TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/26 D6 306802-3/2008

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Veröffentlicht am 26.09.2008
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Spruch

D6 306802-3/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Einzelrichter über die Beschwerde des H.R., geb. 00.00.1973, StA. d. Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 1.9.2008, FZ. 08 06.842-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, brachte am 18.9.2006 bei der Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Am selben Tag wurde der Beschwerdeführer im Rahmen einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, am 22.9.2006 sowie nach Rechtsberatung am 29.9.2006 in Gegenwart eines Rechtsberaters zur Wahrung des Parteiengehörs vor dem Bundesasylamt einvernommen.

 

Am 22.9.2006 übermittelte das Bundesasylamt an Polen ein Ersuchen um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 (im Folgenden: Dublin II-VO), da ein Treffer aus dem EURODAC-System einen am 31.7.2006 in Lublin gestellten Asylantrag des Beschwerdeführers ausgewiesen hatte. Mit Schreiben vom selben Tag akzeptierte Polen seine Zuständigkeit zur Wiederaufnahme des Asylwerbers.

 

Der Beschwerdeführer brachte vor, am 17.06.2006 gemeinsam mit seinem minderjährigen Sohn sein Heimatland verlassen, in Polen um Asyl angesucht und sich ca. eineinhalb Monate in Polen in Leganova aufgehalten zu haben. Da er erfahren habe, dass man in Polen nur ein Pobyt erhalte, habe er sich zur Weiterreise nach Österreich entschlossen. Außerdem sei sein Leben in Polen in Gefahr, da seine Feinde von seinem Aufenthalt in Polen bereits erfahren hätten. Er habe die verfeindete Person auch bereits zwei oder drei Mal in Warschau auf der Straße gesehen. Er wolle nicht, dass sein Asylantrag in Polen geprüft wird, da er die polnische Sprache beherrschen müsste, um einer Beschäftigung in Polen nachgehen zu können. Überdies legte er mehrere Bescheinigungen aus Tschetschenien vor, welche belegen würden, dass er Opfer und Zeuge von Kriegsverbrechen durch die Russische Arme geworden sei.

 

1. Mit Bescheid vom 12.10.2006 wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz - ohne in die Sache einzutreten - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 (im Folgenden: AsylG 2005), als unzulässig zurück und sprach gleichzeitig aus, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Dublin II-VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass die Ausweisung zulässig sei. Nach Länderfeststellungen zur Rechtslage und -praxis in Polen verwarf das Bundesasylamt das Vorbringen des Beschwerdeführers aus dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK, da er sich im Falle der Bedrohung durch (nicht näher konkretisierte) verfeindete Personen an die polnischen Sicherheitsbehörden wenden könne.

 

Die dagegen erhobene Berufung vom 23.10.2006 wendete sich insbesondere gegen die Annahme des Bundesasylamtes von der Drittstaatsicherheit Polens. In einer Berufungsergänzung wurde ferner das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Beschwerdeführer vorgebracht und eine psychologische Stellungnahme dazu vorgelegt.

 

Diese Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 7.11.2006 unter anderem mit dem Hinweis auf medizinische Behandlungsmöglichkeiten für psychische Erkrankungen ab.

 

Mit Beschluss vom 27.5.2008, Zlen. 2007/20/0123 bis 0124, lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates erhobenen Beschwerde nach Art. 131 B-VG ab.

 

