TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/02 S9 315092-2/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.10.2008
beobachten
merken
Spruch

S9 315.092-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde des M. auch M.A., geb. 00.00.1982, StA. RUSSISCHE FÖDERATION, vertreten durch Michael Genner, Asyl in Not in 1090 Wien, Währingerstraße 59/2, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, FZ. 08 01.193-EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) idF. BGBL. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger, reiste gemeinsam mit seiner Familie am 12.08.2007 aus POLEN kommend illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen (ersten) Antrag auf internationalen Schutz. Er wurde hierzu am Tag der Antragstellung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes, Polizeiinspektion Traiskirchen, niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab er an, RUSSLAND am 03.06.2007 oder 04.06.2007 gemeinsam mit seiner Ehegattin und seinem Sohn auf legalem Weg mit der Bahn verlassen zu haben. Er sei über Weißrussland nach POLEN gereist. Er sei im Zug kontrolliert und gemeinsam mit seiner Familie in ein Flüchtlinslager gebracht worden. Sein russischer Reisepass sei ihm in POLEN abgenommen worden. Er sei in POLEN zweimal von Bediensteten des Staatssicherheitsdienstes seiner Heimat (FSB) angerufen worden. Man habe ihm mitgeteilt, dass Leute des russischen Sicherheitsdienstes in Polen seien und ihn bald "erwischen" würden. Ein Tschetschene namens R. habe im polnischen Lager die Leute gefragt, ob jemand nach ÖSTERREICH wolle. Vom Lager aus habe er mit einem Schlepper Kontakt aufgenommen und gemeinsam mit seiner Familie das Lager am 12.08.2007 verlassen. Versteckt in einem LKW seien sie am 12.08.2007 in Wien angekommen. Sein Heimatland habe er verlassen, weil er mehrmals angehalten und gefoltert worden sei.

 

Eine Eurodac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass der Beschwerdeführer am 07.06.2007 in POLEN einen Asylantrag gestellt hatte.

 

2. Am 17.08.2007 richtete das Bundesasylamt auf der Grundlage des Eurodac-Treffers ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige Behörde POLENS, welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit POLEN erhielt der Beschwerdeführer am 20.08.2007. Mit dem am 20.08.2007 beim Bundesasylamt eingelangten Schreiben der polnischen Behörde wurde die Zuständigkeit POLENS gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO bestätigt.

 

3. Auf der Grundlage einer am 28.08.2007 stattgefundenen Untersuchung übermittelte Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, am 28.08.2007 eine Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren. Der Arzt kam zu dem Schluss, dass beim Beschwerdeführer eine belastungsabhängige krankheitswerte psychische Störung vorliege, die ihn allerdings nicht daran hindere, seine Interessen im Verfahren wahrzunehmen. Im Falle einer Überstellung nach POLEN bestehe nicht die reale Gefahr, dass er aufgrund dieser psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geriete oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtere. Der Zustand sei stabil mit leicht depressiver Symptomatik bzw. psychosomatischen Beschwerden bei anscheinend ausreichenden Ressourcen zur Alltagsbewältigung.

 

4. Am 03.09.2007 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, zur Wahrung des Parteiengehörs im Beisein eines Rechtsberaters statt und brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sich vor seiner Einreise nach ÖSTERREICH in POLEN aufgehalten und habe dort einen Asylantrag gestellt. Er habe POLEN verlassen, weil ihn ein Freund aus Moskau angerufen und gesagt habe, dass er der Grund sei, weshalb man ihn verhaftet habe. Er sei ungefähr einen Monat nach seiner Ankunft in POLEN zweimal von Leuten des FSB angerufen worden, die ihm gesagt hätten, dass sie wüssten, wo er sich aufhalte. Er habe daher Angst in POLEN von Mitgliedern des FSB entführt zu werden. Er habe sich aber nicht an die polnische Polizei gewandt, weil er davon ausgehe, dass ihm diese nicht helfen würde.

