C6 211.582-0/2008/9E
G.H.; geb. 00.00.1974
StA: Türkei
SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG
DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENAT IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG
AM 30.4.2008 VERKÜNDETEN BESCHEIDS
SPRUCH
Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 38 Abs 1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idgF entschieden.
Der Berufung von G.H. vom 27.7.1999 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.5.1999, Zahl 99 02.079-BAW, wird stattgegeben und G.H. gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg cit wird festgestellt, dass G.H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
BEGRÜNDUNG
I. Bisheriger Verfahrensgang:
Am 16.2.1999 stellte die Berufungswerberin, ihren Angaben zu Folge türkische Staatsbürgerin und Angehörige der kurdischen Volksgruppe, in Österreich einen Asylantrag. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3.5.1999, Zahl 99 02.079-BAW, gemäß § 7 AsylG 1997 i.d.g.F. abgewiesen. Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Berufungswerberin in die Türkei zulässig ist. Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen der Berufungswerberin als glaubwürdig, verneinte jedoch eine Verfolgung iSd der Genfer Flüchtlingskonvention (in der Folge: GFK). Weiters verneinte das Bundesasylamt, dass die Berufungswerberin i.S.d. § 8 AsylG i.V.m. § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 BGBl. I 75 (in der Folge: FrG) bedroht oder gefährdet sei.
Mit Schriftsatz vom 27.7.1999 stellte die Berufungswerberin einen Antrag auf Wiedereinsetzung und erhob gleichzeitig das Rechtsmittel der Berufung. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Wien, vom 3.8.1999, Zahl 99 02.079-BAW, stattgegeben.
Der unabhängige Bundesasylsenat erhob Beweis durch Einsicht in die folgenden Dokumente:
Deutsches Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei (Stand September 2007);
Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei. Zur aktuellen Situation - Oktober 2007;
Home Office, Operational Guidance Note Turkey, 11 July 2006;
Schweizerisches Bundesamt für Migration, Focus Türkei - Folter und Misshandlung, 8. März 2007;
H.O., Türkei Zur aktuellen Situation - Oktober 2007;
Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 14.01.1992, Zl 4.313.189/2-III/13/91
und führte am 30.4.2008 eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung gemäß § 67d AVG unter Beiziehung eines Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in der Türkei durch, an der das Bundesasylamt nicht teilgenommen hat.
II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:
1. Folgender Sachverhalt steht fest:
1.1. Zur Person der Berufungswerberin:
1.1.1. Die Berufungswerberin ist türkische Staatsangehörige, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und gehört der christlichen Glaubensgemeinschaft an. Sie stammt aus dem Dorf G., Prozinv Bingöl und besuchte 5 Jahre die Volksschule.
Dem Vater der Berufungswerberin wurde mit Bescheid des Bundesministeriums für Inneres vom 14.01.1992, Zl 4.313.189/2-III/13/91, als Flüchtling in Österreich anerkannt. Aus dem den Vater betreffenden Verwaltungsakt ergibt sich: (Zuletzt) im Juli 1990 war der Vater Repressalien von Seiten des türkischen Militärs ausgesetzt, da man ihn verdächtigte, er hätte "die Freiheitskämpfer mit Lebensmitteln unterstützt." Zwar habe der Vater die Freiheitskämpfer nie unterstützt, da sie "nicht zu ihm nach Hause gekommen seien." Wäre dies der Fall gewesen, hätte er sie allerdings unterstützt, ebenso wie er seine "kurdische Abstammung" nicht verschwiegen hätte. Zu schweren Folterungen und Inhaftierungen war es bereits in den Sommermonaten 1988 und 1989 gekommen; jeweils wollte man wissen, wo sich die "Anarchisten" versteckt hielten, wo sie ihre Waffen hätten, wie ihre Namen seien. Im Jahr 1990 hat sich der Vater der Berufungswerberin wegen Unerträglichkeit seiner Situation zur Flucht entschlossen; zuvor hat man ihm/seiner Familie auch gesagt, "sie sollen verschwinden", man würde ihnen dafür auch Reisepässe geben.
