A3 247.330-0/2008/5E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HOLZSCHUSTER als Vorsitzende und den Richter Mag. LAMMER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin VB WILHELM über die Beschwerde der M. alias A.G., geb. 00.00.1979, StA. Äthiopien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.01.2004, FZ. 02 13.736-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid bezüglich Spruchpunkt I behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. 1. Die (nunmehrige) Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Äthiopiens, reiste am 25.05.2002 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte in weiterer Folge am 27.05.2002 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Sie wurde hiezu sowohl am 25.05.2002 und 09.08.2002 als auch am 25.04.2003 niederschriftlich einvernommen.
2. Zur Begründung ihres Asylantrages brachte die Beschwerdeführerin zunächst im Zuge ihrer Ersteinvernahme am 25.05.2002 vor dem Grenzübergangsposten Marchegg vor, aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt vorherrschenden Kriegszustände zwischen Moslems und Christen ihr Herkunftsland verlassen zu haben. Als Mitglied der christlichen Glaubensgemeinschaft würde sie einer Minderheit angehören, welche immer wieder mit dem Umbringen bedroht werden würde (vgl. Seite 5 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes). Anlässlich ihrer niederschriftlichen Befragung vor dem Bundesasylamt am 09.08.2002 sowie am 25.04.2003 begründete die im Betreff Genannte das Verlassen ihrer Heimat ausschließlich mit ihrer Angst vor den Mitgliedern der Sicherheitsdienststellen in Äthiopien. Konkret habe sie an Schüler- und Studentenprotesten im April 2001 teilgenommen und wäre im Zuge der daraus entstandenen Unruhen von der Polizei festgenommen worden. Am Stadtrand von Debre - Markos hätte man den verhafteten Demonstranten in unmittelbarer Waldnähe gestattet ihre Notdurft zu verrichten und habe die Antragstellerin mit ungefähr 14 weiteren Personen die Gelegenheit dazu genutzt, die Flucht zu ergreifen. In weiterer Folge hätte sich Letztgenannte für die Dauer von neun Monaten bei Verwandten in Addis Abeba versteckt. Doch bereits einige Jahre zuvor, vermutlich im April 1997, habe die Asylwerberin aufgrund der politischen Aktivitäten ihres Vaters und ihres Bruders große Probleme bekommen. So wären unmittelbar nach Wechsel des herrschenden Regimes Sicherheitsbeamte der neuen Machthaber früh morgens ins Haus der Familie gekommen und hätten dort nicht nur die Gewehre des Vaters beschlagnahmt, sondern auch diesen zusammen mit dem Bruder der Beschwerdeführerin festgenommen. Zwar habe man beide nach ungefähr zwei Wochen wieder freigelassen, der Bruder wäre jedoch zwischenzeitlich zur Gänze verschwunden und müsse von dessen Ermordung ausgegangen werden. Am Abend der Verhaftung seien drei der uniformierten Männer neuerlich zuhause erschienen um die Antragstellerin zu entführen. In weiterer Folge habe man ihr die Augen mit einem Schleier verbunden und sie an einen unbekannten Ort gebracht, wo sie schließlich mehrfach bis zur Bewusstlosigkeit vergewaltigt worden sei. Am Tag nach den erlittenen Übergriffen "haben sie mich irgendwo mitten auf der Straße aus dem Auto rausgeworfen (Seite 47 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Die im Betreff Genannte wäre auch noch als Folge dieses Zwischenfalls schwanger geworden. Aus Scham habe sie zwar einen Arztbesuch vermieden, jedoch ansonsten alles getan, was in irgendeiner Weise zum Verlust ihres ungeborenen Kindes führen hätte können. Im fünften Monat "habe ich eine Fehlgeburt erlitten (Seite 47 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Aufgrund der weiterhin latenten Gefahr neuerlicher Übergriffe sei sie schließlich im Jahr 1998 nach Debre Markos übersiedelt und wäre es ihr dort, bis zu ihrer zuvor geschilderten Teilnahme an den Schülerprotesten einige Jahre später, möglich gewesen gänzlich unbehelligt zu leben. Im Falle einer Rückkehr nach Äthiopien "würde ich sterben, ich werde nie wieder zurück nach Hause gehen (Seite 49 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)."
3. Das Bundesasylamt wies in weiterer Folge den Asylantrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.01.2004 in Spruchteil I. unter Berufung auf § 7 AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab; in Spruchteil
II. stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Äthiopien gemäß § 8 leg. cit. nicht zulässig sei und wurde der im Betreff Genannten in Spruchpunkt III. gemäß §§ 15 Abs. 1 iVm 15 Abs. 3 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 30.01.2005 erteilt.
