TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/30 A9 229131-0/2008

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Spruch

A9 229.131-0/2008/9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Vorsitzende und den Richter Dr. Pipal als Beisitzer über die Beschwerde von O.R., geb. 00.00.1982, StA. Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.05.2002, GZ. 02 04.642-BAT, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.09.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) und § 8 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I.1. Die Beschwerdeführerin brachte nach ihrer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 18.02.2002 den gegenständlichen Asylantrag ein.

 

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26.04.2002 gab die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen folgendes an (Seite 29-33 des erstinstanzlichen Aktes):

 

"Ich war nie Mitglied einer politischen Partei oder einer bewaffneten Gruppierung.

 

Ich bin weder vorbestraft noch habe ich strafbare Handlungen begangen.

 

Frage: Können Sie konkrete, gegen Ihre Person gerichtete Verfolgungshandlungen aus politischen, religiösen, rassischen, ethnischen oder sozialen Gründen angeben?

 

Antwort: Bis November 2001 hatte ich keinerlei Probleme. Im November ist mein Vater verstorben. Ich war zu Hause im Elternhaus und es kamen einige Leute. Im Elternhaus wohnte noch mein Onkel väterlicherseits. Der Onkel teilte mir mit, dass diese Leute mich sprechen wollten. Sie sprachen von einer Versammlung.

 

Ich fragte was damit gemeint ist, und sie sagten dass sie der Ogboni Sekte angehören. Sie meinten sie würden uns bei der Bestattung des Vaters helfen und am Begräbnis teilnehmen. Dann gingen diese Leute weg. Das Begräbnis war für den 5. Dezember 2001 anberaumt. Die Sektenmitglieder haben den Leichnam gebadet, gereinigt, bekleidet und auf das Bett gelegt. Dann forderten sie uns auf, das Zimmer zu verlassen. Ich wollte aber nicht hinausgehen, sie sagten dass der Leichnam ihnen gehöre. Ich habe geweint, einige der Anwesenden sagten, dass die Männer im Zimmer jetzt Körperteile entfernen würden. Ich hörte dies obwohl ich weinte. Dann sagten die Mitglieder ich darf wieder dabei sein und die Leiche wurde begraben. Ich habe das Leintuch heruntergenommen und sah, sein Kopf war nicht wie früher. Ich wollte meinen Vater ein letztes Mal küssen. Dann wurde mein Vater begraben. Zwei Wochen nach dem Begräbnis kamen Sektenmitglieder zu mir. Sie sagten ich müsse jetzt der Sekte beitreten, weil mein Vater Mitglied war. Ich lehnte dies ab. Sie gaben mir zwei Wochen Zeit zum Nachdenken. Dann kamen sie wieder. Sie fragten mich, ob ich jetzt mit Ihnen mitgehen würde. Ich verneinte dies und sagte, ich bin Christin. Dann gingen sie weg.

 

Frage: Wann haben Sie Nigeria verlassen?

 

Antwort: Am 10. Jänner 2002. Wann waren die Männer das erste Mal bei Ihnen?

 

Antwort: Dies war am 20. Dezember.

 

Frage: Wann sind die Männer wieder gekommen?

 

Antwort: Dies war am 29. Dezember 2001.

 

Frage: Was wollten die Männer von Ihnen?

 

Antwort: Als sie am 29. Dezember von mir hörten, dass ich nicht beitreten wollte, boten sie mir ihre Hilfe an. Sie sagten ich soll ihnen folgen deswegen ging ich mit Ihnen mit. Wir fuhren in ihrem Auto, mein Onkel fuhr auch mit. Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass ich nicht mehr sehen kann. Sie hatten irgendetwas in meine Augen geblasen. In der Nähe eines Busches setzten sie mich ab. Dann wurde ich an einen großen Baum gefesselt. Sie sagten ich hätte zwei Tage Zeit und danach würden sie wieder kommen. Wenn ich nach zwei Tagen wieder Nein sage, dann würden sie mich töten. Ich habe geweint und sie sind weggefahren. Dann sah ich einen Mann im Busch, er war ein Jäger. Der Mann fragte mich, warum ich am Baum gefesselt bin und ich erzählte von der Sekte. Er hat mich dann befreit. Er brachte mich nicht zu seinem Haus und schickte mich zu seinem Bruder nach Lagos. Er erzählte ihm meine Probleme. Ein Freund des Bruders hat mich dann auf ein Schiff gebracht und ich habe das Land verlassen.

 

Frage: Wie lange konnten Sie nicht sehen?

