TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/30 S12 401570-1/2008

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Spruch

S12 401.570-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des Z.H., geb. 00.00.1970, StA.

China, vertreten durch: RA Dr. Lennart Binder, Rochusgasse 2/12, 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.09.2008,

FZ. 08 04.745-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein chinesischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 30.05.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Chinesisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe sein Heimatdorf am 15.03.2008 mit einem Bus verlassen und sei dann mit dem Zug weiter nach Peking gefahren. Am 20.03.2008 sei er dann über Haerbin ebenfalls mit dem Zug nach Russland weitergefahren und vor dort aus über eine ihm unbekannte Strecke bis Österreich gereist. Am 20.05.2008 sei er dann in Wien angekommen und habe sich in einem Chinarestaurant aufgehalten, bis er von einem Chinesen am 30.05.2008 zu einem Integrationsverein gebracht worden sei. Sein Heimatland habe er illegal und ohne Reisedokumente schlepperunterstützt verlassen. Er habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht. Familienangehörige in Österreich oder im EU-Raum (einschließlich Norwegen und Island) habe er nicht. Sein Heimatland habe er aus wirtschaftlichen und politischen Gründen verlassen. Bei einer Rückkehr nach China sei sein Leben in Gefahr.

 

2. Am 04.06.2008 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Chinesisch, in welcher er im Wesentlichen vorbrachte, dass es ihm - abgesehen von einer Magenentzündung - körperlich und geistig gut gehe. Er könne nicht angeben, durch welche Länder er nach Österreich gereist sei, da er in einem Container versteckt gewesen sei. Wo er diesen Container verlassen habe, wisse er nicht. Er sei dann alleine an Bahngleisen entlang gegangen und nach rund einer Woche am 29.05.2008 in Wien angekommen. Er habe in seinem Heimatland eine Auseinandersetzung mit einem Beamten gehabt, da man ihm sein Land habe wegnehmen wollen. Neben seiner Landwirtschaft habe er in China auch eine Fischzucht betrieben und hätte ihm sein Land weggenommen werden sollen. Er habe sich geweigert, sein Land zur Verfügung zu stellen, da ihm die angebotene Entschädigung zu gering gewesen sei. Dann sei er von unbekannten Personen mit Mafiahintergrund bedroht worden und habe einmal einen dieser Leute niedergeschlagen. Aus diesem Grund sei er geflohen. Einer Anfrage gemäß Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) an Tschechien, die Slowakei, Deutschland und Ungarn stimme er zu. Er sei aber in keinem anderen Land gewesen.

 

3. In der Folge richtete das Bundesasylamt am 05.06.2008 eine Anfrage gemäß Art. 21 Dublin II-VO an die zuständigen Behörden in Tschechien, der Slowakei, Deutschland und Ungarn. Am 09.06.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 28 Abs. 2 AsylG mitgeteilt, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG definierte 20-Tages-Frist für Verfahrenszulassungen für das gegenständliche Verfahren des Beschwerdeführers nicht mehr gilt, da die Art. 21 Anfrage an EU Staaten ein Teil des Konsultationsverfahrens ist.

 

Mit Schreiben vom 17.06.2008 gaben die ungarischen Behörden bekannt, dass für Z.H., geboren am 00.00.1970, StA. China, ein ungarisches Visum, Typ "C" ausgestellt wurde.

 

4. Daraufhin richtete das Bundesasylamt am 23.07.2008 ein Aufnahmeersuchen gemäß Art. 9 Abs. 2 oder 3 Dublin II-VO an die zuständige ungarische Behörde.

 

Mit Schreiben vom 23.07.2008 wurde dem Beschwerdeführer am 11.08.2008 gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG) (§29 Abs.3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Ungarn seit 23.07.2008 geführt werden (vgl. AS 93f).

 

5. Mit Schreiben vom 31.07.2008 erklärte sich Ungarn gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO für die Aufnahme des Asylwerbers und die Durchführung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers für zuständig. Tschechien, Deutschland sowie die Slowakei verneinten eine Zuständigkeit gem. Dublin-VO.

