S7 401.571-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Lassmann als Einzelrichterin über die Beschwerde des A.N., 00.00.1989 geb., StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.09.2008, ZI. 08 06.580 EAST-Ost,
zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am 28.07.2008 illegal per PKW über Polen kommend in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahmen gab der Beschwerdeführer an, er würde sich eher in Russland den Behörden ausliefern, als in Polen leben zu wollen. In Polen würde sich der Beschwerdeführer wie in Russland fühlen. Er habe Angst, dass ihn die "Kadirovci" nach Russland zurückholen würden.
In Österreich habe der im Betreff Genannte seine beiden Cousins, die mit ihm ins Bundesgebiet gekommen seien sowie einen Onkel, welcher nun, aufgrund mangelnder Präsenz des Vaters, dessen Verantwortung übernehmen müsse. Der Name seines Onkels sei A.M., sein Geburtsdatum kenne der Beschwerdeführer nicht. Er lebe seit sechs Jahren in Österreich und hätte er in diesen Jahren den telefonischen Kontakt zu seinem Neffen aufrecht erhalten. In Österreich habe der Onkel den Beschwerdeführer bereits im Lager besucht und sei der im Betreff Genannte auch schon bei ihm zu Hause gewesen. In der Russischen Föderation, hätten der Beschwerdeführer, sein Vater und sein Onkel, in einem Hof bestehend aus zwei Häusern, zusammengelebt.
Die erkennungsdienstlichen Behandlungen ergaben, dass der im Betreff Genannte bereits in Polen am 23.07.2008 einen Asylantrag stellte.
Am 30.07.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmegesuch für den Beschwerdeführer an Polen, das sich auf Art. 16 Abs 1 lit.c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates und auf den EURODAC-Treffer stützte.
Das Führen von Konsultationsverfahren mit Polen wurde dem Beschwerdeführer am 31.07.2008 mitgeteilt.
Polen hat am 01.08.2008 seine Zustimmung zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 erklärt.
Laut gutachterlicher Stellungnahme von Dr. I.H. vom 19.08.2008, liegt beim Beschwerdeführer aus aktueller Sicht keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vor und stehen der Überstellung nach Polen keine schweren psychischen Störungen entgegen, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.
2. Mit Bescheid vom 04.09.2008, Zahl: 08 06.580 EAST-Ost, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück; stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit.c Dublin VO Polen zuständig sei, wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG dorthin aus und sprach überdies aus, dass gemäß § 10 Abs 4 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung dorthin zulässig sei.
Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern sowie zur Praxis des Nonrefoulementschutzes betreffend Tschetschenen.
Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass aufgrund der allgemeinen Lage in Polen in keinster Weise davon auszugehen sei, dass der im Betreff Genannte dort Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden könnte oder dass ihm eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte.
Ein besonderes Beziehungsverhältnis oder gar ein Pflege- oder Abhängigkeitsverhältnis zu dem vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten, in Österreich aufhältigen Onkel, sei vom Beschwerdeführer nicht dargetan worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die mit 16.09.2008 rechtzeitig eingebrachte Beschwerde.
Darin wird der Erstbehörde unrichtige Tatsachenfeststellung infolge mangelhaftem Ermittlungsverfahren vorgeworfen, da sie es unterlassen habe die Identität des Onkels des im Betreff Genannten zu ermitteln, geschweige denn hätte die belangte Behörde weitere Ermittlungen hinsichtlich einer möglichen Gefährdung seines Privat- und Familienlebens getätigt. Der Beschwerdeführer befinde sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu seinem in Österreich lebenden Onkel und bestehe eine intensive familiäre Bindung. Österreich hätte daher jedenfalls vom Selbsteintrittrecht Gebrauch machen müssen.
Eine Ausweisung würde weiters eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, da Polen für den Beschwerdeführer nicht sicher sei. Polen sei kein sicherer Dublin-Staat und stünde dem Beschwerdeführer in Polen kein faires Verfahren offen.
Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 19.09.2008 beim Asylgerichtshof ein.
II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:
1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
2.1. Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
2.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
2.3. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik Polen gemäß Art. 16 Abs 1 lit c Dublin II VO besteht. Augrund der plausiblen Angaben des Beschwerdeführers und des EURPDAC-Treffers, nahm das Bundesasylamt das Konsultationsverfahren mit Polen auf und erklärte sich Polen zur Wiederaufnahme des im Betreff Genannten gemäß Art. 16 Abs 1 lit c Dublin II VO bereit. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.
Ebenso unbestrittenermaßen ist im Asylverfahren des Beschwerdeführes noch keine Sachentscheidung in Polen gefallen.
Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.
Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.