 

Antwort: Ca. zwei Stunden. Anfangs habe ich noch trüb gesehen.

 

Vorhalt: Die Ogbonigesellschaft ist eine verboten Organisation und wird von Seiten der Regierung verfolgt. Wieso haben Sie sich nicht an die Behörden gewendet?

 

Antwort: Viele Polizisten und Militärangehörige gehören der Sekte an.

 

Frage: Wieso haben Sie sich nicht innerhalb Nigerias in einen anderen Landesteil begeben?

 

Antwort: Überall in Nigeria hat diese Sekte ihre Mitglieder.

 

Vorhalt: Nicht überall in Nigeria wissen die Leute, dass Sie vor der Sekte geflohen sind.

 

Antwort: Die arbeiten alle zusammen. Vielleicht erfahren sie dies einfach.

 

Frage: Was würde geschehen, wenn Sie wieder nach Nigeria zurückkehren würden?

 

Antwort: Sie würden mich töten. Sonst kann ich dazu nichts sagen Ich habe den Dolmetsch einwandfrei verstanden. Die Niederschrift wurde mir rückübersetzt und ich habe dieser nichts hinzuzufügen.

 

Ich bestätige dies mit meiner Unterschrift."

 

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG abgewiesen und II. festgestellt, dass ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der im Wesentlichen das bisherige Vorbringen wiederholt wird.

 

II. Der Asylgerichtshof führte am 30.09.2008 eine mündliche Verhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin unter Beiziehung eines Dolmetschers für die englische Sprache einvernommen wurde. Der genaue Verhandlungsverlauf ist der Verhandlungsniederschrift (OZ 7) zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin wiederholte im Wesentlichen ohne Abweichungen die schon in der erstinstanzlichen Einvernahme dargelegten Fluchtgründe und führte zu ihrem persönlichen Umfeld ergänzend aus, dass sie (wie auch ihre Familie) Benin-Angehörige sei, im Dorf O. (Edo-State) im gemeinsamen Haushalt mit Ihren Eltern und der jüngeren Schwester gelebt und noch einen Onkel väterlicherseits habe, der ebenfalls im Haus ihres Vaters gewohnt habe. Sie habe die Grundschulausbildung, habe der Familie in der Landwirtschaft geholfen und als Händlerin die auf der Farm ihrer Familie erwirtschafteten Produkte verkauft. Ihre Familie sei nicht reich gewesen.

 

III. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Zur Person und den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin wird festgestellt:

 

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Nigeria, gehört der Volksgruppe der Benin an und lebte vor ihrer Ausreise in einem Dorf in Edo State, wo sie als Verkäuferin landwirtschaftlicher Produkte tätig war. Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Fluchtgründe (Bedrohung durch ihr unbekannte Mitglieder der Ogbonis wegen ihrer Weigerung, dieser Geheimgesellschaft als Nachfolgerin ihres verstorbenen Vaters beizutreten) werden mangels Plausibilität nicht festgestellt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre. Es konnten auch keine konkreten Gründe festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin Gefahr liefe, in Nigeria einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

 

1.2. Zur politischen und menschenrechtlichen Situation in Nigeria werden folgende Feststellungen getroffen:

 

Die Situation in Nigeria ist grundsätzlich ruhig, die Staatsgewalt (Polizei und Justiz) funktionsfähig. Anzumerken ist jedoch, dass die nigerianische Bundespolizei in personeller Hinsicht im Vergleich zu westlichen Staaten relativ schlecht ausgestattet und verschiedentlich auch mangelhaft ausgebildet ist, weshalb in einzelnen Bundesstaaten so genannte Bürgerwehren polizeiliche Aufgaben übernommen haben. In einzelnen Landesteilen Nigerias (z. B. in den nördlichen Bundesstaaten Kano und Kaduna) kommt es wiederholt zu religiös motivierten Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems. Weiters kommt es im Niger-Delta verschiedentlich zu Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Volksgruppen. In bestimmten Fällen wurde das Militär zur Niederschlagung von Unruhen eingesetzt. Abgesehen von diesen lokal begrenzten Auseinandersetzungen ist die Situation in Nigeria jedoch ruhig. Im Zuge der Gouverneurs- und Präsidentenwahlen 2007 kam es in einzelnen Landesteilen zu mittlerweile beendeten Unruhen, es herrscht kein Bürgerkriegszustand.

