TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/01 S9 400046-1/2008

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Veröffentlicht am 01.10.2008
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Spruch

S9 400.046-1/2008/4E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde der A. alias A.N. alias N., geb. 00.00.1989 alias 00.00.1989, StA. ASERBAIDSCHAN, vertreten durch Mag. Susanne SINGER, Maria-Theresia-Straße 9, 4600 Wels, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.05.2008, FZ 07 11.676-EAST West, beschlossen:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 AsylG idF. BGBL. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die Beschwerdeführerin, nach eigenen Angaben eine Staatsangehörige ASERBAIDSCHANDS, reiste am 14.12.2007 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen der am 18.12.2007 stattgefundenen Erstbefragung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion St. Georgen im Attergau gab die Beschwerdeführerin an, sie sei gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Schwester und ihrem Bruder im Jahr 2000 mit gefälschten armenischen Pässen nach DEUTSCHLAND gereist. Dort habe sie sich bis zum 14.12.2007 aufgehalten. Die deutschen Behörden wollten sie aufgrund der falschen Pässe nach Armenien abschieben und seien sie deswegen freiwillig aus DEUTSCHLAND ausgereist. Sie habe in DEUTSCHLAND ebenfalls einen Asylantrag gestellt. Sie seien in einem Flüchtlingslager in Trier, anschließend in Karlsruhe, in Gerensbach und in Gaggenau untergebracht gewesen.

 

2. Am 19.12.2007 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige Behörde DEUTSCHLANDS, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit DEUTSCHLAND erhielt die Beschwerdeführerin am 28.12.2007. Mit dem am 08.01.2008 beim Bundesasylamt eingelangten Schreiben der deutschen Behörde wurde die Zuständigkeit DEUTSCHLANDS gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-VO bestätigt.

 

3. Am 17.01.2008 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, statt und brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, sie sei gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern nach ÖSTERREICH gereist. Als Kind habe sie eine Knochenzyste am linken Fuß gehabt und sei es in ASERBAIDSCHAN zu einer Fehloperation gekommen; dabei seien Nerven verletzt worden. In DEUTSCHLAND sei sie abermals operiert worden; es seien ihr Nerven und Sehnen transplantiert und das Sprunggelenkt versteift worden. Dadurch könne sie ihren linken Fuß weder nach oben noch nach untern und auch seitlich nicht bewegen. Derzeit sei sie bei einem Orthopäden in Behandlung. Sie habe gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern im Februar 2000 versucht über TSCHECHIEN nach DEUTSCHLAND zu gelangen. Sie seien von den deutschen Grenzbehörden aufgegriffen und nach TSCHECHIEN zurückgeschoben worden. Sie seien über unbekannte Länder wieder nach RUSSLAND, Saratov, zurückgereist. Im Oktober 2000 seien sie wieder mittels Schlepper nach DEUTSCHLAND gereist und hätten im Oktober oder November 2000 in Trier einen Asylantrag gestellt, welcher von den deutschen Behörden negativ entschieden worden sei. Ihre Mutter habe daraufhin einen zweiten Asylantrag gestellt, welcher wieder abgelehnt worden sei. Kurz vor der Ausreise nach ÖSTERREICH seien sie von den deutschen Behörden aufgefordert worden, DEUTSCHLAND zu verlassen. Sie hätten ihren Anwalt kontaktiert, hätten allerdings danach beschlossen, nach ÖSTERREICH auszureisen. Sie habe die Erklärung über die Zurückziehung der Asylanträge in DEUTSCHLAND geschrieben. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei ihre Ausweisung zu veranlassen, führte die Beschwerdeführerin aus, ihre Mutter sei psychisch kaputt; sie glaube, dass ihre Mutter eine Überstellung nach DEUTSCHLAND nicht überleben werde. Nachdem, was sie bereits in DEUTSCHLAND erlebt hätten, können sie nicht mehr dorthin zurückgehen. Das Ausländeramt habe ihre Mutter beschimpft und wie Dreck behandelt. Ihre Schwester sei auch von einer Gymnasiallehrerin beleidigt und bedroht worden. Die Lehrerin sei verurteilt worden und dürfe sich nicht mehr in der Nähe ihrer Schwester aufhalten; sie habe dies allerdings nicht eingehalten. Ihre Mutter habe bereits ihren Ehegatten verloren und könne ohne ihre Kinder nicht leben. Auch sie und ihre Geschwister würden es ohne ihre Mutter nicht aushalten; sie seien immer zusammen gewesen.

