TE AsylGH Bescheid 2008/09/29 C6 222107-0/2008

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Veröffentlicht am 29.09.2008
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Spruch

C6 222.107-0/2008/37E

 

N.A.; geb. 00.00.1984;

 

StA: Afghanistan

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 2.2.2007 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs.1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, entschieden.

 

Der Berufung von N.A. vom 23.4.2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.4.2001, Zahl: 01 04.494-BAE, wird stattgegeben und N.A. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wird festgestellt, dass N.A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang:

 

Am 2.3.2001 stellte Herr N.A. in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.4.2001, Zahl: 01 04.494-BAE, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan zulässig ist. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche Berufung.

 

Die Berufungsbehörde erhob Beweis durch die Einsichtnahme in folgende Dokumente:

 

ACCORD, Reisebericht Afghanistan 13.-24. Juli 2003, erschienen im September 2003;

 

Amnesty International, Afghanistan Re-establishing the ruleof law, 14. August 2003;

 

Auswärtiges Amt Berlin. Bericht über die asylundabschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand Juli 2003;

 

Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan (Stand Oktober 2004) vom 3. November 2004;

 

Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Islamischen Übergangsstaat Afghanistan (Stand Mai 2005);

 

Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand November 2005);

 

Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand Mai 2006);

 

Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: Afghanistan Information, Politische Entwicklungen, Übergangsregierung und Entscheidungspraxis vom Februar 2002;

 

Human Rights Watch Briefing Paper: Afghanistan: Return of the Warlords, Juni 2002;

 

Informationsverbund Asyl e. V., Pro Asyl - Stiftung Pro Asyl "Rückkehr nach Afghanistan", unter welchen Umständen können Flüchtlinge zurückkehren? Bericht über eine Untersuchung in Afghanistan im Zeitraum März/April 2005 vom Juni 2005;

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan - die aktuelle Situation, Update, Michael Kirschner, Bern, 1. März 2004 Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan - die aktuelle Situation, Update, Michael Kirschner, Bern, 3. Februar 2006;

 

UNHCR: Überlegungen zur Rückkehr von afghanischen Staatsangehörigen, die sich derzeit in Aufnahmeländern aufhalten, die nicht an Afghanistan grenzen, 13. Februar 2002;

 

UNHCR-Stellungnahme zur Frage der Flüchtlingseigenschaft afghanischer Asylsuchender (Aktualisierte Zusammenstellung vom Juli 2003);

 

UNHCR, Aktualisierte Darstellung der Lage in Afghanistan - Sicherheit, Menschenrechte, humanitäre Situation, September 2003;

 

UNHCR, Update on the Situation in Afghanistan and International Protection Considerations, Juni 2005;

 

UNHCR, Humanitäre Erwägungen im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Afghanistan, Mai 2006;

 

Gutachten des Sachverständigen Dr. S.R. in der mündlichen Berufungsvorhandlung vom 2.2.2007 für den unabhängigen Bundesasylsenat

 

und die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 14.7.2004, 15.6.2005, 22.5.2006 und am 2.2.2007. An der Berufungsverhandlung nahm das Bundesasylamt nicht teil. Das Bundesasylamt hatte die Abweisung der Berufung beantragt.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

1.1. Zum Berufungswerber:

 

Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazare an und stammt aus der Provinz Ghasni, Distrikt Jaghori. Er wurde am 00.00.1984 in Jaghori geboren. Der Berufungswerber besuchte ein Jahr eine Mullah Schule und sieben Jahre eine "offizielle" Schule. Bevor er seine Heimat verlassen hat, arbeitete er als Schafhirte. Der Bruder des Berufungswerbers war Kommandant und an militärische Auseinandersetzungen gegen die Hezb-e Wahdat beteiligt. Der Bruder des Berufungswerbers kämpfte auf der Seite der Nahsat-Partei; bei diesen Auseinandersetzungen sind Verwandte von Kommandanten umgekommen.