 

Die im Mai 1999 in Kraft getretene nigerianische Verfassung verfügt im Kapitel V über einen Grundrechtskatalog, der sich an den einschlägigen völkerrechtlichen Instrumenten orientiert. Die nigerianische Regierung bekennt sich auch politisch zum Schutz der Menschenrechte und zählt diesen zu den Prioritäten des Regierungshandelns. Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit, definiert Nigeria als säkularen Staat und verbietet es dem Bundesstaat oder einzelnen Staaten, eine Religion zur Staatsreligion zu machen.

 

Grundsätzlich kann, insbesondere wegen des fehlenden Registrierungswesens, örtlich begrenzten Konflikten bzw. Verfolgungsmaßnahmen durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden. Alle nigerianischen Großstädte sind multi-ethnisch. In der Regel wohnen die Angehörigen der jeweiligen Volksgruppe möglichst in derselben Gegend, wenn sie nicht sogar ausschließlich ganze Stadtviertel belegen. Jeder der fremd in eine Stadt kommt, wird sich in die Gegend begeben, wo er "seine Leute" findet. Unter "seinen Leuten" können nicht nur Angehörige derselben Ethnie, sondern auch Personen desselben Religionsbekenntnisses, Absolventen derselben Schule oder Universität, Bewohner desselben Dorfes oder derselben Region verstanden werden. Von diesen Personengruppen kann der Betreffende Unterstützung erwarten. In der Regel wird ihm die Bestreitung des Lebensunterhaltes ermöglicht werden.

 

Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass abgelehnte Asylwerber bei der Rückkehr nach Nigeria nach Beantragung von Asyl in einem westeuropäischen Land mit staatlichen Repressionen zu rechnen hätten. Außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise (z. B. Verhaftung) von abgeschobenen oder freiwillig ausgereisten Asylwerbern sind bisher nicht bekannt geworden. Die Basisversorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln ist zumindest im städtischen Bereich grundsätzlich gewährleistet. In den Großstädten ist eine ausreichende medizinische Versorgungslage gegeben, es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser.

 

1.3. Zu traditionellen Religionen und Geheimkulten werden folgende Feststellungen getroffen:

 

In Nigeria wird vielfach an Magie (Zauberei, Juju) geglaubt. Viele Volksgruppen Nigerias bekennen sich auch zu - regional unterschiedlichen - traditionellen Religionen. Diese werden teilweise neben der christlichen oder der islamischen Religion praktiziert. Ritualmorde und Menschenopfer sollen früher praktiziert worden sein. Heute sollen Menschenopfer im Zuge von religiösen Zeremonien hingegen nicht mehr vorkommen. Jedoch kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass es auch heute noch in Nigeria zu Gewalttaten mit religiöser oder ritueller Komponente kommt. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass solche Straftaten von den staatlichen Organen geduldet bzw. nicht verfolgt würden. Beispielsweise wurden im Jahr 2003 vom nigerianischen Höchstgericht Todesurteile gegen sieben Personen, denen Beteiligung an einem so genannten Ritualmord vorgeworfen wurde, bestätigt. Ritualmord oder der Besitz von Leichen, Leichenteilen oder menschlichem Blut ohne entsprechendes medizinisches Zertifikat ist in manchen Bundesstaaten sogar ein eigener Straftatbestand.

 

In Nigeria existieren Geheimkulte, deren bekanntester die Ogboni-Gesellschaft ist. Die Bedeutung der Geheimkulte liegt darin, dass die Mitgliedschaft häufig Ressourcen, Einfluss und Arbeit sichert und Bestandteil der sozialen Integration ist und damit über Leben und Status der jeweiligen Familie bestimmt. Normalerweise liegt keine Zwangsmitgliedschaft vor, doch fühlen sich viele Personen - in der Regel von der eigenen Familie - auf Grund der Vorteile, die ein Beitritt zu einem Geheimkult mich sich bringt, unter Druck gesetzt. Die Geheimgesellschaften akzeptieren nicht jedermann, sondern laden Mitglieder angesehener Familien zum Beitritt ein. Auf Unwillige, nur durch Zwang rekrutierte Mitglieder wird in der Regel kein Wert gelegt. Allenfalls kann derjenige, der sich weigert beizutreten, sein Eigentum und Erbe verlieren, muss aber nicht um sein Leben fürchten. Verfolgung durch einen Geheimkult ist allerdings dann zu befürchten, wenn jemand seine Geheimnisse preisgibt. Diese Geheimnisse sollen sich nicht auf die Namen der Mitglieder beziehen, da diese in der Regel ohnehin allgemein bekannt sind, sondern auf die Entscheidungen und Interna der Geheimgesellschaft. Wenn ein Mitglied des Geheimkultes diesen verlassen will, dann führt dies nicht zwangsläufig zu nachteiligen Auswirkungen oder einer Verfolgung. Geheimkulte beziehen einen Teil ihrer Macht aus dem verbreiteten Glauben daran, dass ihnen übernatürliche Kräfte zukommen.