 

6. Am 02.09.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit eines Rechtsberaters sowie eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Chinesisch erneut niederschriftlich einvernommen und gab dabei im Wesentlichen an, dass er körperlich und geistig in der Lage sei, die Einvernahme durchzuführen. Er habe keine Familienangehörigen in Österreich, lebe mit niemandem in einer Familien- oder familienähnlichen Lebensgemeinschaft und habe auch sonst keine Bindungen an Österreich. Zur geplanten Vorgehensweise des Bundesasylamtes, ihn nach Ungarn zu überstellen, gab er an, er sei niemals in Ungarn gewesen und habe auch kein Visum für Ungarn beantragt. Sonst stehe seiner Ausweisung allerdings nichts entgegen. Es könne sein, dass in China ein Haftbefehl gegen ihn vorliege. Er sei sich aber sicher, dass er von der Polizei gesucht werde.

 

7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 02.09.2008, FZ. 08 04.745, wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 30.05.2008 ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Ungarn zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Ziffer 1 AsylG wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ungarn gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig sei.

 

8. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass aus seinen Angaben hervorgehe, dass er aus China nach Österreich geflüchtet sei, ohne dass ihm ein Transitland bekannt sei. Ferner werde im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt, wie die 20-Tages-Frist berechnet werden könne und gehe aus den Feststellungen auch nicht hervor, dass die Voraussetzungen des Art. 15 Dublin-Verordnung gegeben seien. Es sei unrichtig, dass der Beschwerdeführer mit einem ungarischen Visum nach Österreich eingereist sei. Aus dem Sachverhalt gehe nicht hervor, dass Ungarn für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei. Die Voraussetzungen des Art. 15 [wohl gemeint: Dublin II-VO], auf den sich die Behörde berufe, seien nicht gegeben.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, ein chinesischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das österreichische Bundesgebiet eingereist und stellte am 30.05.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Für den Beschwerdeführer wurde ein ungarisches Visum, Typ "C" ausgestellt.

 

In Österreich, im Bereich der EU, Norwegen und Island hat der Beschwerdeführer keine Familienangehörigen oder Personen, mit denen er in einer familienähnlichen Gemeinschaft lebt. Ferner hat er auch keine sonstigen Bindungen an Österreich.

 

Ungarn hat sich mit Schreiben vom 31.07.2008 gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO für die Aufnahme des Asylwerbers und die Durchführung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers für zuständig erklärt.

 

1.2. Die in § 28 Abs. 2 AsylG festgelegte zwanzigtätige Frist zur Erlassung eines zurückweisenden Bescheides nach § 5 AsylG gilt nicht, weil dem Beschwerdeführer das Führen von Konsultationen gemäß der Dublin II-VO am 09.06.2008 mitgeteilt wurde, weshalb kein Übergang der Zuständigkeit an Österreich wegen Fristüberschreitung eingetreten ist.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die oben angeführten Feststellungen ergeben sich aus dem Verwaltungsakt, insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers bei der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 30.05.2008, aus den niederschriftlichen Einvernahmen des Beschwerdeführers durch das Bundesasylamt vom 04.06.2008 und vom 02.09.2008 sowie aus den Schreiben der zuständigen ungarischen Behörde vom 17.06.2008 und vom 31.07.2008.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

3.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Die Dublin II-VO ersetzt das Dubliner Übereinkommen (Art. 24 Abs. 1 Dublin II-VO), ist gemäß Art. 29 Dublin II-VO auf Asylanträge anwendbar, die ab dem 01.09.2003 gestellt werden und gilt - ungeachtet des Zeitpunkts der Stellung des Antrages - ab diesem Zeitpunkt für alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Asylwerbern. Da der vorliegende Asylantrag am 30.05.2008 gestellt wurde, ist die Dublin II-VO im gegenständlichen Fall anzuwenden.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

