TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/30 E10 318514-1/2008

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Spruch

E10 318.514-1/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Hermann Leitner als Vorsitzenden und den Richter Mag. Reinhard Engel als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau Mayer über die Beschwerde des M. M., geb. am 00.00.1979, StA. Armenien (vertreten durch: Rechtanwalt Mag. László Szabó), gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.03.2008, FZ.06 10.933-BAI, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, brachte am 12.10.2006 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Dazu wurde er erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen. Der Verlauf dieser Einvernahmen ist im angefochtenen Bescheid vollständig wieder gegeben, weshalb an dieser Stelle hierauf verwiesen wird.

 

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte er im Wesentlichen vor, er wäre im Zuge der Präsidentschaftwahlen 2003 als Wahlbeobachter eingesetzt worden, worauf er, da er sich weigerte, Wahlmanipulationen hinzunehmen von Mitarbeitern Kocharians Verfolgungshandlungen ausgesetzt gewesen. Ua. hätte er sich anlässlich eines Übergriffes zur Wehr gesetzt und hierbei jemanden mit einem Messer verletzt.

 

Im Verlaufe des Verfahrens legte der BF ein Schreiben der Staatsanwaltschaft der Republik Armenien vor, wonach gegen den BF ein Strafverfahren gem. §§ 112 und 242 des armen. StBG eingeleitet worden wäre.

 

Die zuständige Referentin des BAI erkannte offensichtlich den durch diese Vorlage entstandenen weiteren Ermittlungsbedarf und stellte eine entsprechende Anfrage an die Staatendokumentation des Bundesasylamtes.

 

Mit Schreiben vom 5.3.3008 teilte die Staatendokumentation des Bundesasylamtes mit, dass die Anfrage nicht beantwortet werden kann, zumal in Armenien keine entsprechende Person zu Verfügung stünde.

 

Ohne die Durchführung weiterer Erhebungen wurde Antrag auf internationalen Schutz folglich mit Bescheid des BAA vom 07.03.2008, Zahl: 06 10.933-BAI, gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des BF als unglaubwürdig und listete die entsprechenden Widersprüche und Unplausibilitäten auf.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 25.03.2008 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Hinsichtlich des Inhaltes der Beschwerde wird auf den Akteninhalt (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) verwiesen.

 

Der Unabhängige Bundesasylsenat durch Einsicht in den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben und Folgendes festgestellt:

 

Wie bereits erwähnt, legte der BF ein Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Armenien vor. Die dort genannten Bestimmungen lauten (englische Übersetzung gem. Weblink http://www.legislationline.org/upload/legislations/db/3a/bb9bb21f5c6170dadc5efd70

578c. htm; Zugriff am 25.9.2008):

 

"...

 

Article 112. Infliction of willful heavy damage to health.

 

1. Infliction of willful bodily damage which is dangerous for life or caused loss of eye-sight, speech, hearing or any organ, loss of functions of the organ, or was manifested in irreversible ugliness on face, as well as caused other damage dangerous for life or caused disorder, accompanied with the stable loss of no less than one third of the capacity for work, or with complete loss of the professional capacity for work obvious for the perpetrator, or caused disruption of pregnancy, mental illness, drug or toxic addiction, is punished with imprisonment for the term of 3 to 7 years.

 

2. The same act, committed:

 

1) in relation to two or more persons;

 

2) in relation to the person or his relatives, concerned with this duty or carrying out one's public duty;

 

3) in relation to a kidnapped person or hostage;

 

4) with particular cruelty;

 

5) by a means dangerous for other people's life;

 

6) by a group of persons, by an organized group;

 

7) with mercenary motives, as well as accompanied with extortion;

 

8) accompanied with terrorism;

 

9) with hooligan motives;

 

10) to conceal another crime or facilitate its committal;

 

11) accompanied with rape or violent sexual acts;

 

12) with motives of national, racial or religious hatred or religious fanatism;

 

13) with the purpose of using the parts of the body or tissues of the aggrieved,

 

14) if caused the death of the aggrieved by negligence,

 

is punished with imprisonment for the term of 5 to 10 years.

