B3 253.895-0/2008/10E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Karin WINTER über die Beschwerde von R.B., geboren am 00.00.1975, georgischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. September 2004, Zl 04 09.994-BAE, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15. Jänner 2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und R.B. gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BG BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG), Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass R.B. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 30. April 2004 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchteil I.), erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Georgien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchteil II.) und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchteil III.).
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in Folge so bezeichnete) Berufung. Am 15. Jänner 2008 führte die Rechtsmittelbehörde in der Sache des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser wurden der Beschwerdeführer und seine Ehefrau einvernommen. Weiters wurden Empfehlungsschreiben der Gemeinde R. (Beilage B zur Verhandlungsschrift [VS]), der Bericht der International Crisis Group "Georgia¿s Armenian and Azeri Minorities" vom 22. November 2006 (Beilage 2 zur VS), der Bericht des (dt.) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 24. April 2006 (Beilage 2 zur VS), der Bericht des (ö.) Bundesasylamtes zur Fact Finding Mission "Armenien Georgien Aserbaidschan" vom 1. November 2007 (Beilage 3 zur VS), die ACCORD Anfragebeantwortung "Situation ethnischer Azeris" vom 16. Mai 2005 (Beilage 4 zur VS), der Bericht des U.S. Departement of State "Georgia, International Religious Freedom Report 2007" vom 14. September 2007 (Beilage 5 zur VS) und das ECMI Working Paper #23 vom Februar 2005 "Obstacles Impeding the Regional Integration of the Kvemo Kartli Region of Georgia" (Beilage 7 zur VS) verlesen und erörtert.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur hier entscheidungsrelevanten Situation in Georgien:
1.1.1. Allgemeines:
Georgien ist ein Staat, dessen politische und rechtliche Ausrichtung europäischen Werten folgt. Interne Konflikte, äußere Einflussnahme, Korruption und eine allgemein schwierige wirtschaftliche Ausgangssituation haben jedoch - trotz der "Rosenrevolution" im Herbst 2003 - verhindert, dass das Land seit seiner Unabhängigkeit sein eigentliches Potential bei der Demokratisierung voll entfalten konnte.
Die ersten Maßnahmen der neuen Regierung bewegen sich noch immer mehr im fiskalischen und ordnungspolitischen Bereich denn im gesellschaftlich-sozialen Umfeld. Die Schaffung eines ¿starken Staates' im Gegensatz zu der allgemeinen politischen Stagnation der vergangenen Jahre reflektiert in etwa die Philosophie der aktuellen Regierung. Daran scheint sich auch die teils drastische, nicht vorwurfsfreie Reform der Justiz zu orientieren, deren Instanzenzüge neu gestaltet und deren erfahrene Richterschaft größtenteils durch jüngere Juristen ersetzt werden.
Unverändert notwendige Verbesserungen bei der Durchsetzung und Wahrung von Menschenrechten sind auch 2005 nicht erfolgt. Vielmehr ist wie schon 2004 die Vorgehensweise der Regierung bei der oft selektiven Verhaftung verdächtiger Straftäter, Misshandlungen im Gewahrsam, und der zügellosen Beantragung und Verhängung von Untersuchungshaft als Verschlechterung der Lage zu beurteilen.
Weiterhin besteht keine gesetzliche Grundlage für die Registrierung und Arbeit nichtorthodoxer Glaubensgemeinschaften. Die massiven Übergriffe orthodoxer Eiferer, die noch 2003 zu beobachten waren, fanden 2004 nicht, 2005 nur sehr vereinzelt statt. Einzelne Stellungnahmen des georgisch-orthodoxen Patriarchats zur Arbeit nicht-orthodoxer Gemeinschaften gaben Anlass zur Besorgnis.
