TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/10 A5 227100-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.10.2008
beobachten
merken
Spruch

A5 227.100-0/2008/11E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SCHREFLER-KÖNIG als Vorsitzende und die Richterin Mag. UNTERER als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin VB Wilhelm über die Beschwerde des S.K., geb. 00.00.1974, Staatsangehöriger von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.03.2002, Zl. 01 28.054-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde des S.K. wird gemäß §§ 7, 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 3.12.2001 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 leg.cit. für zulässig erklärt.

 

I.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Berufung (seit 1.7.2008: Beschwerde).

 

I.3. Mit Einrichtung des Asylgerichthofes am 1.7.2008 ging gegenständliche Angelegenheit in die Zuständigkeit des nunmehr erkennenden Senates über.

 

I.4. Der Asylgerichtshof beraumte für den 2.10. 2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung an, zu der der Beschwerdeführer nach ordnungsgemäßer Ladung persönlich erschienen ist.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Folgender Sachverhalt wird der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

II.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Seine Identität konnte in Ermangelung entsprechender Nachweise nicht geklärt werden. Der Genannte reiste am 2.12.2001 illegal nach Österreich ein und stellte am darauf folgenden Tag einen Asylantrag.

 

II.1.2.Am 4.3. 2002 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftliche einvernommen. Dabei gab er zu seinen persönlichen Verhältnissen an, in O. geboren und gemeinsam mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern und seiner Schwester dort aufgewachsen zu sein. Er habe bis zum 5.11.2001 an besagtem Ort gelebt und sich an diesem Tag mit einem Fahrzeug nach Port Harcourt begeben, von wo aus er seine Heimat mit dem Schiff verlassen habe. Er verfüge in seiner Heimat über eine Geburtsurkunde, über deren Verbleib er allerdings nichts sagen könne, da sein Elternhaus niedergebrannt worden sei. Er habe Nigeria aufgrund dieses Ereignisses verlassen. In O. hätte er von der Landwirtschaft gelebt. Die Ölfirma Shell habe Pipelines über die Felder gelegt, sodass dort nichts mehr gewachsen sei. Aus diesem Grund habe sich die Dorfjugend zusammen getan und habe die Mitarbeiter der Ölfirma am Betreten der Grundstücke gehindert. Aufgrund dieses Konfliktes habe die Regierung im Mai 2000 Truppen in die Region geschickt; es sei zu Kämpfen zwischen der Dorfjugend und der Polizei gekommen. Der nunmehrige Beschwerdeführer habe sich in den Busch geflüchtet und sich dort zwei Nächte aufgehalten. Während dieser Kämpfe seien auch Häuser niedergebrannt worden. Nach dem zweitägigen Aufenthalt im Busch sei der nunmehrige Beschwerdeführer nach O. zurückgekehrt und habe dort bis zum 5.11.2001 gelebt. An diesem Tag habe er erfahren, dass die Polizei wieder im Dorf sei, um jene Jugendlichen zu verhaften, die für die Ermordung der Polizisten im Mai 2000 verantwortlich gewesen seien. Aus diesem Grund sei der nunmehrige Beschwerdeführer nach Port Harcourt geflüchtet. Im Fall seiner Rückkehr befürchte der nunmehrige Beschwerdeführer zu sterben bzw. von der Polizei verhaftet zu werden.

 

II.1.3. Die belangte Behörde wies den Asylantrag des nunmehrigen Beschwerdeführers ab und erklärte die Rückführung des Genannten nach Nigeria für zulässig. Begründend hielt die belangte Behörde fest, dass die Angaben trotz konkreter Nachfrage oberflächlich geblieben seien und es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine ihn betreffende Bedrohung glaubhaft zu machen. Es sei insbesondere auch nicht glaubwürdig, dass die Polizei erst eineinhalb Jahre nach der Ermordung einiger Polizisten mit der Suche und Verhaftung der Täter beginne.

 

II.1.4. Der Beschwerdeführer bekämpfte die Entscheidung der belangten Behörde fristgerecht mittels Berufung (ab 1.7.2008: Beschwerde).