2. Am 4.8.2008 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz. In seiner Erstbefragung vom selben Tag gab der Beschwerdeführer an, dass die medizinische Versorgung in Polen schlecht und der Aufenthalt in einer Massenunterkunft unzumutbar sei. Er möchte daher nicht nach Polen zurück. In Polen fühle er sich auch nicht sicher, weil er in Tschetschenien einen Freund seines Neffen im Zuge seiner eigenen Misshandlung verraten habe und dieser in weiterer Folge getötet worden sei; dessen Angehörige, die dem Beschwerdeführer die Blutrache erklärt hätten, würden sich auch in Polen befinden. Er habe in Österreich geheiratet; seine Ehefrau, ebenfalls eine russische Staatsangehörige der tschetschenischen Volksgruppe, die er in Traiskirchen kennen gelernt habe, sei schwanger, und sein Sohn gehe in Wien zur Schule. In seiner Einvernahme am 21.8.2008 legte der Beschwerdeführer gynäkologische Untersuchungsbestätigungen und Arztbriefe sowie eine fachärztliche Stellungnahme vom 23.7.2008 des Ambulatoriums für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen vor, in der auf die Folgewirkungen hinsichtlich der Nichte der Ehefrau des Beschwerdeführers im Falle von dessen Abschiebung hingewiesen wird. Ferner verwies er darauf, mit seiner Ehefrau im September 2008 ein Kind zu erwarten.

 

Mit Bescheid vom 1.9.2008 wies das Bundesasylamt den Antrag vom 4.8.2008 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 (wohl: Z 1) AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus (Spruchpunkt II.).

 

In seiner Begründung traf das Bundesasylamt allgemeine Länderfeststellungen zur Versorgung von Asylwerbern in Polen und stellte die Identität des Beschwerdeführers sowie den rechtskräftigen Abschluss seines ersten Asylverfahrens fest. Sämtliche, nunmehr vorgebrachte Sachverhalte (insb. der behauptete "Refoulement-Sachverhalt") seien bereits im vorigen Verfahren berücksichtigt worden, sodass darüber nicht mehr neuerlich zu entscheiden gewesen sei: Die vorgelegten, überdies aus dem Jahr 2007 stammenden medizinischen Unterlagen würden nicht darauf hinweisen, dass gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers einer Überstellung nach Polen entgegen stünden. Hinsichtlich der behaupteten Bedrohung des Beschwerdeführers in Polen durch Familienangehörige seiner Feinde sei auf das erste Verfahren zu verweisen; der neuerliche Antrag sei folglich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

 

Im Hinblick auf Spruchpunkt II. ging das Bundesasylamt davon aus, dass auch die festgestellten familiären Bindungen einer Überstellung nach Polen nicht entgegen stehen würden: Sowohl die Ehefrau des Beschwerdeführers und ihre Kinder als auch sein eigener Sohn seien von einer Ausweisung nach Polen betroffen. Offensichtlich vor dem Hintergrund eines laufenden Beschwerdeverfahrens der Ehefrau des Beschwerdeführers vor dem Verwaltungsgerichtshof führte das Bundesasylamt aus, dass es im Falle einer günstigen Entscheidung der Ehefrau "natürlich unbenommen" bleibe, den Beschwerdeführer "in Polen zu besuchen bzw. um Familienzusammenführung anzusuchen". Der Beschwerdeführer habe seine Ehefrau erst in Österreich kennen gelernt. Seine privaten Interessen seien aus "verfahrensverlängernden Handlungen", wie das Ergreifen ordentlicher und außerordentlicher Rechtsmittel, resultiert und daher weniger schutzwürdig. Abschließend begründete das Bundesasylamt, weshalb seiner Ansicht nach die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung im vorliegenden Fall überwiegen würden und die Ausweisung auch iSd Art. 8 EMRK gerechtfertigt sei.

 

3. In der dagegen erhobenen, fristgerecht eingebrachten Beschwerde vom 17.9.2008 trat der Beschwerdeführer der Zurückweisung wegen entschiedener Sache unter Berufung auf geänderte familiäre Umstände entgegen. Er lebe sowohl mit seinem Sohn und seiner Ehefrau, als auch mit deren Nichten, für die seine Frau obsorgepflichtig sei, zusammen. Erneut wies die Beschwerde auf die bevorstehende Geburt eines gemeinsamen Kindes hin. Die Erlassung einer Ausweisung verletze Art. 8 EMRK. Abschließend beantragte der Beschwerdeführer die aufschiebende Wirkung seiner Beschwerde gemäß § 37 AsylG 2005.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 22 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses.

