D5 260543-0/2008/1E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Vorsitzende und den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Beisitzer über die Beschwerde der S.D., geb. 00.00.1963, StA. von Georgien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 7.3.2005, FZ. 04 02.805-BAW, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Die Beschwerdeführerin, eine georgische Staatsangehörige, reiste ihren Angaben zufolge am 17.2.2004 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 18.2.2004 einen Asylantrag. Am 8.3.2004 fand ihre Einvernahme vor dem Bundesasylamt statt. Mit Bescheid vom 7.3.2005, Zahl: 04 02.805-BAW, wies das Bundesasylamt in Spruchteil I. den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab und erklärte in Spruchteil
II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 für zulässig. Gleichzeitig verfügte das Bundesasylamt in Spruchteil III. die Ausweisung der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. Nr. 101/2003 "aus dem österreichischen Bundesgebiet". Nachdem dieser Bescheid der Beschwerdeführerin am 10.3.2005 zugestellt worden war, erhob sie dagegen fristgerecht eine Beschwerde.
Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 8.3.2004 beim Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin zu ihrem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:
Als ihr Ehemann Georgien (im Jahr 2001) verlassen habe, hätten ihre Probleme begonnen. Sie habe die ganze Zeit bei ihrem Bruder gelebt. Das Haus sei aus Rache in Brand gesetzt worden. Drei Monate nach dem Brand habe sie auf der Straße drei Männer von M. getroffen. Das seien die Männer gewesen, die ihren Ehemann umbringen hätten wollen. Einer dieser Männer habe sie beschimpft. Er habe gesagt, wenn ihr Ehemann nicht nach Georgien zurückkomme, dann werde sie und ihre Söhne umgebracht werden. Einmal sei ihr älterer Sohn sogar entführt und eine Nacht eingesperrt gewesen. Eine Frau habe ihm zur Flucht verholfen. Eines Tages hätten diese Männer sie auch mit dem Auto überfahren wollen. Es sei in Georgien unerträglich geworden und deshalb sei sie mit ihrem Sohn nach Österreich geflüchtet.
Im o.a. Bescheid vom 7.3.2005 stellte das Bundesasylamt zunächst als maßgebenden Sachverhalt fest:
Die Identität der Beschwerdeführerin stehe aufgrund des vorgelegten (und von der erkennenden Behörde als echt klassifizierten) georgischen Personalausweises fest. Nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatland Georgien eine begründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung drohe.
In der Folge traf das Bundesasylamt auf Seite 6 bis 10 des o.a. Bescheides Länderfeststellungen zur Lage in Georgien.
Das Bundesasylamt führte sodann im o.a. Bescheid als Beweiswürdigung aus:
Im Asylverfahren sei es nicht ausreichend, dass die Antragstellerin Behauptungen aufstelle, sondern müsse sie diese glaubhaft machen. Dazu müsse das Vorbringen in gewissem Maß substantiiert und nachvollziehbar sein. Die Aussagen der Beschwerdeführerin würden diesen Anforderungen nicht entsprechen. So habe sie ihr gesamtes Vorbringen auf die bereits vom Unabhängigen Bundesasylsenat als dem Grunde nach für unglaubwürdig bewertete Fluchtgründe ihres Ehegatten S.R. gestützt. Zudem stünden die Aussagen der Beschwerdeführerin im krassen Widerspruch zu den Angaben ihres Sohnes S.G., zumal dieser im Wesentlichen Blutrache als Fluchtgrund dargelegt habe, da in Folge eines Verkehrsunfalls in welchem der Ehegatte der Beschwerdeführerin verwickelt gewesen sei, eine Person verstorben wäre. Ein weiterer gravierender Widerspruch finde sich auch hinsichtlich der Aussage der Beschwerdeführerin, dass das Haus am 00.00.2002 in Brand gesteckt worden sei, während der Ehegatte der Beschwerdeführerin im Rahmen seiner Berufungsverhandlung eine Bestätigung vorgelegt habe, die bescheinigen solle, das das Haus seines Vaters am 00.00.2002 von Personen in Brand gesteckt worden sei. Des Weiteren beschränke sich die Beschwerdeführerin auf abstrakte und allgemein gehaltene Darlegungen, ohne konkrete oder detaillierte Angaben machen zu können. Der gesamte von der Beschwerdeführerin vorgetragene Sachverhalt habe lediglich aus ein paar Schlagwörtern bestanden, die auf konkrete Nachfrage in Verallgemeinerungen gemündet hätten. Überdies habe die Beschwerdeführerin behauptet, dass sie von M. verfolgt worden sei, obwohl notorisch bekannt sei, dass die Organisation der M. in Georgien nicht mehr existiere bzw. vor Jahren aufgelöst worden sei. Aufgrund der getroffenen Feststellungen komme das Bundesasylamt zu dem Schluss, dass der maßgebende, von der Beschwerdeführerin behauptete und den Fluchtgrund betreffende Sachverhalt nicht den Tatsachen entspreche.
Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid zu § 7 AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 (= Spruchteil I.) insbesondere aus:
Im gegenständlichen Fall erachte das Bundesasylamt im Rahmen der Beweiswürdigung die Angaben der Beschwerdeführerin grundsätzlich als nicht glaubwürdig, sodass die von ihr behaupteten Fluchtgründe nicht als Feststellung der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden könnten und sei auch deren Eignung zur Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung nicht näher zu beurteilen gewesen.
In Bezug auf die Entscheidung über den subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (= Spruchteil II.) führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus: Das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 57 Abs. 2 FrG 1997 sei bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden. Wie schon in der Begründung zur Entscheidung über den Asylantrag ausgeführt worden sei, könne im Falle der Beschwerdeführerin von einer Glaubhaftmachung der Fluchtgründe nicht gesprochen werden, weshalb auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr im Sinne des § 57 FrG ausgegangen werden könne. Aufgrund der getroffenen Feststellungen könne ferner nicht davon gesprochen werden, dass in Georgien eine nicht sanktionierte ständige Praxis grober, offenkundiger, massenhafter Menschenrechtsverletzungen herrschen würde; somit könnten auch von Amts wegen keine stichhaltigen dem Refoulement der Beschwerdeführerin nach Georgien entgegenstehende Gründe erkannt werden.
In Bezug auf die Entscheidung gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (= Spruchteil III.) stellte das Bundesasylamt fest, dass kein Familienbezug zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich vorliege. Der Aufenthalt der Angehörigen (Ehegatte, Söhne) sei so wie jener der Beschwerdeführerin nur ein vorübergehender. Die Ausweisung stelle daher keinen Eingriff in Art. 8 EMRK dar.
