TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/29 E10 236332-2/2008

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Veröffentlicht am 29.09.2008
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Spruch

E10 236.332-2/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. H. LEITNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. R. ENGEL als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Mayer über die Beschwerde des A.M. (vertreten durch RA Mag. SINGER), geb. am 00.00.1976, StA. Aserbaidschan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.07.2008, FZ. 07 11.304-BAI, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Aserbaidschan, brachte am 04.12.2007 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb an dieser Stelle hierauf verwiesen wird.

 

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte er im Wesentlichen vor, aus eine armenisch-aserbaidschanischen Mischehe zu stammen, ein guter Freund von Mahir DJAVADOV zu sein und ein Naheverhältnis zur Tekamul-Partei zu unterhalten. Aufgrund dieser Umstände sei er nach seiner Rückkehr nach Aserbaidschan verhaftet, misshandelt und nach seiner Haftentlassung mit einem Ausreiseverbot belegt worden.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 07.07.2008, Zahl: 07 11.304-BAI, gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Aserbaidschan nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Aserbaidschan verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF als unglaubwürdig. Einen wesentlichen Pfeiler in der Beweiswürdigung stellte die Feststellung des BAA dar, dass "es über diese Partei [TEKAMUL] nirgends einen Bericht gibt und dem Bundesasylamt es nicht möglich war, etwas Näheres über die ... Partei herauszufinden." (AS 295). Zur Existenz zur Person von Vahir Djavadov werden keine Feststellungen getroffen, auch zweifelt das Bundesasylamt dessen Existenz an, "da im Computer kein DSCHAVADOV Machir aufscheine". (AS 69)

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 23.07.2008 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:

 

Einfachste und auch dem Bundesasylamt als Spezialbehörde (!) jederzeit mögliche und nur einen Zeitraum von wenigen Minuten umfassende Erhebungen seitens des AsylGHs, nämlich eine simple Recherche in der Suchmaschine "GOOGLE" in Bezug auf die Eigennamen "DJAVADOV" und "TEKAMUL" bzw. "TEKAMÜL" brachte zu Tage, dass eine Partei mit dieser Bezeichnung in Aserbaidschan offenbar existiert (vgl. etwa Aussendung der Azeri Press Agency vom 4. Aug. 2008) und wohl auch eine eigene Homepage unterhalten dürfte. Ebenso geht aus einer Reihe von Treffern hervor, dass es sich bei Mahir Djavadov um den Bruder von Rovshan Djavadov handelt, welche beide bei den (dem Bundesasylamt als Spezialbehörde bekannten) Ereignissen im Oktober 1994 und März 1995 federführend involviert waren. Ebenso ist im öffentlichen Online-Lexikon Wikipedia für jedermann nachlesbar, dass Mahir Djavadov 1996 in Österreich Asyl gewährt wurde. (vgl. www.refernce.com, en.wikipedia.org, beide Quellen werden bei Google-Recherche angezeigt).

 

Aufgrund der Ausführungen im Vorabsatzes ist es für das erkennende Gericht absolut nicht nachvollziehbar, wie eine Spezialbehörde zur Feststellung gelangt, dass "es über diese Partei [TEKAMUL] nirgends einen Bericht gibt und dem Bundesasylamt es nicht möglich war, etwas Näheres über die ... Partei herauszufinden und dem BF der Vorhalt gemacht werden kann, im Computer kein DSCHAVADOV Machir aufscheine.

 

Aufgrund der ao. Ausführungen geht das Bundesasylamt über wesentliche Teile seiner Feststellungen von augenscheinlich falschen Voraussetzungen aus. Ebenso kann dem Bundesasylamt über erhebliche Teile im Rahmen der Beweiswürdigung nicht gefolgt werden, etwa wenn davon ausgegangen wird, dass es nicht nachvollziehbar sein soll, dass eine Partei weiter existiert, wenn der Gründer das Land verlässt bzw. eine exilpolitisch tätige Person im Ausland keine Partei gründet. Weitere Ausführungen des BF zur Partei TEKAMUL wären dann allenfalls als nicht nachvollziehbar zu qualifizieren, wenn genauer nachgefragt wird, wie der BF die Antworten gemeint hat. Auch allfällige Unkenntnisse sind vor dem Hintergrund des behaupteten Verhältnisses des BF zur Partei bzw. dem Bildungsniveau des BF zu durchleuchten (man vergleiche etwa die Kenntnisse eines österreichischen Durchschnitts-bürgers zur Partei, der er gesinnungsmäßig nahesteht, etwa in Bezug auf den Gründer oder das Gründungsjahr oder dem Programm der Partei).

 

Die in den Feststellungen des Bundesasylamtes angeführten Quellen vom in Bezug auf das Auswärtige Amt und USDOS zur Darstellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat des BFs können den Feststellungen nicht (mehr) zu Grunde gelegt werden, da der sowohl das Bundesasylamt als auch der AsylGH seine Feststellungen basierend auf aktuelle Quellen (Erk. d. VwGHs vom 11.11.1998, GZ. 98/01/0283, 12.5.1999, GZ. 98/01/0365, 6.7.1999, GZ. 98/01/0602, aber auch Erk. d. VwGHs. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11.November 1998, 98/01/0284, bzw. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210) zu treffen hat, wobei anzuführen ist, dass den genannten Quellen diese Aktualität nicht zukommt, da diese Quellen durch aktuellere Versionen ersetzt sind, wobei anzuführen ist, dass die Zitierung des Auswärtigen Amtes in der im Akt ersichtlichen Version aufgrund der erst kürzlich vorliegenden Aktualisierung dem BAA noch zuzubilligen sein wird, im neu zu erlassenden Bescheid jedoch die aktualisierte Version zu verwenden ist.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Der AsylGH hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) fest.