 

1.2. Zur Situation in Afghanistan:

 

1.2.1. Politische Lage:

 

Die Taliban existieren als politisches System nicht mehr. Sie sind ab dem 10.12.2001 vollständig abgezogen. Am 5.12.2001 wurde von den Delegierten der Konferenz auf dem Petersberg das Afghanistan - Abkommen unterzeichnet. Damit wurde der international unterstützte Prozess des politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus Afghanistans eingeleitet. Am 22.12.2001 wurde eine Interimsregierung unter der Führung von Hamid Karzai eingerichtet. Am 19. 6. 2002 vereidigte die Loya Jirga die Interimsregierung unter Karzai. An dieser Regierung sind die verschiedenen Fraktionen und Ethnien Afghanistans beteiligt.

 

Nach Tagung einer Verfassungsgebenden Großen Ratsversammlung trat am 26. Jänner 2004 eine neue Verfassung in Kraft. Am 9. Oktober 2004 fanden Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Hamed Karzai als Sieger hervorging. Die Parlaments- und Provinzratswahlen fanden am 18. September 2005 statt. Aufgrund von über 5.000 Einsprüchen und vielen Unregelmäßigkeiten wurde das landesweite Endergebnis erst am 12. November von der Wahlkommission verkündet. Darin befindet sich das Lager der Moderaten und Demokraten in der Minderheit. Ethnisch besteht eine Balance zwischen der paschtunischen Mehrheitsgruppe (47 %) und nord- und zentralafghanischen Ethnien (Tadschiken, Usbeken, Hazara, Turkmenen, Aimaq). Unter den gewählten Abgeordneten sind mindestens 80 noch aktive Kommandeure bewaffneter Gruppen und zwölf frühere Taliban-Kommandeure.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Islamischen Republik Afghanistan [Stand: ;Mai 2006], 13. Juli 2006, Seite 6-8).

 

Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen militärischen und politischen rivalisierenden Gruppen dauern in etlichen Provinzen regional oder lokal fort bzw. können jederzeit wiederaufleben. Neben Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Milizen kommt es insbesondere im Süden und Osten des Landes weiterhin zu gewaltsamen Übergriffen von regruppierten Taliban- und anderen regierungsfeindlichen Kräften. Die Anti-Terror-Koalition bekämpft die radikal-islamischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan. Afghanistan gehört nach den Kriegsjahren und einer langjährigen Dürre zu einem der ärmsten Länder der Welt. Die Wirtschaftslage ist weiterhin desolat, erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind allerdings eingeleitet. Die humanitäre Situation stellt die Bevölkerung vor allem mit Blick auf die über 4,4 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Islamischen Republik Afghanistan [Stand: ;Mai 2006], 13. Juli 2006, Seite 5).

 

1.2.2. Sicherheitslage:

 

Die Sicherheitslage hat sich für afghanische Staatsangehörige weiterhin landesweit nicht verbessert, in mancher Beziehung sogar verschlechtert. Im Raum Kabul bleibt sie weiter fragil, auch wenn sie auf Grund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufrieden stellend ist. Sie wurde vom UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) seit Mitte 2002 für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet.

 