 

Gemäß Art. 129c B-VG iVm § 61 Abs. 1 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder - soweit dies in Abs. 3 leg. cit. vorgesehen ist - durch Einzelrichter.

 

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Rechtsmittelverfahren gegen einen zurückweisenden Bescheid wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers nach § 61 Abs. 3 Z 1 lit c und Z 2 AsylG 2005 durch den zuständigen Richter des Asylgerichtshofes als Einzelrichter zu führen.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 leg. cit. auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Der vorliegende Antrag wurde am 4.8.2008 gestellt, weshalb das AsylG 2005 anzuwenden ist.

 

2. Nach § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung die Bestimmung des § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Der Gesetzgeber hat für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide sehr kurze Fristen (§41Abs. 2, §37 Abs. 3 AsylG 2005) vorgesehen, andererseits aber die gerichtliche Beschwerdeinstanz dazu verpflichtet, bei einem mangelhaften Sachverhalt der Beschwerde stattzugeben, ohne §66 Abs. 2 AVG anzuwenden (§ 41 Abs. 3 AsylG 2005). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der gerichtlichen Beschwerdeinstanz einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Erläuterungen des Gesetzgebers (RV 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die gerichtliche Beschwerdeinstanz im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des §41Abs. 3 AsylG 2005 ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), die sich erkennbar an § 66 Abs. 2 AVG anlehnt, schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein bei Erhebungsmängeln in Frage kommt, die der gerichtlichen Beschwerdeinstanz eine prompte Erledigung unmöglich machen.

 

3. Aus nachstehenden Gründen ist davon auszugehen, dass das vorliegende Verfahren mangelhaft ist und daher das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers rechtswidrig gemäß § 68 AVG zurückgewiesen hat:

 

3.1 Im vorliegenden Verfahren hat die belangte Behörde den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf das bereits rechtskräftig abgeschlossene Verfahren des Beschwerdeführers, das mit der Antragszurückweisung wegen der Zuständigkeit Polens nach der Dublin II-VO geendet hat, zurückgewiesen und den Beschwerdeführer (erneut) nach Polen ausgewiesen. Den vorliegenden (zweiten) Antrag begründete der Beschwerdeführer unter anderem damit, dass sich seine familiären Verhältnisse geändert hätten, er geheiratet und mit seiner Ehefrau ein Kind erwarte. Dazu legte der Beschwerdeführer eine Heiratsurkunde (AS 31) sowie eine Bestätigung der ersten geburtshilflichen Untersuchung mit dem errechneten Geburtstermin, 15.9.2008, vor (AS 75).

 

Die belangte Behörde hat keine Feststellungen über den Aufenthaltsstatus der Ehefrau des Beschwerdeführers getroffen; lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung erwähnte sie die Möglichkeit einer "Entscheidung des VwGH im Asylverfahren [der] Gattin" des Beschwerdeführers. Ob der Verwaltungsgerichtshof einer allfälligen Beschwerde der Ehefrau des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat, geht weder aus dem Bescheid noch aus dem Verwaltungsakt eindeutig hervor. Ausschließlich der Hinweis der belangten Behörde, die Ehefrau könne im Falle einer günstigen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshof den Beschwerdeführer in Polen besuchen, deutet auf die Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung jener Beschwerde hin.

 

Die belangte Behörde hat aber auch keine Ermittlungen darüber angestellt, ob die Geburt im Bescheiderlassungszeitpunkt bereits erfolgt ist oder inwieweit eine Problemschwangerschaft bei der Ehefrau des Beschwerdeführers gegeben ist, die eine baldige Rückkehr nach Polen unmöglich macht. Erhebungen des Asylgerichtshofes haben ergeben, dass mittlerweile das erwartete Kind des Beschwerdeführers geboren wurde und sich aufgrund von Komplikationen bei der Geburt auf der Intensivstation des Krankenhauses befindet (vgl. Aktenvermerk vom 25.9.2008). Es bedarf keiner weiteren Erörterung, dass derartige Umstände - sollten sie in weiterer Folge verifiziert werden - gravierende Auswirkungen auf die Situation des Beschwerdeführers haben:

