TE AsylGH Bescheid 2008/10/09 C6 221861-0/2008

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Veröffentlicht am 09.10.2008
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Spruch

C6 221.861-0/2008/11E

 

W.H.

 

geb. 00.00.1964, StA.: Afghanistan;

 

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG

 

DES VOM UNABHÄNGIGEN BUNDESASYLSENATES IN DER MÜNDLICHEN VERHANDLUNG

AM 9.4.2003 VERKÜNDETEN BESCHEIDS

 

SPRUCH

 

Der unabhängige Bundesasylsenat hat durch das Mitglied Mag. Judith PUTZER gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 38 Abs.1 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) idgF, entschieden:

 

Der Berufung von W.H. vom 28.3.2001 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.3.2001, Zahl 00 18.075-BAL, wird stattgegeben und W.H. gemäß § 7 AsylG 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg cit wird festgestellt, dass W.H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

BEGRÜNDUNG

 

I. Verfahrensgang:

 

Am 19.12.2000 stellte Herr W.H. in Österreich einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.3.2001, Zahl 00 18.075-BAL, § 7 AsylG 1997 abgewiesen. Unter Spruchpunkt II dieses Bescheides wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers nach Afghanistan zulässig sei. Begründend wurde ausgeführt, dass es dem Berufungswerber nicht gelungen sei, eine konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlung aus den im Artikel 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe glaubhaft zu machen.

 

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Berufung.

 

Die Berufungsbehörde erhob Beweis durch die Einsichtnahme in folgende Dokumente:

 

UNHCR: Überlegungen zur Rückkehr von afghanischen Staatsangehörigen, die sich derzeit in Aufnahmeländern aufhalten, die nicht an Afghanistan grenzen, 13. Februar 2002;

 

Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge: Afghanistan Information, Politische Entwicklungen, Übergangsregierung und Entscheidungspraxis vom Februar 2002;

 

Auswärtiges Amt, Ad hoc-Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Afghanistan, Stand Ende Mai 2002;

 

Human Rights Watch Briefing Paper: Taking Cover - Women in Post-Taliban Afghanistan, Mai 2002;

 

Human Rights Watch Briefing Paper: Afghanistan: Return of the Warlords, Juni 2002

 

Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen vom 12. Juli 2002 über die Lage der afghanischen Frauen und Mädchen (Report of the Secretary-General on the situation of women and girls in the territories occupied by Afghan armed groups, submitted in accordance with Sub-Commssion resolution 2001/15), E/CN.4/Sub.2/2002/27;

 

Dr. D.M., Stellungnahme vom 05.08.2002, erstattet an das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein;

 

Dr. G.B., Stellungnahme vom 26.08.2002, erstattet an das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein;

 

zur Situation von Musiker in Afghanistan, siehe die Ausführungen des Sachverständigen vom 9.2.2001 zu GZ: 209.618;

 

APA0024 5 AA 0088 vom 28. September 2002;

 

APA0474 5 AA 0164 CC vom 13. November 2002;

 

APA0192 5 CA 0419 AA vom 25November 2002;

 

Singing Khabrabat¿s Praises, Bericht des Instituts for War & Peace Reporting;

 

Afghan police beat musicians defying ban, Reuters, 16.10.2002

 

und die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 17.3.2003 und am 9.4.2003 unter Beiziehung eines Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in Afghanistan. An der Berufungsverhandlung nahm das Bundesasylamt nicht teil. Das Bundesasylamt hatte die Abweisung der Berufung beantragt.

 

II. Der unabhängige Bundesasylsenat hat erwogen:

 

1. Folgender Sachverhalt wird festgestellt:

 

1.1. Zum Berufungswerber:

 

Der Berufungswerber ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und stammt aus Kabul. Er besuchte das Gymnasium, verließ dieses jedoch in der 11. Klasse. Von 1984 bis 1986 besuchte er die technische Berufsschule. Der Berufungswerber war Mitglied der VDPA und beim Khad tätig . Von 1993 bis zu seiner Flucht arbeitete er im Betrieb seines Vaters . Darüber hinaus war der Berufungswerber aktiver Musiker und war Mitglied einer Musikgruppe ; er hatte auch einen Radiovertrag.

 

Es gibt Aufnahmen, die den Berufungswerber musizierend und auch beim Alkoholkonsum zeigen. Aufgrund seiner Aktivitäten kam es auch zu Festnahmen des Berufungswerbers.

 

Auch nach der Flucht war der Berufungswerber als Musiker tätig und nahm an verschiedenen Konzerten teil.