Der Onkel der Berufungswerberin, G.D., war in den Jahren 1995 und 1996 wegen des Verdachtes, die kurdischen Freiheitskämpfer mit Lebensmitteln unterstützt zu haben, Repressalien (Entführung, Freiheitsentzug, Folterung) von Seiten des türkischen Militärs bzw. der Gendarmerie ausgesetzt, im Zuge derer er im Jahr 1996 verstorben ist.
1.2. Zum Herkunftsstaat der Berufungswerberin:
1.2.1. Zur hier relevanten Minderheitensituation:
Die Türkei erkennt Minderheiten als Gruppen mit rechtlichem Sonderstatus grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Lausanner Vertrags von 1923 an, der "türkischen Staatsangehörigen, die nichtmuslimischen Minderheiten angehören, (...) die gleichen gesellschaftlichen und politischen Rechte wie Muslimen" (Art. 39) garantiert. Weiterhin sichert er den nichtmuslimischen Minderheiten das Recht zur "Gründung, Verwaltung und Kontrolle (...) karitativer, religiöser und sozialer Institutionen und Schulen sowie anderer Einrichtungen zur Unterweisung und Erziehung" zu (Art. 40). Nach offizieller türkischer Lesart beschränkt sich der in Art. 37 bis 44 des Lausanner Vertrages niedergelegte, aber nicht auf bestimmte Gruppen festgeschriebene Schutz allerdings nur auf drei Religionsgemeinschaften: die griechisch-orthodoxe und die armenisch-apostolische Kirche sowie die jüdische Gemeinschaft.
Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost- und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig.
Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.
(Deutsches Auswärtiges Amt, S 15).
1.2.2. Mit dem Wiedererstarken des PKK-Terrorismus wurde seit Mitte 2005 der Ruf nach einschneidenden Maßnahmen zur Terrorbekämpfung lauter. Am 29.06.2006 hat das Parlament zahlreiche Verschärfungen im Anti-Terror-Gesetz verabschiedet (das Gesetz ist am 18.7.2006 in Kraft getreten). Die von Menschenrechts-Organisationen und den Medien stark kritisierten Änderungen sehen ua eine Rückkehr des abgeschafften Art. 8 Anti-Terror-Gesetz ("separatistische
Propaganda"), eine sehr offen formulierte Terror-Definition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Das Anti-Terror-Gesetz in seiner veränderten Form droht die Meinungsfreiheit weiter zu beschneiden und ermöglicht für viele Handlungen, die nicht in Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, die Verurteilung als Beteiligung an Terrordelikten. Das veränderte Anti-Terrorgesetz, wird allgemein als Konzession an die türkischen Sicherheitskräfte angesehen.
(Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, Stand Juni 2006, S. 14, 15).
Sippenhaft:
Auch in den letzten Monaten wurden Familienangehörige von staatskritischen AktivistInnen (Reflexverfolgung, Sippenhaft) bedroht. In einem Fall wurden Verwandte von Führungskräften eines kurdischen Vereins festgenommen, in einem anderen Fall wurden die Söhne eines Klägers im Semdinli-Fall festgenommen und gefoltert. Ebenso wurde der Vater eines führenden PKK-Mitglieds vermutlich Opfer einer extra-legalen Hinrichtung; in einem weiteren Fall wurden die Eltern eines in Belgien lebenden kurdischen Aktivisten nach monatelangen Drohungen durch türkische Behörden von Dorfschützern umgebracht. Auch die Angehörigen eines Militärdienstverweigerers wurden Opfer von Drohungen und Demütigungen durch die Gendarmerie. (siehe hierzu ua Türkei Zur aktuellen Situation - Oktober 2007, 23).
1.2.4. Gutachten des Sachverständigen (= SV), Herrn M.O., im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung vom 30.4.2008, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird:
SV bestätigt, dass ihm bekannt ist, dass über den Tod des Onkels der BW in der kurdischen Zeitung E. berichtet worden ist (Aug. 1996). Bei dieser Zeitung handelt es sich um eine von Kurden und türkischen Linken herausgegebene Zeitung. SV bestätigt weiters, dass der Bericht von Journalisten M.G. verfasst worden ist, der selber in Istanbul "liquidiert" worden ist, und zwar Ende 1996/Anfang 1997. SV bestätigt weiters, dass zu jenem Zeitpunkt in der Provinz Bingöl alle Dörfer im Kreis Yedisu und Kreis Kigi im Rahmen einer gezielten Militäraktion in Brand gesetzt wurden, die männlichen Dorfbewohner wurden am Dorfplatz "zusammengetrieben" und vor den Augen ihrer Frauen ausgezogen und gefoltert. Die Bergdörfer dieser Kreise wurden damals von türkischen Kampffliegern bombardiert.
