TE AsylGH Bescheid 2008/09/30 B11 221997-6/2008

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Spruch

B11 221.997-6/2008/22E

 

P. L.;

 

geb. 1979, StA.: Türkei;

 

schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten

 

Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates

 

BESCHEID

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Dr. Moritz gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991 i.d.g.F., i.V.m. § 61 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, entschieden:

 

I. Die Berufung von P. L. vom 04.01.2007 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.12.2006, Zahl: 06 05.425-BAG, wird hinsichtlich des Spruchteils I. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, hinsichtlich des Spruchteils II. gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG abgewiesen.

 

II. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides betreffend die Ausweisung von P. L. aus dem österreichischen Bundesgebiet wird ersatzlos behoben.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang

 

Mit o.a. Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden auch: BAA) wurde der Antrag auf internationalen Schutz der o.g. berufenden Partei, Staatsangehörige der Türkei, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG abgewiesen, ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG für zulässig erklärt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG ihre Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgesprochen, wogegen Berufung erhoben wurde. Am 18.06.2007 und am 02.05.2008 führte der unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden auch: UBAS) eine mündliche Verhandlung durch, nach deren Schluss sogleich der Berufungsbescheid mit dem o.a. Spruch beschlossen und öffentlich verkündet wurde.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

Für den als maßgeblich festgestellten Sachverhalt wird der Inhalt folgender den Parteien dieses Verfahrens zugänglichen und auch im Rahmen der öffentlichen Verhandlung der erkennenden Behörde erörterten Aktenteile zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides erklärt, nämlich

 

die Angaben der berufenden Partei zu ihrer Person in der Niederschrift des UBAS vom 27.03.2007, S. 2, Abschnitt: "EL:

Schildern Sie Ihren Lebensweg?" samt darauffolgender Antwort, bis "EL: Seit Jänner oder Feber 2001 waren Sie nicht mehr in der Türkei?" samt Antwort;

 

die Angaben der berufenden Partei zu ihrem Aufenthalt in Österreich in der Niederschrift des UBAS vom 18.06.2007, S. 3, Abschnitt: "Auf Frage des VL gibt der BW an, dass er seit 5 Jahren in Österreich arbeite... an der gleichen Wohnadresse." sowie die Angaben in den durch die berufende Partei am 08.02.2008 vorgelegten Urkunden (s. UBAS-Akt, OZ 14);

 

die Angaben in den Informationsunterlagen (s. ihre Anführung in der Niederschrift der Verhandlung des unabhängigen Bundesasylsenates vom 18.06.2007, S. 3, sowie in der Niederschrift vom 02.05.2008, S. 3 f.), sowie

 

das schriftliche Gutachten des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen Mag. M. A. vom 17.06.2007 (s. Anlage A der Niederschrift des unabhängigen Bundesasylsenats vom 18.06.2007).

 

2. Der festgestellte Sachverhalt beruht auf folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen betreffend die berufende Partei beruhen im Wesentlichen auf ihrem Vorbringen im gesamten Verfahren einschließlich den im Akt befindlichen Dokumenten, nämlich:

 

-) türk. Reisepass und Personalausweis der berufenden Partei, s. BAA-Akt, S. 33 ff.;

 

-) AMS-Arbeitserlaubnis vom Feb. 2004, s. BAA-Akt, S.45 f. (in Kopie auch als Anlage A der Niederschrift vom 02.05.2008 beigefügt);

 

-) Bescheinigung betreffend I. A. vom 13.11.2006, BAA-Akt, S. 127;

 

-) österr. Dokumente betreffend ihrer Scheidung von ihrer österreichischen Gattin am 19.01.2004, s. BAA-Akt, S.177 ff.;

 

-) österr. Meldezettel vom 08.06.2001, s. BAA-Akt, S. 59 ff.;

 

-) AMS-Bescheinigung vom 13.04.2007 zum Bezug der Notstandshilfe, s. Anlage B zur Niederschrift des UBAS vom 18.06.2007;

 