Für frühere Bewohner Kabuls ist sie in Teilen ausreichend sicher. Es sind allerdings auch dort Auseinandersetzungen wegen besetzten oder entzogenen Grundeigentums bekannt. Immer wieder kommt es in Kabul zu Granatenbeschuss (zB. Am 3. Februar 2004). Am 22. November 2003 explodierte eine Bombe auf dem Gelände des Intercontinental Hotels in Kabul. Es kommt teilweise zu Übergriffen von Polizei und Sicherheitskräften. Typischerweise begehen Gruppen von Angehörigen der Sicherheitskräfte bewaffnete Raubüberfälle und Diebstähle. Wie schwierig die Sicherheitslage in Hinblick auf die politische Stabilität des Landes ist, zeigte z.B. der Raketenangriff auf die Stadt Kabul am 15.12.2003. Eine der Raketen schlug auf dem Gelände des afghanischen Außenministeriums ein. Am 04.12.2003 schlug eine Rakete etwa 300 Meter von der US-amerikanischen Botschaft und des ISAF Hauptquartiers ein. Auch der Anschlag auf den Gouverneur der Provinz Kandahar, Gul Agha, bei dem am 13.04.2003 ein Leibwächter getötet wurde, verdeutlicht die immer noch unbefriedigende Sicherheitslage. Am 19. Juni 2003 wurde eine 20 kg Bombe vor dem Haus des Verteidigungsministers Fahim gefunden, der sich zu dieser Zeit außerhalb Afghanistans aufhielt. Im Februar 2002 wurden der Minister für Luftverkehr und Tourismus Abdul Rahman und im Juli 2002 der Vizepräsident und Minister für Öffentliche Arbeiten, Haji Qadir, ermordet. Ein missglückter Bombenanschlag auf Verteidigungsminister Mohammed Fahim am 06.04.2002 in Jalalabad (Ostafghanistan) forderte mehrere Menschenleben und Verletzte. Entsprechendes gilt für das gegen Präsident Karzai in Kandahar gerichtete Attentat mittels Schusswaffen vom 05.09.2002.

 

Die Antiterrorkoalition bekämpft die islamistischen Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden von Afghanistan mit über 11.000 Mann. Entgegen anders lautender Einschätzungen hat die Erklärung des US-Verteidigungsministers Rumsfeld über das "Ende der Hauptkampfhandlungen" in AFG vom 01.05.2003 nach Aussagen des landesweit mit Büros präsenter UNAMA und dem UNHCR keine Verringerung von Streitkräften oder Kampfhandlungen zur Folge. Nach übereinstimmenden Quellen sickern islamistische Kräfte (u.a. Taliban, Al Qaida) aus dem pakistanischen Paschtunengürtel, die während der "heißen Phase" von "Enduring Freedom" aus Afghanistan im Jahr 2002 geflohen waren, weiter nach Afghanistan ein. Dem Milizenführer Hekmatyar zugerechnete Kräfte sind v.a. im Osten wieder verstärkt aktiv. Im Februar 2004 kam es in Jalalabad, im Dezember 2003 in Kandahar wiederholt zu Anschlägen auf Einrichtungen der Provinzregierung und Hilfsorganisationen.

 

Als möglicher Hintergrund werden sowohl terroristische als auch kriminelle Motive angesehen. Eine spürbare Reinfiltration von Taliban/Islamisten ist ebenfalls in den westlichen Provinzen Ghor (Westteil), Farah und Nimruz zu verzeichnen. In den süd(östlichen) Provinzen Helmand, Kandahar, Süd-Uruzgan sowie Zabul häufen sich terroristische Anschläge. Dort ist gleichfalls eine Reinfiltration von Taliban/Islamisten spürbar. In Helmand, Kandahar, Süd-Farah, Paktia, Paktika und Khowst gibt es fortgesetzte Militäraktionen von Koalitionskräften ebenso wie in den östlichen Gebieten Kunar und Nangarhar.

 