 

4. Im Akt finden sich mehrere Schreiben des Regierungspräsidiums Karlsruhe, Abteilung 8 - Landesaufnahmeeinrichtung - Ausländer -Spätaussiedler, die dem Bundesasylamt zu gegenständlichem Verfahren übermittelt wurden (Schreiben vom 11.01.2007, vom 15.11.2007, vom 30.11.2007 und vom 21.12.2007). Daraus geht hervor, dass die Mutter der Beschwerdeführerin erstmals am 05.02.2000 unter den Personalien S.A., geb. 00.00.1965 mit einem armenischen Reisepass und einem Visum der Tschechischen Republik in das Bundesgebiet eingereist sei. Sie sei dabei von ihren Kindern A.L., geb. 00.00.1986, A.N., geb. 00.00.1989, und A.I., geb. 00.00.1984, alle mit armenischen Reisepässen begleitet worden. Die vier Personen, die an der tschechischen Grenze erkennungsdienstlich behandelt worden seien, hätten auch den Pass des Ehemannes und Vaters, A.O., bei sich gehabt. Sie seien in der Folge in die Tschechische Republik abgeschoben worden. Am 28.19.2000, seien alle vier Personen als angeblich aserbaidschanische Staatsangehörige unter den Personalien Z., E., I. und A.N. erneut nach DEUTSCHLAND eingereist und hätten unter diesen Personalien ihre Anerkennung als Asylberechtigte beantragt. Zur Klärung der Personalien wurden die von der Beschwerdeführerin vorgelegte Geburtsurkunde und ein Lichtbild an die Botschaft der Bundesrepublik DEUTSCHLAND in Baku/Aserbaidschan geschickt.

 

Mit Schreiben vom 13.02.2007 teilte die Botschaft der Bundesrepublik DEUTSCHLAND in Baku dem Regierungspräsidium Karlsruhe mit, dass die Mutter der Beschwerdeführerin und ihre Kinder nicht als aserbaidschanische Staatsangehörige identifiziert werden konnten. Es sei zweifelsfrei davon auszugehen, dass es sich bei den diesbezüglichen Angaben zur Person um Falschangaben handeln würde. Eine weitere Überprüfung in Zusammenarbeit mit der Botschaft in Eriwan habe ergeben, dass eine Frau S.A., geb. am 00.00.1965, in V. gemeldet sei. Unter der gleichen Anschrift sei auch ein A.C. gemeldet. Die Kinder I., L. und A.N., Vatersname A., seien nicht im Wählerverzeichnis Armeniens eingetragen, weil sie vermutlich vor Vollendung des 18. Lebensjahres Armenien verlassen hätten. Es gäbe keinerlei Grund zur Annahme, dass es sich bei den armenischen Pässen, deren Kopien übersandt worden waren, um falsche Dokumente handeln würde.

 