2.4. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).
2.5. Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.6. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK:
Familiäre Bezüge in Österreich sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig - schon aufgrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer - schützenswerte Aspekte des Privatlebens wie beispielsweise eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11).
Nach den Angaben des Beschwerdeführers würde seit ca. sechs Jahren sein Onkel als anerkannter Flüchtling in Österreich leben und hätten die beiden telefonischen Kontakt. Der im Betreff Genannten habe bis zur Flucht seines Onkels mit diesem und anderen Familienmitgliedern im selben Hof gewohnt. Der Vater des Beschwerdeführers sei gegenwärtig nicht in Österreich, deshalb wäre nun der Onkel des im Betreff Genannten für ihn verantwortlich. Da sich der Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Onkel in den letzten Jahren auf Telefonate beschränkte und der Beschwerdeführer auch nicht mit seinem Onkel gemeinsam sondern mit seinen beiden Cousins seine Heimat verlassen hat, kann im vorliegenden Fall weder von einer intensiv sozialen noch von einer finanziellen Bindung im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses ausgegangen werden. Auch wurde eine derartige Abhängigkeit zu keinem Zeitpunkt vom Beschwerdeführer behauptet. Den Aussagen des im Betreff Genannten kann nicht entnommen werden, dass er in den letzten Jahren in seiner Heimat vom Onkel unterstützt wurde und kann auch nicht erschlossen werden, dass gegenwärtig ein Abhängigkeitsverhältnis besteht.
Folglich würde der Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Polen in seinen durch Art. 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleistetem Recht auf Achtung und Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden.
Artikel 8 EMRK setzt das Bestehen einer Familie voraus und gelangt dann zur Anwendung, wenn im Zeitpunkt des Eingriffs ein reales Familienleben existiert. Das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK reicht über den Kreis der Kernfamilie hinaus, und kann auch die Großfamilie einschließen, sofern die Beteiligten durch die Führung eines gemeinsamen Haushaltes, durch spezifische Abhängigkeitsverhältnisse oder durch andere tatsächlich gelebte Bande miteinander verbunden sind (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458).
Auch zwischen Geschwistern, Onkeln/Tanten und Nichten/Neffen kann ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegen. In diesen Fällen muss allerdings auf das Bestehen eines tatsächlichen und hinreichend intensiven Familienlebens abgestellt werden. Ob das Familienleben tatsächlich besteht und hinreichend intensiv ist, wird vom EGMR anhand folgender Kriterien beurteilt:
Zusammenleben der betroffenen Personen,
und/oder Bestehen einer finanziellen oder sonstigen Abhängigkeit.
Im vorliegenden Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in Österreich Angehörige hat, zu denen ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK besteht.
Bezüglich der beiden gemeinsam mit dem Beschwerdeführer nach Österreich eingereisten Cousins, ist anzumerken, dass in diesem Zusammenhang die Frage der intensiv soziale Bindung zu diesen im Sinne eines Abhängigkeitsverhältnisses dahingestellt bleiben kann, da das Bundesasylamt deren Anträge auf internationalen Schutz ebenfalls mit Bescheiden vom 04.09.2008 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückwies.
2.7. Kritik am polnischen Asylwesen:
Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (zuletzt VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673). Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in Polen notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehen eines allgemeinen Konsens über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.
Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen AntragstellerInnen in Polen praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen (siehe im Bescheid vom 04.09.2008 "C. Feststellungen zur Lage im Mitgliedstaat"). Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass Polen nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen vertrete.
Auch allfälligen Angriffen wäre der im Betreff Genannte nicht wehrlos ausgesetzt, sondern steht ihm die Möglichkeit offen, allfällige gegen ihn gerichtete kriminelle Handlungen in Polen bei der Polizei zur Anzeige zu bringen und dort staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr insgesamt kein reales Risiko für den Beschwerdeführer erblickt werden.
2.8. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen:
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.
In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).
Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).
Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.
Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.
Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde; dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.
Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.
Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage, insbesondere der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. I.H. vom 19.08.2008, nicht zu entnehmen.
Auf Basis der Aktenlage ist ferner festzuhalten, dass auch Ausführungen, wonach Personen, die in Polen Asyl beantragen, durch mangelhafte Versorgung existentiell bedroht wären (dies, in einem Mitgliedstaat der EU) das reale Bild grob überzeichnen (siehe insbesondere die im Erstbescheid wiedergegebene Anfragebeantwortung der ÖB Warschau vom 12.12.2006, der ebenso nicht substantiiert entgegnet wurde; siehe "C. Feststellungen zur Lage im Mitgliedsstaat" im Bescheid vom 04.09.2008).
Es stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Polen keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.
2.9. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.
Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.