 

...

 

Article 242. Breach of traffic rules and operation of means of transportation.

 

1. Breach of traffic rules and operation of means of transportation by the driver of a car or other mechanical means of transportation, which negligently caused grave or medium-gravity damage to human health is punished with a fine in the amount of up to 200 minimal salaries, or correctional labor for the term of up to 2 years, or with arrest for the term of 1-3 months, or with imprisonment for the term of up to 2 years, with or without deprivation of the right to drive a means of transportation for up to 3 years.

 

2. The same action which negligently caused human death, is punished with imprisonment for the term of up to 5 years, with deprivation of the right to drive a means of transportation for up to 3 years.

 

3. The action envisaged in part 1 of this Article which by negligence caused the death of 2 or more persons, is punished with imprisonment for the term of 4 to 10 years, with deprivation of the right to drive a means of transportation for up to 3 years.

 

4. By other mechanical means in this Article we mean tramways, trolleys, tractors, motorcycles, etc.

 

..."

 

Aus den zitierten Stellen ist ersichtlich, dass der Inhalt der Bestimmungen mit dem Vorbringen des BF in Einklang zu bringen ist. Auch ist aus dem Akteninhalt ersichtlich, dass die verfahrensführende Referentin erkannte, dass ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren einer nähere Auseinandersetzung mit dem vorgelegten Schreiben bedarf und dieser erforderliche Verfahrensschritt letztlich nach der bereits beschriebenen Antwort der Staatendokumentation des Bundesasylamtes unterblieb.

 

Die in den Feststellungen des Bundesasylamtes angeführten Quellen vom in Bezug auf das Auswärtige Amt und USDOS zur Darstellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat des BFs können den Feststellungen nicht (mehr) zu Grunde gelegt werden, da der sowohl das Bundesasylamt als auch der AsylGH seine Feststellungen basierend auf aktuelle Quellen (Erk. d. VwGHs vom 11.11.1998, GZ. 98/01/0283, 12.5.1999, GZ. 98/01/0365, 6.7.1999, GZ. 98/01/0602, aber auch Erk. d. VwGHs. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11.November 1998, 98/01/0284, bzw. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210) zu treffen hat, wobei anzuführen ist, dass den genannten Quellen diese Aktualität nicht zukommt, da diese Quellen durch aktuellere Versionen ersetzt sind, wobei anzuführen ist, dass die Zitierung des Auswärtigen Amtes in der im Akt ersichtlichen Version aufgrund der erst kürzlich vorliegenden Aktualisierung dem BAA noch zuzubilligen sein wird, im neu zu erlassenden Bescheid jedoch die aktualisierte Version zu verwenden ist.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Der AsylGH hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) fest.

 

Nimmt man den erstinstanzlichen Bescheid und den Akteninhalt der der gegenwärtigen Form hin, müsste aufgrund der Aufteilung der Beweislast im Asylverfahren davon ausgegangen werden, dass der Inhalt des gegenständlichen Schreibens der armenischen Generalstaats-anwaltschaft, dessen Echtheit im Verfahren nicht widerlegt wurde, ebenfalls unwiderlegt und damit vom BF glaubhaft gemacht Eingang in das Verfahren fand. Dem steht jedoch die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes in Bezug auf das Vorbringen des BFs entgegen, welche das entsprechende Vorbringen als nicht glaubwürdig erachtet.