3.3. Gemäß Art. 9 Abs. 2 erster Satz Dublin II-VO ist, wenn der Asylbewerber ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Asylantrages zuständig, es sei denn, dass das Visum in Vertretung oder mit schriftlicher Zustimmung eines anderen Mitgliedstaates erteilt wurde.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz zuzulassen, wenn das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach seiner Einbringung entscheidet, dass er zurückzuweisen ist, es sei denn, es werden Konsultationen gemäß der Dublin - Verordnung oder eines Vertrages über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz geführt. Das Führen solcher Konsultationen ist dem Asylwerber innerhalb der 20-Tages-Frist mitzuteilen. Diesfalls gilt die 20-Tages-Frist nicht.

 

3.4. Im gegenständlichen Fall ist das Bundesasylamt ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer über ein - zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten - gültiges ungarisches Visum verfügt und Ungarn einer Aufnahme des Beschwerdeführers zur Führung des Asylverfahrens zugestimmt hat, zu Recht von der Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO ausgegangen.

 

3.5. Zu prüfen bleibt daher, ob Österreich im gegenständlichen Fall verpflichtet wäre, im Hinblick auf Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch zu machen.

 

3.5.1. Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 08.03.2001, G 117/00 u.a. VfSlg 16.122, aus, dass § 5 AsylG nicht isoliert zu sehen sei; das im Dubliner Übereinkommen festgelegte Selbsteintrittsrecht Österreichs verpflichte - als Teil der österreichischen Rechtsordnung - die Asylbehörde unter bestimmten Voraussetzungen zur Sachentscheidung in der Asylsache und damit mittelbar dazu, keine Zuständigkeitsbestimmung im Sinne des § 5 vorzunehmen. Eine strikte, zu einer Grundrechtswidrigkeit führende Auslegung (und somit Handhabung) des § 5 Abs. 1 AsylG sei durch die Heranziehung des Selbsteintrittsrechtes zu vermeiden. Dieser Rechtsansicht schloss sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23.01.2003, Zl. 2000/01/0498, an.

 

Hatte der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 15.10.2005, G 237/03 u.a. ausgesprochen, dass jene zum Dubliner Übereinkommen angestellten Überlegungen auch für das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin-VO zutreffen, ergänzte er in seinem Erkenntnis vom 17.06.2005, B 336/05-11, dies dahingehend, dass die Mitgliedstaaten nicht nachzuprüfen haben, ob ein bestimmter Mitgliedstaat generell sicher sei, da die entsprechende Vergewisserung durch den Rat erfolgt sei; eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall sei jedoch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte diese Überprüfung ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht sind, sei aus verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben.

 

In seinem Erkenntnis vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582 (dem ein - die Zuständigkeit Italiens nach dem Dubliner Übereinkommen betreffender - Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates zugrunde lag) sowie in dem (bereits die Dublin-VO betreffenden) Erkenntnis vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095-9, führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass in Verfahren wie dem gegenständlichen eine Gefahrenprognose zu treffen ist, ob ein - über die bloße Möglichkeit hinausgehendes - ausreichend substantiiertes "real risk" besteht, dass ein aufgrund der Dublin-VO in den zuständigen Mitgliedstaat ausgewiesener Asylwerber trotz Berechtigung seines Schutzbegehrens, also auch im Falle der Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Bedrohungsbildes, im Zielstaat der Gefahr einer - direkten oder indirekten - Abschiebung in den Herkunftsstaat ausgesetzt ist, wobei insbesondere zu prüfen sei, ob der Zielstaat rechtliche Sonderpositionen vertritt, nach denen auch bei der Zugrundelegung der Behauptungen des Asylwerbers eine Schutzverweigerung zu erwarten wäre. Weiters wird ausgesprochen, dass geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat für sich allein genommen keine ausreichende Grundlage dafür sind, um vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

 