...
"Man hat versucht, die Vertriebenen wieder zurückzuschicken, um ihnen dort das Leben wie früher zu ermöglichen. Die Armee hat das nicht zugelassen, weil die Provinz Bingöl immer noch als Sperrgebiet der türkischen Armee gilt. Jetzt findet auch dort wieder ein offener Kampf zwischen PKK und der Armee statt. Man versucht wieder, die Dorfbewohner als Dorfschützer zu rekrutieren und sie gegen die PKK im Kampf einzusetzen."
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"Es handelte sich um gebirgiges Land, wo Rückzugsmöglichkeiten für die PKK bestehen."
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"Bei kurdischen Familien, die politisch bekannt sind, besonders bei den Sicherheitskräften ins Blickfeld geraten sind, werden auch Familienmitglieder, die sich politisch nicht betätigt haben, ebenfalls gleichermaßen behandelt. Die Sippenhaftung gibt es in diesem Zusammenhang nach wie vor im Kurdengebiet. Im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei, da sie auch im Ausland gewesen ist, was den türkischen Sicherheitskräften sicher zur Kenntnis gelangt ist, wird man davon ausgehen, dass sie sich hier exilpolitisch betätigt hat, auch wenn dies nicht der Fall ist. Man wird ihr dies vorwerfen, weil ihre Familie eine exponierte Stellung hat. Möglicherweise wird man sie eine erpresste Aussage unterschreiben lassen, damit sie strafgerichtlich bestraft wird. Als Frau in diesem Gebiet alleine zu leben ist unmöglich. Man würde nicht zulassen, dass sie mit ihrem Mann in diesem Gebiet zusammenlebt, weil man dadurch Druck ausüben kann, damit der Mann mit der türkischen Armee kooperiert und die Verstecke der PKK preisgibt. Die BW wäre im Fall, dass sie in ihr Heimatdorf zurückkehrt, ein Druckmittel in den Händen der türkischen Sicherheitskräfte, um ihren Mann zu einer Kooperation zu zwingen oder auch sonstige Verwandte ersten Grades."
...
"Das war ein typisches Vorgehen zwischen 1991 und 2000, es wurden fast alle Wälder im Kurdengebiet vernichtet. Auch die Tierherden hat man von Flugzeugen aus vernichtet, unter dem Vorwand, dass sich Kämpfer in den Tierherden verstecken und so der Armee näher kommen könnten."
...
"Es geht auch um die Frage, ob die BW sich etwa in Istanbul hätte als Kurdin tarnen können. Von der Aussprache kann festgestellt werden, dass man aus dem Osten oder Südosten kommt. Das ist insofern ein Nachteil, dass man unter ständiger Beobachtung von Nachbarn und Sicherheitskräften steht, ob man Kontakt mit den kurdischen Organisationen hat. Als Frau alleine besteht keine Möglichkeit, unter diesen Bedingungen eine inländische Fluchtalternative zu ergreifen, gleich, ob es in Istanbul oder sonst wo sein soll."
...
"Zur Situation der Konvertiten zum Christentum: Die Türkei ist auf dem Weg zum radikalen Islamismus. Wenn man davon erfährt, dass die BW zum Christentum übergetreten ist, wird sie kein Verständnis finden. Man würde versuchen, sie dauernd körperlich zu attackieren und in der Nacht versuchen, in die Wohnung einzudringen oder Fenster einzuschlagen und versuchen, sie zu zwingen, wieder zum Islam zurückzukehren. Man würde sie zwangsweise in die Moschee bringen. Die BW würde bereits aufgrund ihres türkisch-islamischen Namens als Konvertitin gelten. Nur Personen, die christliche Namen haben, würden nicht derartigen Nachstellungen ausgesetzt sein."