Die deutschen Behörden gehen nun davon aus, dass der Vater der Beschwerdeführerin A.O., geb. 00.00.1957, StA Armenien, alias A.O., geb. 00.00.1960, StA Aserbaidschan, bereits im Februar 1999 nach DEUTSCHLAND eingereist sei. Nachdem es ihm gelungen sei, mit einer falschen Fluchtlegende und falschen Personalien ein Aufenthaltsrecht in DEUTSCHLAND zu erwirken, hätte die restliche Familie mit allen Mitteln versucht, auch in das Bundesgebiet zu gelangen. Ein legaler Familiennachzug zum Vater der Kinder, wie er in diesen Fällen rechtlich möglich wäre, hätte im speziellen Fall dazu geführt, dass die Identitätstäuschung erkannt worden wäre. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe nun gemeinsam mit ihren Kindern versucht, mit dem Pass des Ehemannes in das Bundesgebiet DEUTSCHLANDs zu gelangen. Als dieser Versuch scheiterte, hätte die Familie nach acht Monaten mit falschen Personalien einen weiteren Versuch unternommen. Der Vater der Beschwerdeführerin, der nach Angaben der Mutter der Beschwerdeführerin in Aserbaidschan ermordet worden sei, sei im Besitz einer deutschen Aufenthaltserlaubnis und wohne zurzeit in G.. Die Angaben des Vaters im Zuge einer Anhörung gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 08.03.1999 zu seiner Familie seien so eindeutig, dass keine Zweifel bestehen würden, dass es sich dabei um den Vater der Beschwerdeführerin handle. Die Botschaft der Republik Armenien habe inzwischen gültige Reisedokumente für die Familie ausgestellt. Ihre Identität und Staatsbürgerschaft sei damit geklärt.

 

Mit Telefax vom 28.01.2008 übermittelte das Regierungspräsidium Karlsruhe das Protokoll der Anhörung A.O. vom 08.03.1999 an das Bundesasylamt EAST West und wies darüber hinaus darauf hin, dass die Mutter der Beschwerdeführerin regelmäßig Besuchserlaubnisse nach Rosenheim beantragt hatte, wo sich A.O. jahrelang aufgehalten hatte. Der zweiten Seite des Anhörungsprotokolls des A.O. sind folgende

Angaben zu seinem Herkunftsland und seiner Familie zu entnehmen:

Herkunftsland: Republik Aserbaidschan, Kreis Schamor; Ehepartner:

A.A., 00.00.1965, seit drei Monaten in Russland (Näheres unbekannt);

Tochter: I., 00.00.1985; Sohn: L., 00.00.1987; Tochter N., 00.00.1989.

 

5. Auf der Grundlage einer am 23.01.2008 durchgeführten Untersuchung in der EAST West übermittelte Dr. B.L., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in 4020 Linz, am 06.03.2008 eine Gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren. Der Arzt kam zu dem Schluss, dass einer Überstellung nach DEUTSCHLAND eine psychische Störung entgegenstehe, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde. Die Beschwerdeführerin leide an Depressionen und Angstsymptomatik. Eine Überstellung sei eventuell in zwei Monaten möglich.

 

6. Am 08.04.2008 wurde eine weitere Untersuchung in der EAST West durchgeführt und übermittelte Dr. A., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, am 09.04.2008 eine weitere Gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren. Der Arzt kam wieder zu dem Schluss, dass eine Überstellung aufgrund des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin nicht zumutbar sei. Die Beschwerdeführerin leide an einer Deportationsangst und depressiven Symptomen. Der gesundheitliche Zustand hänge von dem der Mutter ab, der die Beschwerdeführerin sehr belaste. Es wurde eine medikamentöse Therapie begonnen.

 

7. Im Akt liegt weiters ein Befund von Dr. H. vom 22.04.2008 auf, aus welchem folgende Diagnose hervorgeht: Z.N. komplexer Fußoperation links, Fußheberparäse, Z.N. Chopart-Arthrose 2007. Es wurde vorerst eine Heilgymnastik veranlasst und wurde die Beschwerdeführerin zu einem Physiotherapeuten überwiesen.