3.5.2. Im gegenständlichen Fall kann nun nicht gesagt werden, dass der Beschwerdeführer ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass ihm durch eine Überstellung nach Ungarn die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Der Beschwerdeführer hat während des gesamten erstinstanzlichen Verfahrens keine substantiierten, konkreten Gründe angeführt, welche gegen eine Überstellung nach Ungarn bzw. die Durchführung des Asylverfahrens in Ungarn sprächen, ebenso wenig hat er sich im Rahmen der erstinstanzlichen Einvernahme vom 04.06.2008 gegen die Anfrage gemäß Art. 21 Dublin II-VO an Ungarn, Deutschland, Tschechien und die Slowakei betreffend Auskünfte über ein mögliches Asyl- oder fremdenrechtliches Verfahren ausgesprochen.

 

Zu den Ausführungen in der Beschwerde ist zunächst allgemein anzuführen, dass kein Vorbringen dahingehend erstattet wurde, dass der Durchführung des Asylverfahrens in Ungarn konkrete Gründe entgegenstehen würden.

 

Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt von der erstinstanzlichen Behörde nicht festgestellt worden sei, da sich aus den Angaben des Beschwerdeführers ergeben habe, dass dieser aus China direkt nach Österreich geflüchtet sei, ist dem entgegenzuhalten, dass das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid sehr wohl festgestellt hat, dass dem Beschwerdeführer ein ungarisches Visum ausgestellt worden sei, aus dem sich die Zuständigkeit Ungarns ergebe (vgl. Seite 11 des angefochtenen Bescheides). Ferner hat das Bundesasylamt auch im Rahmen seiner Beweiswürdigung folgerichtig ausgeführt, dass der Beschwerdeführer selbst einen Schlepper organisiert habe und es daher zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass dieser Schlepper unter Umständen auch ein Visum für den Beschwerdeführer beantragt könnte.

 

Zum Beschwerdevorbringen, dass in den erstinstanzlichen Feststellungen nicht festgehalten werde, wie die 20-Tages-Frist berechnet werden könne, ist darauf hinzuweisen, dass sich die Berechnung der 20-Tages-Frist des § 28 Abs. 2 AsylG direkt aus dem Gesetzestext ergibt.

 

Nicht nachvollziehbar sind die Ausführungen in der Beschwerde, wonach aus den Feststellungen nicht hervorgehe, dass die Voraussetzungen des Art. 15 der Dublin-Verordnung, die als maßgeblich bezeichnet würden, gegeben sein sollten. Das Bundesasylamt stützt seine Entscheidung richtigerweise auf Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO, was aufgrund der Aktenlage offensichtlich und im angefochtenen Bescheid ausführlich begründet wurde. Ferner finden sich im gesamten erstinstanzlichen Verfahren keine Anhaltspunkte, die die Anwendung des Art. 15 Dublin II-VO zumindest überlegenswert erscheinen ließen - es liegt weder ein familiärer noch ein kultureller Konex noch sonstige, in Art. 15 Dublin II-VO beschriebene, Voraussetzungen vor bzw. wurden solche im gesamten Verfahren nicht einmal behauptet. Im Übrigen wird auch in der Beschwerde keine Begründung für die Anwendung des Art. 15 Dublin II-VO vorgebracht. Vollkommen widersinnig in diesem Zusammenhang ist weiters der in der Beschwerde angeführte Satz: "Die Voraussetzungen des Art. 15, auf die sich die Behörde in ihrer Entscheidung beruft, sind nicht gegeben." Zum einen beruft sich die Behörde in ihrer Entscheidung nicht auf Art. 15 Dublin II-VO, sondern - richtigerweise - auf Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO, zum anderen widerspricht sich der Beschwerdeführer hier selbst, wenn er einmal vorbringt, Art. 15 sei anzuwenden und in der Folge ausführt, dass die Voraussetzungen des Art. 15 nicht gegeben seien.