In den verschiedenen Teilen des Landes halten Kämpfe zwischen militärischen und politischen Rivalen weiter an. Dies schließt Stammesfehden ein, die unter anderem für paschtunisch geprägte Gebiete des Südens typisch sind. Im Nordwesten kommt es immer wieder zu Kämpfen und erheblichen Spannungen besonders in den Provinzen Samangan, Jowzjan, Balkh, Saripul und Faryab (die Hauptakteure sind hier Jamiat-e-Islami (tadschikisch), Jumbesh-e-Milli (usbekisch), Hezb-e-Wahdat (hazaritisch), insbesondere zu laufenden Auseinandersetzungen zwischen dem afghanischen Usbekenführer Dostum und seinem tadschikischen Herausforderer Atta in der Gegend um Mazar-i-Sharif. Bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Dostum und Atta im April 2003, in die mehrere hundert Milizionäre verwickelt waren, kamen mindestens 10 Personen, darunter auch Zivilisten, zu Tode. Diese Kämpfe flammten im Oktober 2003 wieder auf. Auch sie forderten Todesopfer. Auf Vermittlung von Innenminister Jalali und der britischen Botschaft sowie mit Unterstützung des britischen PRT kam Ende Oktober 2003 ein Waffenstillstand zustande. Anfang Oktober 2002 wurden in der Nähe von Mazar-i-Sharif einige Massengräber mit Opfern des Regimes der radikal-islamischen Taliban entdeckt. Es wurden nach Schätzungen ca. 350 Leichen gefunden.

 

Im Westen des Landes kommt es vor allem im zwischen Herat und Farah gelegenen Shindand zu Kämpfen zwischen den Gefolgsleuten des Herater Gouverneurs Ismael Khan und des früheren Kandaharer Gouverneurs Gul Agha (Militärführer Amanullah). Die Stadt Herat, von Ismael Khan autoritär regiert, ist äußerlich weitgehend sicher. Es kommt jedoch häufig zu Übergriffen gegen Frauen und (vermeintlich) Oppositionelle durch Sicherheitskräfte. "Human Rights Watch" erhob in einem Bericht im Dezember 2002 erhebliche Vorwürfe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Herat, wonach diese für Folter, Misshandlungen und willkürliche Verhaftungen verantwortlich sein sollen. Nachdem der Provinzgouverneur von Herat, Ismael Khan, am 21. März 2004 einen Mordanschlag unbeschadet überlebt hatte, ist sein Sohn, Luftfahrtminister Mirwais W. Saddiq, mit bewaffneten Anhängern zum Dienstsitz des Kommandeurs der in Herat stationierten 17. Division, Naibzadeh, gezogen, den er für das Attentat verantwortlich machte. Bei einem darauf folgenden Feuergefecht kam Saddiq ums Leben. Bei den nachfolgenden schweren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Anhängern Khans und des Divisionskommandeurs sind mehrere Menschen ums Leben gekommen. Am 25. Februar 2003 explodierte eine Autobombe vor dem Gebäude des Bildungsbeauftragten in Kandahar, bei der erheblicher Sachschaden angerichtet wurde. Am Vortag war es zu einem Sprengstoffanschlag auf das Haus des Polizeichefs von Kandahar gekommen. Am 11. November 2003 gab es einen Anschlag auf den UNAMA Gebäudekomplex in Kandahar. Ein afghanischer Sicherheitsbeamter ist dabei getötet worden. Auch im Süden, Südosten und Osten (dort insbesondere in den Provinzen Nuristan und Laghman) tragen fraktionelle Auseinandersetzungen zur Destabilisierung bei. Aus dem südlichen Hazarajat (West-Ghazni, Süd-Bamyian, Nord-Uruzgan) sind innerhazaritische Kämpfe bzw. Rivalitäten zwischen den beiden Flügeln der Hezb-e-Wahdat (Anhänger von Vizepräsident Khalili bzw. Akbari) bekannt.

 

Der Einfluss der Drogenbarone wächst. Besonders im Norden/Nordosten, Nordwesten, Westen sowie im Süden und Südosten des Landes expandiert der Drogenanbau. Entgegen der Regierungspolitik, die sich zumindest verbal zum Kampf gegen den Opiumanbau bekennt, wurde 2003 eine neue Rekordernte eingefahren. Dies stärkt den Einfluss der Drogenbarone und erhöht das Gewaltpotential.

