TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/24 A2 305914-4/2008

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Veröffentlicht am 24.09.2008
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Spruch

A2 305.914-4/2008/7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Filzwieser als Vorsitzenden und den Richter Dr. Druckenthaner als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Csucker über die Beschwerde des H.J., geb. 00.00.1985, StA. Gambia, vertreten durch Rechtsanwaltsbüro, Soyer Embacher, Kärnter Ring 6, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.10.2007, Zl: 06 08.539-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Text

I. Verfahrensgang:

 

1. Der nunmehrige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Gambias, reiste nach eigenen Angaben am 17.03.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet und brachte am selben Tag seinen ersten Asylantrag ein. Hierzu wurde am selben Tag durch Bedienstete des Bundesasylamtes in der EAST Ost des BAA eine Einvernahme des Beschwerdeführers durchgeführt (As. 19-27 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).

 

2. Mit Bescheid vom 25.08.2004, Zl. 04 04.561-BAW, wies das Bundesasylamt in Spruchpunkt I den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 ab, stellte in Spruchpunkt II gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia zulässig sei und wies den Beschwerdeführer in Spruchpunkt III gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

 

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 27.08.2004 durch Hinterlegung beim Postamt zugestellt (As. 64 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes). Am 13.09.2004 wurde der Bescheid an das Bundesasylamt mit dem Vermerk "Nicht behoben" retourniert.

 

3. Am 17.08.2006 stellte der Beschwerdeführer aus dem Stande der Schubhaft einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde hiezu zunächst am selben Tag von einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Polizeianhaltezentrums Wien-Hernals, niederschriftlich im Rahmen einer Erstbefragung befragt (As. 39-49 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).

 

In weiterer Folge wurden am 25.08.2006 (As. 91-101 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes), sowie am 31.08.2006 (As. 179-185 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes) Einvernahmen durch Bedienstete des Bundesasylamtes in der EAST Ost (die letztgenannte in Anwesenheit einer Rechtsberaterin) durchgeführt.

 

4. Das Bundesasylamt wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 28.09.2006, Zl. 06 08.539-EAST Ost, nach § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Gambia aus.

 

Die Erstbehörde stellte im Wesentlichen fest, dass das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers am 13.09.2004 rechtskräftig abgeschlossen worden sei, was sich aus der Akteneinsicht betreffend das Verfahren 04 04.561 ergäbe. Der Beschwerdeführer habe keine neuen asylrelevanten Gründe zur Begründung seines zweiten Antrages auf internationalen Schutz vorgebracht bzw. habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Die allgemeine Lage im Herkunftsland habe sich nicht verändert. Beweiswürdigend hielt die Behörde fest, dass über die Angaben des Antragsstellers bereits im vorangegangenen Asylverfahren rechtkräftig entschieden wurde und gegenständlicher Sachverhalt keiner neuerlichen inhaltlichen Überprüfung bzw. Entscheidung unterliege.

 

5. Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18.09.2006 wegen § 27 SMG zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf drei Jahre, rechtskräftig verurteilt.

 

6. Der seinerzeitige Unabhängige Bundesasylsenat hat in Erledigung der Berufung den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.09.2006, Zl. 06 08.539-EAST Ost, mit Bescheid vom 16.10.2006, Zl. 305.914-C1/E1-XVII/56/06 gemäß § 66 Abs 4 AVG ersatzlos behoben. Begründend wurde ausgeführt, dass das Verfahren rechtswidrigerweise nicht mit spätestens 06.09.2006 zugelassen wurde. Für das fortgesetzte Verfahren wurde angemerkt, dass für den Fall einer nach einer erfolgten Zulassung vorgenommenen Zurückweisung die Notwendigkeit besteht, zu begründen warum die Ausnahmeregelung de 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 gerechtfertigt ist.

 

7. Am 23.10.2006 wurde dem Beschwerdeführer die Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 52 AsylG 2005 ausgefolgt und somit das Verfahren zugelassen.

 

8. Das Bundesasylamt führte in der Folge Erhebungen betreffend der Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom 25.08.2004, Zl. 04 04.561-BAW, durch.

 

9. Am 23.05.2007 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen (As. 437-461 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes).

 

Mit Bescheid vom 25.05.2007, Zl. 06 08.539-BAW, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz nach § 68 Abs. 1 AVG neuerlich wegen entschiedener Sache zurück und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Gambia aus.

 

10. Der seinerzeitige Unabhängige Bundesasylsenat hat in Erledigung der Berufung den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.05.2007, Zl. 06 08.539-BAW, mit Bescheid vom 29.06.2007, Zl. 305.914-3/2E-XVII/56/07 erneut gemäß § 66 Abs 4 AVG ersatzlos behoben.

 

Begründend wurde ausgeführt, dass das Verfahren rechtswidrigerweise nicht zugelassen wurde. Für das fortgesetzte Verfahren wurde angemerkt, dass das Bundesasylamt das zugelassene Asylverfahren des Beschwerdeführers nun in geeigneter Weise inhaltlich zu prüfen habe und eine neuerliche Zurückweisungsentscheidung nach § 68 AVG bei der gegebenen Sachlage nicht mehr in Frage komme.

