B4 245.443-0/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde des B.S., geboren am 00.00.1982, kosovarischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.11.2003, Zl. 03 27.899-BAS, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer reiste am 14.9.2003 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und begehrte am gleichen Tag die Gewährung von Asyl.
2. Am 30.10.2003 beim Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei jugoslawischer Staatsangehöriger, gehöre der albanischen Volksgruppe an, sei muslimischen Glaubens und stamme aus dem im Kosovo gelegenen Ort N.. Sein Vater habe als Reinigungskraft für die Gemeinde S. gearbeitet. Dies habe er auch während der kriegerischen Auseinandersetzungen im Kosovo getan, als sich der Beschwerdeführer und seine übrigen Familienangehörigen zuerst im Wald versteckt und danach in Albanien aufgehalten hätten, wohin sie die serbische Polizei vertrieben habe. Sie hätten jeden Kontakt zum Vater verloren. Auch nach Ende des Krieges hätten sie ihn nicht gefunden. "Ein paar Leute" hätten erzählt, dass sie gesehen hätten, wie die serbische Polizei seinen Vater geholt habe, und dass er wahrscheinlich in Serbien sei. Danach seien Albaner zum Beschwerdeführer und zu seinen Familienangehörigen gekommen, hätten ihnen Vorwürfe gemacht, dass der Vater mit den Serben zusammengearbeitet habe, und gesagt, dass sie dort nichts mehr zu suchen hätten. Sie hätten 2 oder 3 Mal angerufen und gedroht. Daraufhin habe der Beschwerdeführer den Kosovo verlassen.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien-Montenegro" für zulässig (Spruchpunkt II). Dem Bescheid kann nicht entnommen werden, ob das Bundesasylamt das Vorbringen des Beschwerdeführers für glaubwürdig erachtet; es führte (lediglich) aus, dass der vorgebrachte Sachverhalt mit keinem der in der GFK genannten Gründe in Zusammenhang stehe und davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer seitens der im Kosovo operierenden Sicherheitskräfte bzw. quasi-staatlichen Kräfte "in keiner wie immer gearteten Weise" asylrelevanten Drangsalierungen unterworfen gewesen sei. Weiters wird (in aktenwidriger Weise) ausgeführt, dass dem Bundesasylamt bekannt sei, dass es im Kosovo gegen bestimmte Volksgruppen Vorbehalte gebe, den Aussagen des Beschwerdeführers aber "keine weiterreichenden konkreten Vorkommnisse zu entnehmen" seien. An anderer Stelle heißt es, der Beschwerdeführer habe aufgrund der völlig geänderten Umstände im Kosovo als Angehöriger der albanischen Volksgruppe eine Verfolgung iSd GFK nicht mehr zu befürchten. Die "ursprüngliche Verfolgung (Massenvertreibung aufgrund des Umstandes, dass Sie als Staatsangehöriger der BR Jugoslawien [jetzt Serbien-Montenegro] kosovoalbanischer Abstammung sind)" sei aufgrund entscheidender Änderungen des Sachverhaltes "zeitlich nicht mehr aktuell" und somit nicht entscheidungsrelevant. Es hätten sich daher weder asyl- noch refoulementrelevante Anhaltspunkte ergeben.
3. Gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung.
4. Mit Schriftsatz vom 26.3.2004 ergänzte der Beschwerdeführer seine Ausführungen ua. mit Verweis auf das UNHCR-Positionspapier zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo, in dem "Personen, die mit dem serbischen Regime nach 1990 in Verbindung gebracht werden" als eine weiterhin schutzbedürftige Gruppe genannt werden.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1.7.2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieser gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).
2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
3.1. Aus dem oben im Verfahrensgang Ausgeführten ergibt sich, dass das Bundesasylamt auf das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht sachgerecht eingegangen ist. Denn es hat sich mit dessen Aussage, ihm drohe im Kosovo von ethnischen Albanern Verfolgung, die seinem Vater vorwerfen würden, mit den Serben zusammengearbeitet zu haben, nicht auseinandergesetzt. Vor dem Hintergrund, dass im - oben unter Punkt I.4. erwähnten, immer noch aktuellen - UNHCR-Positionspapier vom Juni 2006 "Personen, die mit dem serbischen Regime nach 1990 in Verbindung gebracht werden" als weiterhin schutzbedürftige Gruppe qualifiziert werden, kann auch nicht gesagt werden, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers der erforderliche Konnex zu den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe fehlen würde. Soweit das Bundesasylamt aber davon auszugehen scheint, dass nur Übergriffe, die von den im Kosovo operierenden Sicherheitskräfte bzw. von "quasi-staatlichen Kräfte" ausgehen, asylrelevant seien, übersieht es, dass Verfolgung aus einem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen im gegebenen Zusammenhang nicht nur relevant ist, wenn sie vom Herkunftsstaat selbst ausgeht, sondern auch dann, wenn der Herkunftsstaat gegen derartige Verfolgungshandlungen Dritter keinen Schutz gewähren will oder dazu nicht in der Lage ist (vgl. z. B. VwGH 8.6.2000, 99/20/0203 mwN).
Im fortgesetzten Verfahren wird das Bundesasylamt den Beschwerdeführer zur Beurteilung der Frage, ob das dargestellte Vorbringen als glaubwürdig zu erachten ist, einzuvernehmen und - sollte es dies bejahen - mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob dem Beschwerdeführer im Kosovo staatlicher Schutz oder eine zumutbare interstaatliche Relokationsmöglichkeit offenstünde.
3.2. Somit erscheint die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich; dabei ist es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.
3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.
4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.