2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung:
2.1. Die zur Person der Berufungswerberin und zu ihren familiären und politischen Hintergrund getroffenen Feststellungen basieren auf ihrem Vorbringen im Asylverfahren, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung sowie aus dem Verfahren den Vater der Berufungswerberin betreffend. Es gab für die Berufungsbehörde keine Anhaltspunkte, an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens zu zweifeln.
2.2. Die zum Herkunftsstaat der Berufungswerberin getroffenen Feststellungen basieren auf den unter 1.2. jeweils genannte Quellen.
3. Rechtlich folgt:
3.1.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.
Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit o.a. Spruch am 30.4.2008 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.
Gemäß § 75 Abs. 1 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005) sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG i.d.F. BGBl. I Nr. 129/2004 (im Folgenden: AsylG) gilt. Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG sind Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 16/2002 zu führen.
Gemäß § 38 Abs. 1 AsylG entscheidet der unabhängige Bundesasylsenat über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes.
3.1.2. Gem. § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...
3.2. Die Furcht der Berufungswerberin vor Verfolgung ist begründet:
Zur Situation der Berufungswerberin ist folgendes festzuhalten:
Zum einen stammt die Berufungswerberin aus einer Region, deren kurdische Einwohner sich über Jahre ziehenden Repressionshandlungen von Seiten der türkischen Behörden bis hin zu der geschilderten militärischen Attacke ausgesetzt waren - mit dem von Seiten des türkischen Staates verfolgten und deklarierten Ziel, die kurdischstämmige Bevölkerung zu vertreiben. Diese Intention der türkischen Behörden - konkret bezogen auf die Familie der Berufungswerberin - stimmt mit jenen Angaben überein, die der Vater der Berufungswerberin in dem ihn betreffenden Verfahren gemacht hat ("Man hat uns gesagt, wir sollen verschwinden.").
Des Weiteren ist der Vater der Berufungswerberin wegen Verfolgung aus Gründen seiner (im Ergebnis: ihm unterstellten) politischen Meinung in Österreich als Flüchtling anerkannt, nachdem er über einen länger andauernden Zeitraum immer wieder Folterungen durch die türkischen Behörden ausgesetzt war, bzw. auch im Beisein seiner Familie Misshandlungen unterzogen wurde.
Drittens ist der Onkel der Berufungswerberin aus ebensolchen Gründen (unterstellte Unterstützung der kurdischen Freiheitskämpfer) durch die türkischen Behörden gefoltert worden und im Zusammenhang damit unter nicht geklärten Umständen zu Tode gekommen.
Die Berufungswerberin ist damit Angehörige einer Familie, in der zwei Mitgliedern - und nahe Angehörige - Opfer von schwersten Verfolgungen durch die türkischen Behörden wurden.
Festzuhalten ist weiters, dass das Vorgehen der türkischen Behörden sich in diesen Fällen jeweils aus Gründen einer unterstellten politischen (staatsfeindlichen) Position gegen die Betroffenen gerichtet hat. Unabhängig davon, ob tatsächlich eine geäußerte politische Meinung im Sinne eines kurdischen Separatismus bestanden hat bzw. tatsächlich Unterstützungshandlungen für die "kurdischen Freiheitskämpfer" getätigt wurden, wurde den Bewohnern im Kreis Yedisu durch das Vorgehen des türkischen Militärs Staatsfeindlichkeit ohne Unterschied allein aufgrund der Ansässigkeit in dieser Region und Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe unterstellt. Gleiches gilt für die den Vater und den Onkel betroffen habenden Verfolgungshandlungen. Die Berufungswerberin ist damit in doppelter Weise bereits "stigmatisiert" bzw belastet: zum einen wegen ihrer Herkunft aus dem Kreis Yedisu - konkret aus dem durch die Militäroperation zerstörten Dorf G., deren Ziel es war, die - kurdischstämmigen - Bewohner zu vertreiben, nachdem sie bereits jahrelangen Repressionen ausgesetzt gewesen waren, woraus sich schließen lässt, dass die der kurdischen Volksgruppe angehörenden Bewohner der betroffenen Gebiete dem türkischen Staat in höchster - bis auf den Entzug der Lebensgrundlage gerichteten - Weise "mißliebig" sind; diese