Gegen diesen o.a. Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 23.3.2005 fristgerecht eine Beschwerde, in der sie eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides sowie Verfahrensmängel geltend machte und im Wesentlichen ausführte: Aufgrund der politisch motivierten Probleme ihres Ehegatten hätten nach dessen Flucht aus Georgien ihre eigenen Probleme begonnen. Sie habe angegeben, dass es sich bei den Verfolgern der Familie um M. gehandelt habe. Aufgrund der herrschenden Behördenkorruption könne sie keinen staatlichen Schutz vor den von ihr geschilderten Übergriffen von privater Seite erhalten. Es treffe nicht zu, dass ihre Angaben in krassem Widerspruch zu den Angaben ihres Sohnes S.G. stünden. Sie habe zwar das Wort Blutrache nicht verwendet, materiell stütze sich ihr Vorbringen jedoch auf die gleichen Gründe wie ihre beiden Söhne, nämlich Blutrache aufgrund der politischen Probleme ihres Mannes. Insbesondere hätten alle drei übereinstimmend die Familienangehörigkeit zu S.R. und dessen Probleme auf die nunmehrigen Probleme der Angehörigen zurückgeführt. Vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen und nach wie vor herrschenden Tradition der Blutrache in Georgien sei jedenfalls klar erkennbar, dass alle drei ihr Vorbringen auf den gleichen Fluchtgrund gestützt hätten. Entgegen der unrichtigen Ansicht des Bundesasylamtes seien die von der Beschwerdeführerin im Zuge ihrer Einvernahme gemachten glaubwürdigen Angaben geeignet, die Gewährung von Asyl zu begründen. Weiters ergebe sich aus dem Rechtssystem-Charakter der Blutrache in Georgien und dem vernetzten Agieren der verfehdeten Sippen, dass die von der Beschwerdeführerin geschilderte Gefahr sich auf ganz Georgien erstrecke. Das Bundesasylamt habe weiters Art. 8 EMRK nicht vollständig und richtig geprüft, denn sonst hätte sie zum Ergebnis eines Eingriffs in das Privatleben der Beschwerdeführerin und somit zu einer anders lautenden Feststellung kommen können. Von der Beschwerdeführerin gehe keinerlei Gefährdung öffentlicher Interessen aus, ein Eingriff in ihre Rechte gemäß Art. 8 EMRK sei schon allein vor diesem Hintergrund unverhältnismäßig und ihre Ausweisung demnach unzulässig.
Sie stellte daher folgende Anträge:
Der Asylgerichtshof möge
eine mündliche Berufungsverhandlung anberaumen,
den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass ihr Asyl gewährt werde,
den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die Unzulässigkeit ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihr Heimatland ausgesprochen und ihr ein befristetes Aufenthaltsrecht erteilt werde,
den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass der Bescheid im Spruchpunkt betreffend die Ausweisung ersatzlos behoben werde oder zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Behörde I. Instanz zurückverwiesen werde; in eventu
den angefochtenen Bescheid beheben und zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Erstbehörde zurückverweisen.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht:
Als ihr Ehemann Georgien im Jahr 2001 verlassen habe, hätten ihre Probleme begonnen. Sie sei auf der Straße von drei Männern von M. bedroht worden: Wenn ihr Ehemann nicht nach Georgien zurückkehre, dann würde sie und ihre Söhne umgebracht werden. Einige Male sei sie von diesen Männern bedroht worden. Ihr ältester Sohn sei sogar 2003 entführt worden und eine Nacht eingesperrt gewesen. Eines Tages hätten diese Männer sie auch mit dem Auto überfahren wollen. Es sei in Georgien unerträglich geworden und deshalb sei sie mit ihrem Sohn nach Österreich geflüchtet.
Das Bundesasylamt hat das gesamte Vorbringen der Beschwerdeführerin als unglaubwürdig gewürdigt. Hinsichtlich der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides muss der zuständige Senat des Asylgerichtshofes zu dem Schluss kommen, dass diese nicht schlüssig ist und zwar aus folgenden Gründen:
1.1. Der Organwalter des Bundesasylamtes, welcher den erstinstanzlichen Bescheid genehmigt hat, hat als eines der Argumente für die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin angeführt, dass die Aussagen der Beschwerdeführerin in "krassem Widerspruch zu den Angaben ihres Sohnes S.G." stünden, zumal dieser im Wesentlichen Blutrache als Fluchtgrund dargelegt habe (AS 53 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes). In der Beschwerde wird diese Begründung im o.a. Bescheid zurecht gerügt und als nicht zutreffend bezeichnet, weil die Beschwerdeführerin, auch wenn sie das Wort Blutrache im Rahmen ihrer Einvernahme nicht verwendet habe, ihr Vorbringen materiell auf die gleichen Gründe wie ihre beiden Söhne stütze, nämlich auf Blutrache aufgrund der (politischen) Probleme ihres Mannes. Die oben zitierte Begründung ist aber vor allem insofern schwer mangelhaft, als der zur Entscheidung berufene Organwalter des Bundesasylamtes - Hr. ADir. P. - bei der Einvernahme ihres Sohnes S.G. überhaupt nicht zugegen war und somit persönlich gar keinen Eindruck über die Aussagen des Sohnes zur Beurteilung gewinnen hat können, ob hier tatsächlich ein "krasser Widerspruch" vorliegt.