 

5. Mit dem Bescheid vom 01.10.2007, Zahl: 07 07.341- EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des nunmehrigen Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 POLEN zuständig sei. Gleichzeitig wurde der nunmehrige Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach POLEN ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach POLEN gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.

 

Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu POLEN, insbesondere zum polnischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass der nunmehrige Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er konkret Gefahr liefe, in POLEN Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 oder Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 03.10.2007 von einem Organwalter der Polizeiinspektion Reichenau an der Rax persönlich ausgefolgt.

 

6. Gegen den Bescheid des Bundesasylamtes richtete sich die fristgerecht am 09.10.2007 eingebrachte Berufung.

 

7. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 19.10.2007, Zl. 315.092-1/2E-VIII/40/07, wurde die Berufung gemäß §§ 5, 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

8. Mit Schreiben vom 20.11.2007 teilte das Bundesasylamt der zuständigen Behörde POLENS mit, dass der Beschwerdeführer und dessen Familie flüchtig seien, aufgrund dessen nicht überstellt werden können und daher gemäß Art. 19 Abs. 4 bzw. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO die achtzehnmonatige Überstellungsfrist gelte.

 

9. Der gegen die Berufungsentscheidung des Unabhängigen Bundesasylsenates an den VwGH erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des VwGH vom 11.04.2008, Zlen. AW2008/19/0353 bis 0355-2, aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

10. Mit Beschluss vom 07.05.2008, Zlen. 2008/19/0413 bis 0415-2, lehnte der VwGH jedoch die Behandlung der Beschwerde ab.

 

11. Der Beschwerdeführer stellte am 31.01.2008 aus dem Stande der Schubhaft den gegenständlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz und wurde hierzu am 01.02.2008 durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes des Landespolizeikommando für Wien, OEA-Polizeianhaltezentrum niederschriftlich befragt. Dabei gab er an, er stelle einen neuerlichen Asylantrag, weil er nicht nach POLEN überstellt werden wolle. Er habe nach zwei Monaten in POLEN Probleme bekommen. Die in seinem ersten Asylverfahren angegebenen Gründe seien immer noch aufrecht. Es gäbe neue Beweise und Dokumente, die er jedoch noch nicht vorlegen könne, weil sie noch nicht übersetzt seien.

 

12. Am 06.02.2008 erhielt der Beschwerdeführer die Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2 2. Satz AsylG 2005, dass seit 20.08.2007 eine Zustimmung von POLEN zur Führung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers vorliege.

 

13. Am 08.02.2008 fand eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, zur Wahrung des Parteiengehörs im Beisein eines Rechtsberaters statt und brachte der Beschwerdeführer vor, er sei körperlich und geistig in der Lage die Einvernahme durchzuführen. Seine Muttersprache sei Tschetschenisch, er spreche aber auch Russisch und sei damit einverstanden, dass die Einvernahme in Russisch durchgeführt werde. Die Verständigung mit dem Dolmetscher sei gut. Er habe während des ersten Verfahrens in Graz gelebt. Es gäbe ein psychiatrisches Gutachten von einem Arzt, bei welchem er in Behandlung gewesen sei. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, seine Ausweisung nach POLEN zu veranlassen, gab der Beschwerdeführer an, als er noch in POLEN gewesen sei, sei es für ihn unmöglich gewesen dort zu bleiben, weil er von den Personen, die ihn in seinem Heimatland verfolgt hätten, telefonisch bedroht worden sei. Er kenne auch Menschen, die aus POLEN verschleppt worden seien. Er habe dies allerdings nicht der polnischen Polizei gemeldet, weil dies nichts bringen würde; es würde ihm nicht geholfen werden. Im Falle einer Überstellung nach POLEN werde er dort gefunden und lande wieder im Gefängnis in Tscherno Kozovo. Er sei davon überzeugt, weil sein Vater und sein Bruder nach Telefonaten mit ihm Probleme bekommen hätten. In Graz würden sein Onkel und sein Cousin leben, von welchen er in jeder Hinsicht unterstützt werde. Sie hätten es ermöglicht, dass er gemeinsam mit seiner Familie in Graz leben könne. Mit seiner ebenfalls in Österreich aufhältigen Cousine habe er in gemeinsamen Haushalt gelebt. Sie lebe bereits seit fünf Jahren in ÖSTERREICH.