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Die Unabhängigkeit der Judikative ist auch im postrevolutionären Georgien nicht gewährleistet. Vielmehr führte die seit Mitte 2005 forcierte Reform der Instanzenzüge und die Entlassung von Richtern dazu, dass durch Personalmangel der Zugang zur Gerichtsbarkeit nur eingeschränkt gewährleistet ist. Nach Ansicht vieler Beobachter steht hinter der intransparenten, selektiven und teils offenbar unrechtmäßigen Entlassung von Richtern der Versuch, unabhängige Köpfe der Justiz, gerade auch in den obersten Instanzen, durch junge, beeinflussbare Juristen aus der Revolutionsgeneration zu ersetzen.
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Die Entlassung bisheriger Richter ist überschattet von öffentlichen Vorwürfen, die Regierung versuche die Judikative zu vereinnahmen. Einige Richter haben gegen ihre Entlassung geklagt.
Die seit mehreren Jahren andauernde Strafrechtsreform erfordert weitere Änderungen, die inzwischen mit internationalen Organisationen beraten werden. Ein neues Strafgesetzbuch und ein neues Strafvollzugsgesetz sind seit einigen Jahren in Kraft, die in Teilen kritisierte reformierte Strafprozessordnung wird derzeit erneut überarbeitet. Es dürfte jedoch noch einige Zeit dauern, bis die georgische Strafrechtspraxis modernen rechtsstaatlichen Standards entspricht.
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Die ersten Reformen im Sicherheitsbereich waren kurz nach der Revolution erfolgt. Für die Öffentlichkeit sicht- und spürbar wurden im Jahre 2004 3.000 als korrupt geltende Verkehrspolizisten entlassen. Diese Einheit wurde insgesamt aufgelöst und durch eine neue, bürgernahe und besser besoldete ¿Patrol Police' ersetzt. 2004 kam es weiterhin zu spektakulären Verhaftungen vor laufenden Kameras, bei Nacht und häufig ohne Haftbefehl. Für 2005 liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor. Diese Verhaftungen richteten sich regelmäßig gegen frühere Bedienstete der Regierung oder vermutete Profiteure der Ära Schewardnadse. Insgesamt sind Ermittlungstechniken und Polizeiarbeit noch nicht auf europäischen Standard gebracht. Weitergehende Reformen, gerade auch hinsichtlich der kriminaltechnischen und Ermittlungsarbeit, sind 2005 nicht erkennbar gewesen.
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Angesichts der allgemein noch mangelnden Transparenz und Rechtsstaatlichkeit der Strafverfolgung kann nicht ausgeschlossen werden, dass gelegentlich Angehörige ethnischer oder religiöser Minderheiten im Strafverfahren oder im Strafvollzug schlechter behandelt werden als orthodoxe ethnische Georgier.
Bis ca. Mitte 2005 kam es zu Verhaftungen von Personen aus dem politischen und wirtschaftlichen Umfeld der alten Regierung, denen Korruption, Steuervergehen oder Amtsmissbrauch zur Last gelegt wurde, ohne dass es in jedem Einzelfall zu einem Gerichtsverfahren gekommen wäre. Vielmehr konnten sich die Beschuldigten durch ¿Rückerstattung' veruntreuter Gelder freikaufen, wobei die Höhe der Beträge frei geschätzt bzw. ausgehandelt wurde. Diese Aktionen fanden häufig unter intensiver Medienbeteiligung, aber ohne erkennbare gesetzliche Grundlage statt. Dieses Vorgehen wurde weitgehend eingestellt, auch die extrabudgetären Fonds, in die die damit erwirtschafteten Gelder flossen, sollen aufgelöst worden sein. Dennoch war 2005 immer wieder der Eindruck entstanden, dass die Regierung oder einzelne Behörden auf der Grundlage subjektiver Entscheidungen Druck ausüben. So wurden einzelne Geschäftsleute von der Finanzpolizei (einer Steuerfahndung mit großer Machtfülle) heimgesucht, ihre Geschäfte tage- oder wochenlang geschlossen und überprüft. Oft soll es seitens der Geschäftsleute zu finanziellen Zugeständnissen außerhalb einer nachgewiesenen Steuerschuld gekommen sein. Hier, wie auch bei Verhaftungen wird offensichtlich selektiv verfahren.
