TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/09 S6 401782-1/2008

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Veröffentlicht am 09.10.2008
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Spruch

S6 401.782-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des J.P., geb. 00.00.1989, StA. Nigeria, vertreten durch Dr. Lennart BINDER LL.M., Rochusgasse 2/12, 1030 Wien gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.09.2008, Zahl: 08 00.569 - BAW, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Der Beschwerdeführer J.P., reiste am 14.01.2008 per Bus illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Am 15.01.2008 wurde seitens des Bundesasylamtes ein Eurodac-Abgleich veranlasst, der jedoch ergebnislos blieb und trotz mehrmaliger Versuche kein Resultat erzielt werden konnte.

 

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23.01.2008 gab der Beschwerdeführer an, deshalb aus seiner Heimat geflüchtet zu sein, da sein verstorbener Vater einem Geheimbund angehört hätte. Nach dessen Tod hätte der Bruder des Beschwerdeführers als ältester Sohn die Position des Vaters einnehmen sollen. Dieser habe allerdings abgelehnt und sei bald darauf ebenfalls verstorben. Daher hätte nun der Beschwerdeführer die Position seines verstorbenen Vaters übernehmen sollen und hätte er das nicht gewollt, da dieser Geheimbund lügen und opfern würde. In weiterer Folge sei der Beschwerdeführer in seinen Träumen von den Mitgliedern des Geheimbundes verfolgt worden.

 

Im Zuge derselben Einvernahme, wurde dem im Betreff Genannten mitgeteilt, dass sein Asylverfahren zugelassen werde.

 

Am 30.06.2008 wurde der Beschwerdeführer erneut erkennungsdienstlich behandelt und ergab diese Behandlung, dass er bereits am 02.05.2007 in Italien erkennungsdienstlich behandelt wurde und am 29.05.2007 in Italien einen Asylantrag stellte.

 

Das Bundesasylamt richtete am 12.08.2008 ein Wiederaufnahmegesuch den Beschwerdeführer betreffend an Italien, das sich auf Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates stützte.

 

Da Italien nicht auf das Wiederaufnahmegesuch reagierte, erfolgte am 12.09.2008 eine Information seitens Österreich an Italien, in der die Zuständigkeit Italiens gem. Art. 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates infolge Verfristung festgestellt wurde.

 

Am 12.09.2008 erklärte sich Italien verspätet zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gem. Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates bereit.

 

Das Bundesasylamt hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.09.2008, Zl. 08 00 569-BAW, den Asylantrag des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs 1 lit c iVm Art. 20 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und gemäß § 10 Abs 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Italien zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 24.09.2008 Beschwerde erhoben. Darin werden zunächst der Sachverhalt und der bisherige Verfahrensgang wiedergegeben. In weiterer Folge wird dem Bundesasylamt vorgeworfen, eine aufgrund mangelhafter Verfahrensführung inhaltlich unrichtige und rechtswidrige Entscheidung getroffen zu haben. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Italien als illegal Eingereister ohne Papiere aufgegriffen wurde und zu der Personengruppe zähle, die sofort zurückgeschickt werden, des Landes verwiesen werden oder für einen bestimmten Zeitraum aus humanitären Gründen in einem Camp angehalten werden könnten. Mit der Ausreise aus Italien befolgte der Beschwerdeführer offensichtlich die Auflage der italienischen Behörden, das Land zu verlassen. Sowohl aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers als auch aus den amtlichen Erhebungen zum in Italien praktizierten Asylprozedere gehe hervor, dass der Beschwerdeführer in Italien nicht mehr den Status eines Asylwerbers inne hätte und gäbe es demnach kein laufendes Asylverfahren für ihn in Italien. Die "stillschweigende Zustimmung" Italiens, für das Asylverfahren des Antragstellers zuständig zu sein, basiere lediglich auf Vernachlässigung von Verfahrensbestimmungen. Auch würde bei einer Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien die Gefahr einer Verletzung einiger in der EMRK verankerten Grundrechte bestehen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Am 01. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

§ 41 Abs. 3 AsylG besagt, dass in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Der Gesetzgeber hat einerseits für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide in Asylangelegenheiten sehr kurze Fristen vorgesehen (siehe §§ 41 Abs. 2 und 37 Abs. 3 AsylG), andererseits aber den Asylgerichtshof dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (vgl. § 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Beschwerdebehörde einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und in der Sache zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Beschwerdebehörde im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Beschwerdebehörde - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Um die etwaige Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen, wurde der Beschwerdeführer im konkreten Fall erkennungsdienstlich behandelt und wurde am 15.01.2008 ein Eurodac-Abgleich durchgeführt, der jedoch aufgrund der schlechten Qualität der Fingerabdrücke trotz mehrmaliger Versuche ergebnislos blieb.

 

Weder aus der Aktenlage noch aus dem erstinstanzlichen Bescheid geht hervor, weshalb zunächst kein Eurodac-Ergebnis erzielt werden konnte und die erkennungsdienstliche Behandlung, welche ergab, dass der Beschwerdeführer bereits in Italien einen Asylantrag stellte, erst am 30.06.2008 wiederholt wurde.

 

§ 28 Abs 1 letzter Satz AsylG sieht keine schrankenlose Ermächtigung vor, eine Zurückweisungsentscheidung außerhalb des Zulassungsverfahrens zu treffen; dies würde unvorhersehbares behördliches Handeln ermöglichen und zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips führen. Die Norm soll nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zu § 28 AsylG 2005 ausnahmsweise Fälle umfassen, in denen der Zurückweisungstatbestand erst nach dem Zulassungsverfahren zu Tage getreten ist (so auch UBAS 04.10.2006, 303.347-B1/E1- XVIII/59/06). Ein weiterer Anwendungsbereich sind Fälle, in denen - nach einer Behebung eines im Zulassungsverfahrens ergangenen Bescheides gemäß § 5 AsylG 2005 durch der Asylgerichtshof im Grunde des § 41 Abs 3 AsylG wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens (leg.cit. letzter Satz) und der damit in einem erfolgten Zulassung im Sinne des § 41 Abs 3 2. Satz AsylG - die Erstinstanz nach Ergänzung des Verfahrens eine neue Unzulässigkeitsentscheidung treffen will (eine andere Auslegung, die nach einer Behebung nach § 41 Abs 3 letzter Satz AsylG eine neuerliche Unzulässigkeitsentscheidung überhaupt für unzulässig erklärte, würde dem Gesetzeszweck ja wohl unverkennbar zuwiderlaufen, siehe näher Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, K3. und K4. zu § 41 Abs 3 AsylG).

 

Beide Konstellationen liegen im gegenständlichen Fall aber nicht vor. Aus der Aktenlage ist nämlich nicht ersichtlich, welcher Tatbestand erst nach dem Zulassungsverfahren zu Tage getreten wäre, welcher zu einer Zurückweisungsentscheidung berechtigt hätte. Der später erfolgte Eurodac-Treffer kann als solcher neu zu Tage getretene Tatbestand keinesfalls herangezogen werden, da wie schon oben erläutert es aus keinem Umstand ersichtlich wurde, dass die ursprünglich fehlgeschlagenen erkennungsdienstlichen Behandlungen der Sphäre des Asylwerbers als mangelnde Mitwirkung am Verfahren zugerechnet werden kann.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen. Bei dieser Sachlage konnte auch auf eine Erörterung der weiteren Kritik in der Beschwerde an der Vorgangsweise der Erstinstanz verzichtet werden.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Zurückweisungstatbestand
Zuletzt aktualisiert am
23.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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