S11 401.615-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde der A.T., geb. 00.00.1942, vertreten durch Mag. Michael Weiss, Volkshilfe Rechtsberatung, Leystraße 23/3/1, 1200 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.09.2008, Zahl: 08 05.760-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
BEGRÜNDUNG
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.
Der Beschwerdeführer reiste am 02.07.2008 gemeinsam mit zwei Minderjährigen Verwandten ihres Schwiegersohnes, illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 04.07.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 04.07.2008 wurde die Beschwerdeführerin erstmals durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen, am 21.07.2008 fand eine weitere Einvernahme beim Bundesasylamt in Gegenwart eines Rechtsberaters statt.
Aufgrund der Angaben der Beschwerdeführerin war ein offenes Asylverfahren in Polen wahrscheinlich, sodass das Bundesasylamt am 08.07.2008 ein Wiederaufnahmeersuchen an Polen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung) stellte. Die zuständige polnische Behörde stimmte einer Wiederaufnahme mit Schreiben vom 09.07.2008, eingelangt am 11.07.2008 gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung zu.
Am 10.07.2008 bestätigte die Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG, wonach beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach Antragseinbringung übermittelt.
Die Beschwerdeführerin brachte im Verfahren folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor: Sie sei am 25.06.2008 mit dem Zug von Grozny/RF aus nach Moskau gefahren und von dort weiter nach Polen. Den genauen Reiseweg könne sie nicht angeben. Sie sei am 28.06.2008 in Polen angehalten und erkennungsdienstliche behandelt worden. Weiters habe sie einen Asylantrag gestellt. Dann sei sie mit dem Zug weiter nach Österreich gefahren, wo sie am 02.07.2008 gemeinsam mit ihren beiden minderjährigen Begleitern eingetroffen sei.
Sie sei in Polen gut behandelt worden, habe aber erfahren, dass ihre Tochter in Österreich lebe und wolle bei ihr bleiben.
Die Tochter der Beschwerdeführerin sowie zwei Söhne lebten in Österreich, sie selbst habe Lungenprobleme, chronische Bronchitis und hohen Blutdruck. Sie habe das Verfahren in Polen nicht ganz verstanden.
Das Bundesasylamt wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.08.2008, Zl: 08 05.760-EAST Ost, den Asylantrag der Beschwerdeführerin, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach gleichzeitig aus, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei. Feststellungen zur Situation in Polen wurden im Bescheid ausgeführt. Ein besonderes - ein Selbsteintrittrecht bedingendes - Bezugsverhältnis zu den im Bundesgebiet lebenden Verwandten des Beschwerdeführers wurde verneint.
2. Gegen diesen am 04.09.2008 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, worin insbesondere darauf hingewiesen wurde, dass keine ausreichenden Erhebungen betreffend die tatsächlich bestehende Intensität der familiären Beziehungen und der bestehenden physischen und psychischen Erkrankungen der Beschwerdeführerin getätigt wurden.
3. Die Beschwerde langte am 23.09.2008 beim Asylgerichtshof ein.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
1. Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag im Februar 2007 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.
1.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Aufgrund der im Februar 2007 erfolgten Asylantragstellung bezieht sich in casu § 5 AsylG auf die Dublin II-Verordnung, da gemäß Art. 29 leg. cit. diese Verordnung auf Asylanträge anwendbar ist, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten - dies ist der 01.09.2003 - gestellt werden.
Die Dublin II-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
1.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis 12 beziehungsweise 14 und Art. 15 Dublin II-Verordnung zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-Verordnung (erste Asylantragstellung) liegt.
Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit von Polen gemäß Art.16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung besteht. Eine solche Zuständigkeit wurde von Polen auch ausdrücklich anerkannt.
Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.
Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-Verordnung - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444).
1.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - entsprechend den Ausführungen in der Beschwerde - noch zu prüfen sein, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-Verordnung erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in bezog auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0449).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).
Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II-Verordnung, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-Verordnung), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-Verordnung umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
1.1.2.1. Mögliche Verletzung der Art. 3 und 8 EMRK
In Österreich leben sowohl die volljährige Tochter als auch die beiden volljährigen Söhne der Beschwerdeführerin. Die Tochter und ein Sohn sind bereits anerkannte Flüchtlinge, das Verfahren des zweiten Sohnes ist noch nicht abgeschlossen. Im Rahmen der Befragung am 21.07.2008 machte die Beschwerdeführerin einen offenen und bemühten Eindruck.
