TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/30 S2 401650-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.09.2008
beobachten
merken
Spruch

S2 401.650-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des H.I. geb. 00.00.1988, StA: Staatenlos, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.09.2008, Zahl 08 06.243 EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1. Der Beschwerdeführer, StA. Staatenlos, reiste am 15.05.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 17.07.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein. Dem Akt ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des LG für Strafsachen Graz wegen §§ 142 Abs. 1 und § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten (davon sechs Monate bedingt) verurteilt wurde, er befindet sich aktuell in Schubhaft (AS 65f).

 

1.2. Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 31.08.2007 in Griechenland (Mytilini) erkennungsdienstlich behandelt worden war (AS 1).

 

1.3. Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 18.07.2008 gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Dolmetschers der Sprache Arabisch im Wesentlichen an, er sei am 00.00.1988 in Gaza geboren und habe Gaza 1998 wegen des Krieges zu Fuß nach Jordanien verlassen. Der Beschwerdeführer machte zunächst Angaben über seinen Reiseweg, die er selbst widerlegte, als er mit dem Eurodac-Treffer für Griechenland konfrontiert wurde. Daraufhin teilte der Beschwerdeführer mit, er habe falsche Angaben gemacht, weil er nicht nach Griechenland zurückgeschickt werden wolle. Er habe in Griechenland keinen Asylantrag gestellt. Nach vier monatigem Aufenthalt sei er ausgewiesen worden. Er führte weiters an, dass er einen in Österreich lebenden Bruder habe.

 

1.4. Das Bundesasylamt richtete am 23.07.2008 ein auf Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO") gestütztes Aufnahmeersuchen an Griechenland. (AS 87f)

 

1.5. Am 25.07.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass Konsultationen mit Griechenland geführt würden und aus diesem Grund beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (AS 109f).

 

1.6. Mit Schreiben vom 18.08.2008, eingelangt am 28.08.2008, stimmte Griechenland dem Aufnahmeersuchen gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO ausdrücklich zu. (AS 131)

 

1.7. Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 05.09.2008, nach erfolgter Rechtsberatung, führte der Beschwerdeführer zu seinem Reiseweg aus, er sei 1998 mit seinem Onkel für ein Jahr nach Jordanien gegangen. Dann sei er eineinhalb Jahre in Syrien gewesen und von dort in den Libanon weitergereist. Nach einem halben Jahr sei er weiter nach Libyen. Dort sei er 2 Jahre gewesen. Von Libyen sei er nach Griechenland gereist. Die griechischen Behörden hätten ihn in die Türkei zurückgeschickt, von wo er nach Italien gereist sei. Dort sei er zwei Jahre aufhältig gewesen. Von Italien sei er weiter in die Schweiz und nach zwei Jahren und acht Monaten im Mai 2008 nach Österreich. Auf den Vorhalt, dass sich sein Aufenthalt in der Schweiz nicht mit dem Eurodac-Treffer vom 31.08.2008 in Griechenland ausgehe, gab der Beschwerdeführer an, er sei von der Schweiz nach Italien zurückgereist und mit einem gefälschten Reisepass habe er nach England gewollt. Auf dem Weg dorthin, hätte er einen Zwischenaufenthalt in Griechenland gehabt, wo er erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Zu seinem Bruder H.M. gab der Beschwerdeführer an, er sei 29 Jahre alt und seit sechs bis sieben Jahren in Österreich aufhältig. Er könne aber keine genauen Angaben machen, da er seit acht Monaten keinen Kontakt zu ihm habe. Der Beschwerdeführer habe sonst keine Verwandten in der EU und lebe auch mit niemandem in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Auf die Frage, was gegen eine Überstellung nach Griechenland spräche, brachte er vor, dass er nicht nach Griechenland zurück wolle. Asylwerber würden von Polizisten geschlagen und man werde nicht gut behandelt. Er sei selber am Weg nach England von Polizisten auf einem griechischen Flughafen geschlagen worden. (AS 143ff)

 