Tatsache ist - im Sinne der geforderten Gesamtschau - in Verbindung mit der Tatsache zu sehen, dass sich aus dieser Missliebigkeit ergebende Gefährdungsrisiko konkret und unmittelbar bereits in der Familie der Berufungswerberin in zwei Fällen verwirklicht hat: die den Onkel und den Vater betroffenen Verfolgung. Die Berufungswerberin stammt damit nicht nur aus einer Region, deren kurdische Bewohner Repressalien von Seiten des türkischen Staates ausgesetzt sind, sondern zudem aus einer Familie, in der bereits - aktenkundig - zwei Mitglieder und namensgleiche nahe Angehörige wegen unterstellter Unterstützung der "kurdischen Freiheitsbewegung" Opfer schwerwiegender Verfolgungshandlungen geworden sind. Aus all dem ergibt sich, dass auch für die Berufungswerberin eine hohe "Gefahrenneigung" für den Fall einer Rückkehr in den Heimatstaat besteht bzw. das Eintreten von Verfolgungshandlungen von Seiten des türkischen Staates nicht mit der - angesichts der Schwere des drohenden Eingriffes (Eingriff in Leib und Leben) - erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Diese Gefahrenneigung wird konkret noch dadurch verstärkt, dass angesichts der Augenfälligkeit des langen Auslandsaufenthaltes der Berufungswerberin und den sich daraus ergebenden Nachforschungen von Seiten der Behörden - nicht anzunehmen ist, dass sie ihre regionale und familiäre Herkunft zu verschleiern imstande sein wird.
3.3. Der hier in seiner Intensität zweifellos erhebliche Eingriff - Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit - in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen ist dann asylrelevant, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Unter politischer Gesinnung als Ursache eines drohenden Eingriffes ist alles zu verstehen, was auf die staatliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Ordnung und ihre konkrete sachliche und personelle Ausgestaltung bezogen ist, alles, was der Staat gegen sich, seine Ordnung, seinen Bestand, eventuell gegen seine Legitimität gerichtet erachtet. Im Fall des Berufungswerbers knüpft die Verfolgungsgefahr an seine politische Gesinnung an. Es ist davon auszugehen, dass seine Gesinnung vom türkischen Staat jedenfalls als eine gegen den Bestand des Staates gerichtete qualifiziert wird. Die oben dargestellten spezifischen Gefährdungsrisiken stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Annahme einer bestimmten (staatsfeindlichen) politischen Gesinnung von Seiten des türkischen Staates. Die von der Berufungswerberin zu befürchtende Verfolgungsgefährdung knüpft somit eindeutig an den Tatbestand der "politischen Gesinnung" an.
3.4. Eine inländische Fluchtalternative steht der Berufungswerberin aus folgenden Gründen nicht offen: Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trägt der Begriff "inländische Fluchtalternative" dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss. Steht dem Asylwerber die gefahrlose Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht (VwGH 08.09.1999, 98/01/0503; 25.11.19999, 98/20/0523). Das einer "inländischen Fluchtalternative" innewohnende Zumutbarkeitskalkül setzt voraus, dass der Asylwerber im in Frage kommenden Gebiet nicht in eine ausweglose Lage gerät (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614). Im konkreten Fall kann nicht angenommen werden, dass sich die Berufungswerberin der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil ihres Herkunftsstaates entziehen kann; dies schon deshalb, weil sich die Gebiets- und Hoheitsgewalt der türkischen Regierung auf das gesamte Gebiet erstreckt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass es der Berufungswerberin möglich wäre, sich über einen längeren Zeitraum hindurch erfolgreich versteckt zu halten.
3.5. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Gesamtbetrachtung der Situation der Berufungswerberin zu der Beurteilung führt, dass sich die Berufungswerberin aus wohlbegründeter Furcht, wegen ihrer politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb der Türkei befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt.
Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Dieser Bescheid wurde in der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 28.4.2005 verkündet.