Durch die gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren gemäß § 10 AsylG 2005 vom 14.07.2008 hätte zum Zeitpunkt der Einvernahme bekannt sein müssen, dass die nicht vertretene Beschwerdeführerin verstärkter Anleitung durch die Behörden bedarf. Die Fragestellung hätte daher im vorliegenden Fall entsprechend eingehender ausfallen müssen, wobei keinesfalls auszuschließen ist, dass die erkennende Behörde dann zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.
Das Gutachten ergab zwar derzeit keinen sicheren Hinweis auf eine schwere belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung, wies jedoch darauf hin, dass die Beschwerdeführerin altersbedingt im Rahmen des Lagers oder im Familienverband den Alltag gestalten könne, jedoch in Verfahrensfragen sicher überfordert wäre. Bei Gefahr der Überstellung nach Polen wäre sie wahrscheinlich überfordert und es wären psychische Reaktionen zu erwarten.
Das Gutachten allein bedingt zwar noch kein Selbsteintrittsrecht, ist jedoch jedenfalls ein Hinweis darauf, im Rahmen der folgenden Einvernahme zumindest die Umstände der Einreise - im Hinblick auf die im Bescheid eher lapidar festgestellte Selbständigkeit -, die Lebensumstände der Beschwerdeführerin im Heimatland und die eventuelle Abhängigkeit zu ihrer Familie genau und angeleitet zu hinterfragen.
Die Einholung eines ausführlicheren Gutachtens (auch hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin angeführten physischen Krankheitszustände) in Relation zur sowohl zur Überstellung nach Polen als auch zur Abklärung der physischen und Psychischen Abhängigkeit von den in Österreich lebenden Familienangehörigen erscheint im vorliegenden Fall erforderlich. Die Mitteilung des psychosozialen Dienstes der Betreuungsstelle Traiskirchen vom 15.09.2008 bestätigt dies nachträglich.
Die letztendliche Feststellung im erstinstanzlichen Bescheid, dass kein relevantes Familienverhältnis bestehe, kann aufgrund des derzeit vorliegenden Sachverhaltes keineswegs einwandfrei geschlossen werden, der Sachverhalt ist nach Ansicht des Asylgerichtshofs nicht ausreichend genug ermittelt, um ihn einer Entscheidung zugrunde zu legen. Auch ist die Zulässigkeit der Abschiebung nach Einholung entsprechender medizinischer Gutachten und gegebenenfalls erforderlicher Zeugeneinvernahmen neuerlich zu prüfen.
1.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen
Im konkreten Fall wurde weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Beschwerde ein konkretes Vorbringen getätigt, das geeignet wäre anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf tschetschenische AsylwerberInnen unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist gleichfalls nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in Polen notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehen eines allgemeinen Konsens über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.
Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu Polen, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.
2. Im fortgesetzten Verfahren wird die Erstbehörde (sofern eine neuerliche Erlassung einer Unzuständigkeitsentscheidung nach § 5 AsylG beabsichtigt ist), nach Durchführung des ergänzten Beweisverfahrens die daraus gewonnenen Erkenntnisse der neuerlichen Entscheidung mit einer entsprechend nachvollziehbaren Würdigung zugrundelegen.
Auf die Notwendigkeit der Wahrung des persönlichen Parteiengehörs in einer Einvernahme ist zu verweisen.
3. Als maßgebliche Determinante für die Anwendbarkeit des § 41 Abs 3 AsylG in diesem Zusammenhang ist die Judikatur zum § 66 Abs 2 AVG heranzuziehen, wobei allerdings kein Ermessen des Asylgerichtshofes besteht.
Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 und 21.11.2002, 2000/20/0084; ferner VwGH 21.09.2004, Zl. 2001/01/0348). Eine kassatorische Entscheidung darf vom Asylgerichtshof nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt, wie dargestellt, keine ordnungsgemäß begründete Entscheidung (vgl Art. 19 Abs 2 1. Satz Dublin II-Verordnung und Art. 20 Abs 1 lit. e 2. Satz Dublin II-Verordnung) erlassen. Der Asylgerichtshof war auf Basis eines so gestalteten erstinstanzlichen Verfahrens praktisch nicht mehr in der Lage innerhalb der zur Verfügung stehenden kurzen Entscheidungsfristen (§ 37 Abs. 3 AsylG) eine inhaltliche Entscheidung zu treffen. Der angefochtene Bescheid konnte daher unter dem Gesichtspunkt des § 41 Abs. 3 AsylG keinen Bestand mehr haben.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 4 AsylG entfallen.