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 iVm Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO, Griechenland zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland zulässig sei. (AS 197ff)

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, beim Asylgerichtshof am 22.09.2008 eingelangt. Darin wird nunmehr vorgebracht, dass die erstinstanzliche Behörde es unterlassen habe, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, um festzustellen, ob Griechenland die Anforderungen eines sicheren Drittstaates erfülle. Des Weiteren verweist die Beschwerde auf das UNHCR Papier vom 15. April 2008, das empfehle, keine Asylwerber nach Griechenland abzuschieben. Der Beschwerdeführer behauptete ebenfalls, dass es bezüglich jenen Dublin-Rückkehrern, deren Asylverfahren als "abgebrochen" gelte, weil sie Griechenland verlassen haben, ohne die Behörden darüber zu informieren und bevor über ihren Asylantrag entschieden wurde, einer besonders problematischen Situation ausgesetzt wären. Die griechischen Behörden würden das Verlassen Griechenlands als Rücknahme des Asylantrages werten und dadurch eine inhaltliche Prüfung des Asylantrages abbrechen. Um dies zu untermauern, verwies der Beschwerdeführer auf ein weiteres UNHCR Papier von Juli 2007 über "die Rückführung von Asylsuchenden nach Griechenland vor dem Hintergrund des "Abbruchs" von Asylverfahren". Der Beschwerdeführer brachte weiters vor, dass die Feinde seines Vaters in Griechenland aufhältig seien, wie ihm ein Kurde in einem griechischen Gefängnis mitgeteilt habe. Eine Abschiebung nach Griechenland würde ihn daher gefährden, wodurch bei einer Überstellung nach Griechenland Art. 3 EMRK verletzt sei und Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht hätte Gebrauch machen müssen. Schließlich wird beantragt, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. (AS 293ff)

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der Beschwerdeführer überschritt aus einem Drittstaat kommend illegal die Grenze nach Griechenland, er stellte dort keinen Asylantrag. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Griechenland Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden. Zum Verfahrensgang wird auf die obige Darstellung (Punkt I.) verwiesen.

 

Im Beschwerdefall können keine Umstände festgestellt werden, die für eine besondere Integration des Beschwerdeführers in Österreich sprächen. Auch kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Österreich Angehörige hätte, zu denen ein intensiveres Familienleben bestünde und es bestehen keine Anhaltspunkte für eine bestehende Krankheit oder besondere Verletzlichkeit des Beschwerdeführers.

 

2. Hinsichtlich dieser Sachverhaltsfeststellungen wird auf die von der Erstbehörde getroffene Beweiswürdigung verwiesen, die schlüssig und nachvollziehbar ist (Seite 17 letzter Absatz bis 18 Mitte des angefochtenen Bescheides). Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt.

 

3. Rechtlich ergibt sich folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz im Juli 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Art. 10 Abs. 2 Dublin II-VO lautet: "Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Abs. 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylwerber der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können sich zum Zeitpunkt der Antragsstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrages zuständig."

 

Art. 18 Dublin II-VO lautet:

 

"(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nachdem er mit dem Gesuch befasst wurde.

 

......

 

(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Art 17 Abs 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedsaat alle Anstrengungen, um sich an die vorgegebene Frist zu halten. [...] in jedem Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. [...]

 

(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer aus einem Drittstaat kommend illegal die Grenze Griechenlands überschritten hat, er von dort weiter nach Österreich gereist ist, und er auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art. 10 Abs. 1 als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Griechenland hat der Zuständigkeit gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO - wenn auch verspätet einlangend, sodass schon davor die Zustimmungsfiktion des Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO griff - ausdrücklich zugestimmt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die wegen Verfristung ergebende Zuständigkeit des Mitgliedstaates aus diesem Grund wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte. Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei (VwGH 23.11.2006, 2005/20/0444; Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff).

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO).

