in Salzburg nicht mehr erzählen könne als dessen Namen, da er ihn über das Internet kennengelernt habe. Er habe er sich aufgrund seiner Depressionen in der fremden Stadt auch nicht alleine herumbewegt. Er habe zwar versucht, die Adresse des Freundes herauszufinden. Sein Freund habe jedoch befürchtet, Probleme zu bekommen, und habe ihm daher die Adresse in Salzburg nicht mitgeteilt. Danach sei der Kontakt immer weniger geworden und nunmehr völlig abgebrochen.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer brachte vor, sich zwei Monate - während des Zeitraumes der Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides - in Salzburg aufgehalten zu haben, sodass ihm daher die Zustellung durch Hinterlegung nicht bekannt geworden sei.
Die belangte Behörde hat dies als unglaubwürdig erachtet, ohne diese Wertung schlüssig zu begründen: Bedenkt man das Alter des Beschwerdeführers, seine fehlenden Sprachkenntnisse sowie die von ihm keineswegs unplausibel dargelegten (psychischen) Umstände, in denen er sich im fraglichen Zeitraum befunden hat, dann erscheint weder der behauptete längere Aufenthalt in Salzburg ohne Kenntnis der Wohnadresse, noch die Aussage lebensfremd, er habe die Wohnung nie unbegleitet verlassen. Auch auf die bloße Kenntnis des Vornamens seines Quartiergebers lässt sich die von der belangten Behörde getroffene Annahme der Unglaubwürdigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers nicht zwingend ableiten.
Der Beschwerdeführer hat konkrete und nachvollziehbare Angaben über den zeitlichen Ablauf von der Benachrichtigung durch den Zimmerkollegen über die Abholung des Bescheides vom Postamt bis zur Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages nach Konsultation einer Flüchtlingsberatungsstelle gemacht. Dagegen hat die belangte Behörde einzelnen Aspekten, wie der Unkenntnis der Wohnadresse oder des Nachnamens des Quartiergebers, bei der Beurteilung des Vorbringens ein überhöhtes Gewicht beigemessen und im Vergleich dazu die Plausibilität der übrigen Angaben vernachlässigt. Die belangte Behörde hat Schlussfolgerungen gezogen, die keineswegs zwingend und vielmehr ungeeignet erscheinen, der Behauptung des Beschwerdeführers von seiner Ortsabwesenheit die Glaubwürdigkeit absprechen zu können. Der erkennende Senat sieht keinen Anlass, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Aufenthalt in Salzburg im besagten Zeitraum in Zweifel zu ziehen und legt vielmehr dessen Aussage seiner Entscheidung zu Grunde.
2. Rechtlich folgt daraus:
2.1 Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.
Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren gegen abweisende Bescheide des Bundesasylamtes. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers von dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes (D/6) weiterzuführen.
2.2 Gemäß § 17 Abs. 1 ZustG ist das Dokument im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen, wenn das Dokument an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und Grund zur Annahme besteht, dass sich der Empfänger (oder ein Vertreter iSd § 13 Abs. 3 leg. cit.) regelmäßig an der Abgabestelle aufhält. Von der Hinterlegung ist der Empfänger gemäß § 17 Abs. 2 schriftlich zu verständigen.
Nach § 17 Abs. 3 ZustG ist das hinterlegte Dokument mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Dokumente gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Eine hinterlegte Sendung gilt dann nicht mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (vgl. Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 8. Auflage, 2003, Rz 220ff).
Ob jemand vom Zustellvorgang "rechtzeitig" Kenntnis erlangt hat, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles zu beurteilen. Wird durch die Zustellung der Beginn einer Rechtsmittelfrist ausgelöst, so erlangt der Empfänger noch "rechtzeitig" vom Zustellvorgang Kenntnis, wenn ihm ein für die Einbringung des Rechtsmittels angemessener Zeitraum verbleibt (vgl. VwGH 26.11.1991, 91/14/0218,0219).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes besteht hinsichtlich der (von der Partei des Verwaltungsverfahrens behaupteten) vorübergehenden Ortsabwesenheit gemäß § 17 ZustG keine Beweispflicht, sondern lediglich eine mit dem Grundsatz der Amtswegigkeit des Verwaltungsverfahrens korrespondierende Verpflichtung der Partei zur Mitwirkung bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. VwGH 19.4.2001, 99/06/0049; 27.9.1994, 94/17/0225).
2.3 Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer dieser Mitwirkungspflicht bzw. Konkretisierung seines Aufenthaltes in Salzburg jedenfalls in ausreichendem Maß entsprochen, sodass von der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und - da die Behebung der Sendung angesichts des Ablaufs der Rechtsmittelfrist nicht mehr rechtzeitig war - von seiner nicht nur vorübergehenden Ortsabwesenheit während des Zeitraumes der Zustellung auszugehen ist.
Damit aber erweist sich die durch Hinterlegung erfolgte Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 14.7.2006 als unwirksam (vgl. dazu VwGH 10.05.1996, 95/02/0446; dazu auch Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht, 8. Auflage, 2003, Rz 221ff).
3. Zu Spruchpunkt I.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verwaltungsbehördlichen Berufungsbescheiden ist dann, wenn der erstbehördliche Bescheid nicht rechtswirksam erlassen wurde, der Berufungsbehörde eine meritorische Entscheidung über die Berufung verwehrt. Ihre Zuständigkeit reicht in solchen Fällen nur soweit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. die Nachweise bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I² [1998] E 13, 18 zu § 63 AVG). Die (als Berufung eingebrachte) Beschwerde gegen den Bescheid vom 14.7.2006 war daher zurückzuweisen.
4. Zu Spruchpunkt II.
In Ermangelung einer versäumten Berufungs- bzw. Beschwerdefrist war der für diesen Fall gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung vom 7.8.2006 somit als unzulässig zurückzuweisen und der angefochtene Bescheid entsprechend abzuändern.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.