 

8. Am 16.05.2008 wurde die Beschwerdeführerin abermals von Dr. B.L., Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in 4020 Linz, untersucht und übermittelte er auf Grundlage dieser Untersuchung am 26.05.2008 ein Psychiatrisches Gutachten, aus welchem hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung und aktueller Anpassungsstörung mit leicht depressiver Symptomatik leide. Eine Überstellung nach DEUTSCHLAND sei jederzeit möglich. Bei einer Überstellung sei aufgrund der Symptomatik und der dort erfolgreichen sozialen Stabilisierung und Integration die Gefahr einer lebensbedrohlichen Zustandsverschlechterung gering. Das Risiko einer Suizidalität im Falle einer Abschiebung von DEUTSCHLAND in das Heimatland könne erst nach einer neuerlichen Begutachtung in DEUTSCHLAND eingeschätzt werden. Unterstützend wäre zumindest eine Psychopharmakatherapie indiziert; diese werde allerdings von der Beschwerdeführerin abgelehnt.

 

9. Am 27.05.2008 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle West, statt. Auf Vorhalt der im Akt befindlichen Unterlagen der deutschen Behörden, führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei aserbaidschanische Staatsangehörige; sie habe nie einen aserbaidschanischen Reisepass besessen. Sie könne sich das alles nicht erklären; sie stamme nicht aus ARMENIEN. Sie kenne A.O. nicht; ihr Vater sei seit 1998 tot. Weiters wurde der Beschwerdeführerin das Psychiatrische Gutachten von Dr. B.L. vorgehalten, aus welchem hervorgeht, dass sie überstellungsfähig sei, und brachte die Beschwerdeführerin diesbezüglich vor, sie wolle nicht nach DEUTSCHLAND, weil es ihr dort nicht gut gehe. Sie werde von dort nach ARMENIEN geschickt werden.

 

10. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 31.05.2008, Zahl: 07 11.676 EAST-West, wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 DEUTSCHLAND zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach DEUTSCHLAND ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach DEUTSCHLAND gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei. Der Bescheid wurde von der Beschwerdeführerin am 01.06.2008 nachweislich übernommen.

 

Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu DEUSCHLAND, insbesondere zum deutschen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass die nunmehrige Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie konkret Gefahr liefe, in DEUTSCHLAND Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 und 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte.

 

11. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht am 16.06.2008 von der bevollmächtigten Vertreterin eingebrachte Beschwerde, in welcher sie im Wesentlichen die Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung behauptet.

 

12. Mit Beschluss vom 08.07.2008, GZ. S9 400.046-1/2008/3Z erkannte der Asylgerichtshof der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zu.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den Ausführungen zu Punkt I sowie aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden. Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag am 14.12.2007 gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 zur Anwendung gelangt.

 

2.2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.2.2003 (Dublin II VO) zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. § 5 AsylG 2005 bezieht sich dabei auf die Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II VO).

 

Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur das Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO (erste Asylantragstellung) liegt.

 

2.3. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit von DEUTSCHLAND gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO besteht. Die Zuständigkeit wurde von DEUTSCHLAND mit Schreiben vom 08.01.2008 auch ausdrücklich anerkannt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung war somit gegeben.

 

2.4. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22 ff).

 

3. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - entsprechend den Ausführungen in der Beschwerde - noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

3.1. Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten nicht kraft Gemeinschaftsrecht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei. Er hat dabei aber gleichzeitig ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen. Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-VO geht davon aus, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-VO). Er hat dabei keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der EMRK konformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei einer drohenden Verletzung der EMRK durch die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat keine Überstellung stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18 ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, Art. 19, K8 - K13). Auch der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entsprechen muss (30.06.2005, Bosphorus Airlines Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können.

 

3.1.1. Zum Vorbringen betreffend das in Deutschland durchgeführte Asylverfahren ist festzustellen, dass im vorliegenden Verfahren lediglich die Frage zu klären ist, ob eine Rücküberstellung der Beschwerdeführerin nach Deutschland ohne Verletzung des Art. 3 EMRK möglich ist. Wie bereits das Bundesasylamt im beschwerdegegenständlichen Bescheid festgestellt hat, ist es nicht Aufgabe der österreichischen Asylbehörde, hypothetische Überlegungen über den möglichen Ausgang eines von einem anderen Staat zu führenden Asylverfahrens anzustellen.