 

Des Weiteren hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile"- Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären. Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: Es lebt laut Beschwerdeführer sein Bruder in Österreich. Der Beschwerdeführer konnte aber keine näheren Angaben bezüglich seines Aufenthaltsortes oder seiner Aufenthaltsberechtigung machen und gab überdies an, dass der Bruder seit sechs bis sieben Jahren in Österreich lebe und er zu diesem Bruder seit acht Monaten keinen Kontakt mehr habe. Es kann daher selbst bei Zutreffen dieses Vorbringens nicht davon ausgegangen werden, dass hier ein ausreichend intensives familiäres Naheverhältnis vorläge, das bei einer Abschiebung nach Griechenland eine Verletzung von Art. 8 EMRK begründen würde. Der Beschwerdeführer lebt in keiner sonstigen familienähnlichen Lebensgemeinschaft, ist strafgerichtlich nicht mehr unbescholten und es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer vor (vgl. z.B. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06). Dies wurde auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer unter diesem Gesichtspunkt in seiner Einvernahme vom 05.09.2008 und in der Beschwerde eingewendet, dass Asylsuchende in Griechenland kein faires Verfahren bekommen würden. Er bezieht sich dabei auf zwei UNHCR-Positionspapiere. Dadurch hätte Österreich von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen müssen.

 

Bei einer Zusammenschau der zur Verfügung stehenden Berichte zur Lage der Asylwerber in Griechenland kommt der Asylgerichtshof jedoch zu dem Ergebnis, dass derzeit keineswegs in allen Fällen eine Überstellung von Asylwerbern nach Griechenland unzulässig und daher ohne weiteres das Selbsteintrittsrecht auszuüben wäre. Es ist vielmehr eine Einzelfallprüfung vorzunehmen:

 

Zwar empfiehlt das UNHCR-Positionspapier vom 15.04.2008 betreffend die Rückkehr von Asylwerbern nach Griechenland aufgrund der Dublin-Verordnung den Regierungen, derzeit von einer Rückführung von Asylwerbern nach Griechenland Abstand zu nehmen, weil das griechische Asylwesen mehrere schwere Mängel aufweise, etwa eine unzureichende Personalausstattung der Asylbehörden, eine Praxis der automatischen Inhaftierung der Asylwerber, Einvernahmen in einer unverständlichen Sprache, fehlende Rechtsbelehrung und mangelhafte Versorgung. Die nach dieser Empfehlung des UNHCR entsandte Delegation des schwedischen Migrationsamtes kommt hingegen in ihrem Bericht vom 07.05.2008 zu dem Schluss, dass in Griechenland bei Erwachsenen - zum Unterschied von unbegleiteten Minderjährigen - sowohl die Prüfung von Asylanträgen als auch die Aufnahme von Asylwerbern generell gesehen auf einem akzeptablen Niveau steht. Wesentlich ist für den Asylgerichtshof auch der Umstand, dass in keinem der vorliegenden Berichte Fälle genannt werden, in denen Asylwerber tatsächlich aus Griechenland in ihre Herkunftsländer abgeschoben worden wären, sodass die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulementverbot nicht besteht. Auch die zuständigen Organe der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten teilen diese Einschätzung (z. B. Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 09.04.2008;

englischer Court of Appeal 14.05.2008, EWCA Civ 464, Jawad NASSARI;

belgischer Aliens Litigation Council, 10.04.2008, Nr. 9796;

norwegisches Arbeits- und Sozialministerium, 21.07.2008).

 

Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Griechenland ein und stellte dort noch keinen Asylantrag. Er leidet nach den getroffenen Feststellungen an keiner Krankheit, ist erwachsen und auch sonst ist im Verfahren keine besondere Verletzlichkeit des Beschwerdeführers hervorgekommen. Nach den zutreffenden Länderfeststellungen im erstinstanzlichen Bescheid haben Asylwerber, welche im Rahmen eines Aufnahmeverfahrens nach Griechenland überstellt werden, also Personen, die in Griechenland noch nie um Asyl angesucht haben, nach erfolgter Überstellung den vollen Zugang zum Asylverfahren, was durch die ausdrückliche Zustimmung Griechenlands zusätzlich untermauert wird. Da im konkreten Fall ein Asylverfahren noch nicht begonnen wurde, verbieten sich auch spekulative Erwägungen über dessen Ausgang oder über die Erfolgsaussichten des Beschwerdeführers. Bezüglich des in der Beschwerde angeführten UNHCR Positionspapiers von Juli 2007, über Dublin-Rückkehrer nach Griechenland und einem Abbruch ihres Asylverfahrens, muss dem entgegengehalten werden, dass der Beschwerdeführer in Griechenland noch keinen Asylantrag gestellt hat und deshalb diese mögliche Problematik auf ihn gar nicht zutreffen kann. Abgesehen davon handelt es sich dabei um keinen aktuellen Bericht über das griechische Asylverfahren mehr.