-) türk. Reisepass der berufenden Partei mit Vermerk des Wehrdienstaufschubs, s. Anlage C zur Niederschrift des UBAS vom 18.06.2007;

 

-) Arbeitsbestätigung vom Arbeitgeber der berufenden Partei vom 31.12.2007, s. UBAS-Akt, OZ 14;

 

-) Versicherungsdatenauszug, Stand 13.06.2007 hinsichtlich u.a. der ordentlichen Beschäftigungen der berufenden Partei in Österreich seit 02.07.2001, s. UBAS-Akt, OZ 13;

 

-) Dienstvertrag der berufenden Partei vom 20.12.2007, s. UBAS-Akt, OZ 14;

 

-) Lohn-/Gehaltsabrechung für Jänner 2008, s. UBAS-Akt, OZ 14;

 

-) e-Card der der berufenden Partei (in Kopie als Anlage A der Niederschrift des UBAS vom 02.05.2008 beigefügt);

 

-) ZMR-Auskunft vom 08.04.2008 (in Kopie als Anlage B der o.a. Niederschrift beigefügt);

 

-) AMS-Mitteilung über den Leistungsanspruch vom 18.04.2008 (in Kopie als Anlage C der o.a. Niederschrift beigefügt);

 

-) Versicherungsdatenauszug, Stand 21.04.2008, hinsichtlich u.a. der ordentlichen Beschäftigungen der berufenden Partei in Österreich seit 02.07.2001 (in Kopie als Anlage D der o.a. Niederschrift beigefügt);

 

-) türk. Reisepass der berufenden Partei mit dem Vermerk der österr. Aufenthaltsbewilligung, gültig bis 07.06.2002 (in Kopie als Anlage E der o.a. Niederschrift beigefügt).

 

Für die Glaubwürdigkeit der Angaben der berufenden Partei im Lichte des oben festgestellten maßgeblichen Sachverhaltes (s. Pt. II.1.) sprach, dass diese im Wesentlichen widerspruchsfrei waren bzw. etwaige aufgetretene Ungereimtheiten letztlich so weit nachvollziehbar aufgeklärt werden konnten, dass die Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben nicht überwiegten. Auch die dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen über die politische und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei lassen nicht den Schluss zu, dass dieses Vorbringen - insbesondere im Hinblick auf ihre Person und ihre Familienverhältnisse sowie den Umstand ihres Wehrdienstaufschubs - unwahr ist. Zudem bestätigen auch die Ausführungen des Sachverständigen in dessen o.a. Gutachten die (mutmaßliche) Korrektheit der betreffenden Angaben der berufenden Partei. Schließlich konnte die berufende Partei vor allem durch die Vorlage zahlreicher Unterlagen ihr Vorbringen bezüglich ihrer Integration (vor allem auf dem Arbeitsmarkt) in Österreich untermauern. In Würdigung aller Umstände überwiegen im Ergebnis diejenigen, die für eine Heranziehung des angeführten Vorbringens der berufenden Partei als maßgeblichen Sachverhalt für die gegenständliche Entscheidung sprechen (vgl. UNHCR, Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, 1979, Rz. 203, mit dem Hinweis, nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Antragsteller" zu verfahren).

 

Dem darüber hinausgehenden Vorbringen der berufenden Partei zu den von ihr behaupteten Fluchtgründen konnte nicht gefolgt werden. Ihre Angaben waren in den maßgeblichen Punkten - vor allem im Hinblick auf die nicht näher ausgeführten "Probleme" an der Universität in der Türkei (s. Niederschrift des UBAS vom 27.03.2007, S. 3) - unkonkret, unbestimmt und undetailliert. Konkrete Übergriffe, die es im Zuge dieser "Probleme" von privater oder offizieller Seite gegeben hätte, brachte die berufende Partei nicht vor, und es bestand nach ihren diesbezüglich vagen Ausführungen auch kein hinreichender Grund, derartige physische Übergriffe anzunehmen.

