TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/06 A5 228787-0/2008

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Veröffentlicht am 06.10.2008
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Spruch

A5 228.787-0/2008/14E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SCHREFLER-KÖNIG als Vorsitzende und die Richterin Mag. UNTERER als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Gertrude Wilhelm über die Beschwerde des N.M., geb.00.00.1975, Staatsangehöriger von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.4.2002, Zl. 01 29.481-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde des N.M. wird gemäß §§ 7,8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 19.12.2001 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 leg.cit. für zulässig erklärt.

 

I.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Berufung (ab 1.7.2008: Beschwerde).

 

I.3. Mit Einrichtung des Asylgerichthofes am 1.7.2008 ging gegenständliche Angelegenheit in die Zuständigkeit des nunmehr erkennenden Senates über.

 

I.5. Der Asylgerichtshof führte am 25. 9.2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung in der Beschwerdeangelegenheit durch, zu der der Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen wurde und persönlich erschienen ist.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

II.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und trägt den im Spruch angeführten Namen. Er reiste am 19.12.2001 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

 

II.1.2. Der nunmehrige Beschwerdeführer wurde von der belangten Behörde am 20.3.2002 niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Genannte zu Protokoll, seine Eltern, seine zwei Schwestern und sein Bruder seien am 00.00.2001 verstorben. Er habe von 1980 bis 1991 Grund- und Hauptschule besucht. Er stamme aus A., wo er bis zu seiner Ausreise gelebt habe. Zu seinen Fluchtgründen führte der nunmehrige Beschwerdeführer aus, dass sich in seiner Heimat zur Verbrechensbekämpfung eine Gruppierung namens "Bakassi Boys" formiert habe, der sich viele junge Männer, die keine Arbeit gefunden hätten, angeschlossen hätten. Die Leute fürchteten sich vor den Bakassis, die Menschen einfach töteten und neben Waffen auch Juju- Zauber verwendeten. So habe ein Schuhmacher seinem Vermieter etwa Geld geschuldet, sei aber nicht in der Lage gewesen, die sechs ausständigen Monatsmieten zu bezahlen. Aus diesem Grund habe der Vermieter die Bakassis zu dem Schuhmacher geschickt. Diese hätten dessen Besitz verbrannt und den Schuhmacher getötet. Dieser Vorfall habe zu einem Aufstand unter den Schuhmachern geführt, die darauf hin zum Sitz der Bakassis gezogen seien und deren Haus in Brand gesteckt hätten. Die Bakassis hätten daraufhin begonnen, die Schuhmacher der Stadt zu verfolgen und zu töten. In dieser Zeit habe der Vater des nunmehrigen Beschwerdeführers die gesamte Familie in ein Dorf namens U. gebracht. Der Genannte habe sich gerade bei einem Freund aufgehalten, als jemand in das Haus gekommen sei und davon berichtet habe, dass das Haus der Familie des Beschwerdeführers niedergebrannt worden sei und sämtliche Verwandte des Betreffenden ums Leben gekommen seien. Um sich selbst vor allfälligen Übergriffen zu schützen, sei der nunmehrige Beschwerdeführer nach Port Harcourt gegangen, wo er aber ebenfalls nicht bleiben habe können, nachdem die Bakassis auch dort aufgekreuzt seien.

 

II.1.3. Die belangte Behörde wies den Asylantrag des nunmehrigen Beschwerdeführers ab und erklärte die Rückführung des Genannten nach Nigeria für zulässig. Begründend hielt die belangte Behörde fest, dass es sich bei den geltend gemachten Übergriffen um von Privatpersonen ausgehende Aktionen handle und von einer entsprechenden Ahndung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden ausgegangen werden könne. Der Beschwerdeführer habe somit die Möglichkeit gehabt, seine Verfolger zur Anzeige zu bringen. Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid umfassende Feststellungen zu den Bakassi Boys.

 

II.1.4. Der Beschwerdeführer bekämpfte die Entscheidung der belangten Behörde fristgerecht mittels Berufung (ab 1.7.2008: Beschwerde) und führte aus, entgegen der dort getroffenen Annahme, die nigerianischen Behörden seien bemüht, die Folterungen und Tötungen durch die Bakassi Boys einzudämmen, würden diese vielmehr von Regierungsseite unterstützt. Die lokalen Gouverneure seien mittlerweile nicht mehr in der Lage, polizeiliche Schritte gegen gesetzwidrige Übergriffe der Bakassi Boys zu setzen.