 

Es gibt weiterhin Binnenvertreibungen, u.a. im Norden, Osten und Zentralafghanistan als unmittelbare Folge der genannten Auseinandersetzungen. Rechtswidrige Zwangsrekrutierungen kommen besonders im Norden immer wieder vor. ... Landesweit wird über etliche Fälle von Plünderungen und Erpressung von Geld berichtet. Opfer sind häufig Binnenvertriebene und Rückkehrer, von denen angenommen wird, dass sie über finanzielle Ressourcen und/oder Rückkehrbeihilfen verfügen. Lösegelderpressungen und Entführungen fallen häufig Frauen zum Opfer. Einfluss auf die humanitäre Lage in Afghanistan hat auch die sich weiter verschlechternde Situation für die internationale Gemeinschaft. Im Jahr 2003 kam es wiederholt zu Übergriffen auf Mitarbeiter von internationalen Hilfsorganisationen.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan [Stand: Oktober 2004], 3. Novemberl 2004, Seiten 11 ff; unverändert im Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, Stand Mai 2005; Situation unverändert im Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, Stand Mai 2006, Seiten 10 ff).

 

1.2.3. Staatliche Strukturen:

 

Ebenso wie es an funktionierenden Verwaltungsstrukturen fehlt, kann bislang auch nicht von einem nur ansatzweise funktionierenden Justizwesen gesprochen werden. Es besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem und ausgebildetem Personal. Oft sind noch nicht einmal Texte der wichtigsten afghanischen Gesetze vorhanden. Tatsächlich wird in den Gerichten, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht und Vorschriften des islamischen Rechts als auf weiterhin gültige Gesetze Bezug genommen. ... Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen ist praktisch nicht möglich. Auf dem Land wird die Richterfunktion in der Regel von lokalen Räten (Shuras) übernommen. ...

 

Der Aufbau einer afghanischen Polizei, in der alle Ethnien gleichberechtigt vertreten sind, spielt eine Schlüsselrolle für die Wiederherstellung der inneren Sicherheit in Afghanistan. Angestrebt wird der Aufbau einer Polizei, die 50.000 Polizisten und 12.000 Grenzschützer umfasst; bislang wurde knapp die Hälfte ausgebildet.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan [Stand: Oktober 2004], 3. November 2004, Seiten 8, 9; unverändert im Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, Stand Mai 2005; Situation unverändert im Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, Stand Mai 2006 Seiten 9, 10).

 

1.2.4. Menschenrechtssituation:

 

Der praktisch landesweit bestehende Zustand weitgehender Rechtlosigkeit des Einzelnen ist trotz intensiver Bemühungen und institutioneller Fortschritte (wie zB der Einrichtung einer unabhängigen Menschenrechtskommission) noch nicht überwunden. Praktisch sichtbar wird dies etwa an einer Vielzahl meist unbekannt bleibender Menschenrechtsverletzungen oder landesweiten Streitigkeiten um willkürlich besetzte Privatgrundstücke und Wasserquellen (Opfer sind typischerweise Auslandsafghanen/Rückkehrer, es gibt häufig Vorfälle im Nordwesten und in Kabul). Es gibt weiterhin Binnenvertreibungen, ua im Norden, Osten und Zentralafghanistan als unmittelbare Folge der genannten Auseinandersetzungen. [...] Landesweit wird über etliche Fälle von Plünderungen und Erpressung von Geld berichtet. Opfer sind häufig Binnenvertriebene und Rückkehrer, von denen angenommen wird, dass sie über finanzielle Ressourcen und/oder Rückkehrhilfen verfügen. Lösegelderpressungen und Entführungen fallen oft Frauen zum Opfer.

 

(Auch) Repressionen gegen (vermeintlich) politisch Andersdenkende sind bekannt. Die Opposition gegen Warlords, Drogenbarone, Regionalkommandeure und Milizenführer in ihrem Machtbereich wird unterdrückt und führt oft zu harten Sanktionen. [...] Ein Minimum an sozialer Sicherheit (ua Angebote der Gesundheitsvorsorge) ist nicht vorhanden. Es gibt keine Möglichkeit, einen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen

 

(Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan, Stand Oktober 2004, Seiten 8, 13, 14; unverändert im Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, Stand Mai 2005; Situation unverändert im Bericht des Deutschen Auswärtigen Amtes, Stand Mai 2006, Seiten 23-28).