 

2.2. Der von der erkennenden Behörde festgestellte Sachverhalt hinsichtlich der politischen und Menschenrechtslage im Herkunftsstaat der berufenden Partei bzw. bezüglich ihrer Situation im Falle ihrer Rückkehr in diesen Staat beruht im Wesentlichen auf dem schriftlich erteilten Gutachten des o.g. Sachverständigen vom 17.06.2007, das u.a. den Gegenstand der Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat am 24.05.2007 bildete (s. Pt. II.1.) sowie auf den stellvertretend für andere Informationsunterlagen in das Berufungsverfahren eingeführten und erörterten Berichten und Gutachten von als seriös und fachlich-kompetent anerkannten Quellen (s. Pt. II.1.; zu den in diesen Unterlagen angeführten und auch vom Bundesasylamt sowie vom unabhängigen Bundesasylsenat als speziell eingerichtete Bundesbehörden als notorisch anzusehenden und daher jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigenden Tatsachen vgl. die einschlägige Judikatur z.B. VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365, und VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; zu den laufenden Ermittlungs- bzw. Informationspflichten der Asylbehörden VwGH 06.07.1999, Zl. 98/01/0602, u.v.a.).

 

Die den Feststellungen zugrunde liegenden Ausführungen sind mit weiteren Nachweisen substantiiert, schlüssig und nachvollziehbar. Auf eine Ausgewogenheit von sowohl amtlichen bzw. staatlichen als auch von nichtstaatlichen Quellen, die auch aus verschiedenen Staaten stammen, wurde Wert gelegt. Zudem wird die Seriosität und Aktualität der oben zitierten Ausführungen des im Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen durch die ausführlichen und differenzierenden, auf die besonderen Umstände im Herkunftsstaat der berufenden Partei eingehenden Angaben bestätigt. Seine Fachkompetenz wurde bereits durch seine in einer Vielzahl von Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nicht nur beim erkennenden Mitglied erstatteten nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten über die aktuelle Lage im Herkunftsstaat der berufenden Partei unter Beweis gestellt - und wird auch durch seine berufliche Laufbahn unterstrichen. Auch bediente er sich für seine Ermittlungen vor Ort im Herkunftsstaat der berufenden Partei dort tätiger Juristen und Anwälte, an deren Qualifikation und Seriosität auf Grund der dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen zu deren Person keine Zweifel hervorkamen. Der Sachverständige ist österreichischer Staatsbürger kurdischer Herkunft, der in der Türkei geboren und aufgewachsen ist. Er absolvierte sein Studium der Politikwissenschaft an der Universität Wien, bei der er anschließend als Referent tätig war. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Experte für die politische und menschenrechtliche Situation in der Türkei ist er u. a. als Mitarbeiter bei der "Gesellschaft für bedrohte Völker" sowie als Vertrauensperson beim "Helsinki Komitee" und bei "Amnesty International-Sektion Österreich" beschäftigt. Ferner weist er eine Vielzahl an Publikationen zu seinem Fachgebiet auf. Seit 2004 wird er als Sachverständiger vom unabhängigen Bundesasylsenat beigezogen. Er verfügt bis heute über gute Kontakte mit türkischen Rechtsanwälten (deren Hilfe er sich auch für seine Ermittlungstätigkeiten in der Türkei bedient) und demokratischen Kräften in der Türkei.

 

Die Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen erfolgte auch vor dem Hintergrund der Angaben der sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen (s. u.a. auch die anderen in das Berufungsverfahren eingeführten o.a. Unterlagen). Ihre Aussagen ergeben zusammen mit den in diesen Dokumenten angeführten und mit weiteren Nachweisen versehenen Angaben sowie auch mit den sonstigen dem unabhängigen Bundesasylsenat vorliegenden Informationen insofern ein stimmiges Gesamtbild, als die vom Sachverständigen getroffenen Differenzierungen bei der Einschätzung der Verfolgungssituation bestimmter Personengruppen auch von diesen Quellen bestätigt werden (bzw. sich zumindest innerhalb des Spektrums der zu diesem Thema geäußerten Beurteilungen befinden).