 

Zum Vorbringen, es sei unrichtig, dass der Beschwerdeführer mit einem ungarischen Visum nach Österreich eingereist sei, ist auszuführen, dass dies im erstinstanzlichen Bescheid auch nicht behauptet wurde. Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO als Zuständigkeitskriterium stützt sich allein darauf, ob zum Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung (sohin am 30.05.2008) der Asylwerber in Besitz eines gültigen Visums eines anderen Mitgliedstaates war (vgl. auch Filzwieser/Liebminger, "Dublin II-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem", 2. Auflage, K7 zu Art. 9 Dublin II-VO, Seite 89). In diesem Fall ist derjenige Mitgliedstaat, der das Visum ausgestellt hat, zur Aufnahme des Asylwerbers und Führung seines Asylverfahrens zuständig. Daraus ergibt sich auch die Zuständigkeit Ungarns, die in der Beschwerde übrigens vollkommen unsubstantiiert und entgegen der - dem rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers wohl bekannten - Aktenlage ohne weitere Begründung bestritten wurde.

 

Das gesamte Beschwerdevorbringen ist unsubstantiiert, widersprüchlich sowie aktenwidrig und geht sohin zur Gänze ins Leere.

 

Der Beschwerdeführer hat sohin kein Vorbringen erstattet, insbesondere keine konkreten Bedrohungen genannt, welches die Annahme rechtfertigen könnte, dass ihm in Ungarn mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde.

 

Soweit aus dem Vorbringen bzw. aus der Berufung herauszulesen ist, dass der Beschwerdeführer in Ungarn möglicherweise kein Asyl erhalten werde und nach China abgeschoben werden könnte, ist ihm entgegenzuhalten, dass es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörden sein kann, "hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang" eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095).

 

Im Zusammenhang mit dem ungarischen Asylverfahren ist lediglich der Vollständigkeit halber noch anzuführen, dass von Seiten Ungarns keine systemwidrigen Verletzungen der Verpflichtungen aus der Dublin II-VO bekannt sind. Auch geringe Asylanerkennungsquoten im Zielstaat sind für sich genommen keine ausreichende Grundlage dafür, dass die österreichischen Asylbehörden wie auch des Asylgerichtshofes vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssten (vgl. u.a. VwGH vom 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095).

 

3.5.3. Ferner ist eine Überprüfung gemäß Art. 8 EMRK dahingehend vorzunehmen, ob der Beschwerdeführer über im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK relevante Verbindungen in Österreich verfügt.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Gemäß seinen eigenen Angaben hat der Beschwerdeführer keine familiären Bindungen zu einem österreichischen Staatsangehörigen oder dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich. Auch sonst bestehen keine Verwandtschaftsverhältnisse oder familienähnliche Lebensgemeinschaften im Bereich der Europäischen Union, Norwegen oder Island. Ferner bestehen auch keine sonstigen Bindungen an Österreich, weshalb der Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Ungarn in seinem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt werden würde.

 

3.5.4. Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass kein Anlass für einen Selbsteintritt Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO aufgrund einer drohenden Verletzung von Art. 3, 8 EMRK besteht.

 

3.5.5. Festzuhalten ist auch, dass die in § 28 Abs. 2 AsylG normierte 20-tägige Frist im gegenständlichen Fall - wie bereits oben ausgeführt - eingehalten worden ist.

 

3.5.6. Hinsichtlich Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides ist noch auszuführen, dass keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich sind, da weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer in Österreich über Angehörige im Sinne des Art. 8 EMRK verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ersichtlich. Was schließlich den seitens des Bundesasylamtes in dem Bescheidspruch aufgenommenen Ausspruch über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Ungarn anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass die getroffene Ausweisung, da diese mit einer Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG verbunden ist, gemäß § 10 Abs. 4 erster Satz AsylG schon von Gesetzes wegen als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat gilt.

 

3.5.7. Die Beschwerde erwies sich somit als nicht berechtigt und war daher spruchgemäß abzuweisen.

 

3.5.8. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG abgesehen werden.

Schlagworte
Ausweisung, real risk, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
25.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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