Quelle: Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien vom 24. April 2006, S. 4, 6f und 10 (Beilage 2 zur VS)
1.1.2. Zur Lage ethnischer Azeri in Georgien:
Die aserbaidschanische Tageszeitung Zerkalo zitiert im April 2004 einen Brief der aserischen Intelligenzija in Georgien, worin sie die georgische Regierung beschuldigt, ethnische Aseris im Land zu unterdrücken und die aserbaidschanischsprachige Presse zu behindern. Zudem fordern die Autoren des Briefes den Präsidenten Aserbaidschans auf, "alles mögliche zu tun, um den Genozid an den ethnischen Aseris durch die neue georgische Regierung zu stoppen" (Ekho, 23. April 2004).
RFE/RL erwähnt ebenfalls Berichte von Tageszeitungen mit Sitz in Baku über angebliche Erpressungen, willkürliche Verhaftungen und andere Formen von Schikanierung von ethnisch aserischen Gemeindeführern. Nach Angaben von RFE/RL streitet die georgische Regierung jedoch jeglichen Vorwurf der angeblichen Verletzung der Rechte ethnischer Aseris ab (RFE/RL, 23. Juli 2004). Die Nachrichtenagentur Turan berichtet beispielsweise im Juni 2004 von der angeblichen Verfolgung des Redakteurs Niyazi Huseynov der aserischen Zeitung Yeni Dusunca Azeri sowie dessen Familienmitglieder durch den georgischen Geheimdienst. Zur Ausübung von psychologischen als auch physischen Drucks auf Huseynov und dessen Familie soll es nach dessen Weigerung, mit der georgischen Regierung zu kooperieren, gekommen sein. Nach erneuter Weigerung der Zusammenarbeit mit dem Geheimdienst im März 2004 soll Huseynov nach Drohungen, ihn zu verhaften, aus Georgien geflohen sein. Laut Aussagen Huseynovs ergreife die Regierung in Tbilisi Maßnahmen, um ethnische Aseris von der Teilnahme am politischen Leben Georgiens auszuschließen. In diesem Zusammenhang soll es nach Angaben von Huseynov auch zu Spezialoperationen im Mai 2004 in den Ortschaften Soganli und Karadzhala gekommen sein, bei denen insgesamt 150 Aseris, bei denen angeblich Waffen und Schmuggelware gefunden wurde, festgenommen worden seien. Weitere derartige Operationen sollten, so zitiert Turan den Redakteur Huseynov, folgen (Turan, 24. Juni 2004).
In einer als Reaktion auf gewaltsame Auseinandersetzungen in den mehrheitlich von ethnischen Aseris bewohnten Gebieten im Dezember 2004 verfassten Petition fordern einige aserbaidschanische NGOs von Präsident Saakaschwili "ein Ende der massiven Verletzung der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte der mehr als 650.000 ethnischen Aseris in Georgien". Nach Angaben von BBC Monitoring International wären diese NGOs der Meinung, dass es das Ziel der georgischen Regierung wäre, die aserische Minderheit aus dem Land zu drängen (BBC Monitoring International, 8. Dezember 2004; siehe auch Turan, 7. Dezember 2004).
Eurasianet zitiert im Juni 2004 den Vorsitzenden der aserischen nationalen Bewegung "Geyrat" ("Ehre"), demzufolge im Bereich der Verwaltung in der Region Kvemo-Kartli die neue Regierung "Aseris aus ihren Jobs entließen und sie durch Angehörige des regierenden Clans ersetzten, unabhängig davon, ob diese Personen arbeiten könnten oder nicht" (Eurasianet, 23. Juni 2004).