 

1.2.5. Repressionen Dritter:

 

Die größte Gefahr für die Nichtbeachtung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Es handelt sich hierbei meist um Milizführer, die nicht mit staatlichen Befugnissen ausgestattet sind. Die Zentralregierung hat auf viele dieser Menschenrechtsverletzer praktisch keinen Einfluss. Sie kann diese Täter weder kontrollieren, noch ihre Taten untersuchen oder sie verurteilen. Wegen des desolaten Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen häufig ohne Sanktionen. Die Opposition gegen Warlords, Drogenbarone, Regionalkommandeure und Milizenführer wird in deren Machtbereich unterdrückt und führt oft zu harten Sanktionen. Lokale Machthaber (Clanchefs, Milizenführer) inhaftieren politisch Andersdenkende ohne förmliches Gerichtsverfahren und sollen geheime ¿persönliche' Gefängnisse unterhalten, z.T. um politische Gegner einzuschüchtern, z. T. um Lösegelder zu erpressen.

 

1.2.6. Versorgungslage:

 

Die VN versorgen auch nach dem Ende der langjährigen Dürreperiode noch Millionen von Afghanen mit Nahrungsmitteln und Hilfsgütern (Zahlen saisonal schwankend). Darunter befinden sich über eine Million Binnenvertriebene und Rückkehrer, die 2003 wieder nach Afghanistan gekommen sind. Die Versorgungslage hat sich in Kabul und zunehmend auch in den anderen großen Städten grundsätzlich verbessert, wegen mangelnder Kaufkraft profitieren jedoch längst nicht alle Bevölkerungsschichten von der verbesserten Lage. In anderen Gebieten Afghanistans kann die Versorgungslage als weiterhin nicht zufrieden stellend bis völlig unzureichend beschrieben werden. Gerade in den ländlichen Gebieten herrscht starke Mangelernährung. Während die Landwege für Lebensmitteltransporte in die großen Städte (Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif) von VN-Transporten weitgehend wieder benutzt werden können, ist der Transport in entlegenere Gebiete nach wie vor sehr schwierig. Hauptprobleme sind neben der wachsenden Gefahr von kriminell motivierten Überfällen vor allem Landminen sowie Schnee im Winter (besonders in höheren Lagen)...

 

Die medizinische Versorgung ist in Afghanistan aufgrund fehlender Medikamente, Geräte und Ärzte und mangels ausgebildeten Hilfspersonals völlig unzureichend. Afghanistan gehört zu den Ländern mit der höchsten Kindersterblichkeitsrate in der Welt. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung liegt bei etwa 45 Jahren. Auch in Kabul, wo mehr Krankenhäuser als im übrigen Afghanistan angesiedelt sind, ist für die afghanische Bevölkerung noch keine hinreichende medizinische Versorgung gegeben. Im Herbst 2002 haben Keuchhusten sowie eine verwandte Krankheit (in nordöstlichen Provinzen, u.a. Badakhschan) in wenigen Tagen mindestens hundert Tote, meist Kinder und ältere Menschen, gefordert. Staatliche soziale Sicherungssysteme sind nicht bekannt. Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen gibt es nicht. Familien und Stämme übernehmen die soziale Absicherung.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan v., 3.November 2004, Seiten 25 f)

 

1.3. Situation des Berufungswerbers im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan:

 

Für die Berufungsbehörde ergibt sich daraus, dass für den Berufungswerber auf Grund der Kommandantenstellung seines Bruders und dessen daraus resultierenden Teilnahme an militärischen Auseinandersetzungen auf der Seite der Nahsat-Partei gegen die Hezb-e Wahdat, bei der Verwandte von Kommandanten getötet wurden, die Gefahr besteht, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Opfer einer Menschenrechtsverletzung zu werden, die von Seiten der Opfer und der Angehörigen der Opfer ausgeht. Dies ergibt sich aus den Festsstellungen zur Menschenrechtssituation (vgl Punkt 1.2.4.) und aus den Feststellungen zu Repressionen durch Dritte (vgl Punkt 1.2.5.), die auf den Berichten des deutschen Auswärtigen Amtes beruhen; schließlich aus den Ausführungen des der mündlichen Verhandlung beigezogenen Sachverständigen. Die Feststellung, dass der Berufungswerber in Afghanistan keinen ausreichenden Schutz vor einer solchen Gefährdung finden würde, ergibt sich aus den Feststellungen unter Punkt 1.2.3. ("Staatliche Strukturen").

 

Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan besteht für den Berufungswerber die Gefahr, auf Grund der "Schutzunfähigkeit" der gegenwärtigen afghanischen Regierung, selber Opfer eines von Seiten der ehemaligen gegnerischen Personen seines Bruders ausgehenden Übergriffs bzw einer Menschenrechtsverletzung zu werden; es kommt in relativ kurzen Abständen zu Tötungen auf Grund von Racheakten, die ihren Ursprung in aus dem Bürgerkrieg herrührenden Feindschaften haben und sich gegen aktiv in den damaligen Konflikt verwickelten Personen richten. Es besteht vor diesem Hintergrund keine Möglichkeit für den Berufungswerber, in Afghanistan angesichts der ihn bedrohenden Gefährdung ausreichenden und wirksamen Schutz zu finden.

 

2. Die obigen Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Berufungswerbers ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Akt, der Berufung, den Angaben des Berufungswerbers in der mündlichen Verhandlung und dem vor diesem Hintergrund erstatteten Gutachten des Sachverständigen.

 

Die Angaben des Berufungswerbers bezüglich seiner Herkunft und der handelnden Personen wurden vom der Verhandlung beigezogenen Sachverständigen als zutreffend beurteilt. Insbesondere geht der Sachverständigen in seinem mündlich erstatteten Gutachten vom 2.2.2007 von folgenden Schlussfolgerungen aus: "Aufgrund des Ergebnisses meiner Forschungen in Afghanistan war der Bruder des BW [Berufungswerbers] ein Kommandant und er war in militärische Auseinandersetzungen auf der Seite der Nahsat-Partei gegen die Hezb-e Wadat involviert. Bei diesen Kriegen wo der Bruder des BW involviert war sind Verwandte von Kommandanten umgekommen, die derzeit in Jaghori, in der Heimatregion des BW wichtige Positionen bekleiden. Aufgrund dieser Vergangenheit des Bruders des BW ist der BW zum Kreis der Konfliktpersonen zu zählen, dessen nahe Familienmitgliedern an der Tötung von Feinden mitgewirkt haben. Der BW unterliegt somit der Gefahr eines Racheaktes seitens des Kommandanten E., dessen Brüdern unter dem Befehl des Bruders des BW getötet worden sind."

 

2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan beruhen auf den jeweils angeführten Quellen. Die beigeschafften Dokumente, die von - teilweise vor Ort agierenden - Personen und Organisationen hoher Reputation stammen, enthalten substantiierte Darstellungen der Situation und ergeben in ihren Aussagen ein übereinstimmendes nachvollziehbares Gesamtbild.

 

2.3. Für die Berufungsbehörde ergibt sich daraus, dass für den Berufungswerber auf Grund seiner Mitgliedschaft als leitender Offizier in der Shora-e Nazar und der Beteiligung dieser bei Kampfhandlungen gegen die Hazaras, die Gefahr besteht, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Opfer einer Menschenrechtsverletzung zu werden, die von Seiten der Opfer und der Angehörigen der Opfer unter den Hazaras ausgeht. Dies ergibt sich aus den Festsstellungen zur Menschenrechtssituation (vgl Punkt 1.2.4.) und aus den Feststellungen zu Repressionen durch Dritte (vgl Punkt 1.2.5.), die auf den Berichten des deutschen Auswärtigen Amtes beruhen; schließlich aus den Ausführungen des der mündlichen Verhandlung beigezogenen Sachverständigen. Die Feststellung, dass der Berufungswerber in Afghanistan keinen ausreichenden Schutz vor einer solchen Gefährdung finden würde, ergibt sich aus den Feststellungen unter Punkt 1.2.3. ("Staatliche Strukturen").

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit oa Spruch am 2.2.2007 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

3.2. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt. Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die gegenständliche Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

2. Zur Dartuung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt wurden; eine solche ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen im Lichte der speziellen Situation des Flüchtlings unter Berücksichtigung der Gesamtsituation im Verfolgerstaat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären (VwGH v. 26. 2. 1997 Zl: 95/01/0454). Nicht erforderlich ist, dass bereits tatsächlich Verfolgungshandlungen gegen den oder die Betroffene stattgefunden haben, da die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - sich nicht auf vergangene Ereignisse bezieht (vgl VwGH 10.9.1997, 96/21/0424), sondern eine Prognose erfordert (vgl auch VwGH 5.11.1992, 92/01/792).

 

3. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist begründet:

 

3.1. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Berufungswerber für den Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsregion - wie unter Punkt 1.3. ausgeführt - der Gefahr ausgesetzt ist, Opfer einer Menschenrechtsverletzung zu werden. Angesichts der den Berufungswerber im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet betreffenden Gefährdung ist es dem Berufungswerber nicht möglich, ausreichenden Schutz im Herkunftsstaat in Anspruch zu nehmen. Im Berufungsverfahren ist auch nicht hervorgekommen, dass der Berufungswerber gegenwärtig über ein persönliches Netzwerk in Afghanistan verfügt, das ihm ein ausreichendes Maß an persönlicher Sicherheit bieten würde.

 

3.2. Der in seiner Intensität asylrelevante Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall des Berufungswerbers steht die Verfolgungsgefahr in einem engen Konnex zu der Tatsache, dass sein Bruder in seiner Kommandantenstellung aktiv an Kampfhandlungen, bei denen Verwandte von Kommandante ums Leben gekommen sind, teilgenommen hat. Die den Berufungsweber treffende Gefährdung hat ihren Grund daher in der den Berufungswerber zugeschrieben Mitgliedschaft zu einer bestimmten sozialen Gruppe (die Familie des Berufungswerbers, hier insbesondere der Bruder, vgl dazu VwGH vom 19.12.2001, Zl. 98/20/0312, und vom 20.10.1999, Zl. 99/01/0197).

 

3.3. Das Bestehen einer inländischen Schutzalternative in anderen Gebieten Afghanistans ist im Fall des Berufungswerbers schon deshalb zu verneinen, da ihm aufgrund der katastrophalen wirtschaftlichen und humanitären Situation sowie der angespannten Sicherheitslage eine Aufenthaltnahme in anderen Gebieten (Zonen) außerhalb seiner Herkunftsprovinz nicht zugemutet werden kann, zumal sie den Berufungswerber in eine ausweglose Situation brächte (zur Zumutbarkeit der Aufenthaltnahme vgl zB VwGH 8.9.1999, 98/01/0614). Ein Gebiet in Afghanistan, in dem der Berufungswerber in zumutbarer Weise frei von der geltend gemachten Furcht leben könnte - und somit eine inländische Schutzalternative gegeben wäre -, ist vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich (vgl. zur inländischen Schutzalternative VwGH 21.03.2002, 99/20/0401).

 

3.4. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner (ihm unterstellten) politischen Gesinnung außerhalb Afghanistans aufhält und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

4. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
familiäre Situation, gesamte Staatsgebiet, Racheakt, Schutzunfähigkeit, Sicherheitslage, soziale Gruppe, Zurechenbarkeit
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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