E7 262.307-0/2008-7E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Vorsitzenden und Dr. Martin DIEHSBACHER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Daniela BÖHM über die Beschwerde des C.H., geb. am 00.00.1998, staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.06.2005, FZ. 03 34.236-BAL, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Durchführung eines Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Der mj. Beschwerdeführer (ehemals: Berufungswerber; im Folgenden auch: BF) wurde am 00.10.2003 nach Ankunft per Flugzeug aus Tripolis, Libyen, mit dem Ziel der Weiterreise nach Moskau, gemeinsam mit seinen Angehörigen in Wien einer Personen- und Dokumentenkontrolle unterzogen. Dabei gab er die Personalien M.H. an.
2. Am 03.11.2003 stellte der BF an der Außenstelle Traiskirchen des Bundesasylamtes (BAA) einen Asylantrag.
Mit Aktenvermerk vom 09.12.2003 wurde des Verfahren wegen Abwesenheit des BF gem. § 30 AsylG 1997 eingestellt.
Am 26.01.2004 wurde der BF gemeinsam mit seinen Angehörigen in Passau iSd der Dublin-Verordnung EG Nr. 343/2003 von den deutschen Behörden rückübernommen.
4. Der BF brachte am 24.02.2004 an der Außenstelle Linz des Bundesasylamtes (BAA) unter den Personalien C.H., geb. 00.00.1998 in M., Libyen, durch seinen Vater als gesetzlichen Vertreter einen Asylerstreckungsantrag gem. § 10 AsylG idF BGBl. 126/2002 ein.
Zu den ausführlichen Angaben seines Vaters vor der erstinstanzlichen Behörde wird auf dessen Entscheidung verwiesen.
5. Der Asylerstreckungsantrag des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 13.06.2005 unter oben genannter Zahl gemäß § 10 iVm § 11 Abs. 1 AsylG idgF abgewiesen.
Diese Entscheidung stütze sich darauf, dass auch der Asylantrag seines Vaters "C.I., geb. 00.00.1954, staatenloser Palästinenser", gemäß §§ 7 und 8 AsylG abgewiesen wurde.
Die Zustellung des Bescheides erfolgte am 20.06.2005 zu eigenen Handen des BF.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht mit 04.07.2005 Berufung.
7. Das gg. Verfahren wurde dem unten fertigenden Richter des Asylgerichtshofs mit 10.09.2008 zugeteilt.
II. Der Asylgerichtshof hat wie folgt erwogen:
1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 Asylgesetz 1997 gilt. Da das gegenständliche Verfahren zu oben genanntem Zeitpunkt anhängig war, ist es nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 zu Ende zu führen.
Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005, diesem hinzugefügt durch Art. 2 Z. 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
2. Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.
Der § 28 AsylG gibt vor, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung einer Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, dar.
Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten der Asylgerichtshof das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062).
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann (nunmehr:) der Asylgerichtshof, sofern der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
Gemäß Absatz 3 dieser Bestimmung kann er jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2002/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von ihm nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nach-geordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei (nunmehr) dem Asylgerichtshof die Rolle der Beschwerdeinstanz zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gem. § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgeber würden aber unterlaufen, wenn es wegen des weit reichenden Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor den Asylgerichtshof käme, weil das Bundesasylamt keine hinreichende Ermittlungstätigkeit führt und auch keine nachvollziehbaren Entscheidungen trifft. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde damit zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn der Asylgerichtshof, statt seine "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Instanz ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht insbesondere bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei ihm beginnen und zugleich - abgesehen von der beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch (im Wesentlichen nunmehr) den Verfassungsgerichtshof - bei ihm enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315).
3. Die belangte Behörde hat das erstinstanzliche Verfahren im vorliegenden Fall mit Mängeln belastet, die den Asylgerichtshof im Rahmen des gem. § 66 Abs. 2 AVG eingeräumten Ermessens zu einer kassatorischen Entscheidung veranlassten, wie im Folgenden darzulegen ist.
3.1. Vor dem Hintergrund des erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisses sprach die belangte Behörde dem Vater des BF insbesondere die Glaubwürdigkeit seiner Angaben zu seinem angeblichen früheren Wohnort in Libyen zwischen 1975 und der Einreise in das österr. Bundesgebiet von Libyen aus im Jahr 2003 ab, und traf dessen Identität und Nationalität betreffend die Feststellung, daß als Herkunftsstaat des Vaters des BF, der als "staatenloser Palästinenser" (iSd § 1 Z. 4 AsylG 1997) anzusehen sei, der Libanon festzustellen sei. In Entsprechung dessen traf die Behörde auch Feststellungen zur Lage im Libanon und zur fehlenden Verfolgungswahrscheinlichkeit sowie Gefahrenlage iSd § 57 FrG im Herkunftsstaat Libanon. In Form einer Eventualbegründung führte die Behörde aus, dass selbst bei Wahrunterstellung der Behauptung des Vaters des BF über seinen Aufenthalt zwischen 1975 und 2003 in Libyen der Libanon als Herkunftsstaat anzusehen sei, weil sich in Ansehung der aktenkundigen Personaldokumente der libanesischen Behörden sowie der UNRWA diese "als verantwortlich für den BF erweisen" und die libanesischen Behörden diesem ihren Schutz gewähren würden; die Bindung des Vaters des BF an den Herkunftsstaat Libanon würde dementsprechend seine Bindung an den eventuellen Aufenthaltsort Libyen, wo er seinen Angaben ja auch nur geduldet worden sei, übersteigen.
Wie in der Entscheidung des Asylgerichtshofs in der Sache des Vaters des BF dargestellt, führte die belangte Behörde - mit Ausnahme der nachgeborenen Enkelin H.L. - in gleichlautender Weise in ihren Entscheidungen die übrigen Angehörigen und Verwandten betreffend aus, dass auch als deren Herkunftsstaat iSd § 1 Z. 4 AsylG 1997 idgF jeweils der Libanon anzusehen sei, weshalb als Bezugspunkt der Prüfung ihres Schutzbegehrens jeweils der Libanon heranzuziehen sei.
3.2. Dieser Sichtweise vermochte sich der Asylgerichtshof in Ansehung des in der Sache des Vaters des BF ausführlich dargestellten Ermittlungsergebnisses mangels Schlüssigkeit der Feststellungen der belangten Behörde nicht anzuschließen.
Auf die entsprechenden Ausführungen des Asylgerichtshof in dieser Sache zu GZ. 262.299 wird verwiesen und werden diese auch der gg. Entscheidung zugrunde gelegt. Die entsprechenden Erwägungen schlagen angesichts des gleichgelagerten Sachverhalts in der Sache des BF auch auf deren Verfahren durch.
In Entsprechung der hg. Judikatur war daher in Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG auch die erstinstanzliche Entscheidung den BF betreffend zu beheben und das Verfahren zur entsprechenden Ergänzung bzw. Korrektur des Ermittlungsverfahrens wie oben dargestellt an die erstinstanzliche Behörde zurückzuverweisen.
4. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 7 AsylG iVm § 67d Abs 4 AVG unterbleiben.