B4 260.312-0/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. NEWALD Florian als Vorsitzenden und die Richterin Mag. WINTER Karin als Beisitzerin über die Beschwerde des X.M., geboren am 00.00.1973, kosovarischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.4.2005, Zl. 04 12.447-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Kosovo und Angehöriger der Volksgruppe der Ashkali, reiste nach seinen Angaben am 14.6.2004 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 16.6.2004 einen Asylantrag. Am 16.6.2004 von einem Organ der Bundespolizeidirektion Salzburg dazu einvernommen, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit über keine persönliche Sicherheit im Kosovo zu verfügen. Vom Beginn des Krieges bis zu seiner Ausreise habe er sich zu Hause versteckt gehalten; er sei mehrmals bedroht worden und habe Angst, im Fall einer Rückkehr umgebracht zu werden. Zum Nachweis seiner Identität legte der Beschwerdeführer den ihm von der UNMIK ausgestellten Personalausweis vor.
2. Beim Bundesasylamt am 23.6.2004, 1.7.2004, 19.7.2004 und 20.4.2005 einvernommen, gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an: Er gehöre zur Volksgruppe der Ashkali an und habe seit seiner Geburt in B., gelebt. Am Kosovo-Krieg habe er nicht teilgenommen und deshalb Probleme mit den Albanern gehabt. Niemand wolle ihm eine Beschäftigung geben; er werde ständig beschimpft und bedroht. Dies sei im ganzen Kosovo gleich. Die Frage, ob er sich wegen seiner Probleme an die Polizei gewandt habe, bejahte er; die Lage habe sich aber dennoch nicht verbessert, die Bedrohungen und Belästigungen seien weitergegangen. Die Frage zu seiner Rückkehrbefürchtung beantwortete er dahingehend, dass ihm zwar seitens des Staates nichts drohe, er aber wisse, dass er irgendwann umgebracht werde, da es im Kosovo keine Sicherheit gebe. Nach Vorhalt der "Feststellungen zum Kosovo", wonach die Lage auch für Angehörige der Minderheiten sicher sei, gab der Beschwerdeführer an, dass dies im "großen und ganzen" stimme, jedoch würden Ashkalis "von den Albanern nicht in Ruhe gelassen"; sie seien "auch sehr benachteiligt". In seiner Gegend seien seit dem Krieg schon zwölf oder dreizehn Personen aller Ethnien umgebracht worden.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 Abs. 1 AsylG "in den Kosovo" für zulässig (Spruchpunkt II.), und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit.
- ohne Bestimmung eines Zielstaates - aus dem Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt traf in diesem Bescheid keine konkret auf die Lage der Volksgruppe der Ashkali bezogenen Feststellungen, sondern stellte lediglich allgemein fest, dass "[d]ie "Situation für ethnische Minderheiten" "nach den Unruhen im März 2004 grundsätzlich deutlich sicherer geworden" sei, sowie dass "kein hinreichender Anhalt für eine Duldung von Übergriffen o.ä. oder aber eine mangelnde Fähigkeit und/oder Bereitschaft der internationalen Verwaltung bzw. Sicherheitskräfte im Kosovo ethnische Albaner oder Minderheitsangehörigen im Rahmen der realen Möglichkeiten zu schützen" bestehe. Das Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen erachtete das Bundesasylamt für unglaubwürdig, wobei es beweiswürdigend ausführte, dass das Fluchtvorbringen "den Feststellungen zur tatsächlichen Situation im Kosovo" widerspreche; diesen zufolge komme es "keineswegs ständig und überall zu Beschimpfungen oder gar Bedrohungen von Angehörigen von Minderheiten". Auch lebten die Mutter, die Schwester und der Schwager des Beschwerdeführers nach wie vor im Kosovo. Zur Refoulement-Entscheidung führte das Bundesasylamt überdies aus, dass auch eine von "anderer Seite drohende Gefahr" aus denselben Überlegungen nicht glaubhaft sei. Zu Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass im Fall des Beschwerdeführers "kein Familienbezug (Kernfamilie) zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich" vorliege und daher nicht angenommen werden könne, dass die Ausweisung Art. 8 EMRK verletze.
4. Gegen alle Spruchpunkte dieses Bescheides richtete sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung. Darin wird im Wesentlichen gerügt, dass das Bundesasylamt keine Feststellungen zur Lage der Minderheit der Ashkali im Kosovo getroffen habe; dies, obwohl Meldungen existierten, wonach es nach wie vor zu Beschimpfungen bzw. Bedrohungen von Angehörigen von Minderheiten, speziell auch Ashkali, komme. Auch von Zwischenfällen werde immer wieder berichtet. Überdies sei das Bundesasylamt nicht auf das Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen, wegen der Nichtteilnahme an den Kriegshandlungen Widrigkeiten seitens der Albaner ausgesetzt gewesen zu sein.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BGBl. I 126/2002 zu führen.
Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag nach dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig und ist daher nach dem Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003, zu führen.
1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1.7.2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieser gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).
2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Dies konnte auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen. Dies muss umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
3.1. Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, hat es das Bundesasylamt unterlassen, sich sachgerecht mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen: Im angefochtenen Bescheid wurden weder Feststellungen zur Lage der Ashkali im Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers getroffen noch zu deren generellen Lage im Kosovo. Hervorzuheben ist dabei, dass die vom Bundesasylamt unter anderem als Quelle seiner Länderfeststellungen genannte UNHCR-Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo vom August 2004 Angehörige der Volksgruppe der Ashkali ausdrücklich als eine gefährdete Personengruppe nennt; die ebenfalls als Quelle angegebene UNHCR-Position vom März 2005 spricht (ähnlich wie die zuletzt veröffentlichte UNHCR-Position vom Juni 2006) zwar davon, dass sich die Lage zwar gebessert habe, "in Einzelfällen auch bei Angehörigen der Volksgruppen der Ashkali" aber "ein Bedürfnis nach internationalem Schutz fortbestehen kann". Vor diesem Hintergrund reichen die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen jedenfalls auch nicht aus, um das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht den Tatsachen entsprechend zu qualifizieren.
3.2. Eingehendere Ermittlungen zur Lage der Ashkali im Kosovo sind nach dem eben Ausgeführten somit zwingend erforderlich. Da der Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.
3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.
4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.