 

Wenn das erkennende Gericht die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes unter der hypothetischen Annahme, der BF hätte das gegenständliche Schreiben der armenischen Generalstaatsanwaltschaft im Verfahren nicht vorgelegt, betrachtet, wäre festzustellen, dass diese Beweiswürdigung nicht zu beanstanden wäre, woraus sich ergibt, dass grundsätzlich gewichtige Hinweise auf die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens vorliegen. Da jedoch das gegenständliche Schreiben vorliegt, liegt auch ein Hinweis für die gegenteilige Annahme vor und hat sich das Bundesasylamt hier in näher damit auseinanderzusetzen, bevor es zu einer abschließenden Beweiswürdigung kommen kann.

 

Auch wenn der AsylGH die vorliegenden Hinweise, welche die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des BFs indizieren nicht verkennt, ist letztlich davon auszugehen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes aufgrund unvollständiger Erhebungen nicht schlüssig und unvollständig ist und abschließende Feststellungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich sind.

 

III. Rechtliche Beurteilung

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann der AsylGH [Berufungsbehörde] jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der AsylGH ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084 zur Anwendbarkeit von § 66 (2) AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat). Eine kassatorische Entscheidung darf vom AsylGH nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Das erkennende Gericht hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, welches sich auf den Unabhängigen Bundesasylsenat bezog und aufgrund der identischen Interessenslage in Bezug auf den AsylGH ebenbfalls seine Gültigkeit hat, führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."

 

Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BWs und der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.

 

Enthält -wie im gegenständlichen Fall- der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf ein mangelhaftes Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist. Hätte das Bundesasylamt die Unschlüssigkeit der Beweiswürdigung erkannt, hätte es weitere Erhebungen zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes getätigt, wozu auch eine weitere Befragung des BFs, bzw. eine Konfrontation des BFs mit dem Ergebnis der Erhebungen erforderlich gewesen wäre.

 

In den Erkenntnissen vom 11.11.1998, GZ. 98/01/0283, 12.5.1999, GZ. 98/01/0365, 6.7.1999, GZ. 98/01/0602 stellte der VwGH fest, dass es sich bei den Asylbehörden, namentlich beim Bundesasylamt und beim Unabhängigen Bundesasylsenat um Spezialbehörden handelt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof stellte weiters im Erkenntnis vom 4.4.2001, GZ. 2000/01/0348 fest, dass [in diesem Fall noch] der Unabhängige Bundesasylsenat [und nunmehr der AsylGH] als Spezialbehörde [da aufgrund der oa. Erkenntnisse des VwGH das Bundesasylamt ebenfalls als Spezialbehörde anzusehen ist, gelten nachstehende Ausführungen des VwGH auch für dieses] verpflichtet ist, sich laufend über aus asylrechtlicher Sicht maßgebliche Entwicklungen besonders in jenen Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, auf den neuesten Stand zu halten (vgl. E. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11.November 1998, 98/01/0284). Er hat daher seinen Bescheiden die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zu Grunde zu legen (vg. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210. Im letztgenannten Erkenntnis wurden bezogen auf den Kosovo rund neun Monate alte Beweismittel als überholt angesehen. Im am Anfang des Absatzes zitierten Erkenntnisses stammten die -als nicht aktuell erkannten-Quellen (zum damaligen Überwinterungsprogramm) -ebenfalls bezogen auf den Kosovo- vom September/Oktober 1999, während der Bescheid Ende April 2000 erlassen wurde. Im diesem Erkenntnis nimmt der VwGH auch auf die den Kosovo betreffende Berichtsdichte Bezug und stellte im Hinblick auf die festgestellte Mangelhaftigkeit des Verfahrens einen direkten Bezug zwischen der Berichtsdichte und der nicht mehr vorhandenen Aktualität der Quelle her.

 

Im gegenständlichen Fall stammt der BW aus einer Herkunftsregion, welche unbestrittener Weise eine sehr hohe Berichtsdichte aufweist. Aufgrund des Ursprungsdatums die genannten Teile der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Quellen waren diese daher bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides in Bezug auf die näher genannten Teile als nicht aktuell anzusehen.

