TE AsylGH Bescheid 2008/10/02 C6 236735-0/2008

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Veröffentlicht am 02.10.2008
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Spruch

C6 236.735-0/2008/8E

 

O.M.; geb. 00.00.1968

 

StA: Türkei

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 28.4.2005 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 38 Abs 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idgF entschieden.

 

Der Berufung von O.M. vom 18.4.2003 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.4.2003, Zahl 01 29.143-BAS, wird stattgegeben und O.M. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg cit wird festgestellt, dass O.M. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Bisheriger Verfahrensgang:

 

Am 12.12.2001 stellte der Berufungswerber, seinen Angaben zu Folge türkischer Staatsbürger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe, in Österreich einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.4.2003, Zahl: 01 29.143-BAS, gemäß § 7 AsylG 1997 i.d.g.F. abgewiesen. Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers in die Türkei zulässig ist. Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen des Berufungswerbers nicht als glaubwürdig und begründete dies näher. Weiters verneinte das Bundesasylamt, dass der Berufungswerber i.S.d.

§ 8 AsylG i.V.m. § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 BGBl. I 75 (in der Folge: FrG) bedroht oder gefährdet sei.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.

 

Der unabhängige Bundesasylsenat erhob Beweis durch Einsicht in die folgenden Dokumente:

 

Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand April 2004);

 

amnesty international Länderkurzinfo, Koordinationsgruppe Türkei, vom 1.8.2000

 

und führte am 28.4.2005 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung gemäß § 67d AVG unter Beiziehung eines Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in der Türkei durch, an der das Bundesasylamt nicht teilgenommen hat.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt steht fest:

 

1.1. Zur Person des Berufungswerbers:

 

1.1.1. Der Berufungswerber ist türkischer Staatsangehöriger und Angehöriger der kurdischen Volksgruppe. Er stammt aus dem Dorf M., Kreisstadt N.. Er wurde am 00.00.1968 in S. geboren. Nach Abschluss der Hauptschule wohnte er in N. und arbeitete im Restaurant seines Bruders. Von 1994 bis 2001 wurde der Berufungswerber ständig festgenommen, misshandelt und gefoltert. Mit Urteil vom Staatsicherheitsgericht vom 00.00.1994, wurde der Berufungswerber zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Grund für die Verurteilung war, dass man dem Berufungswerber logistische Unterstützung von Terrororganisationen vorwarf; von November 1993 bis 00.00.1994 befand er sich in Haft. Einige Zeit später wurde er wieder für einen längeren Zeitraum festgenommen. Im September 2001 wurde der Berufungswerber Mitglied der HADEP Partei; als dies der Polizei bekannt wurde, hat diese ihn abgeholt und vier Tage misshandelt. Anschließend wurde er fast wöchentlich, manchmal sogar zweimal pro Woche abgeholt, misshandelt und gefoltert. Nachdem ihm sein Freund H.Z., Direktor der Kanzlei der Staatsanwaltschaft von N., mitteilte, dass gegen ihn neuerlich ein Strafverfahren anhängig sei, flüchtete der Berufungswerber mit seiner Familie nach Istanbul und in weiterer Folge ins Ausland. Auch andere Familienangehörige waren in der Heimat politisch tätig.

 

1.2. Zum Herkunftsstaat des Berufungswerbers:

 

1.2.1. Menschenrechtspraxis:

 

Die Menschenrechtspraxis leidet vor allem unter der weiterhin unzureichenden Beachtung geltenden Rechts durch Sicherheitskräfte.

Der Staat distanziert sich regelmäßig von Ungesetzlichkeiten

untergeordneter Organe. Strafgerichtliche Verfolgung und

Verurteilung von Tätern sind selten. Nur wenige Foltervorwürfe gegen

Sicherheitskräfte ziehen die Aufnahme disziplinar- bzw

strafrechtlich relevanter Ermittlungen nach sich und noch weniger

endeten mit strafrechtlicher Ahndung. Die Strafprozessordnung der

Türkei untersagt Folter und sonstige physische und psychische

Misshandlungen zur Erlangung von Aussagen und Beweismitteln sowie

deren Verwertung im Prozess. ... Trotzdem kommen Folter und

Misshandlungen vor allem in den ersten Tagen nach einer Festnahme

vor, und zwar in Staatssicherheitssachen deutlich häufiger als in

sonstigen Strafsachen. Türkische Menschenrechtsorganisationen und

Beobachter aus dem Ausland berichten weiterhin über Fälle von

Folter. Der regionale Schwerpunkt derartiger Vorwürfe liegt in den

Notstandsgebieten und den Großstädten des Westens. Die von der

Türkischen Menschenrechtsstiftung (Türkiye Insan Haklari Vafki -

TIHV) unterhaltenen Zentren zur Behandlung und Rehabilitation von

Folteropfern in Istanbul, Ankara, Izmir, Adana und Diyarbakir

dokumentieren substantiiert und glaubwürdig Fälle, in denen sich

Folteropfer zur Behandlung physischer und psychischer Schäden an die

Zentren gewandt haben. Der TIHV-Jahresbericht 1998 wies insgesamt

619 Fälle von Folter aus (die Mehrzahl davon auf Polizeiwachen

(436)). Nach Angaben des TIHV haben sich 1998 673 Menschen an die

von der Stiftung unterhaltenen Zentren zur Behandlung und

Rehabilitation von Folteropfern gewandt. Amnesty International gibt

im Jahresbericht 1999 die Zahl der im Laufe des Jahres 1998 in Haft

"verschwundenen", durch Folter zu Tode gekommenen oder

"außergerichtlich hingerichteten" Menschen insgesamt mit mindestens

30 an. Erleichtert werden Übergriffe durch die langen Verweilzeiten

im Polizeigewahrsam ohne Haftbefehl und ohne Anwaltszugang. ... Ein

weiterer Grund für diese Übergriffe liegt darin, dass die

Beweisführung türkischer Sicherheitskräfte in hohem Maß auf

Geständnissen beruht, denen traditionell von Gerichten ein sehr

hoher Beweiswert zugemessen wird. ... Der weitaus überwiegende Teil

der dokumentierten Folterfälle betrifft in Polizeigewahrsam

festgenommene Personen, gegen die noch kein Strafverfahren

eingeleitet wurde. ... Menschenrechtsorganisationen und die Medien

berichten darüber hinaus immer wieder von Personen, die im Polizeigewahrsam "verschwunden" sind. (Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei). Zu den angewandten Foltermethoden gehören schwere Schläge, das Nacktausziehen und das Verbinden der Augen, das Abspritzen mit einem starken, eiskalten Wasserstrahl, das Aufhängen an den hinter dem Rücken zusammengebundenen Armen oder Handgelenken, Elektroschocks, Schläge auf die Fußsohlen, Todesdrohungen, sexuelle Nötigung bis hin zur Vergewaltigung. Zu den Opfern zählen sowohl Oppositionelle als auch gewöhnliche Straftaten verdächtigte Personen, selbst Kinder, Frauen und alte Menschen sind hievon betroffen.

 

(amnesty international Länderkurzinfo, Koordinationsgruppe Türkei, vom 1.8.2000).

 

1.2.2. Maßnahmen gegen Parteien:

 

Das türkische Verfassungsgericht hat bereits in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit von Parteiverboten Gebrauch gemacht.

 

Die Schließungsverfahren richteten sich dabei entweder gegen vermeintlich islamistische oder pro-kurdische Parteien. Ebenso wie eine Meinungsäußerung durch die türkische Justiz leicht als separatistisch oder fundamentalistisch eingestuft wird, gilt dies analog auch für die Tätigkeiten von Parteien. Grundsätzlich zu unterscheiden ist jedoch zwischen den Verfahren gegen Parteien vor dem Verfassungsgericht und gegen ihre Amtsträger vor Straf- oder Sicherheitsgerichten, in der Regel wegen Meinungsdelikten oder dem Vorwurf der Unterstützung einer illegalen Organisation. In der jüngeren Vergangenheit gab es folgende Parteiverbote:

 

Die islamistisch orientierte Wohlfahrts-Partei (Refah Partisi), stärkste Partei bei den Wahlen 1995 mit einem Stimmenanteil von ca. 24%, wurde Anfang 1998 verboten. , die hiergegen gerichtete Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 31.07.2001 abgewiesen, da das Verbot der Refah Partisi nicht gegen die Vereinigungsfreiheit nach Art. 11 EMRK verstoße, sondern durch zwingende Erfordernisse zum Schutz einer demokratischen Gesellschaft gerechtfertigt sei. Die große Kammer des EGMR hat dieses Urteil am 13.02.2003 bestätigt. Es ist rechtskräftig.

 

Kurz vor dem Verbot der Refah-Partei hatten islamistische Politiker am 17.12.1997 die "Tugend- Partei" ("Fazilet Partisi", FP) unter Mehmet Recai Kutan gegründet. Die Refah- Mitglieder wechselten in die FP. Auch sie wurde vom Verfassungsgericht nach einem 22- monatigen Verfahren am 22.06.2001 aufgelöst. Dies führte zur Gründung von zwei Parteien:

 

Die Traditionalisten schlossen sich der "Glückseligkeits-Partei" ("Saadet Partisi") an, die Reformer der "Gerechtigkeits- und Entwicklungs-Partei" ("AK Partisi") unter Recep Tayyip Erdogan, dem jetzigen Ministerpräsidenten.

 

Das Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte HADEP - drei ihrer Vorgängerparteien (z.B. die DEP im Jahr 1994) waren bereits in früheren Jahren vom Verfassungsgericht verboten worden - endete am 13.03.2003 mit einem Verbot auch dieser Partei. Begründet wurde das Verbot mit angeblichen Verbindungen der Partei zur PKK/KADEK (S. unten II 1 f). Gegen 46 Politiker der HADEP wurde gleichzeitig mit dem Parteiverbot ein Politikverbot verhängt. HADEP-Bürgermeister und Kommunalvertreter im Südosten konnten aber als Unabhängige weiter im Amt verbleiben, sofern sie nicht mit einem Politikverbot belegt sind.

 

Ein Verbotsverfahren gegen die DEHAP (Demokratische Volkspartei), eine Nachfolge - bzw. Schwesterpartei der HADEP, wurde im April 2003 eingeleitet. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts steht noch aus. Die DEHAP steht in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht Verbindungen zur PKK (s.u.) zu unterhalten. Die DEHAP hatte bei den Parlamentswahlen am 03.11.2002 landesweit 6,2% der Stimmen erreicht, in vielen Wahlkreisen im kurdischen Südosten erreichte sie weit über 50% der Stimmen. Ein zweites Verbotsverfahren wurde gegen die DEHAP in Gang gebracht, weil sie vor der Wahl am 03.11.2002 Dokumente gefälscht haben soll.

 

Derzeit sind noch Parteiverbotsverfahren gegen die HAK-PAR (Partei der Rechte und Freiheiten, kurdisch-orientiert) und die sozialistische Arbeiterpartei anhängig.

 

Mit dem Reformpaket vom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Parteischließungen und Politikverbote erschwert. So wurde u.a. (entsprechend einer Verfassungsänderung vom 31.12.2002) die notwendige Mehrheit der Richter am Verfassungsgericht zur Schließung einer Partei auf drei Fünftel festgesetzt und die Einspruchsmöglichkeiten der betroffenen Partei gegen einen Schließungsantrag vor dem Verfassungsgericht ausgeweitet. Außerdem wurden strengere Regeln für Parteispenden eingeführt. Die Versagung des passiven Wahlrechts wurde beschränkt auf Verurteilungen in Staatsschutzangelegenheiten, Politikverbote wegen Meinungsdelikten wurden abgeschafft. Dies ermöglichte dem AKP-Vorsitzenden Erdogan, im März 2003 an Nachwahlen teilzunehmen undanschließend als Abgeordneter das Amt des Ministerpräsidenten zu übernehmen.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand April 2004, S 16,

17)

 

1.2.3 Behandlung Abgeschobener nach ihrer Rückkehr in die Türkei:

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat.

 

Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte (so die vom BT-Petitionsausschuss übermittelte Falldarstellung nach freiwilliger Ausreise einer kurdischstämmigen Familie, die kurz vor Abschiebung stand und wiederholt über mehrere Tage befragt wurde).

 

Besteht der Verdacht einer Straftat (z.B. Passvergehen, illegale Ausreise), werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet.

 

(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand April 2004, S. 44,45)

 

1.2.4. Gutachten des Sachverständigen (= SV), Herrn M.O., im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung vom 28.4.2005, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird:

 

"Die Hadep hat für einige Zeit Mitgliedsausweise ausgestellt hat, nachdem man gesehen hat, dass die Sicherheitskräfte festnehmen oder terroristische Aktivitäten unterstellte, hat man dann allen Teilorganisationen verboten Mitgliedsausweise auszustellen. Man hat zwar ein Schreiben bekommen, es sollte aber vernichtet werden, damit die Familie des Mitglieds nicht in Gefahr kommt. Viele Kurden haben es aber trotzdem nicht weggeworfen, weil es für sie aus emotionalen Gründen wichtig war, so eine Bescheinigung zu besitzen."

 

...

 

SV gibt an, dass er über ein Schreiben seines Vertrauensanwaltes verfügt, demzufolge Hadep-Mitglieder die ins Ausland gegangen sind, einem generellen Verdacht unterliegen, als potentielle Terroristen angesehen zu werden.

 

...

 

"Ja, das Urteil ist authentisch und wurde vom Staatssicherheitsgericht D. ausgestellt, allein von der Zahl her ist dies erkennbar, außerdem ist die Kurzfassung XX im Text enthalten, die eine Abkürzung für Staatsicherheitsgericht D. darstellt, ebenso ergibt sich dies aus dem verwendeten Stempel, der Anklageteil im Urteil fehlt und dort sind die Delikte enthalten, auch die Paragraphen des türk. StGB, aber aus dem Fakt, dass es beim Staatssicherheitsgericht anhängig war, ist sicher, dass es sich um ein Staatssicherheitsdelikt gehandelt hat und das Urteil auf Grundlage des Antiterror-Gesetzes gefällt wurde."

 

...

 

"Folterungen sind nach wie vor aktuell, es hat zwar etwas nachgelassen, dafür sind die Methoden härter geworden. Es hat 2003, gleich nach der Konstituierung der jetzigen Regierung ein Rundschreiben des türkischen Sicherheitsministeriums an alle Polizeibehörden gegeben, dass bei Folterungen niemand umgebracht werden dürfte, implizit geht dies aus dem Schreiben ganz klar hervor. Der Unterschied ist, dass heute im Verborgenen gefoltert wird, um der EU Genüge zu tun."

 

...

 

"Zunächst würde man ihn festhalten, Routinefragen stellen, seine Personalien aufnehmen, ihn dann der politischen Polizei übergeben, diese bekommen von der Informationssammelstelle Informationen über den BW, dann wird in seiner Heimatstadt über ihn recherchiert, ob irgendein Delikt über ihn vorliegt. Wenn hervorkommt, dass er vom Staatssicherheitsgericht verurteilt worden ist, in Haft gewesen ist, und dass er Mitglied der Hadep ist, und außerdem womöglich ein Strafverfahren gegen ihn anhängig ist, wird er an die Antiterroreinheit übergeben. Er wird sicher bereits bei der politischen Polizei misshandelt und bei der Antiterroreinheit gefoltert. Kommt es zu einer erpressten Anzeige, die er auch unterschreiben muss, genügt dies für eine Verurteilung durch das Staatssicherheitsgericht. D.h. durch die Strafgerichte, die heute das seinerzeitige Staatssicherheitsgericht ersetzt haben. Der einzige Unterschied ist, dass die Staatssicherheitsgerichte abgeschafft wurden, es sitzen dort keine Offiziere mehr zu Gericht, sondern es wurde in das türkische Gerichtssystem integriert, sonst ist alles gleich geblieben. Diese Umwandlung steht mit der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU in Zusammenhang."

 

...

 

"Ich verweise auf den Bericht des Vertrauensanwaltes (wie oben), dass Hadepmitglieder, die im Ausland sind unter dem Generalverdacht terroristischer Aktivitäten stehen."

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die zur Person des Berufungswerbers und zu seinem familiären und politischen Hintergrund getroffenen Feststellungen basieren auf seinem Vorbringen im Asylverfahren, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung. Es gab für die Berufungsbehörde keine Anhaltspunkte, an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu zweifeln.

 

2.2. Die zum Herkunftsstaat des Berufungswerbers getroffenen Feststellungen basieren auf den unter 1.2. jeweils genannte Quellen.

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o.a. Spruch am 28.4.2005 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005) sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 129/2004 (im Folgenden: AsylG) gilt. Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG sind Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 16/2002 zu führen.

 

Gemäß § 38 Abs. 1 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

3.1.2. Gem. § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

3.2. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung ist begründet:

 

Der Berufungswerber hat im Verfahren Furcht vor Verfolgung durch die türkischen Behörden - insbesondere wegen der ihm unterstellten Mitgliedschaft zu einer vom türkischen Staat bekämpften illegalen Organisation - geltend gemacht. Die Furcht des Berufungswerbers erweist sich nicht nur als begründet, sondern auch als asylrelevant.

 

Im Fall seiner Rückkehr in die Türkei ist davon auszugehen, dass über den Berufungswerber gesammelte Informationen auf Grund der routinemäßig durchgeführten Recherchen bei der Grenzkontrolle bereits der Grenzpolizei bekannt würden. Der Berufungswerber hat bereits bei der Einreise in die Türkei mit seiner Anhaltung, Festnahme und Befragung bzw. Überstellung an der für die Staatssicherheit zuständigen Polizeieinheit zu rechnen. Im Rahmen einer daran anknüpfenden Überstellung an die Anti-Terroreinheit ist das Risiko einer Misshandlung gegeben; Eingriffe in die psychische oder physische Integrität sind nicht auszuschließen, was sich aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, der davon spricht, dass es nicht auszuschließen ist, dass es zu Folterungen und erzwungenen Aussagen kommen wird.

 

3.3. Der hier in seiner Intensität zweifellos erhebliche Eingriff - Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit - in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen ist dann asylrelevant, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Unter politischer Gesinnung als Ursache eines drohenden Eingriffes ist alles zu verstehen, was auf die staatliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung und ihre konkrete sachliche und personelle Ausgestaltung bezogen ist, alles, was der Staat gegen sich, seine Ordnung, seinen Bestand, eventuell gegen seine Legitimität gerichtet erachtet. Im Fall des Berufungswerbers knüpft die Verfolgungsgefahr an seine politische Gesinnung an. Es ist davon auszugehen, dass seine Gesinnung vom türkischen Staat jedenfalls als eine gegen den Bestand des Staates gerichtete qualifiziert wird. Die oben dargestellten spezifischen Gefährdungsrisiken stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Annahme einer bestimmten (staatsfeindlichen) politischen Gesinnung von Seiten des türkischen Staates. Die vom Berufungswerber zu befürchtende Verfolgungsgefährdung knüpft somit eindeutig an den Tatbestand der "politischen Gesinnung" an.

 

3.4. Eine inländische Fluchtalternative steht dem Berufungswerber aus folgenden Gründen nicht offen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trägt der Begriff "inländische Fluchtalternative" dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss. Steht dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503; 25.11.19999, 98/20/0523). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614). Im konkreten Fall kann nicht angenommen werden, dass sich der Berufungswerber der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen kann; dies schon deshalb, weil sich die Gebiets- und Hoheitsgewalt der türkischen Regierung auf das gesamte Gebiet erstreckt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es dem Berufungswerber möglich wäre, sich über einen längeren Zeitraum hindurch erfolgreich versteckt zu halten.

 

3.5. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht, wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb der Türkei befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt.

 

Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dieser Bescheid wurde in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 28.4.2005 verkündet.

Schlagworte
asylrechtlich relevante Verfolgung, gesamte Staatsgebiet, politische Gesinnung, wohlbegründete Furcht
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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