 

Der Ogboni-Bund ist - als "traditionelle" Ogboni-Gesellschaft - zu unterscheiden von der "Reformed Ogboni Society" (ROF), einer Vereinigung einflussreicher Leute, die 1914 gegründet wurde. Vertreter der ROF leugnen einen Zusammenhang mit der traditionellen Ogboni-Gesellschaft, obwohl es Personen geben soll, die beiden Vereinigungen angehören. Die ROF soll sich selbst mit dem Freimaurer-Orden vergleichen. Die traditionelle Ogboni-Gesellschaft, von der im Folgenden die Rede ist, war Teil des sozialen und politischen Systems der Yoruba-Königreiche. Die Ogboni hatten eine religiöse und eine Rechtsprechungsfunktion; sie konnten den König "machen" und absetzen (d. h. zum Selbstmord zwingen; den letzten - erfolglosen - Versuch dieser Art soll es in den späten vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts gegeben haben). Es gab unterschiedliche Ränge; die Mitgliedschaft war vererblich dergestalt, dass eine Familie, in deren Eigentum ein Titel stand, den Nachfolger vorschlagen durfte. Die Mitgliedschaft im unteren Rang setzte keine Initiation voraus und brachte kein Geheimwissen mit sich, sie soll nach anderen Angaben einfach vererbt worden sein. Die Ogboni sollen heute noch beträchtlichen Einfluss und Verbindungen zu den offiziellen staatlichen Strukturen haben. Man muss annehmen, dass es eine Vielzahl von Ogboni-Gesellschaften gibt, die einander in Aufbau, Aufnahme von Mitgliedern, Ritualen und Sanktionsformen nicht unbedingt gleichen.

 

In der Literatur wird ein - offenbar nur historisch relevanter - Fall erörtert, in dem jemand wegen der Weigerung, dem Ogboni-Bund beizutreten, mit Sanktionen bis zur Tötung bedroht wurde, der Fall nämlich, dass sich ein Mitglied der Oyo Misi, die eine Art Staatsrat bildeten und automatisch Mitglied der Ogboni waren, der Verantwortung entziehen wollte, die mit dieser Funktion verbunden war.

 

Der Ogboni-Gesellschaft gehören nur Yoruba oder Angehörige ihrer Unterstämme an; andere werden nur ausnahmsweise aufgenommen. Voraussetzungen für die Aufnahme sind ein gewisses Alter, nämlich etwa 30 Jahre, sowie ein bestimmter sozialer Status und Wohlstand. Üblicherweise gehören einer Ogboni-Gesellschaft auch einige Frauen an. Im Einzelfall kann die Familie großen Druck auf jemanden ausüben, um ihn zum Beitritt zu bewegen. Gerüchte über Menschen- und Blutopfer oder über Kannibalismus sollen der Abschreckung und dazu dienen, die Ehrfurcht vor den Ogboni zu steigern. Ritualmorde und Menschenopfer sollen früher praktiziert worden sein, kommen aber heute nicht mehr vor.

 

2.1. Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin gründen sich auf ihre eigenen Angaben in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof, die zur mangelnden Glaubwürdigkeit ihrer Fluchtgründe auf die fehlende Plausibilität des Vorbringens vor dem Hintergrund der in der Verhandlung erörterten Länderberichte:

Zunächst ist anzuführen, dass nach den Länderberichten die Mitgliedschaft in der Ogboni-Gesellschaft als einer Art Loge nur Angehörigen hoch angesehener Familien der Yoruba offensteht, nur ausnahmsweise auch anderen Volksgruppen. Die Beschwerdeführerin gehört aber der Volksgruppe der Benin an und es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Beschwerdeführerin (oder auch ihr Vater) unter den Yorubas etwa hoch angesehen wäre oder einen außergewöhnlichen sozialen Status oder Wohlstand aufwiese. Es ist vor dem Hintergrund dieser Berichte auch nicht davon auszugehen, dass jemand gegen seinen Willen unter Androhung der Ermordung für den Fall der Weigerung in die Gesellschaft aufgenommen wird, zumal die Aufnahme als besondere Ehre angesehen wird und die Gesellschaft auf Unwillige, nur durch Zwang rekrutierte Mitglieder keinen Wert legt. Auch ist es unwahrscheinlich, dass jemand in einem Lebensalter, das noch unter 30 Jahren liegt, beitreten sollte.