 

1.2. Zur Situation in Afghanistan:

 

1.2.1. Allgemeine politische Lage:

 

Das Eingreifen der Anti-Terrorallianz und der Sturz des Taliban-Regimes bietet Afghanistan nach 22 Jahren Bürgerkrieg und kriegerischer Auseinandersetzung die Chance auf einen Neubeginn. Allerdings ist derzeit weder der Kampf gegen die Al-Kaida- und Talibankämpfer abgeschlossen noch ein Ausgleich zwischen den innerafghanischen Fraktionen erreicht, die Wirtschaftlage ist weiterhin desolat, die humanitäre Situation weiterhin schwierig (Auswärtiges Amt, 2). Die Sicherheitslage ist im Allgemeinen und hinsichtlich bestimmter Bevölkerungsgruppen in bestimmten Regionen Afghanistans immer noch sehr schlecht .

 

Auf der Großen Ratsversammlung (Loya Jirga) im Juni 2002 wurde eine Übergangsregierung unter dem Präsidenten Hamid Karzai gebildet, unter der eine Verfassung geschaffen und allgemeine demokratische Wahlen vorbereitet werden sollen, damit in etwa zwei Jahren eine reguläre, demokratisch legitimierte Regierung etabliert werden kann. De facto reicht die derzeitige Staatsmacht unter Präsident Karzai nicht über die Stadtgrenzen von Kabul hinaus . Zwar ist in Kabul mit der Anwesenheit einer internationalen Friedentruppe (ISAF) von über 4000 Mann eine Regierung entstanden, die in der Lage ist, eine übergreifende Ordnung in der Hauptstadt umzusetzen, so dass dort extreme Formen von Auseinandersetzungen unterbunden werden und der Einzelne im Großen und Ganzen nicht um seine Existenz zu fürchten braucht. Selbst in der Hauptstadt mit ihren großen Ausläufern, in denen inzwischen wieder fast zwei Millionen Menschen leben, kann die Regierung nicht überall - insbesondere nicht in den Vororten - die staatliche Ordnung durchsetzen.

 

Außerhalb Kabuls herrscht politisches Chaos bzw Uneinheitlichkeit . Einzelne Stammesfürsten bzw ehemalige Mujaheddin-Kommandanten sind Träger der lokalen Macht und herrschen mehr oder weniger unabhängig von den Vorgaben der Zentralregierung in Kabul . Die Macht von Karzai bzw. der Zentralregierung reicht nicht aus, alle Teile Afghanistans zu kontrollieren. Jede Zone - Afghanistan ist in Zonen geteilt - wird von den jeweiligen Kommandanten, die diese Region von den Taliban befreit hat, kontrolliert.

 

Eine funktionierende Polizei existiert derzeit in Afghanistan nicht. Der Aufbau einer afghanischen Polizei, in der alle Ethnien gleichberechtigt vertreten sind, spielt eine Schlüsselrolle für die Wiederherstellung der inneren Sicherheit in Afghanistan (Auswärtiges Amt, 6). Das afghanische Recht war (bereits) vor dem Taliban-Regime unter den Mujaheddin durch die islamische Scharia bestimmt. Unter Berufung auf die Scharia werden Frauen in einer Reihe von Bereichen benachteiligt: im Familienrecht (Sorgerecht stets beim Vater), im Erb-, Zivilverfahrens und Strafrecht (insbes. Ehebruch). Ebenso wie es an Verwaltungsstrukturen fehlt, kann bislang auch nicht von einer nur ansatzweise funktionierenden Justiz gesprochen werden. Es besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem Personal. Eine Strafverfolgung von Übergriffen lokaler Machthaber außerhalb Kabuls ist praktisch nicht möglich. Auf dem Land wird die Richterfunktion von lokalen Räten (Shuras) übernommen. Eine zuverlässige Aussage darüber, wann nach der Taliban-Willkürherrschaft wieder ein funktionierendes Verwaltungs- und

 

Gerichtssystem etabliert sein wird, ist nicht möglich (Auswärtiges Amt, 10).