 

14. Mit Schreiben vom 18.03.2008 legte der Beschwerdeführervertreter ein psychologisches Gutachten des Vereins Omega sowie diverse Internetseiten, die belegen sollen, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien und POLEN verfolgt werde. Der Psychiatrische Befund des Vereins Omega vom 00.03.2008 belegt, dass der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide.

 

15. Mit Telefax vom 28.05.2008 wurde eine Eidesstattliche Erklärung vom 18.02.2008 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass Herr I. für den Unterhalt des Beschwerdeführers aufkommen werde und die Wohnung groß genug für alle Familienmitglieder sei.

 

16. Auf der Grundlage einer am 09.07.2008 stattgefundenen Untersuchung übermittelte Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, am 10.07.2008 eine Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren. Der Arzt kam zu dem Schluss, dass beim Beschwerdeführer keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliegen, die eine Überstellung nach POLEN unzumutbar erscheinen ließe. Auffassung, Aufmerksamkeit, Konzentration und Gedächtnis seien nicht beeinträchtigt. Der Antrieb sei leicht vermindert; die Stimmungslage leicht depressiv gefärbt. Es bestehe keine Suizidalität. Im positiven Skalenbereich sei er etwas eingeschränkt affizierbar.

 

17. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 22.07.2008, Zahl: 08 01.193-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz des nunmehrigen Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 POLEN zuständig sei. Gleichzeitig wurde der nunmehrige Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach POLEN ausgewiesen und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach POLEN gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.

 

Das Bundesasylamt traf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu POLEN, insbesondere zum polnischen Asylwesen sowie zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass der nunmehrige Beschwerdeführer keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass er konkret Gefahr liefe, in POLEN Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihm durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 oder Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte.

 

18. Gegen den genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht am 07.08.2008 eingebrachte Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer im Wesentlichen die Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behauptete. Er habe der Verhandlung nicht folgen können, weil er in Russisch einvernommen worden sei, obwohl er angegeben habe, dass er Tschetschenisch spreche. Er beherrsche die russische Sprache aufgrund seiner geringen Schulbildung nur unzureichend. Aufgrund des Vertretens rechtlicher Sonderpositionen gegenüber tschetschenischen Asylwerbern bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer nicht den benötigten Schutz in POLEN bekomme und in der Folge eine Abschiebung in den Verfolgerstaat befürchten müsse. Auch wenn er subsidiären Schutz in POLEN erhalten würde, würde dies den Entzug von existenziellen Lebensgrundlagen bedeuten. Überdies leide er an einer belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung und sei dies in Hinblick auf Art. 3 EMRK relevant. In POLEN gäbe es keine ausreichende medizinische oder psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeit. Außerdem würde eine Ausweisung aufgrund seiner in Österreich lebenden Verwandten die durch Art. 8 EMRK garantierten Grundrechte verletzten.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den Ausführungen zu Punkt I sowie aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik POLEN gemäß Art. 16 Abs 1 lit. c Dublin II VO kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

