TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/23 S4 401554-1/2008

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Veröffentlicht am 23.09.2008
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Spruch

S4 401.554-1/2008/2E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde des D.D., geb. 00.00.2003, StA. der Russischen Föderation, vertreten durch die Mutter D.A., gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.8.2008, Zahl 08 05.777-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 1 und Abs. 4 AsylG abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Asylwerber ist Staatsangehöriger von Russland, stammt aus Tschetschenien und ist gemeinsam mit seinen Eltern (D.B., 00.00.1986 geb., und D.A., 00.00.1986 geb.) und seinem ebenfalls mj. Bruder E. von Weißrussland kommend über Polen, wo er (sowie seine Familie) am 24.6.2008 einen Asylantrag gestellt hatte (vgl. Eurodac-Treffer betreffend die Eltern, jeweils Aktenseite 7 in deren Verwaltungsakt), am 5.7.2008 ins Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag stellten der Asylwerber und seine Familienangehörigen schließlich in Österreich jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Polen hat sich mit Fax vom 11.7.2008, (AS 75 des Verwaltungsaktes der Mutter) bereit erklärt, den Asylwerber (sowie auch seine Familienangehörigen) gem. Art. 16 Abs. 1 lit c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) wieder aufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen.

 

Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme seiner Eltern vor dem Bundesasylamt am 18.7.2008 erklärten diese nach Vorhalt, dass Polen zur Prüfung ihrer Anträge auf internationalen Schutz zuständig sei, dass der Vater des Asylwerbers keine Chance habe, in Polen zu leben. Dessen Vater (sohin der Großvater des Asylwerbers) habe Feinde von der tschetschenischen Miliz, gegen die er gekämpft habe, in Polen; bei ihnen gebe es solche Gesetze wie Blutrache. Er wisse aber auch nicht zu hundert Prozent, ob welche (Anmerkung: die Feinde) in Österreich leben. Die Frage, ob es konkrete Vorfälle, bei denen seine persönliche Sicherheit in Gefahr gewesen sei, gegeben habe, verneinte der Vater des Asylwerbers allerdings ausdrücklich.

 

Seine Mutter gab an, dass sie Mitte des vierten Monats schwanger sei. Wenn es ihnen in Polen und Tschetschenien gut gegangen wäre, wären sie nicht hierhergekommen. In Polen habe ihr Gatte Probleme gehabt; es leben dort viele Wahabiten; Übergriffe auf ihn habe es aber nicht gegeben. Sie wolle auch, dass ihre Kinder eine Schulausbildung erhalten, diese sei hier besser; es gehe ihnen (allen) hier auch besser. In Polen hätte sie wegen der Probleme ihres Gatten Angst, ihre Kinder in den Kindergarten zu schicken. Mitglieder ihrer eigenen Kernfamilie (Anmerkung: abgesehen von ihrem Ehegatten und den beiden mj. Kindern) habe sie in Österreich nicht, hier sei lediglich ein Onkel ihres Gatten, den sie in Österreich aber noch nicht getroffen habe.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.8.2008, Zahl 08 05.777-EAST Ost, gem. § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und der Antragsteller gem. § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

 

Gegen diesen Bescheid hat der Asylwerber im Wege der Beschwerdeerhebung durch seinen Vater fristgerecht Beschwerde erhoben und hiebei im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Behörde sich ein genaueres Bild über die geltend gemachte Gefährdung durch Blutrache in Polen, und ob diesbezüglich ausreichender behördlicher Schutz in Polen vorhanden sei, hätte machen müssen. Auch habe es die Behörde unterlassen, sich ein genaueres Bild darüber zu verschaffen, inwieweit zwischen dem Vater des Antragstellers und dessen in Österreich lebenden Onkel eine intensive familiäre Bindung bestehe. Die Behörde habe es weiters unterlassen, die allgemeine Lage in Polen und hinsichtlich des polnischen Asylverfahrens, sowie die Gefahr einer Kettenabschiebung des Beschwerdeführers zu ermitteln. Letztlich habe die Behörde auch weder ermittelt, ob dem Beschwerdeführer in Polen ein Asylverfahren offenstehe, noch ausreichende Ermittlungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers und seiner Familie eingeholt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Mit 1.7.2008 ist das Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) in Kraft getreten.

