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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 20. Jänner 1970 geborenen JRD in Graz, vertreten durch Dr. Gerald Kreuzberger, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 10/3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. April 1999, Zl. 204.936/0- XI/34/98, betreffend die §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, beantragte am 7. Jänner 1998 die Gewährung von Asyl. Anlässlich seiner niederschriftlichen Vernehmung am 15. Jänner 1998 vor dem Bundesasylamt gab er zu seinen Fluchtgründen an, er habe im Werbebüro des früheren Staatspräsidenten Mobutu seit 1991 gearbeitet und T-Shirts und Propagandamaterial verteilt. Als Kabila am 17. Mai 1997 nach Kinshasa gekommen sei, habe sich der Beschwerdeführer versteckt. Er habe gehört, dass Leute umgebracht worden seien. Am 10. Dezember 1997 seien Soldaten in seine Wohnung gekommen, hätten diese durchsucht, Papiere zerrissen und andere Papiere beschlagnahmt. Er habe dies von einem Fenster aus beobachtet und sei daher nicht verhaftet worden. Er habe Angst bekommen und sich weiter versteckt gehalten. Ein Freund des Beschwerdeführers sei aus unbekannten Gründen festgenommen worden; nicht einmal die Eltern wüssten, wo sich dieser aufhalte. Daraufhin habe der Beschwerdeführer beschlossen, zu flüchten. Er befürchte, wegen seiner Tätigkeit für Mobutu verurteilt zu werden. Er wolle nur in einem demokratischen Land leben, Straftat habe er selbst keine begangen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 18. August 1998 unter Spruchpunkt I den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), ab und stellte unter Spruchpunkt II die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in sein Heimatland fest. Die Behörde erster Instanz ging aus näher dargestellten Gründen von der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers aus, woraus sich ergebe, dass der Beschwerdeführer weder eine Verfolgung im Sinne des AsylG habe glaubhaft machen können, noch dass eine Gefahr im Sinn des § 57 Fremdengesetz 1997 (FrG) dargetan worden sei.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er auf die von der Behörde erster Instanz getroffene Beweiswürdigung ausführlich einging und versuchte, die ihm vorgeworfene Unkenntnis bzw. Widersprüchlichkeiten und Unstimmigkeiten in seinen Aussagen zu erklären. U.a. machte er geltend, er habe anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt Konzentrationsschwierigkeiten gehabt, die Einvernahme sei öfter durch Telefonate, sowie durch das Hereinkommen einer Frau unterbrochen worden und er sei anlässlich der Einvernahme wiederholt damit bedroht worden, dass er - wenn er nicht die Wahrheit sage - von der Polizei festgenommen werden würde. Er sei höchst verunsichert gewesen und habe sich daher nicht entsprechend konzentrieren können, was die ihm vorgeworfenen Widersprüchlichkeiten und Ungenauigkeiten in seiner Aussage erkläre. Derartige Gedächtnisausfälle seien in Angst- und Stresssituationen wie der vorgelegenen häufig, was zahlreiche psychologische Gutachten bestätigten. Der Berufung war ein Auszug des Jahresberichtes von amnesty international 1998, die politische Lage im Heimatstaat des Beschwerdeführers betreffend, beigelegt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 20. April 1999 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 leg. cit. in Verbindung mit § 57 FrG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo zulässig sei. Die belangte Behörde begründete dies damit, die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen hätten mangels Glaubwürdigkeit der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt werden können, dazu werde auf die Ausführungen der Behörde erster Instanz verwiesen. Weiters traf die belangte Behörde Feststellungen hinsichtlich der Verfolgung der Mitarbeiter Mobutus in der Demokratischen Republik Kongo, aus denen - zusammengefasst -
hervorgeht, dass führende und aktive Mitglieder der MPR und anderer Pro-Mobutu-Parteien Verfolgung ebenso zu befürchten hätten wie alle früheren Minister und Botschafter, ungeachtet ihrer früheren Partei- und Stammeszugehörigkeit sowie Oppositionsführer und Aktivisten der Opposition. Dies gelte in der Regel nicht für Personen, die keine substanzielle Rolle in ihren politischen Parteien gespielt hätten. Auch aus diesen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Heimatland des Beschwerdeführers ergebe sich kein Hinweis darauf, dass jede aus der Provinz des Beschwerdeführers stammende Person - ohne Hinzutreten weiterer Umstände wie führende politische Tätigkeit oder dgl. - einer asylrelevanten Verfolgung im Heimatland ausgesetzt wäre. Es lägen somit keine Hinweise für eine staatliche Verfolgung aus Gründen der politischen Überzeugung oder aus sonstigen in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen vor. Der Beschwerdeführer habe im Berufungsverfahren im Wesentlichen seine vor der erstinstanzlichen Behörde getätigten Aussagen wiederholt und kein darüber hinausgehendes oder seinen ursprünglichen Angaben widersprechendes Vorbringen erstattet, weshalb von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können. Dem Asylwerber sei es nicht gelungen, eine gegen ihn gerichtete staatliche oder von seinem Heimatstaat gebilligte Verfolgungsmaßnahme glaubhaft zu machen und es ergebe sich auch nicht, dass infolge eines Zusammenbruches der Staatsgewalt jeder dorthin abgeschobene Fremde einer Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt wäre. Der Berufung sei daher auch hinsichtlich der Entscheidung über die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nicht Folge zu geben gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der unabhängige Bundesasylsenat ist gemäß Art. 129 und 129c B-VG in der Fassung BGBl. I Nr. 87/1997 ein unabhängiger Verwaltungssenat. Er hat gemäß § 23 AsylG das AVG anzuwenden, weshalb für das Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat grundsätzlich auch die Bestimmungen des AVG für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten, insbesondere die Bestimmung des § 67d AVG über die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, Anwendung finden. Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Im Sinne dieser Bestimmung ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässiger Weise - neu und in konkreter Weise behauptet wird.