Ebenso unbestritten ist im Asylverfahren des Beschwerdeführers noch keine Sachentscheidung in POLEN gefallen.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufweist.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Im vorliegenden Fall leben ein Onkel, ein Cousin und eine Cousine des Beschwerdeführers in Österreich. Diesbezüglich ist zunächst auszuführen, dass die Beziehung zwischen Onkel und Neffe bzw. Cousins von der oben zitierten Judikatur des EGMR nicht grundsätzlich umfasst wird. Es ist daher zu prüfen, ob die vom EGMR geforderte Beziehungsintensität im gegenständlichen Fall vorliegt. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass die Verwandten des Beschwerdeführers bereits seit mehreren Jahren in Österreich leben, während der Beschwerdeführer selbst erst circa ein Jahr in Österreich aufhältig ist und mit seinen Verwandten nicht in gemeinsamen Haushalt lebt (siehe ZMR-Auskunft). Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis ist der Aktenlage ebenfalls nicht zu entnehmen dies insbesondere deshalb, weil sein Lebensunterhalt bis 06.03.2008 durch die Grundversorgung gewährleistet war (vgl. GVS). Daran ändert auch die Eidesstattliche Erklärung des Herrn I. nichts. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Angaben des Beschwerdeführers im Widerspruch zu denen seiner Gattin stehen. Während seine Ehegattin vorbrachte, sie seien im Rahmen der Grundversorgung - das heißt, unfreiwillig - nach Graz verlegt worden und sei sie daher von ihren Brüdern getrennt worden, führte der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme aus, seine Verwandten hätten den Umzug nach Graz ermöglicht, damit seine Familie in deren Nähe sei (AS 77). Der Vollständigkeit halber ist ebenso darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer mit seinen Verwandten, mit Ausnahme seiner Cousine, die allerdings bereits seit fünf Jahren in Österreich lebt, auch in seinem Heimatland nicht in gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Es besteht daher lediglich ein loser Kontakt im Sinne von gegenseitigen Besuchen und Telefonaten. Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11).

 

Es kann daher im gegenständlichen Fall nicht von der vom EGMR geforderten Beziehungsintensität gesprochen werden, weshalb eine Ausweisung keinesfalls in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat und Familienleben darstellt.

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen

 

Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass POLEN in Hinblick auf tschetschenische Asylwerber unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in POLEN notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehens eines allgemeinen Konsenses über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.

 

Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu POLEN, die in der erstinstanzlichen Einvernahme vorgehalten wurden, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen Antragstellern aus POLEN praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen. Aus einer Mitteilung des Verbindungsbeamten des BMI in POLEN vom 23.08.2007 geht hervor, dass die jüngsten Änderungen in der polnischen Gesetzeslage für Fremde und Asylwerber insbesondere die Einführung des subsidiären Schutzes entsprechend gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben betreffen sollen. Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass POLEN nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.

 

Zur allgemeinen Versorgung von Asylwerbern in POLEN, denen "tolerated stay" zuerkannt wurde, steht unwidersprochen fest, dass solchen Personen die gleichen sozialen Rechte zuerkannt werden, wie polnischen Staatsbürgern. Der Verbleib in Flüchtlingslagern ist, wie nunmehr hervorgekommen ist, in Einzelfällen auch länger als 3 Monate nach Statuszuerkennung möglich. Das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik ist gesetzlich mit der Integration auch dieser Personengruppen betraut und diesbezüglich auch aktiv tätig. Die rasche Reaktion der polnischen Behörden auf den Zuwachs an Antragstellern in der 2. Jahreshälfte 2007 (Bau neuer Flüchtlingsunterbringungsstätten) zeigt, dass die entsprechenden Verpflichtungen tatsächlich ernst genommen werden.

 

2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in POLEN

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach POLEN nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine Existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.

 

In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. vs. the United Kingdom).

 

Jüngste Rechtsprechung des EGMR (N vs. UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung besteht.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG); dabei sind die von den Asylbehörden festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Transportfähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach POLEN sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. In diesem Zusammenhang ist auf die Gutachterliche Stellungnahme von Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 13.06.2008 zu verweisen, wonach im Falle der Überstellung nach POLEN nicht die reale Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer aufgrund dieser psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten könnte oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtern könnte. Der vom Beschwerdeführer vorgelegt Psychiatrische Befund des Vereins Omega ist nicht geeignet dieser Gutachterlichen Stellungnahme entgegen zutreten; dies insbesondere deshalb, weil sich im Psychiatrischen Befund keine Äußerungen zur Überstellungsfähigkeit des Beschwerdeführers finden.

