TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/26 B3 261209-0/2008

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Veröffentlicht am 26.09.2008
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Spruch

B3 261.209-0/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER als Vorsitzende und den Richter Mag. Florian NEWALD als Beisitzer über die Beschwerde des N.M., geboren am 00.00.1956, serbischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11. Mai 2005, Zl. 04 17.332-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

1. Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Roma und christlichen Glaubens, reiste seinen Angaben zufolge am 27. August 2004 nach Österreich ein. Er brachte am selben Tag einen Asylantrag ein und legte zum Beweis seiner Identität einen am 00.00.1996 in Serbien ausgestellten Personalausweis vor.

 

Am 1. September und 23. Dezember 2004 beim Bundesasylamt einvernommen, gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen Folgendes an: Er habe vor Verlassen seines Herkunftslandes mit seiner Familie in D. gewohnt. Aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma hätten er und seine Familienangehörigen schon immer Übergriffe erleiden müssen, ab dem Jahre 2000 seien diese jedoch intensiver geworden. Die Mitbürger der Ortschaft hätten sie denunziert und beschimpft sowie die Scheiben ihres Wohnhauses eingeschlagen. Im April 2001 seien der Beschwerdeführer und seine Ehefrau auf dem Rückweg vom Einkaufen von fünf Personen - die dem Beschwerdeführer zum Teil bekannt gewesen seien - zunächst beschimpft und dann zusammengeschlagen worden. Er habe dabei Zähne verloren, seine Frau habe sogar operiert werden müssen. Noch am selben Tag habe er bei der örtlichen Polizei deswegen Anzeige erstattet, die Polizei habe aber nichts unternommen. Die Familie habe ständig Probleme gehabt, beispielsweise sei er mit Steinen beworfen worden und die Kinder seien aus der Schule verjagt worden, "weil wir Zigeuner sind". Jedes Mal, wenn etwas passiert sei, habe er Anzeige erstattet. Die Polizei habe zwar formell "immer etwas aufgeschrieben", passiert sei allerdings in Folge nichts. Der letzte Vorfall habe sich am 25. August 2004 ereignet. Dorfbewohner seien zum Haus gekommen, hätten die Scheiben eingeschlagen und dabei gedroht, "dass sie uns verbrennen würden". Der Beschwerdeführer sei mit seiner Familie zu der "Farm" geflohen, auf der er gearbeitet habe. Am darauffolgenden Tag seien sie zurückgekehrt und hätten das Vieh getötet vorgefunden. Eines der Tiere sei sogar mit durchgeschnittener Kehle im Bett eines der Kinder gelegen. Daraufhin seien sie, ohne vorher noch die Polizei aufzusuchen - da dies auch zuvor nichts geholfen habe - wieder auf die "Farm" zurückgekehrt und hätten Freunde kontaktiert, um die Ausreise zu organisieren. Auf die Frage, wie man ihn "in irgendeiner Stadt" als Zugehöriger der Volksgruppe der Roma erkennen könne, antwortete der Beschwerdeführer, dass er dort leben würde, wo andere Roma leben würden, deshalb würde man ihn sofort erkennen.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) ab (Spruchteil I.), erklärte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien und Montenegro" für zulässig (Spruchteil II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchteil III.). Es traf (nur) Feststellungen zur Verfassungslage des Staates "Serbien und Montenegro", zur Zusammensetzung von Parlament und Regierung dieses Staates sowie zur ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung. Das Vorbringen des Beschwerdeführers beurteilte es als glaubwürdig. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, dass es sich bei den vorgebrachten Übergriffen um solche von Privatpersonen handle. Dass der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers diese Übergriffe billige, könne nicht erkannt werden, auch sei der fluchtauslösende Vorfall gar nicht angezeigt worden. Dass die Polizei es abgelehnt hätte, die Anzeige entgegenzunehmen, habe "keinesfalls" angenommen werden können, und sei "in dieser Form" nicht behauptet worden. Außerdem könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer in seinem gesamten Herkunftsstaat einer Verfolgung ausgesetzt sei. Weiters verneinte das Bundesasylamt, dass der Beschwerdeführer iSd § 8 Abs. 1 AsylG bedroht oder gefährdet sei und begründete abschließend seine Ausweisungsentscheidung.

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in Folge so bezeichnete) Berufung. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen unvollständig und nicht fallbezogen seien. Zur Klärung des tatsächlichen Sachverhaltes, und zwar ob die vorgebrachte Verfolgung durch Privatpersonen dem Staat zurechenbar sei, wären Ermittlungen zum behördlichen Sicherheitsapparat notwendig gewesen. Aus dem Gutachten des Ländersachverständigen S.M. vom 21. Februar 2005 mit dem Titel "Gutachten an den UBAS zur Situation in Serbien und Montenegro unter besonderer Berücksichtigung der Situation ethnischer Bosniaken und ethnischer Kroaten sowie von Deserteuren der ehemaligen jugoslawischen Volksarmee", dem amnesty international report 2005 zu Serbien und Montenegro sowie dem amnesty international Jahresbericht 2004 (jeweils ausschnittweise zitiert), gehe eindeutig hervor, dass "Roma signifikant häufiger von behördlicher Willkür und Gewaltanwendung betroffen seien als andere Staatsbürger".

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag am 27. August 2004 gestellt; das Verfahren ist daher nach dem Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 zu führen.

 

1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieser gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).

 

2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.

 

Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).

 

3.1. Im vorliegenden Fall hat es das Bundesasylamt unterlassen, in sachgerechter Weise auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen:

 

Der Beschwerdeführer brachte eine ihn und seine Familie betreffende Gefährdungssituation durch Privatpersonen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma vor. Das Bundesasylamt beurteilte die Angaben des Beschwerdeführers als glaubwürdig und erhob sie zum Gegenstand des angefochtenen Bescheides, führte in Folge jedoch - ohne entsprechende Feststellungen - aus, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer bzw. seine Familienangehörigen keinen staatlichen Schutz erhalten würden. Darüber hinaus traf das Bundesasylamt keine Feststellungen zur angenommenen innerstaatlichen Fluchtalternative: Weder wurde ein Gebiet oder ein Ort geprüft, in dem der Beschwerdeführer ungefährdet leben könnte noch eine entsprechende Zumutbarkeitsprüfung durchgeführt (zu dieser siehe etwa VwGH 8.9.1999, 98/01/0614; 29.3.2001, 2000/20/0539). Um abschließend feststellen zu können, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Gewährung von Asyl oder von subsidiärem Schutz relevant ist, sind nachvollziehbare Feststellungen zu diesen Fragen erforderlich (zur Frage der Asylrelevanz von Verfolgungshandlungen Dritter bei fehlendem staatlichen Schutz vgl. etwa VwGH 28.3.1995, 95/19/0041;

27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373;

26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177).

 

3.2. Da der Beschwerdeführer zum Ergebnis dieser Ermittlungen zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.

 

3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.

 

4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
16.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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