S2 400.901-1/2008/3E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde von B.M., angebl. 00.00.1992 auch 00.00.1992 alias 00.00.1993 geb., StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.07.2008, GZ 08 04.628 EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005, stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 27.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 27.05.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
1.2. Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 02.05.2008 in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt worden war (AS 9).
1.3. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.05.2008 gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Dolmetschers der Sprache Farsi im Wesentlichen an, er sei am 00.00.1992 in B. Afghanistan geboren und habe sein Heimatland vor zehn Jahren verlassen. Er sei aus Afghanistan geflohen, da seine Eltern und seine Schwester bei einem Bombenangriff umgebracht worden seien. Bis zum 05.04.2008 habe er im Iran gelebt. Den Iran habe er verlassen, weil die iranischen Behörden ihn nach Afghanistan abschieben hätten wollen. Er sei schlepperunterstützt mit einem LKW in Richtung Europa geflüchtet. Während der Reise seien ihm bei einer Polizeikontrolle die Fingerabdrücke abgenommen worden. Am 27.05.2008 sei er in Österreich abgesetzt worden und dann nach Traiskirchen gefahren (AS 17ff).
1.4. Am 02.06.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, im Beisein eines Rechtsberaters als gesetzlicher Vertreter, sowie eines beeideten Dolmetschers der Sprache Dari, niederschriflich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, er sei 16 Jahre alt und unbegleitet. Er habe in der EU keine Verwandten und lebe auch mit niemandem in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Die Frage, ob er Dokumente vorweisen könne, die seine Altersangabe bestätigen könnten, verneinte der Beschwerdeführer. Lediglich sein Nachbar hätte ihm gesagt, dass er 16 Jahre alt sei. Über seinen Aufenthalt in Griechenland führte der Beschwerdeführer aus, er sei bei einer LKW Kontrolle von der Polizei mitgenommen und für ca. sechs Tage angehalten worden. Dabei seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden und er habe eine Aufforderung zur Ausreise erhalten. Der Beschwerdeführer wurde darauf aufmerksam gemacht, dass das Bundesasylamt davon ausgehe, dass Griechenland zuständig sei und er bei Zustimmung Griechenlands abgeschoben werde. Der Beschwerdeführer erklärte, er habe nichts dagegen. (AS 39ff).
1.5. Das Bundesasylamt richtete am 03.06.2008 ein auf Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO gestütztes Aufnahmeersuchen an Griechenland (AS 1ff des "Dublin-Aktes").
1.6. Aufgrund der Zweifel des Bundesasylamtes an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde dieser zu einer ärztlichen Altersfeststellung geladen. Am 09.06.2008 wurde er von Dr. K. untersucht. In dem als Sachverständigengutachten bezeichneten Befund werden Größe, Gewicht, Geschlecht, Hautfarbe, Kopfumfang, Anzahl der Zähne, Art der Behaarung, Farbe der Nägel sowie Größe der Nieren und Volumen der Schilddrüse wiedergegeben. Ohne nähere fallbezogene Begründung folgt eine Zusammenfassung, wonach "aufgrund der äußeren Inspektion, des äußeren Eindrucks sowie der sonographischen Messgrößen von Nieren und Schilddrüse das Alter des Herrn B.M. auf 24 bis 26 Jahre eingeschätzt" werde (AS 69f).
1.7. Am 13.06.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass Konsultationen mit Griechenland geführt würden und aus diesem Grund beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (AS 81).
1.8. Mit Schreiben vom 03.07.2008, eingelangt am 04.07.2008, stimmte Griechenland dem Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ausdrücklich zu (AS 91).
1.9. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14.07.2008 zur Wahrung des Parteiengehörs, im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetscher für die Sprache Dari, gab der Beschwerdeführer nach erfolgter Rechtsberatung im Wesentlichen an, dass er sich bemühen werde Dokumente zu beschaffen, die belegen könnten, dass er 17 Jahre alt sei. Der Beschwerdeführer legte Dokumente vor, die die Identität seines Vaters beweisen sollen und eine Kopie seiner Geburtsurkunde. In Bezug auf Griechenland teilte der Beschwerdeführer mit, er habe erstmals in Österreich um Asyl angesucht und Griechenland hätte ihn des Landes verwiesen. Die Asylwerber hätten keine Unterkunft und würden in Parks schlafen. Der Beschwerdeführer sei von griechischen Polizisten geschlagen worden und könne in Griechenland nicht leben. Er teilte weiters mit, dass er noch keine Einvernahme in Griechenland gehabt hätte. Der Rechtsberater legt eine Petition an den deutschen Bundestag der Organisation Pro Asyl, sowie eine UNHCR-Empfehlung zu Dublin Transfers nach Griechenland und eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Gießen (BRD) vor, wonach eine afghanische Flüchtlingsfamilie nicht nach Griechenland abgeschoben werden dürfe, weil dort kein gleichwertiges Asylverfahren gewährleistet sei. Der Rechtsberater stellte aufgrund dieser Unterlagen einen Antrag auf Zulassung des Beschwerdeführers zum Verfahren in Österreich. (AS 169ff)
2. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Griechenland gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO zur Prüfung dieses Antrages zuständig sei, sowie II. der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und festgestellt werde, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei (AS 177ff).