 

Aufgrund der oa. Erwägungen ist letztlich festzustellen, dass das Bundesasylamt seine neuerliche Entscheidungsfindung auf im Sinne der oa. Ausführungen aktuelle Quellen zu stützen haben wird, deren nicht notorisch bekannten Teile dem Berufungswerber im Rahmen des Parteiengehörs zu Kenntnis zu bringen sein werden.

 

Soweit sich das BAA mit dem vom BF vorgebrachten ausreisekausalen Sachverhalt nicht auseinandersetzte, wird darauf hingewiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht vertritt, dass beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit einer Fluchtgeschichte sich regelmäßig nicht auf das Vorbringen des Asylwerbers beschränken dürfen. Vielmehr bedarf es idR auch einer Betrachtung der konkreten fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 18.4.2002, 2001/01/0002; in diesem Sinne auch VwGH 28.1.2005, 2004/01/0476). Von den Asylbehörden ist eine Einbeziehung des realen Hintergrundes der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren zu erwarten. Die Behauptungen des Asylwerbers sind auch am Verhältnis zu der Berichtslage in Bezug auf das Ereignis, von dem er betroffen gewesen sein will, zu messen (VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135, in diesem Sinne auch VwGH 31.5.2005, 2005/20/0176).

 

Auch der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis 2001/10/02 B 2136/00 davon aus, dass sich die Asylbehörden nicht mit Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat begnügen dürfen, sondern fallbezogen konkrete Ermittlungen ( im gegenständlichen Erkenntnis des VfGH geht es um eine Geheimgesellschaft) in Bezug auf das individuelle Vorbringen tätigen müssen, um dieses einer Plausibilitätskontrolle unterziehen zu können. Nach Ansicht des zitierten VfGH Erkenntnis besteht diese Verpflichtung selbst dann, "wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint. Dies entbindet die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen".

 

Im gegenständlichen Fall wird sich das Bundesasylamt jedenfalls mit dem vorgelegten Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Armenien auseinanderzusetzen haben. Jedenfalls wird dessen Echtheit festzustellen sein. Sollte die Echtheit bejaht werden, hätte sich das Bundesasylamt auch noch einmal mit der behaupteten Tätigkeit als Wahlhelfer zu befassen, was wohl auch Erhebungen vor Ort miteinzuschließen oder zumindest die Einholung eines Sachverständigengutachtens, ob der vom BF behauptete Sachverhalt -insbesondere im Hinblick auf den Bestellungsakt und die Tätigkeit bei der Wahlbehörde- den Tatsachen entsprechen kann. Der Einwand der Staatendokumentation, es stünden hierzu keine tauglichen Personen zu Verfügung, kann bei einer Spezialbehörde wie dem Bundesasylamt nicht gelten. Dieses hat entsprechende Personen zu ermitteln bzw. sich sonst in die Lage zu versetzen, solche Überprüfungen durchführen zu können. Dass eine solche Überprüfung von Österreich aus jederzeit möglich ist, kann das erkennende Gericht aufgrund des Umstandes, dass ho. geeignete Personen zu Verfügung stehen, bedenkenlos treffen.

 

Sollte sich die Echtheit des oa. Schreibens herausstellen, wird auch zu erheben sein, welcher tatsächliche Sachverhalt dem eingeleiteten Strafverfahren zu Grunde liegt, ob hier mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einem in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK genannten Verfolgungsmotiv auszugehen wäre oder ob es sich um einen Akt schlichter Strafrechtspflege handelt. Im zweiten Fall wäre noch aufgrund der zu erwartenden Strafe bzw. der Ausgestaltung des armenischen Strafrechts bzw. Strafprozessrechts zu prüfen, ob eine Verurteilung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Gefahr im Sinne des § 8 AsylG bedeuten würde.

 

Im Rahmen der nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch den BF ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird es dem BF das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihm die Gelegenheit einzuräumen zu haben, sich hierzu zu äußern. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen zu haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
24.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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