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ach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung der kollektiven Ländereien wurde den ethnischen Aseris unter der nationalistischen Regierung Gamsachurdias das Recht auf den Kauf von Land verwehrt. Auch unter der Regierung Schewardnadse hatte sich die Situation nicht grundlegend geändert und den Aseris wurde weiterhin der Besitz von Land verwehrt. Nach Angaben von RFE/RL gehen inoffizielle Schätzungen davon aus, dass 70 Prozent der mehrheitlich bäuerlichen Aseris in der Region Kvemo Kartli bis heute keinen Zugang zu Land haben und entweder gezwungen werden, Grundstücke zu mieten oder sich selbst georgischen Bauern als Arbeitskraft gegen Bezahlung anzubieten (siehe auch Eurasianet, 23. Juni 2004).
Laut RFE/RL habe Saakaschwili während seines Wahlkampfes im Dezember 2003 den Bewohnern der Region Kvemo Kartli versprochen, ihre politischen und sozialen Forderungen zu erfüllen und allen Bürgern, unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit, die gleichen Rechte zuzugestehen. Die bislang nicht erfüllten Umsetzungen der Wahlversprechen und Forderungen (nach einer Landreform, eine Rückgabe der alten aserischen Namen an hauptsächlich von Aseris bewohnten Ortschaften, Integration der aserischen Minderheit in das öffentliche und politische Leben) haben in der mehrheitlich von Aseris bewohnten Regionen Georgiens zu Unzufriedenheit und Spannungen sowie zu Protesten und Demonstrationen geführt (RFE/RL, 23. April 2004; Lider TV, 13. Januar 2005; Space TV, 7. Januar 2005; Bilik Dunyasi, 13. Juli 2004; ANS TV, 5. Juli 2004; BBC Monitoring International, 19. Mai 2004). Im Zusammenhang mit den genannten Demonstrationen berichtet die Nachrichtenagentur Turan, dass die georgischen Sicherheitsbehörden die Proteste der lokalen Bevölkerung unterdrückten (Turan, 30. Juli 2004).
Anfang Dezember 2004 wurde im Zuge der Eskalation von Landstreitigkeiten im Bezirk Marneuli eine 65-jährige Frau getötet. Nach Angaben des Institute for War and Peace Reporting (IWPR) protestierten mehrere dutzend Bewohner der aserischen Ortschaften Kvemo Kulari und Kirikhlo (Bezirk Marneuli) vor einem sich in der Nähe befindenden Gestüt, das ihrer Meinung nach Land beschlagnahmen würde, welches eigentlich den Bewohnern gehöre. Die Streitigkeiten eskalierten schließlich in gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern der Ortschaften und den Besitzern des Gestüts, in denen die oben genannte Frau getötet wurde und vier weitere Männer ernsthaft verletzt wurden (IWPR, 15. Dezember 2004; BBC Monitoring International, 6. Dezember 2004). Laut IWPR hat dieses Ereignis zu einer Verschärfung der Spannungen unter der aserischen Bevölkerung beigetragen (IWPR, 15. Dezember 2004). ANS Radio berichtet einige Tage nach den gewaltsamen Auseinandersetzungen im Bezirk Marneuli, Präsident Saakaschwili habe persönlich die Anordnung erteilt, den Vorfall genau zu untersuchen und die für den Tod der Frau verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen (ANS Radio, 10. Dezember 2004).