 

2.2. Die Feststellungen zur politischen und menschenrechtlichen Situation in Nigeria und der Möglichkeit, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr auch als Frau ein wirtschaftliches Fortkommen - wenn auch auf niedrigem Niveau - hätte, stützen sich auf die in der Verhandlung erörterten - vom Asylgerichtshof für unbedenklich und aussagekräftig erachteten - Quellen, nämlich: United States Department of State, Nigeria. Country Report on Human Rights Practices 2007, 11.03.2008; Auswärtiges Amt Berlin, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 06.11.2007 sowie den Bericht von Dr. Peter Gottschligg vom 13.4.2007 zu den "Erwerbsmöglichkeiten wirtschaftlich und sozial schwacher Frauen in Nigeria".

 

.

 

2.3. Die Feststellungen zu traditionellen Religionen und Geheimkulten stützen sich auf die in der Verhandlung erörterten - vom Asylgerichtshof ebenfalls für unbedenklich und aussagekräftig erachteten - Quellen, nämlich: Home Office, Country of Origin Information Report Nigeria, 13.11.2007, Pkt. 29.01, 29.02; Home Office, Immigration and Nationality Directorate, Operational Guidance Note Nigeria, 18.01.2007, Pkt. 3.12; Immigration and Refugee Board of Canada, Country of Origin Research, Nigeria, 12.07.2005; Gutachten von Reinhard Schmidt-Grüber, 05.10.2004, Fragen 26-31; ACCORD, Birgit Kirsten Müllner/Barbara Svec, Nigeria. Länderbericht August 2004, S. 57-68.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Gemäß § 75 Abs. 1 erster und zweiter Satz AsylG 2005 sind alle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Nach § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe näherer Bestimmungen weiterzuführen.

 

Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr.101/2003 sind Verfahren über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 zu führen.

 

Nach Abs. 3 dieser Bestimmung sind die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs. 1 anzuwenden.

 

Da der im Beschwerdefall zu beurteilende Asylantrag vor dem 30. April 2004 gestellt wurde, wird das gegenständliche Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt. Hinsichtlich des Abspruches über den subsidiären Schutz wird, da die Erstbehörde eine Entscheidung nach § 8 AsylG in der Stammfassung getroffen hat, iSd oben dargestellten Übergangsbestimmungen § 8 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 angewendet.

 

3.2. Zu Spruchpunkt I. (Asylgewährung):

 

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt. Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Flüchtling im Sinne des AsylG 1997 ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. z.B. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.09.1998, 98/01/0224). Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (vgl. zur der Asylentscheidung immanenten Prognose z.B. VwGH 09.03.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet. Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352).

 

Nach den getroffenen Feststellungen wurde das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu ihrer konkreten Bedrohungssituation als unplausibel beurteilt und zudem ausgeführt, dass im Verfahren auch keine andere konkret die Beschwerdeführerin betreffende individuelle, auf Konventionsgründen beruhende Gefahr in Nigeria festgestellt werden konnte. Dazu kommt, dass selbst für den Fall des Zutreffens des Vorbringens, dass die Beschwerdeführerin von einzelnen Ogboni-Mitgliedern aus ihrer dörflichen Umgebung verfolgt werden sollte, sie sich jedenfalls in einem anderen Landesteil Nigerias, etwa in einer der großen Städte, auf zumutbare Weise niederlassen und auf diese Weise mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Gefahr entziehen könnte.

 

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher der Erfolg versagt.

 

3. 3. Zu Spruchpunkt II. (Ausspruch über den subsidiären Schutz):

 

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

 

Gemäß § 57 Abs. 2 und 4 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder - mit einer für den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Einschränkung - Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 GFK).

 

Zur Auslegung des § 57 FrG ist im Wesentlichen weiterhin die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die bloße Möglichkeit einer solchen Gefahr in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Zu diesem Punkt wird auf die getroffenen Feststellungen (Punkt III. 1.1.) verwiesen, wonach die behauptete Bedrohung der Beschwerdeführerin nicht festgestellt wurde. Da auch nicht erkennbar ist, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr auf exzeptionelle Umstände träfe, die eine Rückführung im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortung liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen lassen könnten, dementsprechend insgesamt eine die Beschwerdeführerin drohende Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG nicht vorliegt, war spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, inländische Schutzalternative, innerstaatliche Fluchtalternative, non refoulement, private Verfolgung
Zuletzt aktualisiert am
30.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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