TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/26 B3 261208-0/2008

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Veröffentlicht am 26.09.2008
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Spruch

B3 261.208-0/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER als Vorsitzende und den Richter Mag. Florian NEWALD als Beisitzer über die Beschwerde der K.J., geboren am 00.00.1986, serbische Staatsangehörige, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. Mai 2005, Zl. 04 17.335-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

1. Die Beschwerdeführerin, eine serbische Staatsbürgerin, Angehörige der Volksgruppe der Roma und christlichen Glaubens, reiste ihren Angaben zufolge am 27. August 2004 nach Österreich ein. Sie brachte am selben Tag einen Asylantrag ein

 

Am 1. September und 23. Dezember 2004 beim Bundesasylamt einvernommen, gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an: Sie habe vor Verlassen des Herkunftslandes mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in D. gewohnt. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma hätten sie und ihre Familienangehörigen schon immer Übergriffe erleiden müssen, ab dem Jahre 2000 seien diese jedoch intensiver geworden. Die Mitbürger der Ortschaft hätten sie denunziert und beschimpft sowie die Scheiben ihres Wohnhauses eingeschlagen. Die Beschwerdeführerin habe nur vier Jahre die Schule besuchen dürfen, dann nicht mehr. Auf dem Weg zur Schule habe man ihr das Geld weggenommen, sie beschimpft und misshandelt. Die Polizei habe zwar die Anzeigen protokolliert, "aber trotzdem nichts gemacht". Im April 2001 seien die Eltern der Beschwerdeführerin auf dem Rückweg vom Einkaufen von fünf Personen zunächst beschimpft und dann zusammengeschlagen worden. Ihr Vater habe dabei Zähne verloren, ihre Mutter habe sogar operiert werden müssen. Noch am selben Tag habe ihr Vater bei der örtlichen Polizei deswegen Anzeige erstattet, die Polizei habe aber nichts unternommen. Die "letzte Attacke" auf die Familie sei besonders schlimm gewesen. Am 25. August 2004 seien ihnen teils bekannte Dorfbewohner zu ihrem Wohnhaus gekommen, hätten Scheiben eingeschlagen und dabei gesagt, "dass sie uns verbrennen würden". Die Familie sei zu den Arbeitgebern der Eltern geflohen. Am darauffolgenden Tag seien die Eltern zurückgekehrt und hätten das Vieh getötet und das Haus zerstört vorgefunden. Ihr Vater habe daraufhin die Ausreise organisiert. Auf die Frage, wie man die Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsstaat als Roma erkennen würde, antwortete sie: "Wir sind dunkler als die Serben".

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG), ab (Spruchteil I.), erklärte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung "nach Serbien und Montenegro" für zulässig (Spruchteil II.) und wies sie gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchteil III.). Es traf (nur) Feststellungen zur Verfassungslage des Staates "Serbien und Montenegro", zur Zusammensetzung von Parlament und Regierung dieses Staates sowie zur ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin beurteilte es als glaubwürdig. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, dass es sich bei den vorgebrachten Übergriffen um solche von Privatpersonen handle. Dass der Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin diese Übergriffe billigen würde, könne nicht erkannt werden. Auch sei "keinesfalls davon auszugehen", dass die Beschwerdeführerin im gesamtem Herkunftsstaat derartigen Übergriffen ausgesetzt wäre. Weiters verneinte das Bundesasylamt, dass die Beschwerdeführerin iSd § 8 Abs. 1 AsylG bedroht oder gefährdet sei und begründete abschließend seine Ausweisungsentscheidung.

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in Folge so bezeichnete) Berufung. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen unvollständig und nicht fallbezogen seien. Zur Klärung des tatsächlichen Sachverhaltes, und zwar ob die vorgebrachte Verfolgung durch Privatpersonen dem Staat zurechenbar sei, wären Ermittlungen zum behördlichen Sicherheitsapparat notwendig gewesen. Aus dem Gutachten des Ländersachverständigen S.M. vom 21. Februar 2005 mit dem Titel "Gutachten an den UBAS zur Situation in Serbien und Montenegro unter besonderer Berücksichtigung der Situation ethnischer Bosniaken und ethnischer Kroaten sowie von Deserteuren der ehemaligen jugoslawischen Volksarmee", dem amnesty international report 2005 zu Serbien und Montenegro sowie dem amnesty international Jahresbericht 2004 (jeweils ausschnittweise zitiert), gehe eindeutig hervor, dass "Roma signifikant häufiger von behördlicher Willkür und Gewaltanwendung betroffen seien als andere Staatsbürger".

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Die Beschwerdeführerin hat ihren Asylantrag am 27. August 2004 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 zu führen.

 

1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieser gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).

 

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.1. Im vorliegenden Fall hat es das Bundesasylamt unterlassen, in sachgerechter Weise auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin einzugehen:

 

Die Beschwerdeführerin brachte eine sie und ihre Familie betreffende Gefährdungssituation durch Privatpersonen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma vor. Das Bundesasylamt beurteilte die Angaben die Beschwerdeführerin als glaubwürdig und erhob sie zum Gegenstand des angefochtenen Bescheides, führte in Folge jedoch - ohne entsprechende Feststellungen - aus, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin bzw. ihre Familienangehörigen keinen staatlichen Schutz erhalten würden. Darüber hinaus traf das Bundesasylamt keine Feststellungen zur angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative: Weder wurde ein Gebiet oder ein Ort geprüft, in dem die Beschwerdeführerin ungefährdet leben könnte noch eine entsprechende Zumutbarkeitsprüfung durchgeführt (zu dieser siehe etwa VwGH 8.9.1999, 98/01/0614; 29.3.2001, 2000/20/0539). Um abschließend feststellen zu können, ob das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Gewährung von Asyl oder von subsidiärem Schutz relevant ist, sind nachvollziehbare Feststellungen zu diesen Fragen erforderlich (zur Frage der Asylrelevanz von Verfolgungshandlungen Dritter bei fehlendem staatlichen Schutz vgl. etwa VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177).

 

3.2. Da die Beschwerdeführerin zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.

 

3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
16.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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