 

Die herangezogenen Bescheinigungsmittel wurden im Hinblick sowohl auf ihre Anerkennung als seriöse und zuverlässige Quellen als auch auf ihre inhaltliche Richtigkeit von den Parteien dieses Verfahrens nicht bestritten bzw. sind diesbezüglich keine Zweifel hervorgekommen. Weiters wurden im Verfahren von den Parteien keine Umstände vorgebracht und haben sich bisher keine Anhaltspunkte ergeben, auf Grund derer sich die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat der berufenden Partei in nachvollziehbarer Weise als unrichtig erwiesen hätten.

 

3. Rechtlich ergibt sich:

 

Mit 01.07.2008 hat der Gesetzgeber den Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art. 129c ff. B-VG. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z. 1 B-VG wird mit 01.07.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Laut Z. 4 leg. cit. sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o. a. Spruch am 02.05.2008 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 AsylG 2005 i.V.m. § 1 AsylG 2005 ist das Asylgesetz 2005 auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Da die berufende Partei ihren Antrag auf internationalen Schutz am 20.05.2006 stellte, findet im gegenständlichen Verfahren das Asylgesetz 2005 Anwendung.

 

3.1. Zu Spruchpunkt I.

 

3.1.1.1. Gemäß § 3 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, i. V.m. Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und sich nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obige Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der [...] in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, u.a.m., S.a. VfGH 16.12.1992, Zl. B 1035/92, Slg. 13314).

 

3.1.1.2. Die o.a. Feststellungen (s. Pt. II.1.) zugrundelegend kann hinreichend davon ausgegangen werden, dass der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in diesem Staat keine asylrelevante Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht (s. für viele VwGH 19.04.2001, Zl. 99/20/0273). Diese Beurteilung ergibt sich auf Grund der Gesamtsituation aus objektiver Sicht (s. hierzu VwGH 12.05.1999, Zl. 98/01/0365), die nicht nur die individuelle Situation der berufenden Partei, sondern auch die generelle politische Lage in ihrem Herkunftsstaat sowie die Menschenrechtssituation derjenigen Personen bzw. Personengruppe berücksichtigt, deren Fluchtgründe mit ihren vergleichbar sind.

 

Zwar darf nicht übersehen werden, dass im Herkunftsstaat der berufenden Partei willkürliche Übergriffe von Seiten der Behörden oder von Privatpersonen bzw.

 

-gruppierungen nicht ausgeschlossen werden können. Doch erfolgen diese nicht in einer Weise, dass durch ihre Regelmäßigkeit oder Häufigkeit jedermann bzw. -frau mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer diesbezüglichen Verfolgungsgefahr zu rechnen hat (s. in ständiger Judikatur etwa VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858, 19.10.2000, Zl. 98/20/0233, wonach eine Verfolgungsgefahr dann anzunehmen sei, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohe; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung reiche nicht aus; vgl. für viele VwGH 30.09.1997, Zl. 97/01/0755, 14.10.1998, Zl. 98/01/0260, wonach die allgemeine Gefahr der Bevölkerung, Opfer von Übergriffen zu werden, keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung indiziere; s.a. VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177 u.a., dass ein lückenloser Schutz vor privater Verfolgung naturgemäß nicht gewährleistet werden könne, weshalb dem Fehlen eines solchen auch keine Asylrelevanz zukomme, sowie schließlich z.B. VwGH 13.01.1999, Zl. 98/01/0366, dass am Fehlen der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer individuell dem Beschwerdeführer drohenden Verfolgung mit asylrelevanter Intensität auch der Hinweis darauf nichts ändern könne, es geschehe allgemein immer wieder, dass es zu größeren Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Umbringen von Personen komme; s.a. etwa VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798, wonach allein aus der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit bzw. aus dem Hinweis auf deren schlechter allgemeinen Situation nicht das Vorliegen von Verfolgung i.S.d. GFK abgeleitet werden kann). Auch ist zu berücksichtigten, dass die Opfer dieser Übergriffe regelmäßig Menschen sind, bei denen in ihrer Person Umstände vorlagen, die eine konkrete, individuell gegen sie gezielte Verfolgung durch ihre Gegner, d.h. gerade gegen sie persönlich gerichtete Angriffe hervorriefen. Solche eventuell im Lichte der GFK relevanten Umstände liegen allerdings bei der berufenden Partei nicht vor bzw. konnten von ihr nicht glaubhaft gemacht werden (s. die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden müssen, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar sei, z.B. VwGH 05.12.1990, Zl. 90/01/0202, 05.06.1991, Zl. 90/01/0198). Auch andere die Annahme asylrelevanter Verfolgung begründende Umstände sind nicht hervorgekommen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe; s. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0287, 12.05.1999, Zl. 98/01/0576, 16.06.1999, Zl. 99/01/0072, u.v.m., oder wegen Sippenhaft, vgl. dazu z.B. VwGH 28.03.1996, Zl. 95/20/0027). Im Übrigen wird hinsichtlich der Situation der berufenden Partei im Falle ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auch auf die oben wiedergegebenen Ausführungen zur dortigen politischen und Menschenrechtssituation erwiesen (s. Pt. II.1.).