IWPR berichtet im Februar 2005 von einer Serie von Polizeirazzien gegen Schmuggelhandel in den hauptsächlich von Aseris bewohnten Gebieten im Süden Georgiens (Detailinformationen finden Sie bitte bei BBC Monitoring, 9. Dezember 2004; Azad Azarbaycan, 17. Dezember 2004). So wurde beispielsweise am 20. Januar 2005 eine Razzia in der Ortschaft Vakhtangisi nahe der aserbaidschanischen Grenze durchgeführt; anschließend soll es laut IWPR zu Kämpfen zwischen den Bewohnern und der Polizei gekommen sein, bei denen 3 Bewohner und einige Polizisten verwundet wurden. Die aserische Bevölkerung der betroffenen Gebiete soll sich nach Angaben von IWPR während dieser Razzien durch die Polizei ungerecht behandelt gefühlt haben und den Vorwurf ethnischer Diskriminierung ausgesprochen haben, da deren Angaben zufolge nur Häuser ethnischer Aseris durchsucht wurden (IWPR, 17. Februar 2005; siehe auch BBC Monitoring International, 19. Januar 2005; BBC Monitoring International, 19. Januar 2005 (2); BBC Monitoring International, 27. Januar 2005; Rustavi-2, 19. Januar 2005). Bereits eine Woche vor diesem Vorfall sollen aserische Bewohner in dem regionalen Zentrum Gardabani bei einer Demonstration gegen Einschränkungen bei der Elektrizitätsversorgung den Vorwurf geäußert haben, dass die Polizei scharf gegen den Grenzhandel von ethnischen Aseris vorginge, während ethnische Georgier unbehelligt ihren Geschäften nachgehen könnten. Grundsätzlich, so ein Vertreter der lokalen aserischen Bevölkerung, nehme in die Regierung jegliche Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ohne Alternativen anzubieten. Es gebe keinerlei Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt und weder die Gas- noch die Elektrizitätsversorgung in denen von Aseris bewohnten Ortschaften sei gewährleistet (IWPR, 17. Februar 2005).
Quelle: ACCORD Anfragebeantwortung "Situation ethnischer Azeris" vom 16. Mai 2005 (Beilage 4 zur VS).
1.2. Zur Person und den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, ist georgischer Staatsangehöriger, ethnischer Azeri und moslemischen Glaubensbekenntnisses. Im Jahre 1997 wurde der Beschwerdeführer wegen seiner Abstammung aus einer reichen Familie aserbaidschanischer Volksgruppenzugehörigkeit entführt und nach einer Woche gegen Zahlung von Lösegeld wieder freigelassen. Aus denselben Gründen wurde im Jahre 1998 der (Familien)autobus, in dem sich der Beschwerdeführer und andere Familienmitglieder befanden, beschossen. Der Autobus brach aus und fuhr in eine Gaszisterne, wo er explodierte. Die Verwandten des Beschwerdeführers starben, der Beschwerdeführer überlebte schwer verletzt und war ein Jahr in ärztlicher Behandlung. Danach entschloss sich der Beschwerdeführer, sich politisch für die Situation nationaler Minderheiten, insbesondere der aserbaidschanischen Minderheit, einzusetzen. Am 1. Mai 2000 wurde der Beschwerdeführer Mitglied der Bürgerunion und als Koordinator für nationale Minderheiten bestellt. Er arbeitete intensiv mit den Führern der Partei der Bürgerunion und auch mit seinem Schwiegervater, der für die Partei 35 (Partei zum Schutz der konstitutionellen Rechte) kandidierte, zusammen. Im Jahre 2003 ließ der Beschwerdeführer ein halbes Jahr den Schwager des (ehemaligen) tschetschenischen Vizepräsidenten und dessen Familienangehörigen bei sich versteckt leben, damit sie nicht von den georgischen Sicherheitskräften an die russischen Sicherheitskräfte ausgeliefert werden würden. Wegen seiner politischen Tätigkeiten erhielt der Beschwerdeführer nach den Parlamentswahlen am 2. November 2003 zahlreiche Drohanrufe. Ein paar Tage später wurde der Beschwerdeführer von georgischen Sicherheitskräften in Zivil von zuhause festgenommen und in einen Keller gebracht. Dort wurde er mit dem Kolben eines Maschinengewehrs ins Gesicht geschlagen und heißer Kaffee über sein Bein geschüttet. Ihm wurde seine Ermordung bzw. die seiner Familie angedroht, wenn er Georgien nicht verlasse, da er aufgrund seiner politischen Aktivitäten "unerwünscht" sei. Danach wurde er wieder freigelassen. Daraufhin flüchtete der Beschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie am 14. November 2003 aus Georgien.