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende fristgerechte Beschwerde, in der beantragt wird, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Des Weiteren wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass das Gutachten von Dr. K. nicht den Kriterien eines Sachverständigengutachtens gemäß § 52 AVG entsprechen würde. Es würde weiters nicht dargelegt werden, auf welchen wissenschaftlichen Standards dessen Untersuchungsmethoden beruhen. Die Erstbehörde hätte weiters Erkundigungen mittels eines Vertrauensanwaltes im Heimatland des Beschwerdeführers bezüglich seines Alters anstellen müssen. Die Beschwerde stützt sich außerdem auf ein UNHCR Positionspapier vom 15.04.12008, das den Stopp für Dublin-Transfers nach Griechenland fordert, und eine Entscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenats (GZ 319.192), die von der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG nicht mehr ausgeht. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er in Griechenland von griechischen Polizisten geschlagen worden und deshalb eine Abschiebung mit Art. 3 EMRK nicht vereinbar sei. Österreich hätte vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen (AS 251ff).
4. Am 01.08.2008 wurde die gegenständliche Beschwerde dem Asylgerichtshof vorgelegt, mit hg. Beschluss vom 11.08.2008 wurde dieser die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich folgendes:
2.1. Mit 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag im Mai 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBI. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.
2.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.
Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Dublin II-VO lauten:
"Artikel 6
Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt.
Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig.
(...)
Artikel 10
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylbewerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.
Hat der Asylbewerber sich für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig."
Im Beschwerdefall ist entscheidungsrelevant, ob der Beschwerdeführer - wie durchgehend behauptet - minderjährig ist, da diesfalls gemäß Art. 6 der Dublin II-VO die Zuständigkeit Österreichs gegeben wäre. Da die Erstbehörde Zweifel an der vom Beschwerdeführer behaupteten Minderjährigkeit hatte, beauftragte sie Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers. Dieses Gutachten ist - wie der Asylgerichtshof bereits in gleichgelagerten Fällen ausgesprochen hat (z.B. AsylGH vom 24.07.2008, S12 400.630-1/2008/2E, ua) - ausgesprochen kursorisch gehalten, Angaben über die Gewichtung der verschiedenen Methoden untereinander fehlen ebenso wie fallbezogene Wertungen. Vor diesem Hintergrund erscheint es - worauf auch die Beschwerde zutreffend hinweist - nicht möglich, schlüssig nachzuvollziehen, wie der Gutachter zu der von ihm festgelegten Altersbestimmung gelangen konnte. Eine Abwägung sonstiger Umstände, die den Befund der Volljährigkeit decken könnten, wie etwa eine Auseinandersetzung mit dem zunächst erstatteten Vorbringen zu einer länger dauernden Berufstätigkeit im Iran oder mit der Aussagekraft bzw. der Herkunft der vorgelegten Geburtsurkunde, ist ebenso nicht ersichtlich. Unter diesen Prämissen kann aber der Kritik in der Beschwerde hinsichtlich vermeintlicher Unschlüssigkeit des Gutachtens und Ungeeignetheit der Untersuchungsergebnisse auf Basis der Aktenlage nicht hinreichend begegnet werden. Die Behörde hat gerade in einem wissenschaftlich notorischerweise sensiblen Bereich wie jenem der "Altersfeststellung" die Aufgabe, auf die Schlüssigkeit des diesbezüglichen Gutachtens zu dringen und darauf Bedacht zu nehmen, dass die angewandten Methoden anerkannt sind.
2.3. Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Da die Erstbehörde - wie oben dargelegt - die entscheidungsrelevante Frage der Volljährigkeit des Beschwerdeführers zur Beurteilung der Unzuständigkeit Österreichs nicht hinreichend geklärt hat, erweist sich der vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Klärung dieser Frage hat in einem mängelfreien Verfahren durch Einholung eines schlüssigen Gutachtens samt Parteiengehörsgewährung und allenfalls ergänzender Befragung des Beschwerdeführers zu erfolgen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Bei dieser Sachlage konnte auch auf eine Erörterung der weiteren Kritik in der Beschwerde am griechischen Asylverfahren nicht eingegangen werden.