TE AsylGH Erkenntnis 2008/09/30 S3 401264-1/2008

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Veröffentlicht am 30.09.2008
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Spruch

S3 401.264-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Pipal als Einzelrichter über die Beschwerde von H.R., geb. ungeklärt, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.07.2008, GZ 08 03.719 EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 dritter Satz AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

 

Der Beschwerdeführer reiste am 26.04.2008 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am selben Tag den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.

 

Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass der Beschwerdeführer am 01.09.2007 in Mytilini in Griechenland erkennungsdienstlich behandelt wurde.

 

Bei seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.04.2008 gab der Beschwerdeführer in Anwesenheit eines Dolmetschers der Sprache Dari und eines Rechtsberaters als gesetzlicher Vertreter im Wesentlichen an, er sei circa zehn Monate vor seiner Einreise nach Österreich von Maydan Vardak aus in den Iran und von Isfahan weiter in die Türkei gereist. In Istanbul habe er zwei Monate in einem Schlepperquartier verbracht. Danach sei er mit einem Schlauchboot nach Griechenland auf eine unbekannte Insel geschleppt worden. Auf der Insel seien sie von der Polizei angehalten und erkennungsdienstlich behandelt worden. Nachdem sie eine Ausreiseaufforderung erhalten hätten, seien sie mit dem Zug nach Athen gelangt. Dort seien Sie zwei Tage aufhältig gewesen und anschließend nach Patras gereist. Nach einem siebenmonatigen Aufenthalt in Patras sei er schließlich schlepperunterstützt mittels LKWs nach Österreich gereist.

 

Aufgrund der Zweifel des Bundesasylamtes an der behaupteten Minderjährigkeit des Beschwerdeführers wurde dieser zu einer ärztlichen Altersfeststellung geladen. Am 08.05.2008 wurde der Beschwerdeführer von Dr. K. untersucht. In dem als Sachverständigengutachten bezeichneten Befund werden Größe, Gewicht, Geschlecht, Körperbau, Kopfumfang, Anzahl der Zähne, Art der Behaarung, Farbe der Nägel, Größe der Nieren sowie Volumen der Schilddrüse wiedergegeben. Ohne nähere fallbezogene Begründung folgt eine Zusammenfassung, wonach "aufgrund der äußeren Inspektion, des äußeren Eindrucks sowie der sonographischen Messgrößen von Nieren und Schilddrüse das Alter von Herrn H. R. auf 22 bis 24 Jahre, jedoch deutlich über dem 18. Lebensjahr eingeschätzt" werde.

 

Am 16.05.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG 2005 mitgeteilt, dass Konsultationen mit Griechenland geführt würden und aus diesem Grund beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen.

 

Das Bundesasylamt richtete am 16.05.2008 ein auf Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung gestütztes Aufnahmeersuchen an Griechenland. Dieses Aufnahmeersuchen blieb vorerst unbeantwortet, woraufhin Österreich den griechischen Behörden mit einem weiteren Schreiben des Bundesasylamtes vom 18.06.2008 mitteilte, dass aufgrund der unterbliebenen Antwort betreffend den Beschwerdeführer gemäß Art. 18 Abs. 7 und Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung die Aufnahmeverpflichtung bei Griechenland liege. Mit Schreiben vom 14.06.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am 23.06.2008, stimmten die griechischen Behörden der Übernahme des Beschwerdeführers zur Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung zu.

 

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26.06.2008 gab der Beschwerdeführer nach ausführlicher Rechtsberatung im Wesentlichen an, er sei am 00.00.1370 (00.00.1991) geboren und daher minderjährig. Auf Vorhalt der Behörde, dass laut dem Gutachten sein Alter zwischen dem 22. und 24. Lebensjahr festgestellt worden sei, gab der Beschwerdeführer an, der Arzt habe Afghanen älter geschätzt, die nicht so alt gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe als Kind gearbeitet und sehe deshalb älter aus. Er teilte weiters mit, dass er unbegleitet sei und weder er noch jemand anderer aus seiner Familie je einen Asylantrag gestellt habe. In Bezug auf seine Abschiebung nach Griechenland gab der Beschwerdeführer an, er habe in Griechenland keine Menschenrechte feststellen können. Sie seien nicht einmal mit Brot versorgt worden. Wenn man eine medizinische Karte habe, werde man auch versorgt. Die Karte erhielten jene Personen, die von Europa nach Griechenland abgeschoben würden.