 

Auf Grund der hohen Anzahl von rückkehrenden Flüchtlingen ist die Versorgungslage für die mittlerweile über zwei Millionen in Kabul lebenden Menschen schlecht. Besonders die Wasserversorgung ist besorgniserregend: Der Grundwasserpegel fällt derzeit wegen Regenmangels rapide ab, die Kanalisation ist zerstört, aus altertümlichen Latrinen kommen giftige Keime ins Grundwasser, und an vielen Stellen der Hauptstadt Kabul kann kein sauberes Trinkwasser mehr aus der Tiefe geholt werden, weil die Pumpen defekt sind. Hilfsorganisationen halten den Ausbruch einer Cholera-Epidemie für möglich. In den Außenbezirken der Hauptstadt haben sich bereits Elendsviertel gebildet, in denen obdachlose Rückkehrer aus dem Ausland fürs erste Unterschlupf finden. In diesen neuen Armenvierteln fehlt es derzeit noch an den einfachsten sanitären Einrichtungen (APA0192 5 CA 0419 AA vom 25.11.2002).

 

1.2.2. Gutachten des Sachverständigen (= SV), Herrn R., im Rahmen der mündlichen Berufungsverhandlung vom 9.2.2001 zu GZ 209.618, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird:

 

"... Tatsächlich haben die modernen Künstler und Gruppen, insbesondere die modernen Bands, den Zulauf der Jugend zu der kommunistischen Partei intensiviert, weil die Emanzipation, zB die Überwindung der Trennung zwischen den Mädchen und Jungs doch durch solche Musikgruppen ermöglicht wurde. Der Beginn der Überwindung der Geschlechtertrennung innerhalb der Jugend geschah bei den festlichen Veranstaltungen, wo moderne Musik gespielt wurde und dass die Jugend im Rahmen dieser Musik sich nach dem Vorbild der europäischen Jugend kennenlernte. Diese Musik animierte die Jugend zum Tanz. Es ist richtig, dass die kommunistische Partei und ihre Jugendorganisation die moderne Musik als Animationsmittel für die Jugend eingesetzt hat, um ihre Mitgliederbasis zu erweitern. Diese Musikanten waren somit in der kommunistischen Propaganda intensiv involviert und sie wurden von den Kommunisten für ihre Zwecke soweit benutzt, dass diese in der Gesellschaft als verdorbene Personen, d.h. von der Tradition im Islam abgekommene Personen, betrachtet wurden. Diese Personen wie der BW lebten für die afghanischen Verhältnisse sehr modern, sodass diese in der konservativen Gesellschaft auch in Kabul heute noch als die ehemaligen Lästerer der Tradition und Religion verpönt sind. Die Angaben des BW über seine Fluchtgründe nach M. sind authentisch und entsprechen der Wirklichkeit in K., wie auch in M.. Diesbezüglich weise ich auf die Angaben des BW hin. Die Situation in Kabul war in den Jahren ab der 2. Hälfte des Jahres 1992 sehr verworren, denn die Mujaheddin-Parteien, die zunächst eine Koalition gebildet hatten, haben sich gegenseitig bekriegt, sodass die Stadt Kabul bis zum Einmarsch der Taliban 1996 in Schutt und Asche gelegt wurde. Die Hälfte der Kabuler Bevölkerung flüchtete allmählich nach Herat, Mazar i Sharif, Jalalabad, in ihre Herkunftsregionen und in das Ausland. Die Flucht des BW nach M. war eben die logische Folge der kriegerischen/politischen Situation in Kabul in dem genannten Zeitpunkt. Der BW hat in M. nicht nach den Prinzipien eines islamischen Staates - Schluss mit der modernen Musik und dem modernen Leben - gelebt, sondern seine moderne Musik und sein modernes Leben dort fortgesetzt und in den höchsten Kreisen der Herrschaft in M. Musik gespielt. Die zahlreichen Beweismittel, zB Bilder, belegen, dass der BW auch in M. und S. durch seine Auftritte seine Spuren hinterlassen hat, sodass er im Falle einer Rückkehr nicht nur in K., sondern auch in M. und S., von den Taliban erkannt und verfolgt werden würde. Ich gehe nicht davon aus, dass die Taliban die Künstler Afghanistans dokumentiert haben, sondern Teile der Bevölkerung, die mit den Taliban arbeiten, die konservativ eingestellt sind und denen solche Musikgruppen seinerzeit ein Dorn im Auge waren, den BW bei den Taliban verraten. Die Taliban selbst verfolgen die Personen nicht direkt, sondern nach Anzeigen und Hinweisen aus der Bevölkerung werden die angezeigten Personen verfolgt.

 

Die Angaben des BW, dass er von M. geflüchtet sei, um sich vor möglichen Gefahren in Sicherheit zu bringen, entspricht der Wirklichkeit in M.. Die meisten Künstler und Kommunisten haben M. als Zwischenstation verstanden und waren versucht in das Ausland zu flüchten, um sich vor eventuellen Gefahren zu schützen. Es ist richtig, dass Teile der Kommandanten von Dostum, wie Rasool Pahlawan, zügellos waren. Sie haben willkürlich Personen umgebracht, die ihnen nicht gepasst haben. Deshalb haben auch Künstler sich nicht frei betätigen können, sondern suchten nach Möglichkeiten, von der höchsten Stelle geschützt zu werden. Diesen Schutz konnte General Dostum diesen Personen nicht immer gewähren. Dostum war persönlich Künstlern gegenüber sehr offen und förderte Kunst- und Theater in Mazar i Sharif. Schlussfolgernd möchte ich anmerken, dass der BW zu jener Gruppe der Kommunisten und kommunistischen Künstler gehört, die nach ihrer Rückkehr von den Taliban als Ungläubige und dekadente verwestlichte Personen gegen die Traditionen Afghanistans verfolgt werden. Wie oben erwähnt, besteht die Gefahr, dass der BW von dritter Person bei den Taliban verraten wird. Die Taliban nehmen diese Anzeige als willkommenen Anlass, diese Personen zu bestrafen. Der BW wird aufgrund seiner sehr modernen künstlerisch und modern geprägten Ausdrucksweise in der afghanischen Gesellschaft auffallen. Die kommunistische Erziehung der Pioniere und der Mitglieder der Jugendorganisation hat diese nicht nur politisch, sondern auch sprachlich und im Umgang mit den Menschen modern geprägt, sodass diese in der traditionellen Gesellschaft unter der Herrschaft einer sehr traditionell und fundamentalistischen Regierung auffallen. Man kann zwischen der VDPA Partei und deren Jugendorganisation keinen Unterschied machen. Die Jugend müsste zuerst in die Jugendorganisation eintreten und an den Aktivitäten der kommunistischen Partei teilzunehmen, um das Vertrauen der kommunistischen Partei zu gewinnen, erst dann würden sie als Vollmitglied der kommunistischen Partei aufgenommen werden. Zum Schluss möchte ich darauf hinweisen, dass die enge Beziehung des BW und seiner Gruppe zur kommunistischen Partei auch der Inhalt des revolutionären Liedes beweist, das der BW in der heutigen Verhandlung schriftlich, wie mündlich geäußert hat. Bei diesem Lied geht es um die Stellung der Künstler und Kommunisten gegen die Mujaheddin und die afghanische Tradition."

 

2. Die obigen Feststellungen ergeben sich aus folgender Beweiswürdigung:

 

2.1. Die Feststellungen zur Person des Berufungswerbers ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Akt, der Berufung und den Angaben des Berufungswerbers und seiner Ehegattin in der mündlichen Verhandlung. Für den unabhängigen Bundesasylsenat gab es vor dem Hintergrund des Vorbringens des Berufungswerbers und dem dazu in der mündlichen Verhandlung am 9.2.2001 zu GZ 209.618 erstatteten Gutachten des Sachverständigen keine Anhaltspunkte dahingehend, an der Richtigkeit der Angaben des Berufungswerbers zu zweifeln.

 

2.2. Die Feststellungen zur aktuellen Situation in Afghanistan beruhen auf den jeweils angeführten Quellen. Die beigeschafften Dokumente, die von - teilweise vor Ort agierenden - Personen und Organisationen hoher Reputation stammen, erhalten substantiierte Darstellungen der Situation und ergeben in ihren Aussagen ein übereinstimmendes nachvollziehbares Gesamtbild.

 

2.3. Die Feststellungen unter 1.2.2. entsprechen dem in der mündlichen Verhandlung am 9.2.2001 zu GZ: 209.618 durch den beigezogenen Sachverständigen erstatteten Gutachten.

 

3. Rechtlich folgt:

 

3.1. Mit 1.7.2008 wurde der Asylgerichtshof als unabhängige Kontrollinstanz in Asylsachen eingerichtet. Die maßgeblichen verfassungsmäßigen Bestimmungen bezüglich der Einrichtung des Asylgerichtshofes befinden sich in den Art 129c ff B-VG.

 

Gemäß Art 151 Abs 39 Z 1 B-VG wird mit 1.7.2008 der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof. Gemäß Z 4 leg cit sind am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Bereits aufgrund der genannten Bestimmungen und der in ihnen erkennbar vom Verfassungsgesetzgeber vorgesehenen Kontinuität ergibt sich, dass der Asylgerichtshof auch für die schriftliche Ausfertigung von mündlich verkündeten Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates zuständig ist. Da die ausfertigende Richterin des Asylgerichtshofes dieselbe Person wie das für das Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat zuständige Senatsmitglied ist, ergeben sich auch aus dem Grundsatz der richterlichen Unmittelbarkeit keine Bedenken. Im vorliegenden Fall wurde der Berufungsbescheid mit oa Spruch am 9.4.2003 und damit vor Einrichtung des Asylgerichtshofes beschlossen und öffentlich verkündet.

 

3.2. Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG werden Verfahren zur Entscheidung über Asylanträge und Asylerstreckungsanträge, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl I Nr 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 126/2002 geführt.

 

Da gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBI I Nr 101/2003 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abzustellen ist, war gegenständlich auch über die Berufung gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I Nr 76/1997 idF BGBI I Nr 126/2002 abzusprechen.

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG begehren Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl.

 

Gem § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Der verwiesene Art 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet: Im Sinne dieses Abkommens findet der Ausdruck "Flüchtling" auf jede Person Anwendung, die ... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Gesinnung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; ...

 

3.3. Zur Dartuung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt wurden; eine solche ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen im Lichte der speziellen Situation des Flüchtlings unter Berücksichtigung der Gesamtsituation im Verfolgerstaat mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu befürchten wären (VwGH 26.2.1997 Zl: 95/01/0454). Nicht erforderlich ist, dass bereits tatsächlich Verfolgungshandlungen gegen den oder die Betroffene stattgefunden haben, da die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - sich nicht auf vergangene Ereignisse bezieht (vgl VwGH 10.9.1997, 96/21/0424), sondern eine Prognose erfordert (Vgl auch VwGH 5.11.1992, 92/01/792).

 

3.4. Die Furcht des Berufungswerbers vor Verfolgung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan ist begründet:

 

3.4.1. Beim Berufungswerber stellt sich die Situation in der Weise dar, dass dieser durch seine moderne künstlerische Ader und seine modern geprägte Ausdrucksweise nicht in das Sittenbild der Taliban passt und somit in jeder Hinsicht als "auffällig" zu beschreiben ist. Überdies ist er auch wegen seiner politischen Gesinnung zu sehen ist, als Feindbild für die Taliban zu qualifizieren. Es ist daher für den unabhängigen Bundesasylsenat auf Grund der Darlegungen des Sachverständigen in den öffentlichen mündlichen Verhandlungen am 9.2.2001 zu GZ 209.618 und dem glaubwürdigen Vorbringen des Berufungswerbers und seiner Ehefrau durchaus klar gestellt, dass der Berufungswerber einer Verfolgungsgefahr in Afghanistan ausgesetzt ist. Dies auch deshalb, weil der Berufungswerber zu jener Gruppe von Kommunisten gehört, die von den Taliban als Ungläubige und dekadente verwestlichte Personen angesehen werden, welche sich gegen die Tradition der Taliban stellen würden. Dabei erscheint es insbesondere nachvollziehbar, dass gerade unter dem Taliban- Regime, bei welchem die Islamvorschriften noch präzisiert wurden, wonach z. B. Kleidervorschriften, Bart wachsen lassen usw. vorgegeben werden, kein Raum für eine Person - wie der Berufungswerber selbst - mit einer anderen Lebens- und Denkweise in einem solchen fundamentalistischen Regime vorgesehen ist. Hervorzuheben ist auch, dass der Berufungswerber durch seine musikalische Tätigkeit sowohl in K. als auch in M. Spuren hinterlassen hat, welche im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan nicht unbeachtet bleiben würden.

 

Festzuhalten ist, dass bei Gesamtbetrachtung der geschehenen Vorfälle im Falle einer Rückkehr des Berufungswerbers mit maßgebender Wahrscheinlichkeit von einer Verfolgungsgefahr auszugehen ist.

 

3.4.2. Der in seiner Intensität asylrelevante Eingriff in die vom Staat schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft. Im Fall des Berufungswerbers steht die Verfolgungsgefahr in einem Konnex zu seiner Tätigkeit als Musiker und Mitglied der VDPA und daher zum Konventionsgrund der "sozialen Gruppe" sowie "politischen Gesinnung".

 

3.4.3. Das Bestehen einer inländischen Schutzalternative in anderen Gebieten Afghanistans ist im Fall des Berufungswerber zu verneinen, weil die vom Berufungswerber geltend gemachte Furcht vor Verfolgung im gesamten afghanischen Staatgebiet besteht.

 

3.4.4. Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Berufungswerber aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Religion außerhalb Afghanistans aufhält und auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

4. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schlagworte
gesamte Staatsgebiet, politische Gesinnung, soziale Gruppe
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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