 

Wie das Bundesasylamt nach umfangreichen Ausführungen zum deutschen Asylverfahren weiters zu Recht festgestellt hat, ist davon auszugehen, dass Deutschland Asylwerbern ein faires, den rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Vorschriften entsprechendes Asylverfahren einräumt. Auch wenn das Asylverfahren der Beschwerdeführerin bereits negativ beendet sein sollte, besteht nach Ansicht des Asylgerichtshofes kein Zweifel darüber, dass die deutschen Behörden vor einer allfälligen tatsächlichen Abschiebung in den Herkunftsstaat eine umfassende Refoulmentprüfung durchführen werden.

 

Betreffend das Vorbringen, dass ihnen die deutschen Behörden zu Unrecht eine falsche Identität aufzwingen wollen, ist festzustellen, dass die im Akt aufliegenden Schriftstücke der deutschen Behörden durchaus die Annahme rechtfertigen, dass die Angaben der Beschwerdeführer bezüglich ihrer Identität und Herkunft nicht den Tatsachen entsprechen. Jedoch ist es dem Asylgerichtshof nicht möglich, alleine aus den vorliegenden Unterlagen einen vollen Beweis über die tatsächliche Identität und ursprüngliche Herkunft der Beschwerdeführer zu ziehen.

 

Dies erscheint aber auch vor dem Hintergrund des Gegenstandes des vorliegenden Verfahrens, nämlich die Klärung der Frage, ob Österreich oder Deutschland für die Prüfung des Asylantrages der Beschwerdeführerin zuständig ist und in der Folge, ob eine Abschiebung nach Deutschland ohne Verletzung der EMRK möglich ist, nicht notwendig. Dabei liegt die Beantwortung der Frage, ob und in welchen Staat die Beschwerdeführerin allenfalls von Deutschland abgeschoben werden darf, weder in der Zuständigkeit des Bundesasylamtes noch in jener des Asylgerichtshofes. Da es keinen Grund zur Annahme gibt, dass Asylverfahren in Deutschland die europäischen Menschenrechtsstandards qualifiziert unterschreiten würden oder dass die Beschwerdeführerin bei einer Überstellung nach Deutschland der realen Gefahr einer Art 3 EMRK verletzenden Behandlung ausgesetzt wäre, sieht auch der Asylgerichtshof, keinen Anlass für die zwingende Ausübung des Selbsteintrittsrechtes nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.

 

3.2. Medizinische Krankheitszustände

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach DEUTSCHLAND nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung sehr schwerer Krankheiten eine Existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

3.2.1. Akut Existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach DEUTSCHLAND sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf das letzte Psychiatrische Gutachten von Dr. B.L. zu verweisen, wonach eine Überstellung jederzeit möglich sei.

 

Im Übrigen ist auf die länderkundlichen Feststellungen zur medizinischen Versorgung in DEUTSCHLAND zu verweisen. Es kann jedenfalls als gesichert angenommen werden, dass der Beschwerdeführerin in DEUTSCHLAND dieselbe Behandlung und medizinische Versorgung wie in ÖSTERREICH zuteil wird.

 

3.3. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

3.3.1 Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

3.3.2. Im vorliegenden Fall reiste die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern am 14.12.2007 in Österreich ein. Darüber hinausgehend leben nach den Angaben der Beschwerdeführerin keine weiteren Verwandten in Österreich. Da auch die Beschwerden der Mutter und der Geschwister gegen die bescheidmäßige Zurückweisung ihrer Asylanträge nach § 5 Abs. 1 AsylG 2005 vom Asylgerichtshof abgewiesen wurden, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin nach DEUTSCHLAND einen unzulässigen Eingriff in ihre durch Art 8 EMRK garantierten Rechte auf Privat und Familienleben darstellen könnte.

 

4. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war daher mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

5. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung der Beschwerdeführerin erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

6. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG 2005 konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
Ausweisung, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, medizinische Versorgung, real risk, Rechtsschutzstandard, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
09.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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