Aufgrund der erlittenen Übergriffe leidet der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zur Situation in Georgien stützen sich auf die zitierten Quellen, die in der Verhandlung erörtert wurden. Angesichts der Seriosität dieser Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen, denen die Verfahrensparteien nicht entgegengetreten sind, besteht für den Asylgerichtshof kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Überdies stimmen sie mit den Inhalten der anderen, in der Verhandlung erörterten Berichte überein.
2.2.1. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinem glaubwürdigen Vorbringen, seinem vorgelegten georgischen Inlandsreisepass und seinem vorgelegten georgischen Führerschein (AS 39 - 45). Die Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers ergeben sich aus den vorgelegten psychiatrischen Gutachten (OZ 3, 4 und Beilage C zur VS).
2.2.2. Die Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers basieren auf folgenden Überlegungen: Bei Einbeziehung des persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer und seiner Ehefrau, der im Rahmen der Verhandlung gewonnen werden konnte, ist deren Angaben zu den Geschehnissen in Georgien Glaubwürdigkeit zuzubilligen; die diesbezüglichen Angaben im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren erweisen sich als detailreich, frei von Widersprüchen und stellen sich - vor dem Hintergrund georgischer Verhältnisse - auch als plausibel dar. Zusätzlich werden sie durch die bereits vor dem Bundesasylamt vorgelegten Parteiausweise (AS 47f), die vorgelegten Fotos und Zeitungsberichte über die politischen Tätigkeiten des Beschwerdeführers und seines Schwiegervaters (AS 131 - 147) untermauert.
Zu den Ausführungen des Bundesasylamtes ist Folgendes festzuhalten:
Das Bundesasylamt argumentiert lediglich, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei "abstrakt und allgemein" und daher unglaubwürdig. Dem ist entgegen zu halten, dass der Beschwerdeführer - wie oben ausgeführt - bereits vor dem Bundesasylamt ausgesprochen detailreich und durch zahlreiche Dokumente bzw. Berichte unterstützt, sein Vorbringen erstattete. Es ist somit nicht nachvollziehbar, wie das Bundesasylamt zu seinen Schlussfolgerungen gelangen konnte.
3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
3.1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
3.1.2. Der Beschwerdeführer hat seinen Antrag vor dem 1. Mai 2004 gestellt; das Verfahren war am 31. Dezember 2005 anhängig; das Verfahren ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
3.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieser gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
3.3.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF Art. 2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
3.3.2. Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen.
3.4.1. Gemäß § 23 AsylG (bzw. § 23 Abs. 1 AsylG idF der AsylGNov. 2003) ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Rechtsmittelinstanz, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
3.4.2. Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0352). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).
3.4.3. Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen zur Situation in Georgien besteht für den Beschwerdeführer angesichts des zu seinen Asylgründen festgestellten Sachverhalts eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr:
Der Beschwerdeführer gelangte in das Blickfeld georgischer Sicherheitskräfte, weil er sich politisch intensiv für die Rechte ethnischer Azeri in Georgien einsetzte (vgl. VwGH 24.3.1999, 98/01/0386; 16.6.1999, 98/01/0339; 6.7.1999, 99/01/0044; 8.9.1999, 98/01/0614; 16.2.2000, 98/01/0253). Aus diesem Grund ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die georgischen Sicherheitskräfte dem Beschwerdeführer - sollte er rückgeführt werden - besondere Aufmerksamkeit widmen würden und er Gefahr liefe, wieder massiven Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt zu werden.
Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass es dem Beschwerdeführer möglich wäre, sich anderwärts in Georgien niederzulassen. Dies wäre ihm aufgrund der erlittenen Übergriffe und seiner psychischen Situation auch nicht zumutbar.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht, wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb Georgiens aufhält und dass auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.