B4 305.822-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzendernund die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde der A.M., geboren am 00.00.1977, serbische Staatsangehörige, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.9.2006, Zl. 05 03.506-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin reiste am 11.3.2005 nach Österreich ein und begehrte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl.
2. Bei ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 17.3.2005 und am 28.7.2005 gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an: Sie sei "jugoslawische" Staatsangehörige, gehöre der albanischen Volksgruppe an und stamme aus dem in der südserbischen Gemeinde P. gelegenen Ort R.. Sie habe dort zwei Jahre ohne ihren Lebensgefährten L.S., den sie 1999 nach muslimischem Recht geheiratet habe, gelebt und habe nicht länger allein bleiben wollen. Ihr Vater habe früher in der Schweiz gearbeitet, sei aber mittlerweile gestorben. Sie könne im Herkunftsland nicht allein leben. Verfolgungshandlungen sei sie nicht ausgesetzt gewesen.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin "nach Serbien, Provinz Kosovo" gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II) und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem Bundesgebiet nach "Serbien, Provinz Kosovo" aus (Spruchpunkt III.). Aus der Bescheidbegründung ergibt sich, dass das Bundesasylamt davon ausging, die Beschwerdeführerin stamme aus dem Kosovo und habe auch dort gelebt.
4. Gegen alle Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung. Diese bringt vor, die Beschwerdeführerin stamme aus einem Ort, der nicht im Kosovo, sondern in Südserbien liege. Die Beschwerdeführerin habe über zwei Jahre versucht, ohne Unterstützung ihres Lebensgefährten zu überleben; die Situation sei aber immer schlimmer geworden. Auch befürchte sie, wegen der Mitgliedschaft ihres Lebensgefährten bei der UCPMB Probleme mit den Behörden zu bekommen.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag am 15.3.2005 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 101/2003 zu führen.
1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1.7.2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieser gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).
2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
3.1. Für Personen mit (ehemaliger) jugoslawischer Staatsangehörigkeit, die wie die Beschwerdeführerin nicht aus dem Kosovo stammen, ist das Gebiet des Kosovo - ausgehend vom Konzept zweier Herkunftsstaaten (und zwar dem Kosovo einerseits und der Bundesrepublik Jugoslawien, jetzt Serbien, ohne den Kosovo andererseits - nicht als Teil ihres "Herkunftsstaates" in Betracht zu ziehen bzw. war dies schon vor der Unabhängigkeit des Kosovo nicht der Fall (vgl. VwGH 9.7.2002, 2001/01/0550). Da die Beschwerdeführerin somit bereits aus rechtlichen Gründen nicht in den Kosovo verwiesen werden kann, sind Feststellungen zur Situation in Serbien - insbesondere zur Situation der albanischen Minderheit in Serbien nach der Verhandlungslösung zwischen der serbischen Regierung und der UCPMB vom Mai 2001 - zu treffen.
3.2. Da die Beschwerdeführerin zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.
3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.
4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.