 

Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 (AsylG) in Kraft getreten.

 

§ 61 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

(1) Der Asygerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.

 

(2) Beschwerden gemäß Abs. 1 Z 2 sind beim Asylgerichtshof einzubringen. Im Fall der Verletzung der Entscheidungspflicht geht die Entscheidung auf den Asylgerichtshof über. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden des Bundesasylamtes zurückzuführen ist.

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4;

 

b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5

 

c) wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG, und

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin - Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Polen hat auf Grundlage des Art. 16 Abs. 1 lit c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates (Dublin II) akzeptiert, den Asylwerber wieder aufzunehmen und seinen Asylantrag zu prüfen.

 

Bereits das Bundesasylamt hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, darunter auch Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, der Vollzugspraxis in Bezug auf ethnische Tschetschenen und zur medizinischen Behandlungsmöglichkeit von Asylwerbern in Polen, sowie die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage rechtsrichtig ausgeführt. Der Asylgerichtshof schließt sich den Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid hinsichtlich beider Spruchpunkte vollinhaltlich an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.

 

Soweit der Asylwerber in seiner Beschwerde geltend macht, dass keine ausreichenden Ermittlungen über seinen Gesundheitszustand erfolgt seien, ist ihm entgegenzuhalten, dass seine Mutter im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 18.7.2008 ausdrücklich zu Protokoll gegeben hat, dass ihre beiden Söhne - sohin auch der Antragsteller - gesund seien.

 

Seine Eltern wurden im Zulassungsverfahren von einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie untersucht und haben diesbezügliche gutachterliche Stellungnahmen hinsichtlich beider Elternteile ergeben hat, dass diese an keiner belastungsabhängigen, krankheitswertigen psychischen Störung leiden. Weiters geht aus dieser Stellungnahme hervor, dass der Vater des Beschwerdeführers "keine Medikamente" nimmt und lediglich "nach längerem Sitzen öfters an Rückenschmerzen" leidet, "sonst aber keine wesentlichen körperlichen oder psychischen Beschwerden" hat. Hinsichtlich der Mutter des Beschwerdeführers geht aus dieser Stellungnahme hervor, dass diese "keine Medikamente" nimmt und - nach ihren eigenen subjektiven Angaben - lediglich "manchmal an Kopfschmerzen" leidet, "sonst aber keine wesentlichen körperlichen oder psychischen Probleme" hat. Bezüglich ihrer Schwangerschaft hat die Mutter des Antragstellers ebenfalls keine spezifischen Beschwerden angegeben.

 

Vor diesem Hintergrund ist die Rüge, dass der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers (bzw. seiner Eltern) nicht ausreichend ermittelt worden sei, nicht haltbar. Die gilt noch umso mehr, als auch in der Beschwerde nicht dargetan wird, an welchem Leiden der Beschwerdeführer etwa laboriert. Sohin haben sich im Verfahren nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohenden Krankheit (im Endstadium), die überdies in Polen nicht behandelbar wäre, leidet, sodass nach der strengen Judikatur des EGMR zu Art. 3 EMRK seine Überstellung nach Polen nicht einmal ansatzweise eine für eine Verletzung seiner Rechte gem. Art. 3 EMRK relevante Gravität erreicht.

 

In gleicher Weise ist die in der Beschwerde erhobene Behauptung, dass keine ausreichenden Ermittlungen zum polnischen Asylverfahren, dem Zugang zu selbigem und der allfälligen Gefahr einer Kettenabschiebung erfolgt seien, nicht nachvollziehbar:

 

Der angefochtene Bescheid setzt sich detailliert auf Seiten 6 bis 9 mit dem Gang des polnischen Asylverfahrens auseinander, trifft zur Frage des Refoulementschutzes für Tschetschenen und deren Zugang zum polnischen Asylverfahren auf den Seiten 14 und 15 (jeweils mit Quellenangabe) unter anderem die ausdrückliche Feststellung, dass Tschetschenen vollen Zugang zum Asylverfahren haben, und UNHCR seit dem Jahr 2004 keine Fälle bekannt sind, wonach Tschetschenen von Polen nach Russland abgeschoben worden seien, sondern regelmäßig (wenn Volksgruppenzugehörigkeit und Herkunft glaubwürdig sind) subsidiären Schutz erhalten, sodass dem (- der UNHCR-Position) entgegenstehende Behauptungen nicht glaubhaft erscheinen.