 

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Griechenland gemäß Art. 10 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 18 Abs. 7 Dublin-Verordnung zur Prüfung dieses Antrages zuständig ist, sowie II. der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Griechenland gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig ist.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, durch die Vollziehung der Ausweisung und die Abschiebung nach Griechenland bestehe für ihn ein "real risk", dass er in seinen Grundrechten verletzt würde. Der Beschwerdeführer stützte seine diesbezüglichen Ausführungen auf das Positionspapier des UNHCR vom April 2008, den Jahresbericht von Amnesty International vom 28.05.2008, eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 03.03.2008, auf verschiedene von "Pro Asyl" wiedergegebene Informationen sowie auf den Länderbericht des USDOS vom März 2007. Überdies seien das Gutachten und die Methoden zur Altersfeststellung völlig ungeeignet, die Volljährigkeit des Beschwerdeführers festzustellen. Aufgrund der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers seien auch die Konsultationen mit Griechenland rechtswidrig gewesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Nach § 5 Abs. 3 AsylG 2005 ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesasylamt oder beim Asylgerichtshof offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Nach § 10 Abs. 2 AsylG 2005 sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn

 

1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder

 

2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 75/2007 ist dann, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

 

Nach § 10 Abs. 4 AsylG 2005 gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Gemäß Art. 2 lit. h Dublin-Verordnung bezeichnet im Sinne dieser Verordnung der Ausdruck "unbegleiteter Minderjähriger" unverheiratete Personen unter 18 Jahren, die ohne Begleitung eines für sie nach dem Gesetz oder dem Gewohnheitsrecht verantwortlichen Erwachsenen in einen Mitgliedstaat einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befinden; dies schließt Minderjährige ein, die nach ihrer Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ohne Begleitung gelassen werden.

 

Laut Art. 3 Abs. 2 erster Satz Dublin-Verordnung kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

 

In den Art. 5ff Dublin-Verordnung werden die Kriterien aufgezählt, nach denen der zuständige Mitgliedstaat bestimmt wird.

 

Art. 6 Dublin-Verordnung lautet: "Handelt es sich bei dem Asylbewerber um einen unbegleiteten Minderjährigen, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich ein Angehöriger seiner Familie rechtmäßig aufhält, für die Prüfung seines Antrags zuständig, sofern dies im Interesse des Minderjährigen liegt. Ist kein Familienangehöriger anwesend, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Minderjährige seinen Asylantrag gestellt hat, zuständig."

 

Art. 10 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 18 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

 

Die Beurteilung der Rechtsfrage ergab, dass der Beschwerde stattzugeben ist:

 

Im Beschwerdefall ist entscheidungsrelevant, ob der Beschwerdeführer minderjährig ist, weil diesfalls gemäß Art. 6 Dublin-Verordnung die Zuständigkeit Österreichs gegeben wäre. Da die Erstbehörde Zweifel an der vom Beschwerdeführer behaupteten Minderjährigkeit hatte, beauftragte sie Dr. K. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Alters des Beschwerdeführers. Dieses Gutachten ist, wie der Asylgerichtshof bereits in gleichgelagerten Fällen aussprach (z. B. AsylGH 24.07.2008, S12 400.630-1/2008/2E), nur kursorisch gehalten, es fehlen Angaben über die Gewichtung der verschiedenen Methoden untereinander ebenso wie fallbezogene Wertungen. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht möglich, schlüssig nachzuvollziehen, wie der Gutachter zu der von ihm festgelegten Altersbestimmung gelangen konnte. Eine Abwägung sonstiger Umstände, die den Befund der Volljährigkeit decken könnten, z. B. widersprüchliche Aussagen zur Schulbesuchsdauer, ist ebenso nicht ersichtlich. Unter diesen Prämissen kann aber der Kritik in der Beschwerde auf Basis der Aktenlage nicht hinreichend begegnet werden. Die Behörde hat gerade in einem wissenschaftlich notorischerweise sensiblen Bereich wie jenem der Altersfeststellung die Aufgabe, auf die Schlüssigkeit des diesbezüglichen Gutachtens zu dringen und darauf Bedacht zu nehmen, dass die angewandten Methoden anerkannt sind.

 

Da die Erstbehörde die entscheidungsrelevante Frage der Volljährigkeit des Beschwerdeführers zur Beurteilung der Unzuständigkeit Österreichs noch nicht hinreichend ermittelte, erweist sich der vorliegende Sachverhalt als so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Klärung dieser Frage hat in einem mängelfreien Verfahren durch Einholung eines schlüssigen Gutachtens samt Gewährung von Parteiengehör und allenfalls ergänzender Befragung des Beschwerdeführers sowie gegebenenfalls Überprüfung seiner Altersangaben in Griechenland zu erfolgen.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG 2005 konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben. Die öffentliche Verkündung des Erkenntnisses hatte gemäß § 41 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005 zu entfallen.

Schlagworte
Gutachten, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Minderjährigkeit
Zuletzt aktualisiert am
21.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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