 

Dass eine Trennung des Beschwerdeführers von seiner Ehefrau und dem neugeborenen Kind - noch dazu unter den erwähnten Umständen - mit den Garantien des Art. 8 EMRK in keiner Weise in Einklang zu bringen ist, liegt auf der Hand (vgl. z.B. VwGH 12.12.2007, 2007/19/1054; schon zur Berücksichtigung der Schwangerschaft bei der Beurteilung von Art. 8 EMRK vgl. VwGH 9.4.2008, 2007/19/0436). Zu beachten ist, dass der Gesetzgeber in Fällen vorübergehender Abschiebungshindernisse, wie z.B. fortgeschrittener Schwangerschaft oder sehr schlechtem Gesundheitszustand, gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 die Aufschiebung der Ausweisung für die notwendige Zeit vorsieht (RV 952 XXII. GP, Zu § 10). Im gegenständlichen Fall wäre daher - wenn im Zeitpunkt der Erlassung des vorliegenden Bescheides auch die Entscheidung über den Antrag der Ehefrau des Beschwerdeführers ergangen wäre - der Ehefrau und damit aber auch zur Wahrung der Familieneinheit dem Beschwerdeführer möglicherweise ein Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 zu gewähren gewesen (vgl. auch VfGH 1.10.2007, G 179, 180/07; zu Art. 8 EMRK vgl. statt aller Putzer/Rohrböck, Asylrecht [2007] Rz 298ff.). Das gleiche müsste gelten, wenn der vorliegende Antrag des Beschwerdeführers - aus welchen Gründen immer - zeitlich separat von jenem seiner Ehefrau entschieden wird.

 

3.2 Die beanstandeten Verfahrensmängel betreffen jedoch nicht nur den Spruchpunkt II.. Die noch durchzuführenden Ermittlungen könnten auch dazu führen, dass - unter besonderen Umständen - nicht mehr von einem bloß vorübergehenden Abschiebungshindernis, dem das Institut des Durchführungsaufschubs Rechnung tragen soll, auszugehen ist. Bei einem länger andauernden bzw. permanenten Abschiebungshindernis, das nach den Komplikationen im Zusammenhang mit der Geburt nicht auszuschließen ist, wäre als Konsequenz vom sog. Selbsteintritt Österreichs in das Asylverfahren der Ehefrau des Beschwerdeführers, dessen neugeborenem Kind (im Falle der Stellung eines entsprechenden Antrages) und folglich dem Beschwerdeführer selbst Gebrauch zu machen und von einer Unzuständigkeitsentscheidung Abstand zu nehmen (zum Selbsteintritt in Fällen des Art. 8 EMRK vgl. VfSlg. 16.122/2001, 17.340/2004 und zuletzt VfGH 1.10.2007, G 179, 180/07).

 

Die dargelegten entscheidungsrelevanten Verfahrensfehler haben daher auch zur Behebung des Spruchpunkt I. zu führen, da der nach Durchführung der entsprechenden Ermittlungen festgestellte Sachverhalt nicht mehr als entschiedene Sache iSd Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes angesehen werden könnte (zur Problematik der res iudicata vgl. VwGH 9.9.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2002, 2000/07/0235; 4.11.2004, 2002/20/0391; 31.3.2005, 2003/20/0468; 30.6.2005, 2005/18/0197; 26.7.2005, 2005/20/0226).

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

4.1 Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Verfahren zu ermitteln haben, in welchem gesundheitlichen Zustand sich das neugeborene Kind des Beschwerdeführers und seine Ehefrau befinden. Dem Beschwerdeführer ist hinsichtlich der durchgeführten Ermittlungen jedenfalls Parteiengehör zu gewähren.

 

4.2 Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
20.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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