 

Schließlich werden auf Seiten 9 bis 14 umfassende Feststellungen zur (auch medizinischen) Versorgung von Asylwerbern in Polen getroffen. Demgemäß gibt es in Polen für subsidiär Schutzberechtigte auch ein Sozialhilfesystem und haben diese auch Zugang zum Arbeitsmarkt (!), sodass dieser Personenkreis zweifellos auch eine Existenzgrundlage hat.

 

Schließlich ist Polen als Mitgliedstaat der EU jedenfalls auch in der Lage und willens vor allfälligen Übergriffen Privater, wie sie der Beschwerdeführer etwa hinsichtlich seines Vaters befürchtet, effektiv Schutz zu bieten. Die in Polen tätigen Sicherheitsbehörden haben - wie in jedem EU-Staat - selbstverständlich funktionsfähige Strukturen, sind zweifellos auch willens Sicherheit zu gewährleisten und sind daher, was die Effektivität von Schutzgewährung im Einzellfall betrifft, nicht anders zu qualifizieren als Sicherheitsbehörden in anderen Staaten, wie etwa auch Österreich.

 

In diesem Zusammenhang muss auch betont werden, dass der Antragsteller bzw. sein Vater mit der - bloß knapp in den Raum gestellten - Befürchtung, dass Feinde seines Vaters in Polen an ihm Blutrache üben könnten, lediglich ein abstrakt mögliches Risiko, nicht aber eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit seiner konkreten Gefährdung dargetan hat, zumal es weder Vorfälle einer persönlichen Bedrohung des Vaters der Beschwerdeführerin noch seiner Person selbst in Polen gegeben hat.

 

Umstände, die darauf schließen ließen, dass der Antragsteller in Polen selbst einer maßgeblich wahrscheinlichen unmenschlichen Behandlung iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, sind somit letztlich ebenso wenig vorhanden, wie dass ihm Polen entsprechenden Schutz versagen würde, sofern ihm im Heimatstaat unmenschliche Behandlung drohen würde.

 

Letztlich ist auch die Rüge, dass die Behörde es unterlassen habe, zu ermitteln, inwieweit eine intensive familiäre Bindung des Antragstellers bzw. seines Vaters zu dessen in Österreich lebenden Onkel vorliegt, nicht berechtigt.

 

Der Vater des Beschwerdeführers erklärte im Rahmen seiner Einvernahme vom 18.7.2008 ausdrücklich, dass er kein besonderes Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis zu seinem Onkel habe. Im Zusammenhalt mit dem Umstand, dass er seit 6 bis 7 Jahren (Zeitpunkt der Ausreise seines Onkels aus dem Heimatland) keinen persönlichen Kontakt mehr zu ihm hatte und auch nicht angeben konnte, wo sein Onkel genau wohnt, ist das Bundesasylamt zu Recht davon ausgegangen, dass zwischen dem Vater des Antragsteller und seinem Onkel - umso mehr gilt dies für den Antragsteller selbst und seinem Großonkel - kein so besonders enges familiäres Band vorliegt, dass im Falle seiner Ausweisung von einem unzulässigen Eingriff in sein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK gesprochen werden müsste. Selbst wenn sich der Kontakt zwischenzeitlich intensiviert hat, so indizieren zum einen die Beschwerdeausführungen noch immer keinen gemeinsamen Haushalt oder eine Nahebeziehung, die über das normale Maß von verwandtschaftlicher Unterstützung und Verbundenheit unter erwachsenen Familienmitgliedern hinausgeht, und könnte zum anderen eine besonders enge familiäre Verbundenheit schon aufgrund der Kürze der frühestens nach der erstinstanzlichen Einvernahme vom 18.7.2008 intensivierten Beziehung nicht erkannt werden kann.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, Intensität, real risk
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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