 

Soweit der Beschwerdeführer in seinen Schriftsätzen Kritik an der allgemeinen Situation der Asylwerber in Griechenland übt und dazu auf verschiedene Berichte verweist, fehlt es außerdem an einem konkreten Bezug zu seiner Person, zumal etwa die Probleme beim Zugang zum Asylverfahren, die bezüglich der aus der Türkei illegal nach Griechenland einreisenden Personen berichtet werden, bei einer Überstellung von Wien nach Athen nicht bestehen.

 

Auch ist zum Entscheidungszeitpunkt aus keinem Mitgliedstaat explizit gegenteilige Judikatur bekannt. Auch die norwegische Position beinhaltet lediglich eine Aussetzung von Entscheidungen im Zusammenhang mit einer näheren Prüfung der Berichtslage. Wie im beschwerdegegenständlichen Bescheid bereits ausgeführt, führt nun auch Norwegen nach einer eingehenden Prüfung wieder Dublin Verfahren mit Griechenland durch. Ausgenommen von der Effektuierung von Überstellungen sind lediglich Familien mit Kindern. In Ermangelung sonstiger individueller Gründe und individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers erweist sich daher in diesem Fall das von der Erstbehörde beigeschaffte Tatsachensubstrat als ausreichend und die individuelle Beweiswürdigung als zutreffend. Griechenland ist ein Staat mit rechtsstaatlichen Einrichtungen und Mitgliedsstaat der Europäischen Union. Ein zwingender Grund zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts besteht in diesem Zusammenhang daher nicht.

 

Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass sich in Griechenland Feinde seines Vaters aufhalten würden, wie er in der Beschwerde erstmals anführt, widerspricht dem Neuerungsverbot gemäß § 40 Abs. 1 AsylG. Diese angeblichen Feinde wurden von Seiten des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren vor der Erstbehörde mit keinem Wort erwähnt und sind daher für den Asylgerichtshof unbeachtlich. Dazu kommt, dass allein mit diesem Vorbringen keine nachvollziehbare Argumentation geführt wurde, inwiefern die Feinde des Vaters auch den Beschwerdeführer selbst gefährden könnten und wodurch für ihn im Falle einer Überstellung nach Griechenland eine konkrete Gefahr entstünde. Soweit der Beschwerdeführer in seiner Einvernahme behauptete, er sei in Griechenland von Polizisten "geschlagen" worden, so bleibt er - unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage und der Eingriffsintensität des behaupteten Übergriffes - jegliche Darstellung dafür schuldig, wieso im Falle seiner heutigen Rückkehr nach Griechenland als Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen wäre, dass er konkret mit einer die Schwelle des Art. 3 EMRK übersteigenden Behandlung zu rechen hätte.

 

Im Ergebnis stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung des Beschwerdeführers nach Griechenland kein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung des Beschwerdeführers nach Griechenland (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist noch der Beschwerdeführer - wie oben zur Selbsteintrittspflicht ausgeführt [Punkt 2.2.b.)aa)] in Österreich über ein ausreichend intensives Familienleben verfügt. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

Schlagworte
Ausweisung, familiäre Situation, Intensität, Neuerungsverbot, real risk, Rechtsschutzstandard, strafrechtliche Verurteilung
Zuletzt aktualisiert am
19.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten