D3 305286-3/2008/4E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Kuzminski als Einzelrichter über die Beschwerde des D.A., geb. 00.00.1984, StA. Russische Föderation (Tschetschenien), gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.9.2008, Zl. 08 07.628-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 idgF stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der Berufungswerber reiste spätestens am 22.03.2005 in das Bundesgebiet ein und brachte an diesem Tag einen (ersten) Asylantrag ein. Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29.03.2005 gab er zu seinem Fluchtgrund an, russische Soldaten hätten ihn im Jänner (2005) mitgenommen und für circa 15 Tage an einem unbekannten Ort festgehalten. Dort sei er mit Händen und Füßen geschlagen und mit Strom gefoltert worden. Er sei öfters festgenommen worden. Es sei um irgendeine Blutrache gegangen, sie hätten wissen wollen, wo sich seine Schwester und sein Schwager befänden. Da er vom Militär mit dem Umbringen bedroht worden sei, habe er seine Heimat verlassen.
Am 05.04.2005 und am 28.08.2006 wurde der Berufungswerber nochmals zu seinem Fluchtgrund befragt Er bestätigte die Richtigkeit seiner Angaben in der Ersteinvernahme und ergänzte sein Vorbringen dahingehend, dass er im Jahr 2005 insgesamt dreimal von russischen bzw. tschetschenischen Soldaten festgenommen und mehrere Tage lang festgehalten worden sei. Man habe ihn jedes Mal über die Kämpfer aus der Nachbarschaft befragt, dabei sei er beschimpft und geschlagen worden. Beim dritten Mal sei er im Zuge seiner 15-tägigen Anhaltung wieder über seine Nachbarn befragt worden, dabei habe man ihm die Rippen gebrochen. Nach der Bezahlung von Lösegeld habe man ihn freigelassen und er habe flüchten können. Sein Vater sei umgebracht worden.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 00.00.2006 wurde der Berufungswerber nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen rechtskräftig verurteilt.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.08.2006, Zl. 05 03.951 BAI, wurde I. der (erste) Asylantrag des Berufungswerbers gemäß § 7 AsylG abgewiesen, II. festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig ist, und III. dieser gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.
Dieser Bescheid wurde aufgrund einer rechtzeitigen Berufung mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 17.09.2007, Zl. 305.286-C1/6E-XV/52/06, behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
Am 22.10.2007 fand eine ergänzende Einvernahme des Berufungswerbers statt, in welcher dieser lediglich ausführte, bereits in seiner Einvernahme vom 28.08.2006 alles über seine Probleme erzählt zu haben, er habe dem weder etwas hinzuzufügen noch etwas zu berichtigen.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.10.2007, Zl. 05 03.951-BAI, wurde I. der (erste) Asylantrag des Berufungswerbers neuerlich gemäß § 7 AsylG abgewiesen, II. festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig ist, und III. dieser gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen des Berufungswerbers aus näher dargelegten Gründen unglaubwürdig sei und dass gegen ein Refoulement sprechende Gründe nicht vorlägen. Dieser Bescheid wurde dem Berufungswerber am 29.10.2007 durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt zugestellt und erwuchs mit Ablauf des 12.11.2007 in Rechtskraft.
Der Berufungswerber stellte sodann am 06.12.2007 seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag gab er an, er habe sein Land verlassen, weil er Probleme mit den Russen gehabt habe. Dies habe er jedoch bereits bei seinem ersten Antrag geschildert. Er habe keine neuen Fluchtgründe, im Fall seiner Rückkehr befürchte er, von den Russen umgebracht zu werden. Seit seiner Antragstellung im Jahr 2005 habe er sich durchgehend in Österreich aufgehalten.
Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt vom 12.12.2007 wiederholte der Berufungswerber im Wesentlichen diese Darstellung. In seinem Heimatland werde er nach wie vor von den Sicherheitskräften in Tschetschenien verfolgt. Die Gründe, welche er bei seiner ersten Antragstellung angegeben habe, seien gleich geblieben, bei einer Rückkehr fürchte er um sein Leben. Er habe Angst, von den russischen Sicherheitskräften verfolgt zu werden, weil der Gatte seiner Schwester geflüchtet sei und nunmehr der Berufungswerber den Sicherheitskräften Auskunft über dessen Aufenthaltsort geben solle. Der Berufungswerber führte überdies aus, er habe in Österreich eine litauische Freundin und beabsichtige, diese zu heiraten. Er halte sich manchmal bei Freunden, manchmal auch bei seiner Freundin auf. Außerdem lebe eine Schwester des Berufungswerbers mit ihren Kindern in B.. Seine Schwester habe nach ihrer Heirat im Heimatland nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit dem Berufungswerber gewohnt, im Jahr 2003 habe sie wiederum circa zwei bis drei Monate im Haus der Eltern gewohnt und sei schließlich aus dem Heimatland ausgereist. Nach seiner Ankunft in Österreich habe der Berufungswerber circa acht Monate in der gleichen Pension wie seine Schwester verbracht, ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis zu dieser habe jedoch nie bestanden.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vom 21.12.2007 zur Wahrung des Parteiengehörs führte der Berufungswerber wiederum aus, dass in Österreich seine Schwester samt ihren Kindern lebe. Weiters habe er seine Freundin nach moslemischer Tradition am 00.00.2007 geheiratet und lebe seither mit dieser im gemeinsamen Haushalt, sei jedoch noch nicht an der gleichen Adresse gemeldet. Seine Mutter habe ihm in einem Telefonat mitgeteilt, dass er nach wie vor von russischen Militärangehörigen gesucht werde, diese seien zum Elternhaus des Berufungswerbers gekommen und hätten nach ihm gefragt. Diese Männer suchten ihn bereits seit dem Jahr 2005.
Eine von der belangten Behörde veranlasste ärztliche Untersuchung des Berufungswerbers durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin am 18.01.2008 ergab, dass bei diesem keine belastungsabhängige krankheitswerte psychische Störung vorliegt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des Berufungswerbers auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und II. der Berufungswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Berufung mit der Begründung, dass sich seit dem letzten Asylantrag des Berufungswerbers der maßgebliche Sachverhalt verändert habe. Im Zuge des ersten Verfahrens hätten die Fluchtgründe des Berufungswerbers keine ausreichende Berücksichtigung gefunden. Zwar habe der Berufungswerber keine neuen Tatsachen vorgebracht, er werde jedoch nach wie vor von Männern der Föderation gesucht. Im Fall seiner Rückkehr bestehe daher die Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit. Die neueren Urteile des EGMR zeigten, dass nicht in jedem Fall der Beweis einer individuellen Gefährdung erbracht werden müsse, sondern je nach den Umständen auch gut dokumentierte Belege dafür genügten, dass die betroffene Person in eine nachweisbar gefährliche Situation zurückkehren müsste.
Mit Bescheid vom 21.05.2008, 305.286-2/2E-XV/52/08, wies der Unabhängige Bundesasylsenat die Berufung vom 10.03.2008 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.02.2008, Zahl 07 11.389-EAST Ost, gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 AsylG 2005 ab.
Am 23.08.2008 stelle der Antragssteller im Stande der Schubhaft seinen dritten, nunmehr verfahrensgegenständlichen, Antrag auf internationalen Schutz.
Im Zuge der Erstbefragung durch das Landespolizeikommando Wien am 25.8.2008 führte der Antragsteller aus, dass seine bisherigen Fluchtgründe nicht der Wahrheit entsprochen hätten. Er sei aus Tschetschenien geflohen, da ihn ein Freund namens C.M. der wie er in K. gewohnt hätte, im Herbst-Winter 2005 ersucht habe zwei Pistolen und Handgranaten von U. nach G. zu bringen. C.M. habe die Mujaheddin im Krieg unterstützt, der Antragsteller selbst habe nie gekämpft. Für die Fahrt habe er 100 US-Dollar erhalten. Insgesamt habe es zwei Fahrten gegeben. Sein Freund sei verhaftet worden und hätte die unterstützende Tätigkeit des Antragstellers gegenüber der Polizei erwähnt. Daraufhin sei er von der russisch föderalen Polizei im Dezember 2005 festgenommen worden. Auf der Polizei in U. sei er während seiner 15tägigen Haft befragt und misshandelt worden. Durch Schläge sei eine seiner Rippen auf der linken Seite gebrochen worden und Zigaretten seien auf seinem Körper ausgedrückt worden. Gegen die Bezahlung einer Kaution von 2.500 US-Dollar durch seine Mutter sei er freigelassen worden. Ein Mitarbeiter von O. namens XY, cirka 30-40 Jahre alt, hätte in sodann mit seiner Ermordung bedroht. Dieser Mann hätte auch schon seinen Freund getötet. Nach einem zehntätigen Krankenhausaufenthalt sei er sodann aus Tschetschenien geflohen. Befragt warum er diese Gründe bisher nicht angegeben habe, führte er aus, dass er Angst gehabt habe, da XY nunmehr Polizeichef von U. sei und er befürchtet habe, dass dieser seine Abschiebung aus Österreich erreichen könnte.
Am 03.09.2008 teilte das Bundesasylamt dem Antragsteller mit, dass beabsichtigt sei seinen Antrag wegen des Vorliegens einer entschiedenen Sache gemäß § 86 AVG zurückzuweisen.
Am 09.09.2008 wurde der Asylwerber im Beisein einer Rechtsberaterin vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, unter Beiziehung eines Dolmetschers der russischen Sprache wie folgt einvernommen:
F: Haben Sie Beweismittel oder identitätsbezeugende Dokumente, die sie vorlegen möchten?
A: Nein.
F: Was können Sie über den Verbleib ihres Reisepasses angeben?
A: Ich hatte noch nie einen Reisepass.
F: Haben Sie bereits eine ausführliche Rechtsberatung in Anspruch genommen?
A: Ja.
F: Sind Sie mit Ihrem Rechtsberater einverstanden oder haben Sie Einwände gegen diesen?
A: Ich bin mit dem Rechtsberater einverstanden und habe keine Einwände.
F: Haben Sie einen Vertreter beziehungsweise einen Zustellbevollmächtigten in Ihrem Asylverfahren?
A: Nein.
Mir wird erneut zur Kenntnis gebracht, dass meine Angaben die Grundlage für die Entscheidung im Asylverfahren sind, im Verfahren Wahrheitspflicht besteht und dass meinen Angaben im Asylverfahren eine verstärkte Glaubwürdigkeit zukommt.
F: Wie fühlen Sie sich?
A: Ich fühle mich gut und bin in der Lage der Einvernahme zu folgen.
F: Verstehen Sie den Dolmetscher? Haben sie Einwände gegen ihn?
A: Ich verstehe in gut und habe keine Einwände.
F: Sie wurden am 23.08.2008 beim Landespolizeikommando Wien, Polizeianhaltezentrum Hernalser Gürtel einer Erstbefragung unterzogen. Entsprechen ihre dort gemachten Angaben der Wahrheit?
A: Ja.
F: Sie haben erstmals am 22.03.2005 beim Bundesasylamt einen Asylantrag gestellt. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes abgewiesen. Sie brachten dagegen zunächst eine Berufung ein, der Unabhängige Bundesasylsenat behob den Bescheid und wurde der antrag zwecks Erlassung eines neuerlichen Bescheides an das Bundesasylamt verwiesen. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.10.2007 wurde Ihr Asylantrag abgewiesen. Sie brachten dagegen keine Berufung ein, der Bescheid erwuchs mit 13.11.2007 in Rechtskraft.
Am 06.12.2007 brachten Sie neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Dieser wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes wegen entschiedener Sache gemäß § 68 zurückgewiesen. Sie brachten dagegen eine Berufung ein. Diese wurde vom Unabhängigen Bundesasylsenat abgewiesen. Der Bescheid erwuchs mit 06.06.2008 in Rechtskraft. Warum stellen Sie nun im Stande der Schubhaft einen neuen Asylantrag?
A: Ich habe Angst vor einer Rückkehr nach Tschetschenien. Ich möchte in Österreich Asyl bekommen.
F: Haben Sie neue Fluchtgründe?
A: Ja. Nach mir wurde zu Hause gesucht. Vor drei Tagen habe ich meine Mutter in Tschetschenien angerufen und sie sagte, dass die Polizei nach mir suchte. Der Polizeichef von U. ist ein Feind von mir und sucht persönlich nach mir. Er ist mit mir verfeindet, ein Freund von mir hat seinen Bruder umgebracht. Für diesen Freund habe ich Waffen transportiert. Er wurde später festgenommen und beim Verhör hat er gegen mir ausgesagt. Die Polizei ist gekommen und hat bei mir drei Packungen von Patronen sichergestellt. Diese Patronen haben eigentlich meinem Freund gehört. Ich musste die Patronen nach G. bringen. Ich wurde festgenommen und beim Verhör haben sie gesagt, dass ich ein Komplize von meinem Freund bin, dass ich mit ihm zusammen gekämpft habe. Sie haben von mir verlangt, dass ich ein Geständnis unterschreibe. Als ich mich weigerte, haben sie mich geschlagen. Sie haben mich später in einen Keller gebracht, wo sie mich jeden zweiten Tag geschlagen haben. Im August 2004 habe ich in diesem Keller fast vier Wochen verbracht. Danach hat mich meine Mutter um 3000 US-Dollar freigekauft. Nach mir wurde weiter gefahndet. Nach meiner Entlassung aus der Polizeistation hat mich ein Polizist namens J.R. angesprochen und sagte zu mir, dass er meinen Freund bereits umgebracht habe und dass ich als nächster dran sei. Jetzt habe ich bei einem Telefonat mit meiner Mutter erfahren, dass er Polizeichef geworden sei. Nach meiner Freilassung wurde ich in ein Krankenhaus gebracht und eine Woche lang behandelt. Anschließend habe ich Tschetschenien verlassen und habe bis zu meiner Ausreise in Inguschetien gelebt.
F: Wie hieß ihr Freund?
A: Er hieß C.M..
F: Wann waren die geschilderten Ereignisse?
A: Im Jahre 2004.
F: Das war ja dann alles von Ihrer Ausreise?
A: Ja. Das ist richtig.
F: Warum bringen Sie diese Angaben erst im dritten Verfahren vor?
A: Ich war mir nicht sicher, ob diese Angaben an die russischen Behörden weitergeleitet werden.
F: Haben Sie in Österreich aufhältige Eltern oder Kinder (Blutverwandtschaft oder durch Adoption begründet)?
A: Nein.
F: Sie wurden in Ihrem letzten Verfahren (AIS 07 11.389) zu Ihren Familienverhältnissen in Österreich befragt. Halten Sie diese Angaben aufrecht oder wollen Sie dazu noch ergänzende Angaben machen?
A: Nein. Ich habe im letzten Verfahren alles angegeben.
F: Welchen Aufenthaltsstatus hat Ihre Schwester H. in Österreich?
A: Sie ist Asylwerberin.
F: Wo haben Sie ab Rechtskraft des Bescheides bis zur neuerlichen Antragstellung gewohnt?
A: In Wien. Ich bin aufrecht gemeldet.
F: Sind sie mit T.T. standesamtlich verheiratet?
A: Nein. Wir sind nach islamischem Recht verheiratet. Am Freitag bekomme ich eine Heiratsbestätigung.
F: Wann haben Sie geheiratet?
A: Das ist schon lange her.
F: Wiederholung der Frage.
A: Vor einem Jahr haben wir geheiratet.
F: Wo haben Sie geheiratet?
A: In Wien. Er stellt keine Bestätigungen aus.
F: Haben Sie gemeinsame Kinder?
A: Nein.
F: Wovon haben Sie Ihren Lebensunterhalt bestritten?
A: Meine Frau hat mich unterstützt.
F: Sprechen Sie deutsch?
A: Nicht viel.
F: Haben Sie einen Deutschkurs besucht?
A: Ja.
F: Sind Sie Mitglied bei einem Verein oder einer Organisation?
A: Nein.
V: Sie haben am 03.09.2008 eine Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes gem. § 29/3/4 AsylG 2005 übernommen, in welcher ihnen mitgeteilt wurde, dass Ihr Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wird. Sie haben nunmehr Gelegenheit zur geplanten Vorgehensweise des Bundesasylamtes Stellung zu nehmen. Wollen sie diesbezüglich etwas angeben?
A: Ich habe Angst nach Hause zurückzukehren. Ich werde dort umgebracht.
F: Von wem?
A: Von J.R.. Er war mit seinen Leuten bei mir zu Hause und hat mich gesucht. Er sagte, dass er mich umbringen wird. Vor einer Woche hat er meinen Bruder geschlagen. Das hat mir meine Mutter vor drei Tagen erzählt.
F: Was steht einer Ausweisung Ihrer Person in die Russische Föderation entgegen?
A: Man hat bei mir Patronen sicher gestellt. Seither wird nach mir gefahndet. Bei meiner Rückkehr werde ich festgenommen. Weil ich aus Tschetschenien komme, werde ich in Tschetschenien verurteilt. Somit werde ich in die Hand von J.R. kommen. Was er mit mir machen wird, weiß ich nicht.
F: Wollen Sie abschließend noch etwas angeben?
A: Ich habe Angst um mein Leben.
Mit Bescheid vom 11.9.2008, Zl. 08 07.628-EAST Ost, wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz vom 23.8.2008 gemäß § 68 Absatz 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück und wies den Antragssteller gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG in die Russische Föderation aus.
In der Begründung des Bescheides wurden der bisherige Verfahrensgang und die schon oben wiedergegebene Einvernahme dargestellt. Beweiswürdigend hielt die erste Instanz fest, dass die Identität des Antragstellers mangels Vorlage eines Dokumentes nicht feststehe. Hinweise auf eine schwere körperliche Krankheit oder schwere psychische Störung hätten sich weder aus dem Vorbringen noch sonst im Verfahren ergeben, wobei insbesondere auch auf das Nichtvorliegen einer Mitteilung seitens des Polizeianhaltezentrums, in dem sich der Antragsteller seit 23.08.2008 befinde, hingewiesen wurde. Die Feststellungen hinsichtlich der ersten beiden Verfahren würden sich aus den Akten ergeben. Zu dem nunmehrigen Vorbringen sei grundsätzlich zu bemerken, dass der Antragsteller sein Vorbringen ausgetauscht habe. Sein bisheriges Vorbringen sei als unglaubwürdig beurteilt worden, wozu zu bemerken sei, dass dies im gegenständlichen Verfahren bestätigt worden sei. Zur Begründung des nunmehr gegenständlichen Antrages habe er in erster Line einen Sachverhalt vorgebracht der bereits zum Zeitpunkt seines Erstverfahrens vorgelegen habe und er habe in diesem keinerlei Angaben dazu gemacht. Es sei daher nicht vom Vorliegen eines glaubwürdigen Kerns auszugehen.
In der rechtlichen Begründung wurde nach ausführlicher Darlegung der bezughabenden Rechtslage und Rechtssprechung zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylwerber keine Änderung der maßgeblichen Sachlage, weder im Hinblick auf den Sachverhalt, noch in der Rechtslage, glaubhaft habe machen können. Bei dem Vorbringen handle es sich ausschließlich um Umstände die schon bei Rechtskraft des ersten Verfahrens bestanden hätten. Zu Spruchpunkt II. wurde nach Darstellung der bezughabenden Rechtslage und Rechtsprechung bemerkt, dass der Antragsteller seit 00.00.2007 mit Frau T.T. nach moslemischem Recht verheiratet sei und mit dieser eine Lebensgemeinschaft führe. Nach Angaben seiner Lebensgefährtin im zweiten Verfahren hätte der Antragssteller in Österreich auch schon gearbeitet und befinde sich derzeit auf Arbeitssuche. Der Eingriff in das bestehende Familienleben sei jedoch gerechtfertigt, da der gemeinsame Haushalt erst seit relativ kurzer Zeit bestehe. Die nach moslemischen Recht geschlossene Ehe sei überdies erst zu einem Zeitpunkt, indem sich der Antragsteller seines unsicheren Aufenthalts bewusst sein hätte müssen, eingegangen worden. Auch sei die Lebensgefährtin nicht zum dauernden Aufenthalt in Österreich befugt. Die Ausweisung sei daher insoweit gerechtfertigt. In Österreich befinde sich auch die volljährige Schwester des Antragsstellers mit ihrer Familie, die ebenfalls Asylwerber seien. Selbst wenn diese zum dauernden Aufenthalt berechtigt wären, sei keine derartige Beziehungsintensität feststellbar, die eine Ausweisung unverhältnismäßig erscheinen lassen würden. Auch wenn sich der Antragssteller seit 22.03.2005 in Österreich aufhalte, sei nicht davon auszugehen, dass ein schützenswertes Privatleben entstanden sei. Die Ausweisung sei daher gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller, nunmehr vertreten durch RA Mag. Auner, fristgerecht Beschwerde und beantragte unter Verweis auf die allgemeine Situation in Tschetschenien, aber auch die individuellen Erfahrungen des Antragstellers die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Sodann wurde zunächst das Vorbringen des Antragstellers wiederholt, wobei insbesondere darauf hingewiesen wurde, dass der Asylwerber bei seiner Einvernahme darauf hingewiesen habe erst vor einer Woche telefonisch von seiner Mutter erfahren zu haben, dass sein Bruder vor einer Woche verprügelt worden sei und Erkundigungen nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers angestellt worden seien. Diese Tatsachen würden entgegen der Ansicht der belangten Behörde einen neuen Sachverhalt darstellen. Auch die Tatsache, dass seine Schwester in Österreich auf Grund von wohlbegründeter Frucht um Asyl angesucht habe, sei vernachlässigt worden. Die Behörde wäre auch verpflichtet gewesen im Rechtshilfeweg Erkundigungen über die Verletzungen des Beschwerdeführers beim Krankenhaus, in dem er sich behandeln lies, einzuholen und einen Sachverständigen beizuziehen. Zur Ausweisung wurde auf das Familienleben des Antragstellers in Österreich verwiesen und angemerkt, dass eine standesamtliche Hochzeit nur mangels des Vorliegens der notwendigen Dokumente nicht erfolgt sei. Auch die Lebensgefährtin und die Schwester hätten einvernommen werden müssen, um die Intensität der Beziehung abschätzen zu können.
Der gegenständliche Akt langte am 30.09.2008 beim Asylgerichtshof ein, was dem Bundesasylamt mittels Telefax vom gleichen Tag mitgeteilt wurde.
Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 02.10.2008, Zahl D3 305286-3/2008/2E, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung gemäß § 37 Abs 1 AsylG zuerkannt.
Am 06.10.2008 gab der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers die Telefonnummer der Mutter bekannt, wobei ausdrücklich festgehalten wurde, dass ihm diese Nummer erst am 1.10.2008 im Rahmen eines Mandantengespräches mitgeteilt worden sei. Nach Angaben des Antragstellers könne die Mutter zum vorgebrachten Sachverhalt Angaben machen. Aus anwaltlicher Vorsicht beantrage er daher die Wiederaufnahme des Verfahrens, zumal es sich bei den Auskünften der Mutter des Antragsstellers um ein bis dahin nicht verfügbares Beweismittel handle.
Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die Beschwerde wie folgt erwogen:
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, dann, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 und 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Ist - wie im vorliegenden Fall - Sache im Sinn des § 66 AVG der Entscheidung der Rechtsmittelbehörde nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, darf sie demnach nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist oder nicht und hat demnach entweder das Rechtsmittel abzuweisen oder den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (VwSlG 2066A/1951; VwGH 17.12.1965, 929/65; VwGH 30.10.1991, 91/09/0069; VwGH 30.5.1995, 93/08/0207; Walter/Thienel Verwaltungsverfahren2, 1433). Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages aufgrund geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgebracht werden (vgl. VwGH 30.06.1992, Zl. 89/07/0200; 20.04.1995, Zl. 93/09/0341). Dies bezieht sich auf Sachverhaltsänderungen, welche in der Sphäre des Antragstellers gelegen sind. Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, Zl. 99/01/0400; 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).
Die Rechtskraft eines ergangenen Bescheides steht der meritorischen Entscheidung über einen neuerlichen Antrag nur dann nicht entgegen und berechtigt daher die Behörde nur dann nicht zur Zurückweisung des Antrages, wenn in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt eine Änderung eingetreten ist. Dabei kann nur eine solche Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 24.03.1993, Zl 92/12/0149; 10.06.1998, Zl 96/20/0266). Die objektive (sachliche) Grenze der Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", das heißt durch die Identität der Verwaltungssache, über die mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten, bestimmt. Die durch den Bescheid entschiedene Sache (i.S.d. § 8 AVG) wird konstituiert durch die Relation bestimmter Fakten (die den Sachverhalt bilden) zu bestimmten Rechtsnormen (die den Tatbestand umschreiben) [vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, (1998), Anm 12 zu § 68 AVG]. Die Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteibegehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt (vgl. VwGH 10.06.1998, Zl. 96/20/0266; 21.09.2000, Zl. 98/20/0564). Eine Modifizierung des Vorbringens, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern.
Eine neue Sachentscheidung ist nicht nur bei identem Begehren aufgrund des selben Sachverhaltes, sondern, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG ergibt, auch im Falle des selben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des rechtskräftig gewordenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen (VwGH vom 16.01.1990, Zl 89/08/0163; VwGH vom 30.09.1994, Zl 94/08/0183; Walter-Thienel a.a.O.). Wie sich aus § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG und der dazu ergangenen Judikatur ergibt, setzt eine nachträgliche Änderung des Sachverhaltes, der unter Umständen das Vorliegen einer entschiedenen Sache hindert, voraus, dass es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (VwSlg 15.445A/1928, VwGH vom 18.12.1996, Zl 95/20/0672; Walter-Thienel Verwaltungsverfahren², 1492 mit weiteren Hinweisen) und nicht um Tatsachen, die erst nach Abschluss des Verfahrens hervorgekommen sind.
Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467). Für die Frage des Vorliegens eines glaubhaften Kerns bedarf es jedenfalls einer beweiswürdigenden Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen des Asylwerbers. Ein Zusammenhang mit dem bisherigen Vorbringen kann zwar argumentativ von Bedeutung sein, doch ist ein solcher nach der Rechtssprechung nicht ausreichend, um die Glaubwürdigkeitsprüfung gänzlich entfallen zu lassen (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556-6).
Wie das Bundesasylamt richtig ausgeführt hat, begeht der Asylwerber in casu die Auseinandersetzung mit zum größten Teil bereits zum Zeitpunkt der Rechtskraft des ersten Asylverfahrens bestehenden Problemen. Durch den Grundsatz "ne bis in idem" soll jedoch gerade eine solche nochmalige Auseinandersetzung mit einer bereits entschiedenen Sache, abgesehen von den Fällen der §§ 68 Abs. 2 bis 4, 69 und 71 AVG nicht erfolgen. Dass er seine Fluchtgründe damals aus Angst nicht vorgebracht hat, ändert an dieser Tatsache nichts.
Der Asylwerber hat jedoch insoweit einen neuen Sachverhalt ins Treffen geführt, als dass er ausgeführt hat, dass er erst drei Tage vor seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt von seiner Mutter erfahren habe, dass nach ihm gesucht werde und sein Bruder in diesem Zusammenhang vor einer Woche geschlagen worden sei. Dieser neue Sachverhalt wurde vom Bundesasylamt jedoch nicht der von der Rechtsprechung geforderten Glaubwürdigkeitsprüfung unterzogen. Der bloße Verweis auf das schon im ersten Verfahren als unglaubwürdig beurteilte Vorbringen des Antragstellers ist nämlich nach der dargelegten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreichend.
Zu dem Antrag auf Wiederaufnahme ist zunächst zu bemerken, dass der Vertreter des Beschwerdeführers nicht spezifiziert hat, in welchem Verfahren er die Wiederaufnahme erreichen will. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich der Antrag auf das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers richtet. Dieses wurde mit Bescheid vom 22.10.2007, 05 03.951-BAI, durch das Bundesasylamt, Außenstelle Innsbruck, abgeschlossen. Der am 29.10.2007 durch Hinterlegung zugestellte Bescheid erwuchs am 12.11.2007 mangels Erhebung einer Berufung in Rechtskraft. Der Wiederaufnahmeantrag wäre daher beim Bundesasylamt, das gemäß § 69 Abs 4 AVG auch für die Entscheidung zuständig ist, einzubringen gewesen. Gemäß § 6 AsylG wurde der Antrag daher dem Bundesasylamt weitergeleitet.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.