Die erstinstanzliche Behörde hat das Vorbringen der Asylwerberin als absolut unglaubwürdig eingestuft, zumal sich diese in eine Reihe von Widersprüchen verwickelt habe und darüber hinaus eine Vielzahl von Behauptungen als nicht nachvollziehbar zu qualifizieren sei.
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhob die im Betreff Genannte fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde) und wiederholte in ihrem Schriftsatz im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen. Die im angefochtenen Bescheid zitierten Widersprüche wären primär auf Dolmetschfehler zurückzuführen und hätten auch nicht die Asylwerberin selbst sondern deren Eltern den ins Treffen geführten Führerschein ein weiteres Jahr verlängern lassen.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005) sind "[A]lle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 (in der Folge: AsylG) i. d. F. der AsylG-Nov. 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die ab dem 01.05.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG in der jeweils geltenden Fassung, di. nunmehr die Fassung der AsylG - Nov. 2003, zu führen.
Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter (1.) über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und (2.) Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
Soweit sich aus dem B-VG, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, sind gemäß § 22 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2. Gemäß § 23 Abs. 1 AsylG i. d. F. der AsylG - Nov. 2003 ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden (vgl. auch Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG).
Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Dem angefochtenen Bescheid liegt aus folgenden Gründen ein qualifiziert mangelhaftes Ermittlungsverfahren zugrunde:
Das Bundesasylamt qualifizierte die Angaben der Antragstellerin aufgrund mehrerer Widersprüche als prinzipiell unglaubwürdig. Begründend wird unter anderem im angefochtenen Bescheid ausgeführt, dass der Verlust der Leibesfrucht im fünften Schwangerschaftsmonat ohne anschließender fachärztlicher Versorgung aus biologischer Sicht undurchführbar sei. Wie die belangte Behörde zu dieser Annahme gelangt, ist jedoch aus den getroffenen Feststellungen nicht schlüssig nachvollziehbar, zumal eine medizinisch fundierte Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen ist.
Des Weiteren hat es die belangte Behörde unterlassen zu erklären, weshalb es zwingend als unglaubwürdig angesehen werden müsse, dass die Beschwerdeführerin während des gesamten Tathergangs ihrer Vergewaltigung die Augen verbunden gehabt habe und somit Details des Schauplatzes nicht habe wahrnehmen können. Worauf diese Schlussfolgerung basieren soll, lässt das Bundesasylamt ebenso unbeantwortet, wie die Frage, weshalb es der Antragstellerin objektiv trotz Dunkelheit nicht möglich sein sollte, die ungefähre, nicht tatsächlich genaue, Zahl der mit ihr flüchtenden Gefangenen zu schätzen.
Insgesamt reduziert sich die Beweiswürdigung der Erstbehörde über weite Strecken auf eine Reihe abstrakt in den Raum gestellter Behauptungen und Mutmaßungen, welcher einer eingehenden Überprüfung nicht standzuhalten vermögen.
Dass die Asylbehörden verpflichtet sind, den entscheidungsrelevanten Sachverhalt amtswegig und umfassend zu ermitteln, und die Ermittlungsergebnisse dem Akt anzuschließen sind, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach erkannt. Dieser Verpflichtung ist das Bundesasylamt im konkreten Fall in keinster Weise nachgekommen, was an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben wird.
Da solcherart umfangreiche ergänzende Ermittlungen durchzuführen sind, hat der Asylgerichtshof von der durch § 66 Abs. 3 AVG eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, Abstand genommen und die Rechtssache gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur Verfahrensergänzung und Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen.
Der Gesetzgeber hat zur Sicherung der Qualität des Asylverfahrens einen Instanzenzug vorgesehen, der zum Asylgerichtshof als Beschwerdeinstanz (Art. 129 c Abs. 1 B-VG) führt. Diese Funktion als Beschwerdeinstanz würde aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Beschwerdeinstanz nähert, weil es das Bundesasylamt - im vorliegenden Fall mit einer bloß formelhaften Beweiswürdigung - ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen (vgl. VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084). Die über die Unvollständigkeit der Einvernahme hinausgehenden Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens sprechen auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens unter dem Gesichtspunkt, dass eine ernsthafte Prüfung des Antrags nicht erst bei der Beschwerdeinstanz beginnen und zugleich enden soll, für eine Behebung des angefochtenen Bescheides auf Grundlage von § 66 Abs. 2 AVG.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.