 

II.2. Zur Lage in Nigeria

 

Nigeria ist eine föderale Republik in Westafrika, bestehend aus 36 Bundesstaaten und mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 140 Millionen Menschen. 1960 wurde in Nigeria die Unabhängigkeit von Großbritannien proklamiert. Die nachfolgenden Jahre waren von interkulturellen sowie politischen Unruhen und Gewaltausbrüchen geprägt, als schließlich das Militär (durch Igbo- Offiziere) 1966 die Macht übernahm und die erste Republik beendete. Die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen - abgesehen von 1979 bis 1983, als Shehu Shagari mit der Hilfe von General Obasanjo die zivile Regierungsmacht übertragen bekam - fanden erst wieder im Jahr 1999 statt, bei denen Olusegun Obasanjo als Sieger hervorging und anlässlich der Wahlen 2003 als solcher bestätigt wurde. (1+2)

 

Gemäß der nach amerikanischem Vorbild entworfenen Verfassung von 1999, die am 29. Mai 1999 in Kraft trat, verfügt Nigeria über ein präsidiales Regierungssystem mit einem Senat (109 Abgeordnete) und einem Repräsentantenhaus (360 Abgeordnete). Darüber hinaus gewährleistet die Verfassung ein Mehrparteiensystem und alle 4 Jahre stattfindende Wahlen. Der Präsident verfügt generell über weit reichende Vollmachten und ist sowohl Staatsoberhaupt, Regierungschef als auch Oberbefehlshaber der Armee. (3)

 

Am 14. und 21. April 2007 fanden die letzten Wahlen statt, bei denen die amtierende "People's Democratic Party (PDP) überlegen als Sieger hervorging, und Umaru Yar'Adua zum Präsidenten gewählt wurde. Damit erfolgte erstmals seit der Unabhängigkeit Nigerias die Machtübergabe von einer zivilen Regierung auf die nächste. (4)

 

USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 1, von 11.03.2008 (www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100498.htm).

 

UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 10-19, von 13.11.2007 (www.homeoffice.gov.uk/rds/country-report.html).

 

IDMC, "Nigeria: Institutional mechanisms fail to address recurrent violence and displacement", S. 1-4, von 29.10.2007 (www.internal-displacement.org).

 

Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, tand September 2007, S. 5-7, von 06.11.2007

 

Generelle Menschenrechtslage

 

Die Menschen- und Bürgerrechte sind im Grundrechtskatalog der Verfassung gewährleistet. Die Realität sieht allerdings anders aus; schlechte Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit, Korruption sowie die größtenteils mangelnde Ausbildung, Ausrüstung und Bezahlung der staatlichen Organe führen zu regelmäßigen Verletzungen der verfassungsrechtlich garantierten Rechte. (1)

 

In der nigerianischen Gesellschaft ist Gewalt ein alltägliches Phänomen, welche zumeist auch von Politikern zur Zielerreichung bewusst eingesetzt wird. Willkürliche Verhaftungen und Folter, sowie politisch motivierte Auftragsmorde durch Polizei und Militär sind keine Seltenheit. Die harschen Haftbedingungen und die schlechten Zustände in den Gefängnissen können lebensbedrohende Ausmaße annehmen. Selbstjustiz stellt daher in verschiedenen Landesteilen ein gravierendes Problem dar. Zu diesem Zweck wird hauptsächlich auf sog. "Vigilante Groups" (private Milizen, oft auch ethnisch motiviert) zurückgegriffen, welche durch die Regierungen einiger Bundesstaaten toleriert oder sogar aktiv unterstützt werden. (3)

 

Obwohl eine Verbesserung der Menschenrechtslage hinsichtlich ziviler und politischer Rechte seit 1999 festzustellen ist, wird nach wie vor von willkürlichen Ausschreitungen und Gesetzesverletzungen ausgehend von den nigerianischen Sicherheitskräften berichtet. Die Beschneidung essentieller Grundrechte, häusliche Gewalt, Diskriminierung der Frauen, Kindesmissbrauch sowie ethnisch, regionale und religiöse Diskriminierungen stellen in Nigeria wohl die signifikantesten und bislang sanktionslosen Rechtsverletzungen dar. (2)

 

Bakassi Boys

 

Die Bakassi Boys benennen sich nach der inzwischen von Nigeria zugunsten von Kamerun geräumten Bakassi Halbinsel. Sie treten in mehreren größeren Städten als private Sicherheitstruppen auf, bei denen die Einwohner gegen Zahlung eines Schutzgeldes " Sicherheit erkaufen" können. Von der Bevölkerung werden diese Gruppen dennoch teilweise unterstützt. Vor allem Händler und Kaufleute erwarten Schutz gegen Kriminalität und bewaffnetes Banditentum. Bei diesen außerhalb der Rechtsordnung stehenden privaten Milizen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen auf Angehörige anderer ethnischer Gruppen oder vermeintliche Kriminelle. Sie werden oftmals nicht der Polizei zur Strafverfolgung übergeben, sondern in Selbstjustiz getötet. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf diese Gruppen. Bei einem Mordprozess gegen vier Angehörige der Bakassi Boys Anfang Februar 2006 sprach die vorsitzende Richterin der Staatsregierung des Bundesstaates Abia ausdrücklich das Recht ab, "illegalen Sicherheitsorganisationen" polizeiliche Rechte zu verleihen (1).

 

(1) Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand September 2007, S. 5., von 06.11.2007.

 

(2) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 1, von 11.03.2007 (www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100498.htm).

 

(3) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 10-19, von 13.11.2007 (www.homeoffice.gov.uk/rds/country-report.html).

 

II.3. Rechtliche Beurteilung

 

II.3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 AsylGHG, BGBl.I Nr. 2008/4 nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.

 

II.3.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.3.3. Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

II.3.4. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

II.3.5. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

II.3.6. Gemäß § 66 Abs.4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

II.3.7. Auf die oben zitierte Bestimmung des § 23 AsylGHG, demzufolge die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, wird hingewiesen.

 

II.3.8. Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 in Kraft getreten. Gemäß § 75 Abs.1 erster Satz AsylG 2005 sind alle am 31. 12. 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Die letztgenannte Übergangsbestimmung normiert in ihrem Absatz 1, dass Verfahren zur Entscheidung von Asylanträgen, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt werden.

 

II.3.9. Gemäß § 124 Abs.2 des ebenfalls mit 1.1.2006 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verwiesen wird, an deren Stelle die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

 

II.3.10. Gegenständlicher Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz wurde am 19.12.2001 gestellt, so dass die Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. Nr. 126/2002 vollinhaltlich zur Anwendung gelangen.

 

II.3.11. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht und keiner der in Art.1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK idF des Art. 1 Abs.2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974 ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht", aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4. 1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr -Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Gemäß § 8 Abs.1 AsylG hat die Behörde, im Fall einer Abweisung des Asylantrages von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist.

 

II.3.12. § 8 AsylG verweist durch die Übergangsbestimmung des § 124 Abs.2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) auf § 50 FPG.

 

Gemäß § 50 Abs.1 FPG ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK, BGBl. Nr. 210/1958 oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen der innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Gemäß Abs.2 leg.cit. ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppen oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Gemäß § 50 Abs.3 FPG dürfen Fremde, die sich auf eine der in Abs.1 oder Abs.2 genannten Gefahren berufen, erst zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden, nachdem sie Gelegenheit hatten, entgegenstehende Gründe darzulegen. Die Fremdenpolizeibehörde ist in diesen Fällen vor der Zurückweisung vom Sachverhalt in Kenntnis zu setzen und hat dann über die Zurückweisung zu entscheiden.

 

Der Prüfungsrahmen des § 50 Abs.1 FPG wurde durch § 8 AsylG auf den Herkunftsstaat des Fremden beschränkt.

 

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 FPG wurde bereits geprüft und verneint.

 

Der Asylgerichtshof hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des Beschwerdeführers in sein Heimatland Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen Bedrohung der relevanten Rechtsgüter, hinsichtlich derer der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten, glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, 95/18/1291; 17.7.1997, 97/18/0336).

 

Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

II.4. Beweiswürdigung

 

Der Asylgerichthof gelangt nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Asylgewährung im oben beschriebenen Sinne nicht vorliegen.

 

Der Beschwerdeführer erstattete auch vor dem Asylgerichthof im Kern jenes Fluchtvorbringen, welches er bereits im Verfahren vor der belangten Behörde dargelegt hatte. Er beschrieb über weite Strecken sehr allgemein die Probleme, die zum Zeitpunkt seiner Ausreise in A. mit den Bakassi Boys bestanden hatten.

 

Der Asylgerichtshof bestreitet weder das Bestehen dieser Gruppierung noch deren Vorgehensweise, im Wege der Selbstjustiz Kriminalität zu bekämpfen oder unter diesem Vorwand selbst kriminelle Handlungen zu setzen.

 

Es ist dem Beschwerdeführer allerdings während des gesamten Verfahrens, zuletzt in der mündlichen Verhandlung, nicht gelungen, seine persönliche Betroffenheit von diesen Ereignissen, respektive eine sich auf ihn beziehende Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen. Es ist vielmehr der Eindruck entstanden, dass der Beschwerdeführer die seinerzeit herrschenden Umstände zum Anlass genommen hat, daraus seine eigene Fluchtgeschichte zu konstruieren. Schon die Angaben vor der belangten Behörde zeichneten sich durch ein hohes Maß an Abstraktheit aus, da der Genannte in erster Linie über die Entstehung der Bakassis und über einen - medial bekannten - Fall eines Schuhmachers sprach, der aufgrund ausständiger Zahlungen an seinen Vermieter von den Bakassis getötet worden sein soll.

 

Der Beschwerdeführer sprach damals davon, dass sich aus Rache über diese Vorgehensweise einige Schuhmacher zusammengeschlossen und ihrerseits den Hauptsitz der Bakassis angezündet hätten. Dies habe, so der Beschwerdeführer bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, dazu geführt, dass die Bakassis begonnen hätten, die Schuhmacher der Stadt zu verfolgen. Einer von ihnen sei der Vater des Beschwerdeführers gewesen, der gemeinsam mit der restlichen Familie des Genannten ums Leben gekommen sei.

 

In der mündlichen Verhandlung wollte er zunächst wieder im Detail über die Entstehung und das Verhalten der Bakassis sprechen und musste mehrfach aufgefordert werden, einen konkreten Zusammenhang zu seiner Person herzustellen. Anders als vor der belangten Behörde betonte er plötzlich, sein Vater sei so eine Art Direktor der Schuhmacher gewesen und habe die Bakassis nicht unterstützt, weshalb er offensichtlich von diesen getötet worden sei. Auf die Frage, auf welche Weise der Vater seine ablehnende Haltung gegenüber den Bakassis (außenwirksam) zum Ausdruck gebracht habe, zog sich der Beschwerdeführer darauf zurück, dass er dies etwa bei einem Treffen getan habe, ohne aber nähere Details zu schildern. Von einem Protest mehrerer Schuhmacher gegen eine willkürliche Aktion der Bakassi Boys, der sich letztlich in einer Brandstiftung am Hauptsitz der Bakassis entladen habe, berichtete der Beschwerdeführer nichts mehr und konnte er auch sonst nichts Näheres zur Rolle seines Vaters angeben oder erklären, warum die Bakassis gerade gegen diesen vorgegangen sein sollen.

 

Es ist für den Asylgerichtshof somit der Eindruck entstanden, dass der Beschwerdeführer allgemein bekannte Begebenheiten als Rahmen für seine Fluchtgeschichte verwendete. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer dem Asylgerichtshof eine, von ihm selbst handschriftlich verfasste und auf diverse Internetberichte gestützte, Darstellung der Bakassi Boys vorlegte, verstärkt noch den Eindruck, dass er sich vor der Verhandlung durch Internetrecherche nochmals auf den aktuellen Stand bringen wollte.

 

Wäre der Vater tatsächlich gezieltes Opfer der Bakassis geworden, so ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch mehrere Jahre nach den für ihn einschneidenden Erlebnissen in der Lage wäre, die konkreten Hintergründe (Brandstiftung durch Schuhmacher, darunter auch sein eigener Vater) wiederzugeben. Es ist unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer bloß aufgrund des Zeitablaufes seit den behaupteten Geschehnissen diese Details nicht mehr weiß. Er konnte sich offensichtlich an seine diesbezüglichen Angaben vor der belangten Behörde nicht mehr erinnern.

 

Selbst aber wenn man davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer im Zuge der damals herrschenden Auseinandersetzungen zwischen Teilen der Bevölkerung auf der einen Seite, und den Bakassis auf der anderen Seite, tatsächlich seine Familie verloren hat, so ist in Bezug auf die Frage der Asylrelevanz für ihn nichts zu gewinnen.

 

Aus allgemeinen Unruhen resultierende Todesfälle mögen zwar menschlich tragisch sein, sind aber für sich betrachtet nicht unter den Verfolgungsbegriff der GFK zu subsumieren. Der Beschwerdeführer hat zudem selbst zu keinem Zeitpunkt von gegen ihn gerichteten Bedrohungshandlungen, und zwar weder von staatlicher noch von privater Seite, gesprochen.

 

Eine staatliche Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit kann allgemein nicht festgestellt werden, zumal sich aus den aktuellen Länderberichten ergibt, dass einige Mitglieder der Bakassi Boys aufgrund von ihnen begangener Straftaten gerichtlich verurteilt wurden und in bestimmten Bundesstaaten- etwa auch in Abia State, wo der Beschwerdeführer angibt, herzukommen - ausdrückliche Verbote für diese Gruppierung bestehen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer selbst im Fall gegen ihn gerichteter Verfolgungshandlungen Schutz von Seiten der zuständigen staatlichen Stellen erwarten könnte und es ihm zudem auch möglich wäre, allfälligen Schwierigkeiten durch Vornahme eines innerstaatlichen Ortswechsels zu entgehen. Bei den Bakassi Boys handelt es sich um eine auf bestimmte Regionen Nigerias beschränkt agierende Gruppe.

 

An dieser Gesamtbeurteilung vermag auch die handschriftliche Stellungnahme des Beschwerdeführers, die dieser in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat, nichts zu ändern, zumal diese lediglich Zitate aus allgemein zugänglichen Quellen beinhaltet und Auskunft über die Existenz der Bakassi Boys und deren "Besonderheiten" gibt. Wie bereits erwähnt, bezweifelt der Asylgerichtshof nicht, dass es diese Gruppe tatsächlich gibt, sie bis in die jüngere Vergangenheit auch für verschiedene Straftaten verantwortlich war und von Teilen der Bevölkerung aus Unzufriedenheit mit den staatlichen Stellen bei der Kriminalitätsbekämpfung unterstützt wird.

 

Zur Frage des Refoulementschutzes wird auf die zutreffenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verwiesen. Die Sachlage hat sich nach dem Dafürhalten des Asylgerichtshofes zwischenzeitlich nicht nachteilig verändert, vielmehr haben die politischen Entwicklungen seit dem Jahr 1999 weitgehend zu einer Stabilisierung der Verhältnisse geführt und wurden seitens der Regierung große Anstrengungen in Richtung eines Demokratisierungsprozesses und Schaffung eines Rechtsstaates unternommen.

 

Es sind somit während des gesamten Verfahrens keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, die auf die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK oder darauf hindeuten würden, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in eine auswegslose und die Existenz bedrohende Lage geriete. Die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen als gesichert angenommen werden.

 

Es ist während des gesamten Verfahrens kein Anhaltspunkt hervor gekommen, der die Rückführung des Beschwerdeführers aus einem der genannten Gründe unzulässig erscheinen lässt.

 

Der Vollständigkeit halber wird darauf verwiesen, dass sämtliche vom Beschwerdeführer in seiner handschriftlichen Stellungnahme und in der mündlichen Verhandlung ins Treffen geführten Umstände in Bezug auf sein Privat- und Familienleben in Österreich - er hat aus einer mehrjährigen Beziehung mit einer Österreicherin einen zweijährigen Sohn - aufgrund der hier anzuwendenden Rechtslage unbeachtlich sind und von der zuständigen Fremdenpolizeibehörde im Zuge der Entscheidung über die Zulässigkeit der Ausweisung zu prüfen sein werden.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, innerstaatliche Fluchtalternative, mangelnde Asylrelevanz, non refoulement, Organisierte Kriminalität, staatlicher Schutz, Verfolgungsgefahr
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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