B4 243.378-0/2008/8E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Vorsitzender und die Richterin Mag. Karin WINTER als Beisitzerin über die Beschwerde des A. R., geboren am 00.00.1971, kosovarischer Staatsangehöriger, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8.10.2003, Zl. 02 22.585-BAT, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer reiste am 14.8.2002 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich ein und begehrte am 16.8.2002 beim Bundesasylamt die Gewährung von Asyl.
2. Am 20.5.2003 beim Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen einvernommen, gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:
Er sei jugoslawischer Staatsangehöriger, gehöre der albanischen Volksgruppe, sei muslimischen Glaubens, und stamme aus dem in der kosovarischen Gemeinde F. gelegenen Ort P.. Den Kosovo habe er verlassen müssen, da ethnische Albaner ihm vorgeworfen hätten, er habe "während des serbischen Regimes" mit den Serben zusammengearbeitet. 2000 seien 4 bis 5 maskierte und bewaffnete Männer zu ihm nach Hause gekommen, hätten seine Familienangehörigen beschimpft und bedroht - er selbst sei nicht zu Hause gewesen - und das ganze Bargeld mitgenommen. Auch hätten sie seiner Frau gedroht, die Tochter zu entführen, sollte sich der Beschwerdeführer nicht stellen. Im Zeitraum von 2000 bis Juli 2002 habe es ca. 20 derartige Vorfälle gegeben. Die Personen seien immer in der Nacht gekommen. Von Juli 2002 bis zur Ausreise hätten sich der Beschwerdeführer und zum Teil auch seine Familie im Nachbardorf V. versteckt. Weiters brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine Tochter an Epilepsie erkrankt sei.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgetz 1997, BGBl. Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab (Spruchpunkt I.) und erklärte gemäß § 8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien und Montenegro, Provinz Kosovo" für zulässig (Spruchpunkt II). Es beurteilte die Angaben des Beschwerdeführers als glaubwürdig und traf auch Feststellungen zur Situation im Kosovo, jedoch nur zur medizinischen Versorgungslage. Die Abweisung des Asylantrages begründete das Bundesasylamt damit, dass die dem Beschwerdeführer drohenden Gefahren insofern nicht als vom Staat initiiert oder geduldet erschienen, als keine Erkenntnisse vorlägen, dass die Behörden im Kosovo Übergriffen Einzelner Vorschub leisten oder tatenlos hinnehmen würden; vielmehr weise alles darauf hin, dass sie bemüht seien, Straftaten zu verfolgen.
4. Gegen beide Spruchpunkte dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte, nun als Beschwerde (vgl. dazu weiter unten) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig. Es ist daher nach dem AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 zu führen.
1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz; Art. 1 BG BGBl. I 4/2008) sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf § 38 AsylG 1997. Diese Bestimmung spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG 1997 nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG 1997, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen (vgl. dazu AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist. Bei der Aufhebung nach § 66 Abs. 2 AVG handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Entscheidung (vgl. VwGH 21.6.1989, 89/01/0061).
2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084; 21.11.2002, 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH 12.12.2002, 2000/20/0236; 30.9.2004, 2001/20/0135; ebenso der Sache nach zu einem Verfahren, in dem der unabhängige Bundesasylsenat einen nach § 5 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 ergangenen Bescheid nach § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben hatte: VwGH 9.5.2006, 2005/01/0141) ausgeführt hat, war in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kam dem unabhängigen Bundesasylsenat - einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG idF vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hatte bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es war gemäß § 27 Abs. 1 AsylG 1997 grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber - so die Rechtsprechung zu dieser Rechtslage - unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor die Berufungsbehörde - den unabhängigen Bundesasylsenat - verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Asylwerbers sachgerecht einzugehen und - so die Beispiele der Rechtsprechung - brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Eine ernsthafte Prüfung des Antrages soll nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich enden, sieht man von der im Sachverhalt beschränkten Kontrolle ihrer Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof ab. Auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens konnte dies dafür sprechen, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Diese Erwägungen müssen umso mehr für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, der als Gericht nach Erschöpfung des Instanzenzuges (ua.) "über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen" erkennt, gelten (vgl. dazu ausführlich AsylGH 12.8.2008, C5 251.212-0/2008/11E).
3.1. Aus dem oben im Verfahrensgang Ausgeführten ergibt sich, dass das Bundesasylamt auf das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht sachgerecht eingegangen ist: Denn es hat sein Argument, die dem Beschwerdeführer drohenden Gefahren würden nicht vom Staat initiiert oder geduldet, nicht auf nachvollziehbare Herkunftsländerinformation, sondern bloß auf den Hinweis gegründet, es lägen keine Erkenntnisse vor, dass die Behörden im Kosovo Übergriffen Einzelner Vorschub leisten oder tatenlos hinnehmen würden, und dass alles darauf hinweise, dass die Behörden bemüht seien, Straftaten zu verfolgen. Vor dem Hintergrund, dass im (immer noch aktuellen) UNHCR-Positionspapier vom Juni 2006 "Personen, die mit dem serbischen Regime nach 1990 in Verbindung gebracht werden" als weiterhin schutzbedürftige Gruppe qualifiziert werden, kann auch nicht gesagt werden, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers der erforderliche Konnex zu den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründe fehlen würde.
3.2. Da der Beschwerdeführer zum Ergebnis der Ermittlungen zu den Gegebenheiten im Herkunftsstaat im genannten Themenbereich zu hören ist, ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 66 Abs. 2 AVG unvermeidlich, wobei es unerheblich ist, ob eine Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist.
3.3. Auf Grund der unter Punkt 2.2. angestellten Erwägungen kann auch nicht gesagt werden, dass die unmittelbare Beweisaufnahme durch den Asylgerichtshof bei einer Gesamtbetrachtung zu einer Ersparnis an Zeit und Kosten führen würde.
4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.