 

11. Am 22.10.2007 erfolgte eine neuerliche niederschriftliche Befragung des Beschwerdeführers (As. 663-671 BAA). Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 22.10.2007, Zl: 06 08.539 - BAW, hat das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 AsylG abgewiesen und unter einem festgestellt, dass gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gambia nicht zuerkannt wird. Gleichzeitig wurde der Antragsteller gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Gambia ausgewiesen.

 

12. Gegen den genannten Bescheid des Bundesasylamtes richtet sich die fristgerecht am 21.11.2007 eingebrachte Berufung (nunmehr gemäß § 23 AsylGHG als Beschwerde zu werten).

 

13. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Verfahrensakt der Gerichtsabteilung A2 zugeteilt.

 

II. Über die fristgerecht erhobene Beschwerde hat der Asylgerichtshof in nicht öffentlicher Sitzung wie folgt erwogen:

 

1. Anzuwenden war das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichthof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005") anzuwenden.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde (kraft oben zitierter Bestimmungen auch der AsylGH, es bestehen diesbezüglich keine materiellrechtlichen Sondernormen), so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Gesetzesstelle kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21. November 2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt:

 

"Bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte muss nämlich auch berücksichtigt werden, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Zur Sicherung seiner Qualität hat der Gesetzgeber einen Instanzenzug vorgesehen, der zur belangten Behörde und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt (vgl. bereits das Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430). Die der belangten Behörde in dieser Funktion schon nach der Verfassung zukommende Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' (Art. 129c 1 B-VG) wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen."

 

In Erkenntnis vom 17.10.2006 (Zl 2005/20/0459) hat der VwGH betont, dass eine Behebung nach § 66 Abs 2 AVG nur zulässig ist, wenn eine weitere Verhandlung/Einvernahme erforderlich ist, was nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert hätten werden können.

 

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist. Im vorliegenden Fall ist dies in qualifizierter Weise unterlassen worden, dies aus folgenden Erwägungen:

 

Der gegenständliche erstinstanzliche Bescheid enthält zunächst unzureichende Feststellungen zur Menschenrechtslage in Gambia. So führt die Erstbehörde lediglich aus, die Wahrung der Menschenrechte bedürfe wie die Frage der guten Regierungsführung im Sine von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie weiterhin der Aufmerksamkeit. Die Regierung respektiere im Allgemeinen die verfassungsmäßig garantierten Menschenrechte zwar auch in der Praxis; allerdings sei das System der verfassungsmäßigen Gewaltenteilung schwach ausgebildet, mit entsprechenden Tendenzen der Exekutive, individuelle Freiheitsrechte und Unabhängigkeit der Justiz zu beeinträchtigen. Weiters wird ausgeführt, dass unmenschliche oder entwürdigende Behandlung und andere Grausamkeiten von Gesetz wegen verboten seien. Trotzdem werde gelegentlich von solchen Praktiken bei Militär- und Polizeikräften berichtet. Selten komme es dabei zu Verurteilungen der verantwortlichen Personen, da die Betroffenen aus Furcht vor weiteren Repressalien kaum Beschwerden oder Anzeigen machen (S 18-19 des erstinstanzlichen Bescheides). Zwar führt die Erstbehörde aktuelle Quellen an, jedoch geht sie nicht auf den gesamten Bericht des USDOS ein. So blieben die Angaben über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in Folge von oppositioneller Haltung unberücksichtigt. Diesbezügliche ist auf etwa auf ein Gutachten zur aktuellen Lage in Gambia von Frau F.S. (die auch von der Erstbehörde als Gutachterin herangezogen wird) für den AsylGH aus September 2008 zu verwiesen, welches die notorischen Einschätzungen des britischen Außenministeriums oder von Freedom House bestätigt, wonach die politische Lage in Gambia sich verschlechtert habe und es mehr Fälle von Repressionen gegen Oppositionelle gäbe als früher (ohne damit eine allgemeine politische Verfolgung aller RückkehrerInnen zu behaupten)..

 

Es konnten dem gegenständlichen erstinstanzlichen Bescheid aber auch keine Feststellungen zu Baba Jobe entnommen werden, was einen zentraler Erhebungsmangel bedeutet. In Anbetracht der vom Beschwerdeführer behaupteten Verbindung zu Baba Jobe, hat das Bundesasylamt es verabsäumt diesbezügliche Feststellungen zu treffen.