In seiner Berufung hat der Beschwerdeführer zu den im Rahmen der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes dargestellten Widersprüchen Stellung genommen und versucht, diese Widersprüche zu erklären. Er hat auf die näheren Umstände der Vernehmung und auf dadurch bedingte Konzentrationsschwierigkeiten verwiesen. Dem Berufungsvorbringen kann entnommen werden, der Beschwerdeführer sei seiner Meinung nach in der Lage, im Rahmen einer mündlichen Verhandlung jene Bedenken, die gegen seine Glaubwürdigkeit sprachen, durch Klarstellungen auszuräumen und damit die relevante Beweisgrundlage zu verbreitern.
Die belangte Behörde hätte sich in Anbetracht dieses Vorbringens nicht bloß auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung anhand der Aktenlage beschränken dürfen, sondern hätte den Beschwerdeführer im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu den Punkten, auf die sie die mangelnde Glaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers stützte, vernehmen müssen.
Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur eine solche, bei deren Vermeidung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.
Im vorliegenden Fall ist nicht von vornherein auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung zur Überzeugung gelangt wäre, das gesamte Vorbringen des Beschwerdeführers sei glaubwürdig, worauf sie dieses ihrer rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt hätte. Der der belangten Behörde durch die Unterlassung der mündlichen Verhandlung unterlaufene Verfahrensmangel wäre aber unbeachtlich, wenn selbst bei angenommener Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe des Beschwerdeführers für diesen keine Verfolgungsgefahr in seinem Herkunftsstaat (mehr) bestünde.
Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung hinsichtlich der politischen Entwicklung in seinem Heimatland ausdrücklich auf einen beigelegten Jahresbericht (1998) von amnesty international verwiesen, aus dem u.a. hervorgeht, dass auch Mitarbeiter Mobutus vielfach zu Umerziehungszwecken inhaftiert oder durch die Soldaten der ADFL Kabilas sogar "extralegal" hingerichtet worden seien. Die belangte Behörde setzte sich mit dem Inhalt des vorgelegten Berichtes erkennbar nicht auseinander. Hingegen traf sie im angefochtenen Bescheid ihrerseits Feststellungen "zur Verfolgung der Mitarbeiter Mobutus in der Demokratischen Republik Kongo", ohne dass dem angefochtenen Bescheid entnommen werden kann, auf welche Ermittlungsergebnisse sich diese Feststellungen gründen. Mangels Vorhandenseins der den Feststellungen der Behörde offenbar zu Grunde liegenden Berichte im vorgelegten Verwaltungsakt bestünde für den Verwaltungsgerichtshof auch bei Erwähnung der Berichte in der Bescheidbegründung keine Möglichkeit, die von der belangten Behörde daraus gezogene Schlussfolgerung, wonach für den Beschwerdeführer als untergeordneten Parteimitarbeiter eine Rückkehr ungefährlich sei, auf deren Richtigkeit nachprüfen zu können. Diese Ermittlungsergebnisse, deren Verwertung gleichfalls eine mündliche Verhandlung erfordert hätte, wurden auch dem Beschwerdeführer offenbar nicht zur Einsichtnahme übermittelt. Es genügt aber nicht für ein mängelfreies Verfahren, wenn Tatsachen nur bei der Behörde "notorisch" sind (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0304).
Es wäre daher möglich, dass die - den Feststellungen der belangten Behörde entgegenstehenden - durch den Bericht von amnesty international dokumentierten Behauptungen des Beschwerdeführers in der Berufung über die Verfolgung von Mitarbeitern oppositioneller Parteien durch die Regierungssoldaten, unabhängig von der jeweiligen Funktion dieser Mitarbeiter, unverändert zutreffen; diesfalls wäre aber nicht auszuschließen, dass für den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr Verfolgungsgefahr bestünde.
Die belangte Behörde hätte somit bei Vermeidung der genannten Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 19. April 2001
Schlagworte
Parteiengehör Allgemein Parteiengehör Erhebungen ErmittlungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999200433.X00Im RIS seit
29.06.2001