TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/29 E7 309546-1/2008

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Veröffentlicht am 29.09.2008
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Spruch

E7 309.546-1/2008-7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Vorsitzenden und Dr. Martin DIEHSBACHER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Daniela BÖHM über die Beschwerde der H.L., geb. am 00.00.2005, StA. Libyen, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 24.01.2007, FZ. 05 22.354-BAL, in nicht-öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Durchführung eines Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die Beschwerdeführerin (ehemals: Berufungswerberin; im Folgenden auch: BF) wurde als gemeinsame Tochter des H.I. (GZ. 262.177) und der C.R. (GZ.262.300) am 00.00.2005 in Österreich geboren.

 

Sie brachte durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin mit 19.12.2005 einen Asylantrag gem. § 3 AsylG 1997 im Rahmen des sogen. Familienverfahrens ein.

 

2. In ihrem, diesen Antrag mangels eigener Fluchtgründe und in Ansehung der Abweisung der Anträge ihrer leiblichen Eltern im Grunde der §§ 7 und 8 iVm 10 AsylG 1997 idgF abweisenden Bescheid stellte die erstinstanzliche Behörde ausdrücklich fest, dass die Antragstellerin namens H.L. eine "Staatenlose aus Libyen und Angehörige der palästinensischen Volksgruppe" sei. Sie sei die Tochter des H.I., "Staatenloser aus Libyen", sowie der H.R., "Staatenlose aus Libyen". Entsprechend wurde ihre Abschiebung nach Libyen für zulässig erklärt und sie unter einem aus dem Bundesgebiet nach Libyen ausgewiesen.

 

Im Weiteren traf die Behörde verschiedene länderkundliche Feststellungen zur Lage in Libyen. Auch wenn sich (offenbar irrtümlich) auf S. 8 des Bescheides eine Bezugnahme auf die "kurdische" Herkunft der Antragstellerin sowie auf S. 55 eine solche auf die "Türkei" findet, so legte die Behörde ihren Ausführungen zu Spruchpunkt II erkennbar den Herkunftsstaat Libyen zugrunde.

 

Die Zustellung des Bescheides erfolgte am 31.01.2007 mittels Hinterlegung am Postamt.

 

6. Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht mit 05.02.2007 Berufung.

 

7. Das gg. Verfahren wurde dem unten fertigenden Richter des Asylgerichtshofs mit 10.09.2008 zugeteilt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat wie folgt erwogen:

 

1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 Asylgesetz 1997 gilt. Da das gegenständliche Verfahren zu oben genanntem Zeitpunkt anhängig war, ist es nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005, diesem hinzugefügt durch Art. 2 Z. 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

2. Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Der § 28 AsylG gibt vor, dass die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Rechtsnorm stellt eine Konkretisierung der aus § 37 AVG i.V.m. § 39 Abs. 2 leg. cit. hervorgehenden Verpflichtung einer Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, dar.

 

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Den Parteien ist das Ergebnis der behördlichen Beweisaufnahme in förmlicher Weise zur Kenntnis zu bringen und ausdrücklich unter Setzung einer angemessenen Frist Gelegenheit zu geben, zu diesen Ergebnissen Stellung zu nehmen (VwGH 05.09.1995, Zl. 95/08/0002). Gegenstand des Parteiengehörs sind sämtliche Ergebnisse der Beweisaufnahme. Auch soweit die Behörde bestimmte Tatsachen als offenkundig behandelt, ist dies der Partei bekannt zu geben (VwGH 17.10.1995, Zl. 94/08/0269). Gemäß der Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 27.02.2003, Zl. 2000/18/0040) ist die Verletzung des Parteiengehörs zwar saniert, wenn im Bescheid die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens dargelegt werden und die Partei die Möglichkeit hat, in ihrer Berufung dagegen Stellung zu nehmen - Voraussetzung einer solchen Sanierung ist aber, dass in der erstinstanzlichen Bescheidbegründung tatsächlich alle Beweisergebnisse dargelegt werden, da ansonsten der Asylgerichtshof das Parteiengehör einräumen müsste (VwGH 25.03.2004, Zl. 2003/07/0062).

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann (nunmehr:) der Asylgerichtshof, sofern der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Absatz 3 dieser Bestimmung kann er jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2002/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von ihm nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nach-geordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei (nunmehr) dem Asylgerichtshof die Rolle der Beschwerdeinstanz zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gem. § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgeber würden aber unterlaufen, wenn es wegen des weit reichenden Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor den Asylgerichtshof käme, weil das Bundesasylamt keine hinreichende Ermittlungstätigkeit führt und auch keine nachvollziehbaren Entscheidungen trifft. Die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen würde damit zur bloßen Formsache degradiert. Es ist nicht im Sinne des Gesetzgebers, wenn der Asylgerichtshof, statt seine "umfassende" Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Instanz ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dies spricht insbesondere bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrages nicht erst bei ihm beginnen und zugleich - abgesehen von der beschränkten Kontrolle der letztinstanzlichen Entscheidung durch (im Wesentlichen nunmehr) den Verfassungsgerichtshof - bei ihm enden soll, für ein Vorgehen nach § 66 Abs. 2 AVG (vgl. VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315).

 

3. Die belangte Behörde hat das erstinstanzliche Verfahren im vorliegenden Fall mit Mängeln belastet, die den Asylgerichtshof im Rahmen des gem. § 66 Abs. 2 AVG eingeräumten Ermessens zu einer kassatorischen Entscheidung veranlassten, wie im Folgenden darzulegen ist.

 

3.1. Vor dem Hintergrund des erstinstanzlichen Ermittlungsergebnisses stellte die belangte Behörde in den Verfahren aller Angehörigen und Verwandten der BF (GZ. 262.177, 262.299 bis 262.307) jeweils fest, dass diese als staatenlose Palästinenser aus dem Libanon anzusehen seien und dass deren Herkunftsstaat iSd § 1 Z. 4 AsylG 1997 idgF der Libanon sei.

 

Auf die Darstellung der entsprechenden Bescheidbegründungen in den Rechtssachen der Betroffenen wird an dieser Stelle verwiesen.

 

Alleine in der Sache der nachgeborenen H.L. traf die belangte Behörde gegensätzliche Feststellungen und bezeichnete sie als Staatenlose aus Libyen, dies entsprechend dem Status ihrer leiblichen Eltern, die im Gegensatz zu den Feststellungen in deren erstinstanzlichen Bescheiden nunmehr ebenfalls als Staatenlose aus Libyen bezeichnet wurden.

 

3.2. Der Asylgerichtshof vermochte sich schon in Ansehung des in den Rechtssachen ihrer Verwandten geführten erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens den daraus resultierenden Feststellungen der belangten Behörde zum Herkunftsstaat der Betroffenen mangels Schlüssigkeit nicht anzuschließen, wie in deren Entscheidungen des Asylgerichtshofs bereits dargelegt wurde.

 

Die entsprechenden Erwägungen schlagen, angesichts des oben festgestellten Sachverhalts in der Sache der BF, auch auf deren Verfahren durch.

 

In Entsprechung der hg. Judikatur war daher in Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG auch die erstinstanzliche Entscheidung die BF betreffend zu beheben und das Verfahren zur entsprechenden Ergänzung bzw. Korrektur des Ermittlungsverfahrens wie oben dargestellt an die erstinstanzliche Behörde zurückzuverweisen.

 

4. Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs 7 AsylG iVm § 67d Abs 4 AVG unterbleiben.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
21.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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