 

Des Weiteren ist auf die Feststellungen der Erstbehörde zur medizinischen Versorgung in POLEN zu verweisen. Die Auskünfte der Staatendokumentation lassen sehr wohl den Schluss zu, dass auch eine psychologische Versorgung besteht, die jedenfalls im Lichte der Judikatur des EGMR zu Krankheiten eine existenzbedrohende Gefährdung von psychisch kranken Personen qualifiziert unwahrscheinlich erscheinen lässt. Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass es in der medizinischen Versorgung in POLEN (wie in vielen anderen Staaten) Verbesserungsbedarf gibt, dies tangiert zum einen jedoch nicht per se den Schutzbereich des Art. 3 EMRK, zum anderen ist aufgrund der Feststellungen des Bundesasylamtes davon auszugehen, dass es jedenfalls keine schwerwiegenden Unterschiede zu Österreich gibt (alle Krankheiten grundsätzlich behandelbar).

 

Zusammenfassend liegt zwar eine psychische Erkrankung des Beschwerdeführers, aber kein außergewöhnlich schweres oder komplexes Krankheitsbild vor, welches in POLEN ausnahmsweise nicht behandelt werden könnte.

 

Es stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach POLEN keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.

 

2.1.2.4. Bedrohung durch russische/tschetschenische Staatsangehörige in POLEN

 

Das entsprechende vage Vorbringen des Beschwerdeführers kann in Ermangelung irgendwelcher Informationen, wonach die polnischen Sicherheitsorgane entgegen ihren asylrechtlichen Verpflichtungen systematisch mit russischen Organen kooperierten (entsprechende Belege wurden auch nicht erbracht), - bereits unbeschadet der Frage der Glaubwürdigkeit - nicht als relevant im Hinblick auf eine allfällige erheblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden.

 

Darüber hinaus ist grundsätzlich von Amts wegen nicht bekannt ist, dass der polnische Staat die Menschenrechte nicht achte oder an sich nicht in der Lage sei Menschenrechte sowie Leib und Leben von Menschen zu schützen, und dem Beschwerdeführer bei allfälligen gegen ihn gerichteten kriminellen Handlungen in POLEN nicht die Möglichkeit offen stände, diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr kein reales Risiko für den Beschwerdeführer erblickt werden.

 

2.1.2.5. Wenn der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeschrift nunmehr behauptet, dass er den Einvernahmen vor dem Bundesasylamt bzw. der Untersuchung aufgrund der Befragung in Russisch nicht folgen konnte, da er aufgrund seiner geringen Schulbildung nur unzureichend Russisch verstehe, ist ihm einerseits entgegenzuhalten, dass er bereits im ersten Asylverfahren durchwegs in russischer Sprache einvernommen wurde und dies nach der Aktenlagen - es wurde in der der Berufungsschrift im ersten Verfahren nicht behauptet - kein Problem dargestellt hatte. Im Übrigen hat sich der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Einvernahme am 08.02.2008 ausdrücklich damit einverstanden erklärt, dass die Einvernahme in Russisch durchgeführt werde (vgl. u. a. AS 71) und wurde er nach der Einvernahme seitens des Bundesasylamtes mehrmals gefragt, ob er den Dolmetscher verstanden habe, was er mit "Ja, einwandfrei."

beantwortet hatte. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass etwaige Verständnisprobleme bestanden hatten und geht daher die diesbezügliche Behauptung des Beschwerdeführers ins Leere.

 

2.1.2.6. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung des Beschwerdeführers erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Familienverfahren, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk, staatlicher Schutz, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten