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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
ABGB §1002;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Thalhammer, über die Beschwerde des Karl Netousek in Wien, vertreten durch Dr. Michael Graff und Dr. Michael Brand, Rechtsanwälte in Wien I, Gonzagagasse 15, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 26. Februar 1998, Zl. MD-VfR - B XIX - 59 u. 60/97, betreffend Wiedereinsetzung in einem Bauverfahren (mitbeteiligte Parteien: Lydia und Dkfm. Geza Marti in Wien XIX, Agnesgasse 15c), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist als Nachbar Partei eines Baubewilligungsverfahrens betreffend die nachträgliche Bewilligung von baulichen Änderungen auf der Liegenschaft der Mitbeteiligten. Mit Bescheid vom 1. Februar 1996 erteilte der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, die begehrte Baubewilligung und wies die Einwendungen des Beschwerdeführers zum Teil zurück, zum Teil ab. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am Montag, dem 12. Februar 1996, zugestellt; die zweiwöchige Berufungsfrist endete am Montag, dem 26. Februar 1996. Seine mit 24. Februar 1996 datierte Berufung wurde am 27. Februar 1996 beim Postamt 1190 Wien aufgegeben. Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14. März 1996 vor, dass die Berufung offenbar verspätet sei. Darauf beantragte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 3. April 1996 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe am 26. Februar 1996 seinen Mitarbeiter W.B. beauftragt, die Berufung zur Post zu bringen. Er habe W.B. eingeschärft, noch am selben Tag die Berufung per Einschreiben zu versenden. Herr B. sei seit zwei Jahren in seinem Unternehmen tätig. Derartige Aufträge hätte er immer verlässlich erledigt. Dazu legte der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme des W.B. vor, die wie folgt lautet:
"Am 26.2.1996 erhielt ich von N. (=Beschwerdeführer) den Auftrag das Berufungsschreiben an die Ma 37-19, im Zuge meines täglichen Postganges verlässlich zur Post zu bringen. Er gab mir genügend Geld zur Bedeckung der Postspesen.
Ich verließ gemeinsam mit Frau N. bei Büroschluss um ca 17 Uhr, das Büro und fuhr mit meinem PKW zum Postamt. Hier musste ich feststellen, dass das Berufungsschreiben nicht unter den Poststücken befand. Ich war mir jedoch sicher, dieses Schreiben mitgenommen zu haben.
Nach erfolgloser Suche nach dem Brief, sowohl am Weg vom Parkplatz zum Postamt, als auch in meinem Fahrzeug, war ich nunmehr nicht mehr sicher den Brief mitgenommen zu haben. Ich habe versucht Frau N. telefonisch zu erreichen, um den Brief aus dem Geschäft holen zu können. Diese war jedoch nicht erreichbar, da Sie - wie ich später erfuhr - den Abend außer Haus bei Bekannten verbrachte. Herr N. war mir unbekannten Aufenthaltes in Salzburg unterwegs, sodass mir auch dessen Benachrichtigung nicht möglich war.
Ich selbst habe keinen Schlüssel zum Büro, darum habe ich die erfolglose Suche nach dem Brief abgebrochen, um am nächsten Tag die Sache in Ordnung zu bringen.
Am nächsten Tag, dem 27.2.1996 morgens habe ich mit meinem Fahrzeug einen Bekannten mitgenommen. Dieser hat mir beim Einsteigen einen Brief gezeigt, der zwischen Beifahrertür und Sitz eingeklemmt war. Dabei stellte sich heraus, dass es sich um das Berufungsschreiben handelte. Nunmehr wurde mir klar, wie es zu dem Verschwinden des Briefes gekommen sein konnte. Bei der Postfahrt wurde ich zu einer Notbremsung durch einen Fußgänger gezwungen. Da ich alle Poststücke auf den Beifahrersitz gelegt hatte, musste dieser Brief - der obenauf lag - verrutscht sein, ohne dass ich dies bemerkte.
Ich habe das Berufungsschreiben dann sofort zu Post gebracht und gehofft, dass die späte Aufgabe des Briefes niemand bemerken wird."
Mit Bescheid vom 22. September 1997 wies der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37, den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Berufungsfrist ab. Dabei ging die erstinstanzliche Behörde offenkundig von dem in der Stellungnahme dargestellten Sachverhalt aus.
In seiner dagegen erhobenen Berufung verwies der Beschwerdeführer darauf, dass er nicht verpflichtet sei, eine Berufung eigenhändig zur Post zu bringen; W.B. sei ständig mit Postgängen beschäftigt und habe seit fünf Jahren pünktlich und verlässlich Schreiben an die Behörde abgefertigt. Für den Beschwerdeführer sei nicht vorhersehbar gewesen, dass W.B. einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verhindert habe, wodurch der Brief in Verstoß geraten sei. W.B. habe aus Furcht vor möglichen persönlichen Folgen gehandelt. Jedenfalls treffe den Beschwerdeführer wegen Unvorhersehbarkeit des Ereignisses nicht der Vorwurf der Säumigkeit oder der Fahrlässigkeit. In der (hier nicht gegenständlichen) Berufung der Gattin des Beschwerdeführers wurde ausgeführt, dass W.B. aus Angst vor persönlichen Konsequenzen, wie Arbeitsplatzverlust oder Schadenersatzansprüchen, die verspätete Aufgabe des Poststückes verschwiegen habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer müsse für das Verhalten seines Boten einstehen und es sei dessen Verschulden dem Verschulden des Beschwerdeführers gleichzusetzen. Der Bote habe von der Dringlichkeit des Briefes gewusst, er hätte ihn nicht achtlos im Auto aufbewahren dürfen, zumal er jederzeit damit rechnen musste, dass der Brief bei einem jähen Abbremsen von seinem Aufbewahrungsort rutschen könne. Zudem habe der Bote seine Nachforschungen nach dem Verbleib des Briefes offenbar selbst nicht sorgfältig vorgenommen, da der Brief am nächsten Tag neben dem Beifahrersitz liegend habe vorgefunden werden können. Den Beauftragten habe nicht bloß ein geringfügiges, den minderen Grad eines Versehens nicht übersteigendes Verschulden getroffen.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragte.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und
erstattete eine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Wie der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, ist ein Ereignis dann unabwendbar, wenn sein Eintritt objektiv von einem Durchschnittsmenschen nicht verhindert werden kann; unvorhergesehen ist es hingegen, wenn es die Partei tatsächlich nicht miteinberechnet hat und seinen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (siehe die Nachweise bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 1552). Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, das heißt die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. August 1999, Zlen. 99/05/0174, 0175).
Die belangte Behörde ist, wie sich auch aus der Gegenschrift ergibt, von dem durch die Stellungnahme des W.B. bescheinigten Sachverhalt ausgegangen. Danach muss aber der vorübergehende Verlust des Berufungsschriftsatzes und die dadurch bedingte Versäumung der rechtzeitigen Postaufgabe auf Seiten des Beschwerdeführers als unvorhergesehenes Ereignis angesehen werden. Wenn dieser Brief am nächsten Tag durch Öffnen der Beifahrertüre gefunden wurde, stellt sich tatsächlich die Frage, ob W.B. mit der ihm zumutbaren Sorgfalt am Vorabend nach dem Brief gesucht hat. Da dem Beauftragten die Bedeutung und die Dringlichkeit des Schreibens durchaus bewusst war, müsste ihm bezüglich der Suche nach dem Schreiben ein Verhalten vorgeworfen werden, welches sich nicht mehr als leicht fahrlässig qualifizieren lässt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Allerdings ist eine andere Betrachtungsweise geboten, wenn es sich bei dem Überbringer des Berufungsschreibens nicht um einen Vertreter, sondern um einen Boten gehandelt hat; die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid stets von einem Boten aus - diese Qualifikation wird in der Gegenschrift nicht mehr aufrecht erhalten -, ohne auf die damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen Bedacht zu nehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat schon im Erkenntnis vom 28. November 1978, Slg. Nr. 9.706/A, ausgeführt, dass dann, wenn ein Bote den ihm erteilten Auftrag, eine Bescheidausfertigung zum bevollmächtigten Rechtsanwalt zu bringen, versäumt, darin für die Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis erblickt werden kann, das ohne ihr Verschulden die Einhaltung der Frist verhinderte, wenn sie der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nachgekommen ist. Dem ist der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung gefolgt (siehe die Nachweise bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 90 ff zu § 71 AVG; aus letzter Zeit etwa hg. Erkenntnis vom 30. September 1999, Zl. 99/02/0157).
Im vorliegenden Fall kommt also der Frage Bedeutung zu, ob W.B. als Bote oder als Vertreter anzusehen war. Ein Stellvertreter gibt an Stelle des Vertretenen und mit Wirkung für diesen eine eigene Erklärung ab, hingegen überbringt der Bote bloß eine Erklärung des Auftraggebers (Koziol-Welser, Grundriss des bürgerlichen Rechts I10, 181). Allein deshalb, weil eine Person mit der Verrichtung "aller Behördenwege" beauftragt ist, kann noch nicht zwingend auf ihre Vertretereigenschaft geschlossen werden; der diesbezügliche, unter E 90 bei Walter-Thienel a.a.O. wiedergegebene Rechtssatz stammt aus einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Juni 1991, Zl. 90/06/0191, in welchem dieser Frage allerdings keine entscheidende Bedeutung zukam:
"Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob der Ehegattin des Beschwerdeführers bloß die Funktion eines Boten oder die eines Vertreters (Behauptung in der Beschwerde: Verrichtung 'aller Behördenwege') zukam. Im ersten Fall wäre es nämlich Sache des Beschwerdeführers gewesen, nachzufragen, ob der Beschwerdeführervertreter die Beschwerde einbringen werde; im zweiten Fall hätte sich die Ehegattin, deren Verschulden als Vertreterin dem Vertretenen voll anzulasten wäre, darum kümmern müssen."
Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 11. September 1998, Zl. 96/19/2067, ausdrücklich darauf abgestellt, ob zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehegattin ein Bevollmächtigungsvertrag im Sinne des § 1002 ABGB dergestalt zu Stande gekommen sei, dass sich letztere zur Vornahme einer Rechtshandlung und nicht bloß zur Überbringung einer Erklärung an den Rechtsanwalt verpflichtete; für den erstgenannten Fall würde die Ehegattin als Vertreterin des Beschwerdeführers anzusehen gewesen, im anderen Fall als dessen Botin.
Der Beschwerdeführer hat in seinem Wiedereinsetzungsantrag behauptet, W.B. sei mit derartigen Aufträgen - Botengänge zu Bank und Post - immer verlässlich umgegangen; die belangte Behörde hat nur festgestellt, dass der Dienstnehmer W.B. beauftragt gewesen sei, den Brief mit der Berufung zur Post zu bringen. Daraus lässt sich aber tatsächlich nur die Boteneigenschaft des W.B. ableiten; ein Sachverhalt, dass W.B. zu rechtsverbindlichen Erklärungen gegenüber den Behörden bevollmächtigt gewesen wäre bzw. dass mit ihm ein Bevollmächtigungsvertrag im Sinne des § 1002 ABGB abgeschlossen worden wäre, wurde nicht festgestellt.
Das Verschulden des Boten trifft die Partei jedoch nicht. Der Partei kann lediglich die Vernachlässigung der zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht zum Vorwurf gemacht werden (hg. Erkenntnisse vom 28. Februar 1992, Zl. 91/10/0208, und vom 4. Oktober 1995, Zl. 94/01/0361).
Diese Überwachungspflicht beschränkt sich allerdings nicht darauf, dass eine besonders verlässliche Person mit der Postaufgabe betraut wird; in diesem Zusammenhang spielt nämlich die Bestimmung des § 71 Abs. 2 AVG eine entscheidende Rolle, wonach der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden muss. Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass der Beschwerdeführer, hätte er selbst den Weg zur Post zurückgelegt und wäre ihm der gleiche Sachverhalt unterlaufen, binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses, also seit dem Auffinden des Briefes am 27. Februar 1996, einen Wiedereinsetzungsantrag hätte stellen müssen. Zur Kenntnisnahme kam es aber nicht, weil der Bote den Beschwerdeführer über die Versäumung der Frist und die verspätete Postaufgabe nicht informiert hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nun in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass die Partei, die sich eines Boten zur Übermittlung bedient, ihrer Überwachungspflicht nur dann nachkommt, wenn die tatsächliche Ausführung des Auftrages durch entsprechende Nachfrage gesichert ist (siehe das hg. Erkenntnis vom 22. November 1999, Zl. 94/17/0188, wonach die Partei bei Betrauung eines Boten durch geeignete Nachfrage die Einhaltung der Berufungsfrist hätte sicherstellen müssen, wenn sie das Straferkenntnis einem Dritten zur Weiterleitung an einen Rechtsanwalt zum Zweck der Einbringung einer Berufung weitergegeben hat; vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom 11. September 1998, Zl. 96/19/2067, und vom 27. Februar 1998, Zl. 97/19/0417).
Der Beschwerdeführer hat nicht einmal behauptet, dass er seiner Überwachungspflicht durch eine entsprechende Nachfrage nachgekommen wäre. Wenn der Beschwerdeführer ohne jede Kontrolle davon ausgegangen ist, dass W.B. den Brief rechtzeitig zur Post gegeben hat, dann ist er der ihm zumutbaren und der Sachlage nach gebotenen Überwachungspflicht nicht nachgekommen, wobei insoferne auf Seiten des Beschwerdeführers auch von einem minderen Grad des Versehens keine Rede mehr sein kann.
Da somit die Verwaltungsbehörden im Ergebnis zu Recht den Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen haben, war auch die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. April 2001
Schlagworte
AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998050083.X00Im RIS seit
02.07.2001