 

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation, könne nach ständiger Judikatur auch nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (s. dazu etwa VwGH 17.06.1993, Zl. 92/01/1081, wonach die allgemeine wirtschaftliche Lage im Heimatland eines Asylwerbers nicht als konkret gegen eine bestimmte Person gerichtete Verfolgung gewertet werden könne, oder VwGH 22.04.1998, Zl. 96/01/0502, der die Eignung wirtschaftlicher Gründe zur Begründung der Flüchtlingseigenschaft abspricht).

 

Wie ausgeführt, konnte die berufende Partei keine Umstände darlegen, aus denen eine begründete Furcht vor Verfolgung zu erkennen wäre. Ihre angeblichen "Probleme" auf der Universität konnte sie aufgrund der diesbezüglich vagen und unkonkreten Angaben nicht glaubhaft machen. Probleme sind im vorliegenden Fall nur insoweit annehmbar, als die berufende Partei auf der Universität in ihrem Herkunftsland (vereinzelten) Diskriminierungen bzw. einer Geringschätzung durch bestimmte Studienkollegen oder Professoren ausgesetzt gewesen sein mag. Selbst bei Annahme solcher Schlechterstellungen ist jedoch festzuhalten, dass diesen keine Asylrelevanz zukommt (s.a. VwGH 14.03.1995, Zl. 94/20/0798, wonach allein aus der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit bzw. aus dem Hinweis auf deren schlechter allgemeinen Situation nicht das Vorliegen von Verfolgung i. S.d. Genfer Flüchtlingskonvention abgeleitet werden kann - in Bezug auf einen Asylwerber, der der kurdischen Bevölkerung in der Türkei angehört; VwGH 17.02.1993, Zl. 92/01/0605, wonach unter dem Gesichtspunkt der Intensität des Eingriffes darauf zu verweisen ist, dass Erschwerungen des wirtschaftlichen Fortkommens und eine beengte Wohnsituation im allgemeinen keine Fluchtgründe darstellen, sowie VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0177, wonach ein lückenloser Schutz vor privater Verfolgung naturgemäß nicht gewährleistet werden, könne, weshalb dem Fehlen eines solchen auch keine Asylrelevanz zukomme). Wie sich aus den Stellungnahmen und dem Gutachten des dem Berufungsverfahren beigezogenen Sachverständigen ergibt, droht auch aus der Tatsache ihrer bisherigen nicht erfolgten Ableistung ihres Wehrdienstes in der Türkei der berufenden Partei keine Verfolgung. Sie erhielt bislang einen Aufschub ihres Wehrdienstes, sodass sich diesem nicht illegal entzog, was anderenfalls ein Strafverfahren nach dem türkischen Strafgesetzbuch nach sich ziehen würde. Da die berufende Partei schließlich auch exilpolitisch nicht aufgefallen ist, ist eine Gefahr vor Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat nicht zu erkennen.