1.2. Weiters ist den Erwägungen des Bundesasylamtes, wonach die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen durch keinerlei Beweismittel gestützt hätte, entgegenzuhalten, dass der Sohn der Beschwerdeführerin S.G. im Rahmen seiner Einvernahme am 5.2.2004 ein Konvolut an Schreiben und Dokumenten vorgelegt hat, die nicht nur für ihn eigene - nach der Ausreise des Vater (des Ehemanns) entstandene - Fluchtgründe, sondern für alle Familienangehörigen belegen bzw. bestätigen sollten, und das Bundesasylamt diese "Beweismittel" jedoch in keinster Weise in seine Beweiswürdigung miteinbezogen hat. Es liegt daher auf der Hand, dass die nicht erfolgte Einbeziehung der vorgelegten Beweismittel einen Mangel im Ermittlungsverfahren darstellt und daher auch im Fall der Beschwerdeführerin einer abschließenden (negativen) Glaubwürdigkeitsprüfung entgegensteht.
1.3. Angesichts obiger Erwägungen ist als maßgebend festzuhalten, dass im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesasylamt schwere Mängel aufgetreten sind, die von fehlenden Ermittlungen bis zu mangelhaften Begründungen im erstinstanzlichen Bescheid reichen.
2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:
2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.
Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.
Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren nach leg. cit. gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes. Daher ist das Verfahren der Beschwerdeführerin von dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes (D/5) weiterzuführen.
2.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:
"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.
(...)
Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.
Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.4.2006, Zl. 2003/01/0285)."
Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.6.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr gleichermaßen für den Asylgerichtshof.
2.4. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt.
Um den hier maßgeblichen Sachverhalt ordnungsgemäß zu ermitteln, hätte der ältere Sohn S.G. von demselben Organwalter des Bundesasylamtes, der im Fall der Beschwerdeführerin den o.a. Bescheid samt Beweiswürdigung genehmigt hat, einvernommen werden müssen. Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft mit dem Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin könnte im gegenständlichen Fall nach Ansicht des zuständigen Senates des Asylgerichtshofes nur dann das maßgebende Ergebnis einer Prüfung sein, wenn der Beschwerdeführerin damit entgegengetreten werden könnte, dass nach vollständiger Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes - insbesondere auch unter Einbeziehung der vom älteren Sohn vorgelegten Schreiben und Dokumente - keine Umstände zu Tage treten, die auf eine Gefährdung iSd GFK schließen lassen. Zwar obliegt es der Beschwerdeführerin, von sich aus entscheidungsrelevante Tatsachen vorzubringen, das Bundesasylamt hätte jedoch von Amts wegen darauf hinzuwirken gehabt, dass die Angaben der Beschwerdeführerin im Hinblick auf einen relevanten Grund iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vervollständigt werden. Nur in dieser Form hätte das Bundesasylamt im gegenständlichen Fall eine abschließende (negative) Glaubwürdigkeitsprüfung in schlüssiger Weise vornehmen können.
Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens fehlt eine ausreichende Beurteilungsgrundlage, zumal für die Lösung der Frage, ob die Beschwerdeführerin der Gefahr einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt ist, die Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens notwendig ist.
Folglich ist das Ermittlungsverfahren betreffend die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin mangelhaft geblieben und erweisen sich auch die darauf gestützten Begründungen im o.a. Bescheid als mangelhaft. Die aufgezeigten Mängel sind wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vermeidung der Mängel zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis hätte führen können.
Fest steht, dass das Bundesasylamt den Sachverhalt im gegenständlichen Fall so mangelhaft ermittelt hat, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme unvermeidlich erscheint.
Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor dem Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde.
Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.