D6 303420-1/2008/5E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Christine AMANN als Beisitzer über die Beschwerde der A.P., geb. 00.00.1985, StA. d. Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.6.2006, FZ. 04 06.962-BAI, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und A.P. gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002, Asyl gewährt. Gemäß § 12 Asylgesetz 1997 wird festgestellt, dass A.P. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige der tschetschenischen Volksgruppe und Ehefrau des Beschwerdeführers zu D6 249568-0/2008, reiste am 8.4.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl.
1. In der Folge wurde die Beschwerdeführerin am 15.7.2005 zu ihren Fluchtgründen einvernommen. Als Fluchtgründe machte sie Probleme ihrer Familie durch die Teilnahme an Kundgebungen gegen den Krieg. Einer ihrer Brüder habe freigekauft werden müssen, nachdem er 5 Monate lang festgehalten worden war. Am 7.2.2003, als ihr Bruder im Rahmen einer Routinekontrolle festgenommen worden war, wurden auch ihre Mutter und ein weiterer Bruder abgeholt und am nächsten Tag wieder freigelassen. Ihren Ehemann habe sie 2005 in Österreich geheiratet.
Mit Bescheid vom 22.6.2006 wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (im Folgenden: AsylG), ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 nicht zulässig sei; ferner wurde gemäß 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.4.2007 erteilt. In seiner Begründung stellte das Bundesasylamt die Nationalität der Beschwerdeführerin sowie weiters fest, dass sie nie verhaftet oder festgenommen und selbst keine Probleme gehabt habe. Die vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen seien mangels hinreichender Konkretisierung weder glaubhaft noch nachvollziehbar. Im Hinblick auf die Refoulement-Prüfung verwies das Bundesasylamt darauf, dass das Bestehen einer Gefährdungssituation bereits hinsichtlich des Asylantrages geprüft und verneint worden sei. Die Unzulässigkeit der Abschiebung ergebe sich jedoch daraus, dass dem Ehemann der Beschwerdeführerin in Österreich Refoulement-Schutz gewährt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden sei, weshalb das Bundesasylamt aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zur Ansicht gelange, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation nicht zulässig sei.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerecht (als Berufung) eingebrachte Beschwerde, in der im Wesentlichen ihre vorgebrachten Fluchtgründe wiederholt werden.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:
1.1 Zur Situation im Herkunftsland
Die belangte Behörde hat zur Situation in der Russischen Föderation aufgrund verschiedener Länderberichte unterschiedlichster Quellen Feststellungen getroffen, die dem Asylgerichtshof im vorliegenden Fall unbedenklich erscheinen und im Hinblick auf Personen, denen eine separatistische Tätigkeit - aus welchen Gründen immer - unterstellt wird, nichts an Aktualität verloren hat, weshalb er sich diesen Feststellungen anschließt.
1.2 Zur Person der Beschwerdeführerin
Die Beschwerdeführerin ist russische Staatsangehörige der tschetschenischen Volksgruppe. Ihr Ehemann erhielt mit Erkenntnis vom heutigen Tage Asyl gewährt. Dessen Vater kämpfte im ersten Tschetschenienkrieg auf der Seite der Separatisten und starb im Jahr 1994.
Im Jänner 2003 wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin vom russischen Militär misshandelt und verschleppt: Er wurde zuerst in Chankala und anschließend in Gudermes festgehalten. Bei der Festnahme wurde der Ehemann der Beschwerdeführerin mit Vorwürfen konfrontiert, sein Vater habe viele Russen getötet. Er sollte über den Standort des Grabes seines Vaters und jener Gräber der von ihm getöteten Russen ebenso Auskunft geben, wie über den Aufenthaltsort seines Onkels, der im (zweiten) Tschetschenien-Krieg kämpfe. Der Ehemann der Beschwerdeführerin wurde mit Gummiknüppeln und am Hinterkopf mit Fäusten geschlagen und mit Stromschlägen gefoltert. Ferner hatte er ein Schriftstück, dessen Inhalt er nicht kannte, zu unterschreiben. Sein Großvater organisierte mit Hilfe der Dorfadministration seine Freilassung, wobei seine Familie insgesamt US-Dollar 2.000,-- bezahlte. Am 2.2.2003 wurde er freigelassen.
Bereits im März 2002 war der Ehemann der Beschwerdeführerin für einen Zeitraum von ca. vierzig Tagen festgenommen worden und erst nach Zahlung eines Geldbetrages von US-Dollar 1.500,-- freigekommen.
2. Die Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Identität und Nationalität stützen sich auf jene der belangten Behörde. Aus der Aktenlage ergeben sich daran keine Zweifel. Die Feststellungen hinsichtlich des Ehemannes der Beschwerdeführerin stützen sich auf das hg. Erkenntnis zu D6 249568-0/2008/10E.
3. Rechtlich folgt daraus:
3.1 Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.
Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.
3.2 Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt.
Das AsylG 1997 sieht in § 38 den unabhängigen Bundesasylsenat als Instanz für Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes vor; weder das AsylG 2005 noch das AsylGHG begründen eine Zuständigkeit des Asylgerichtshofes auch für Verfahren, die nach dem AsylG 1997 zu Ende zu führen sind. Die mit der Einrichtung des Asylgerichtshofes verbundenen Änderung in der Bundesverfassung (sowie im AsylG 2005) knüpfen stets an den Asylgerichtshof als (neues) Entscheidungsorgan an, ohne auf den Geltungsbereich der verschiedenen asylrechtlichen Gesetzeslagen Bezug zu nehmen (vgl. Art. 129c, 129e, 132a sowie Art. 151 Abs. 39 Z 1 und Z 5 B-VG). Daher ist davon auszugehen, dass der Asylgerichtshof in s ä m t l i c h e n Verfahren, somit auch in jenen Verfahren, die nach dem AsylG 1997 weiterzuführen sind, an die Stelle des unabhängigen Bundesasylsenates tritt. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
3.3 Gemäß § 7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).
3.4 Im vorliegenden Fall hat der Asylgerichtshof die behaupteten Fluchtgründe des Ehemannes der Beschwerdeführerin den Feststellungen zu Grunde gelegt und in seiner rechtlichen Beurteilung daraus das Vorliegen einer Verfolgung iSd GFK angenommen. Die Fluchtgründe des Ehemannes der Beschwerdeführerin sind aber durch ihre Eheschließung nunmehr als ihre eigenen Fluchtgründe anzusehen, da sie im Falle ihrer Rückkehr - sobald ihre Ehe bekannt würde - zu jenem Personenkreis gerechnet wird, dem (wenn auch über ihren Ehemann) ein Naheverhältnis zum tschetschenischen Widerstand unterstellt wird und der deshalb von anti-separatistischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung besonders betroffen ist. Gemäß den vom erkennenden Senat übernommenen Länderfeststellungen der belangten Behörde ist weiterhin von Einzelaktionen staatlicher Sicherheitskräfte vor allem gegen Personen auszugehen, denen separatistische bzw. terroristische Aktivitäten zuzurechnen sind oder zumindest unterstellt werden. Diese Aktionen würden auch die Ehefrau einer solchen Person treffen.
Deshalb ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Behörden der Beschwerdeführerin im Fall seiner Rückkehr besondere Aufmerksamkeit widmen würden. Die (befürchtete) Verfolgung knüpft an die (unterstellte) politische Gesinnung des Verfolgten an. Dass keine inländische Fluchtalternative besteht, nimmt die belangte Behörde implizit durch den Spruchpunkt II. an.
Im vorliegenden Fall ist daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes ihres Herkunftsstaates zu bedienen. Im Verfahren sind weder Ausschluss- noch Endigungsgründe iSd Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK hervorgekommen.
4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.