 

3.1.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten demnach zuzuerkennen - und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung eines Fremden folglich unzulässig - wenn dieser dadurch der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würde (Art. 3 EMRK), wenn sein Recht auf Leben verletzt würde (Art. 2 EMRK) oder ihm die Vollstreckung der Todesstrafe drohen würde (Art. 1 des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK).

 

Zu § 8 AsylG 2005 kann die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 Abs. 1 AsylG 1997 i.V.m. § 57 Abs. 1 FrG als Auslegungsbehelf herangezogen werden. Da sich § 57 Abs. 1 FrG in der durch BGBl. I Nr. 126/2002 geänderten Fassung inhaltlich weitgehend mit § 57 Abs. 1 FrG in der ursprünglichen Fassung (BGBl. I Nr. 75/1997) deckt und die Neufassung im Wesentlichen nur der Verdeutlichung diente, kann die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 57 Abs. 1 FrG i.d.F. BGBl. I Nr. 75/1997 weiterhin als Auslegungsbehelf herangezogen werden. Zur Auslegung des § 57 FrG ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum inhaltsgleichen § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Berufungswerber betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, m.w.N.). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung i.S.d. § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

3.1.2.2. Wenngleich im Herkunftsstaat der berufenden Partei für diese eine angespannte wirtschaftliche und soziale Lage bestehen mag, haben sich aus den o.g. Informationsquellen keine Hinweise auf eine allgemeine lebensbedrohende Notlage i.S.d. Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK i.V.m. § 57 Abs. 1 FrG ergeben (s. Urteil des EGMR in D vs. Vereinigtes Königreich vom 02.05.1997, wonach nur unter "außergewöhnlichen Umständen" - z.B. fehlende medizinische Behandlung bei lebensbedrohender Erkrankung - auch von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertretende lebensbedrohende Ereignisse ein Abschiebungshindernis i.S.v. Art. 3 EMRK i.V.m. § 57 Abs. 1 FrG darstellen können; s.a. für viele VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0365, wonach auch eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in den Staat, in dem diese Gefahrenlage herrscht, abgeschoben wird, auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei der konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der auch durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen könne). Auch sonstige individuell in der Person der berufenden Partei liegende Umstände, die auf eine sie treffende Gefahr i.S.d. Art. 3 EMRK i.V.m. § 57 Abs. 1 FrG hinweisen könnten, kamen nicht hervor bzw. liegen nicht vor (zur Relevanz der Bedrohung der Existenzgrundlage im Rahmen einer Prüfung nach § 57 FrG vgl. auch VwGH 27.02.1998, Zl. 96/21/0663, 08.09.1999, Zl. 98/01/0614; s. z.B. VwGH 16.07.2003, ZI. 2003/01/0021 etwa im Zusammenhang mit fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten und nicht ausreichender Nahrungsversorgung von Asylwerbern; diesbezüglich insbesondere bei Mütter mit Kleinkindern oder kranken und alten Menschen s.a. z.B. VwGH 16.07.2003, ZI. 2003/01/0059). In diesem Zusammenhang ist für die erkennende Behörde auch kein Anhaltspunkt ersichtlich, warum die berufende Partei als körperlich nicht beeinträchtigter junger Mann keine Arbeit zur Sicherung ihrer Existenz in der Türkei finden könnte.

 

Die berufende Partei vermochte daher nicht im Lichte der einschlägigen Judikatur, eine Gefahr i.S.d. § 57 Abs. 1 (und - wie auch bereits oben angeführt - i.S.d. Abs. 2) FrG glaubhaft zu machen bzw. durch Bescheinigungsmittel zu belegen. Vor dem Hintergrund der oben getroffenen Feststellungen (s. Pt. II.1.) finden sich somit keine Anhaltspunkte dafür, dass die berufende Partei bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit, einer Gefährdungssituation i.S.d. § 57 Abs. 1 (bzw. Abs. 2) FrG ausgesetzt wäre.

 

3.2. Zu Spruchpunkt II.

 

3.2.1. Ist ein Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, hat gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. die Behörde diesen Bescheid mit der Ausweisung zu verbinden.

 

Dabei sind Ausweisungen gemäß § 10 Abs. 2 Z. 2 AsylG unzulässig, wenn diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Die Ausweisentscheidung hat zielstaatsbezogen formuliert zu sein, eingeschränkt auf jenen Staat, hinsichtlich dessen die Refoulement-Prüfung erfolgte (s. VwGH 30.06.2005, Zl. 2005/20/0108).

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.

 

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.2.2. Beim Ausspruch der Ausweisung ist folglich ein möglicher Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienleben (Art. 8 Abs. 1 EMRK) zu beachten.

 

Das Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK schützt die unmittelbare, intime Sphäre eines Menschen; das ist der Bereich, in dem Menschen ihre spezifischen Interessen und Neigungen sowie ihre Beziehungen zu anderen Menschen entfalten. Auch die Störung der Beziehungen zu anderen Menschen durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen ist ein Eingriff (vgl. z.B. VfSlg. 10.737, 11.455).

 

Das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie und wird weit verstanden. Es schützt eheliche Beziehungen samt Kindern ohne Rücksicht auf ein tatsächliches Zusammenleben (vgl. etwa EGMR 21.06.1988, Berrehab). Außereheliche Lebensgemeinschaften sind geschützt, wenn das Zusammenleben eine gewisse Intensität aufweist (vgl. EGMR 18.12.1986, Johnston). Es umfasst jedenfalls auch alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (EGMR 27.10.1994, Kroon; VfGH 28.06.2003, G 78/00). Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (EGMR 13. 6. 1979, Marckx; 23. 4. 1997, X, Y u. Z gegen das Vereinigte Königreich). Bei dem Begriff "Familienleben i.S.d. Art. 8 EMRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention.

 

Im Bereich aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist vor allem die Ausweisung einzelner Familienmitglieder relevant (EGMR 26.03.1992, Beldjoudi). Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie aber lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder, nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR, 20.03.1991, Cruz Varas).

 

Im Verfahren sind keine Umstände hervorgekommen, wonach die berufende Partei ein Familienleben i.S.d. Art. 8 Abs. 1 EMRK in Österreich führt. Es liegt somit durch die Ausweisung kein Eingriff in das Recht auf Familienleben vor.

 

3.2.3. Es kann allerdings ein Eingriff in das Recht auf Privatleben gegeben sein. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist ein Eingriff in das Grundrecht auf Privat- und Familienleben zulässig, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 2 genannten Ziele notwendig ist. Die zitierte Vorschrift nennt als solches Ziel u.a. die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, worunter nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch die geschriebene Rechtsordnung zu subsumieren ist. Die für den Aufenthalt von Fremden maßgeblichen Vorschriften finden sich - abgesehen von den spezifischen Regelungen des AsylG - seit 01.01.2006 nunmehr im NAG bzw. FPG. Die geordnete Zuwanderung von Fremden ist für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung. Diese Wertung des Gesetzgebers geht auch aus dem Fremdenrechtspaket 2005 klar hervor. Demnach ist es gemäß den nun geltenden fremdenrechtlichen Bestimmungen für einen Asylwerber grundsätzlich nicht mehr möglich, seinen Aufenthalt vom Inland her auf Antrag zu legalisieren, da eine Erstantragsstellung für solche Fremde nur vom Ausland aus möglich ist. Wie aus dem 2. Hauptstück des NAG ersichtlich ist, sind auch Fremde, die Familienangehörige von in Österreich dauernd wohnhaften österreichischen Staatsbürgern sind, davon nicht ausgenommen. Ein Ausnahmetatbestand gemäß § 21 NAG und damit Zulässigkeit einer Inlandsantragsstellung liegt hier auch nicht vor. Bei rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ist die berufende Partei somit nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Es bleibt ihr aber unbenommen - wie anderen Fremden auch - vom Ausland aus einen Aufenthaltstitel zu beantragen.