 

III. Rechtliche Beurteilung

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann der AsylGH [Berufungsbehörde] jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der AsylGH ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084 zur Anwendbarkeit von § 66 (2) AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat). Eine kassatorische Entscheidung darf vom AsylGH nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Das erkennende Gericht hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, welches sich auf den Unabhängigen Bundesasylsenat bezog und aufgrund der identischen Interessenslage in Bezug auf den AsylGH ebenbfalls seine Gültigkeit hat, führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."

 

Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BWs und der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.

 

Enthält -wie im gegenständlichen Fall- der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf ein mangelhaftes Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung des BFs, bzw. eine Konfrontation des BFs mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.

 

In den Erkenntnissen vom 11.11.1998, GZ. 98/01/0283, 12.5.1999, GZ. 98/01/0365, 6.7.1999, GZ. 98/01/0602 stellte der VwGH fest, dass es sich bei den Asylbehörden, namentlich beim Bundesasylamt und beim Unabhängigen Bundesasylsenat um Spezialbehörden handelt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof stellte weiters im Erkenntnis vom 4.4.2001, GZ. 2000/01/0348 fest, dass [in diesem Fall noch] der Unabhängige Bundesasylsenat [und nunmehr der AsylGH] als Spezialbehörde [da aufgrund der oa. Erkenntnisse des VwGH das Bundesasylamt ebenfalls als Spezialbehörde anzusehen ist, gelten nachstehende Ausführungen des VwGH auch für dieses] verpflichtet ist, sich laufend über aus asylrechtlicher Sicht maßgebliche Entwicklungen besonders in jenen Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, auf den neuesten Stand zu halten (vgl. E. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11.November 1998, 98/01/0284). Er hat daher seinen Bescheiden die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zu Grunde zu legen (vg. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210. Im letztgenannten Erkenntnis wurden bezogen auf den Kosovo rund neun Monate alte Beweismittel als überholt angesehen. Im am Anfang des Absatzes zitierten Erkenntnisses stammten die -als nicht aktuell erkannten-Quellen (zum damaligen Überwinterungsprogramm) -ebenfalls bezogen auf den Kosovo- vom September/Oktober 1999, während der Bescheid Ende April 2000 erlassen wurde. Im diesem Erkenntnis nimmt der VwGH auch auf die den Kosovo betreffende Berichtsdichte Bezug und stellte im Hinblick auf die festgestellte Mangelhaftigkeit des Verfahrens einen direkten Bezug zwischen der Berichtsdichte und der nicht mehr vorhandenen Aktualität der Quelle her.

 

Im gegenständlichen Fall stammt der BW aus einer Herkunftsregion, welche unbestrittener Weise eine sehr hohe Berichtsdichte aufweist. Aufgrund des Ursprungsdatums die genannten Teile der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Quellen waren diese daher bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides als nicht aktuell anzusehen.

 

Aufgrund der oa. Erwägungen ist letztlich festzustellen, dass das Bundesasylamt seine neuerliche Entscheidungsfindung auf im Sinne der oa. Ausführungen aktuelle Quellen zu stützen haben wird, deren nicht notorisch bekannten Teile dem Berufungswerber im Rahmen des Parteiengehörs zu Kenntnis zu bringen sein werden.

 

Soweit zum behaupteten vorbringen aus dem Akteninhalt keine nachvollziebaren Ermittlungsschritte ersichtlich sind, wier darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht vertritt, dass beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit einer Fluchtgeschichte sich regelmäßig nicht auf das Vorbringen des Asylwerbers beschränken dürfen. Vielmehr bedarf es idR auch einer Betrachtung der konkreten fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 18.4.2002, 2001/01/0002; in diesem Sinne auch VwGH 28.1.2005, 2004/01/0476). Von den Asylbehörden ist eine Einbeziehung des realen Hintergrundes der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren zu erwarten. Die Behauptungen des Asylwerbers sind auch am Verhältnis zu der Berichtslage in Bezug auf das Ereignis, von dem er betroffen gewesen sein will, zu messen (VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135, in diesem Sinne auch VwGH 31.5.2005, 2005/20/0176).

 

Auch der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis 2001/10/02 B 2136/00 davon aus, dass sich die Asylbehörden nicht mit Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat begnügen dürfen, sondern fallbezogen konkrete Ermittlungen ( im gegenständlichen Erkenntnis des VfGH geht es um eine Geheimgesellschaft) in Bezug auf das individuelle Vorbringen tätigen müssen, um dieses einer Plausibilitätskontrolle unterziehen zu können. Nach Ansicht des zitierten VfGH Erkenntnis besteht diese Verpflichtung selbst dann, "wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint. Dies entbindet die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen".

 

Im gegenständlichen Fall wird sich das Bundesasylamt mit der Partei TEKAMUL, mit der Person von Mahir DJAVADOV und deren Verhältnis zum BF näher befassen müssen, was unter Umständen die Einholung eines Gutachtens bzw. eine Anfrage beim zuständigen VB des BMI, Attaché N. mitumfassen wird. Ebenso wird die zeugenschaftliche Befragung von Mahir DJAVADOV erforderlich sein. Erst dann wird feststellbar sein, ob der BF tatsächlich ein Naheverhältnis mit Mahir DJAVADOV, den der aserbaidschanische Staat offensichtlich als staatsfeindlich gesinnte Person ansieht, hat und welche Konsequenzen sich hieraus für den BF im Falle einer Rückkehr nach Aserbaidschan ergeben. Auch wird vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse das Vorbringen des BF neu zu würdigen sein.

 

Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch den BF ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird es dem BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihm die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
10.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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