 

Das erstinstanzliche Verfahren leidet zudem an dem Mangel, dass die Würdigung der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers, unzureichend ist. Die Beweiswürdigung beschränkt sich der Substanz nach auf zwei Widersprüche des Beschwerdeführers. Er habe zunächst bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 17.03.2004 angegeben, er sei durch Zurufe seiner Mutter und Schwester über die Anwesenheit des Militärs gewarnt worden. Hingegen habe er am 25.08.2007 angegeben, er sei von einem Bekannten, der mit ihm im selben Haus gewohnt habe, bei seinem Nachbarn über die Anwesenheit des Militärs informiert worden. Des Weiteren habe sich der Beschwerdeführer auch betreffend das Gespräch mit seinem Bruder widersprochen. Während seiner Einvernahme vom 25.08.2007 habe er ausgeführt, sein Bruder habe ihm mitgeteilt, diesem sei vom Militär eine zweiwöchige Frist eingeräumt worden, um den Aufenthaltsort des Beschwerdeführers bekanntzugeben. Jedoch habe diese Frist bei seiner Einvernahme vom 23.05.2007 nur eine Woche betragen. Der Asylgerichtshof ist der Auffassung, dass diese Widersprüche, obwohl relevant, alleine nicht ausreichend bzw. derart schwerwiegend sind, um in diesem individuellen Fall die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers abschließend anzunehmen (insbesondere, da die Erstbehörde die entsprechenden Erklärungen des Beschwerdeführers auch nicht ausreichend gewürdigt hat und Nebenumstände des Vorbringens betroffen sind). Vielmehr bedarf es einer umfassenden Gesamtschau, die im vorliegenden Fall offenkundig nicht vorgenommen wurde.

 

Diese Umstände müssen in ihrer Gesamtheit bei einer Spezialbehörde als maßgeblicher Mangel angesehen werden.

 

3.1. Das Bundesasylamt hat sich ferner mit der zwischenzeitlich vollzogenen Ehe des Beschwerdeführers mit der deutschen Staatsbürgerin H. (Mädchennahme: J.) F.M. näher und in individuell nachvollziehbarer Art und Weise auseinanderzusetzen, insbesondere mit der Frage, ob ein schützenswertes Familienleben vorliegt und bejahendenfalls, unter welchen Bedingungen ein Verweis auf das Fortführen des Familienlebens in Deutschland möglich ist.

 

3.2. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner jüngsten Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl.: 2003/20/0389). Aufgrund des augenscheinlich mangelnden Ermittlungsverfahrens der Erstbehörde - mangelhafte Feststellungen, qualifiziert fehlerhafte Beweiswürdigung zur persönlichen Unglaubwürdigkeit - hat die Erstbehörde jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, da das Bundesasylamt dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat.

 

Aus Sicht des Asylgerichtshofes verstößt das Prozedere des Bundesasylamtes somit gegen die von § 18 AsylG 2005 determinierten Ermittlungspflichten. Der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 18 AsylG bestimmt nämlich, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen ist, hat die Erstbehörde in diesem Verfahren missachtet.

 

Es hätte jedenfalls im Sinne des § 45 Abs 3 AVG auch einer Konfrontation der Partei mit dem (wie oben aufgezeigt) amtswegig zu ermittelnden Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln bedurft. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002), was nicht geschehen ist. Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten die Berufungsbehörde das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062). Durch die oben dargestellte mangelhafte Bescheidbegründung ist dieses Erfordernis aber mit Sicherheit nicht erfüllt.

 

4. Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes und das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Weder erweist sich der Sachverhalt in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt, noch ergibt sich aus den bisherigen Ermittlungen sonst zweifelfrei, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspräche. Im Gegenteil ist das Verfahren der Erstbehörde mit den unter Punkt 3 oben dargestellten schweren Mängeln behaftet. Sämtliche Erhebungen, welche grundsätzlich von der Erstbehörde durchzuführen sind, wären demnach durch den Asylgerichtshof zu tätigen, sohin verbietet sich unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs 3 AVG.

 

5. Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Das Bundesasylamt wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Mängel zu verbessern haben.

 

6. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom 25.08.2004, Zl. 04 04.561-BAW dem Beschwerdeführer rechtmäßig zugestellt worden und dieser auch infolge der Verabsäumung der Berufungsfrist in Rechtskraft erwachsen ist. Aus dem Akt ist ersichtlich, dass der Verein Ute Bock für den Beschwerdeführer als Abgabestelle diente. Dies ist aus der Bestätigung des Vereins ersichtlich (As. 403 des gegenständlichen erstinstanzlichen Verwaltungsaktes). Darin ist aufgezeichnet, wann der Beschwerdeführer persönlich dort war und welche Poststücke ihm ausgehändigt worden sind. Die Hinterlegungsanzeige wurde am 27.08.2004 bei der Abgabestelle zurückgelassen und besuchte der Beschwerdeführer die Abgabestelle damals regelmäßig (As. 407 BAA). Vom Beschwerdeführer wurde diese am 27.09.2004 abgeholt, womit ihm auch bewusst sein musste, dass das hinterlegte Schriftstück mit seinem Asylantrag in Zusammenhang steht.

Schlagworte
Abgabestelle, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, strafrechtliche Verurteilung
Zuletzt aktualisiert am
20.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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