 

Nach der ständigen Rechtssprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, u.v.a.).

 

Dem Verwaltungsgerichtshof zufolge würde ein beharrliches illegales Verbleiben eines Fremden nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens bzw. ein länger dauernder illegaler Aufenthalt eine gewichtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen darstellen, was eine Ausweisung als dringend geboten erscheinen lasse (VwGH 31.10.2002, Zl. 2002/18/0190). Ferner sei nach dieser Rechtssprechung für die Notwendigkeit einer Ausweisung von Relevanz, ob der Fremde seinen Aufenthalt vom Inland her legalisieren könne. Sei das nicht der Fall, könne sich der Fremde bei der Abstandnahme von der Ausweisung unter Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen den tatsächlichen (illegalen) Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer verschaffen, was dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenrechts zuwiderlaufen würde.

 

Der Ausspruch einer Ausweisung bedeutet mit deren Durchsetzbarkeit für den Fremden die Verpflichtung Österreich unverzüglich zu verlassen. Nur im Falle der Verhängung einer Ausweisung kann die Sicherheitsbehörde diese, im Interesse eines geordneten Fremdenwesens notwendige Ausreiseverpflichtung erforderlichenfalls - d. h. mangels Freiwilligkeit des Fremden - auch durch eine behördliche Maßnahme durchsetzen.

 

Zur Gewichtung der öffentlichen Interessen sei ergänzend das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 17.03.2005, G 78/04, u. a. erwähnt, in dem dieser erkennt, dass auch das Gewicht der öffentlichen Interessen im Verhältnis zu den Interessen des Fremden bei der Ausweisung von Fremden, die sich etwa jahrelang legal in Österreich aufgehalten haben, und Asylwerbern, die an sich über keinen Aufenthaltstitel verfügen und denen bloß während des Verfahrens Abschiebeschutz zukommt, unterschiedlich zu beurteilen seien.

 

Schließlich ist auch auf die ständige Rechtssprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes zu verweisen, wonach es den Vertragsstaaten zukomme, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, insbesondere in Ausübung ihres Rechts, nach anerkanntem internationalem Recht und vorbehaltlich ihrer vertraglichen Verpflichtungen, die Einreise und den Aufenthalt von Fremden zu regeln. Die Entscheidungen in diesem Bereich müssen insoweit, als sie in ein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht eingreifen, in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, d.h. durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und vor allem dem verfolgten legitimen Ziel gegenüber verhältnismäßig sein (zu all dem s. z.B. auch UBAS 16.05.2006, Zl. 268.812/0-XVII/55/06; 19.05.2006, Zl. 268.163/13-XIII/66/06).

 

Im vorliegenden Fall erwiese sich eine Ausweisung der berufenden Partei jedoch als gegenüber dem dargelegten Ziel eines geordneten Zuwanderungswesens unverhältnismäßig. Die berufende Partei ist bereits seit Anfang 2001 und damit bereits seit über sieben Jahren durchgehend in Österreich aufhältig. Sie führte eine Ehe und vermochte sich auch - trotz zwischenzeitiger Arbeitslosigkeit - am allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Es liegt darüber hinaus kein Hinweis vor, dass die berufende Partei in Österreich bereits strafgerichtlich verurteilt worden sei. Daraus ist daher ersichtlich, dass die privaten Interessen der berufenden Partei die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten Interessen überwiegen, von welchen im Wesentlichen nur das wirtschaftliche Wohl des Landes, das auch das Interesse an einer geordneten Zuwanderung mitumfasst, ins Treffen geführt werden konnte.

 

Da solcherart das Interesse an der Aufrechterhaltung des Privatlebens der berufenden Partei in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiegt, erweist sich die Ausweisung als unzulässig. Die im angefochtenen Bescheid verfügte Ausweisung war demnach ersatzlos zu beheben.

 

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Diskriminierung, Glaubhaftmachung, Militärdienst, non refoulement, Spruchpunktbehebung-Ausweisung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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