 

II.2. Zur Lage in Nigeria

 

Nigeria ist eine föderale Republik in Westafrika, bestehend aus 36 Bundesstaaten und mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 140 Millionen Menschen. 1960 wurde in Nigeria die Unabhängigkeit von Großbritannien proklamiert. Die nachfolgenden Jahre waren von interkulturellen sowie politischen Unruhen und Gewaltausbrüchen geprägt, als schließlich das Militär (durch Igbo- Offiziere) 1966 die Macht übernahm und die erste Republik beendete. Die ersten demokratischen Präsidentschaftswahlen - abgesehen von 1979 bis 1983, als Shehu Shagari mit der Hilfe von General Obasanjo die zivile Regierungsmacht übertragen bekam - fanden erst wieder im Jahr 1999 statt, bei denen Olusegun Obasanjo als Sieger hervorging und anlässlich der Wahlen 2003 als solcher bestätigt wurde. (1+2)

 

Gemäß der nach amerikanischem Vorbild entworfenen Verfassung von 1999, die am 29. Mai 1999 in Kraft trat, verfügt Nigeria über ein präsidiales Regierungssystem mit einem Senat (109 Abgeordnete) und einem Repräsentantenhaus (360 Abgeordnete). Darüber hinaus gewährleistet die Verfassung ein Mehrparteiensystem und alle 4 Jahre stattfindende Wahlen. Der Präsident verfügt generell über weit reichende Vollmachten und ist sowohl Staatsoberhaupt, Regierungschef als auch Oberbefehlshaber der Armee. (3)

 

Am 14. und 21. April 2007 fanden die letzten Wahlen statt, bei denen die amtierende "People's Democratic Party (PDP) überlegen als Sieger hervorging, und Umaru Yar'Adua zum Präsidenten gewählt wurde. Damit erfolgte erstmals seit der Unabhängigkeit Nigerias die Machtübergabe von einer zivilen Regierung auf die nächste. (4)

 

(1) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 1, von 11.03.2008 (www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100498.htm).

 

(2) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 10-19, von 13.11.2007 (www.homeoffice.gov.uk/rds/country-report.html).

 

(3) IDMC, "Nigeria: Institutional mechanisms fail to address recurrent violence and displacement", S. 1-4, von 29.10.2007 (www.internal-displacement.org).

 

(4) Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand September 2007, S. 5-7, von 06.11.2007

 

Generelle Menschenrechtslage

 

Die Menschen- und Bürgerrechte sind im Grundrechtskatalog der Verfassung gewährleistet. Die Realität sieht allerdings anders aus; schlechte Lebensbedingungen der Bevölkerungsmehrheit, Korruption sowie die größtenteils mangelnde Ausbildung, Ausrüstung und Bezahlung der staatlichen Organe führen zu regelmäßigen Verletzungen der verfassungsrechtlich garantierten Rechte. (1)

 

In der nigerianischen Gesellschaft ist Gewalt ein alltägliches Phänomen, welche zumeist auch von Politikern zur Zielerreichung bewusst eingesetzt wird. Willkürliche Verhaftungen und Folter, sowie politisch motivierte Auftragsmorde durch Polizei und Militär sind keine Seltenheit. Die harschen Haftbedingungen und die schlechten Zustände in den Gefängnissen können lebensbedrohende Ausmaße annehmen. Selbstjustiz stellt daher in verschiedenen Landesteilen ein gravierendes Problem dar. Zu diesem Zweck wird hauptsächlich auf sog. "Vigilante Groups" (private Milizen, oft auch ethnisch motiviert) zurückgegriffen, welche durch die Regierungen einiger Bundesstaaten toleriert oder sogar aktiv unterstützt werden. (3)

 

Obwohl eine Verbesserung der Menschenrechtslage hinsichtlich ziviler und politischer Rechte seit 1999 festzustellen ist, wird nach wie vor von willkürlichen Ausschreitungen und Gesetzesverletzungen ausgehend von den nigerianischen Sicherheitskräften berichtet. Die Beschneidung essentieller Grundrechte, häusliche Gewalt, Diskriminierung der Frauen, Kindesmissbrauch sowie ethnisch, regionale und religiöse Diskriminierungen stellen in Nigeria wohl die signifikantesten und bislang sanktionslosen Rechtsverletzungen dar. (2)

 

(1) Dt. AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, Stand September 2007, S. 5., von 06.11.2007.

 

(2) USDOS Country Report on Human Rights Practises - 2007, S. 1, von 11.03.2007 (www.state.gov/g/drl/rls/hrrpt/2007/100498.htm).

 

(3) UK Home Office, Country of Origin Information Report, S. 10-19, von 13.11.2007 (www.homeoffice.gov.uk/rds/country-report.html).

 

II.3. Rechtliche Beurteilung

 

II.3.1. Gemäß § 28 Abs. 1 AsylGHG, BGBl.I Nr. 2008/4 nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.

 

II.3.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.3.3. Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

II.3.4. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

II.3.5. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

II.3.6. Gemäß § 66 Abs.4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

II.3.7. Auf die oben zitierte Bestimmung des § 23 AsylGHG, demzufolge die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe anzuwenden sind, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, wird hingewiesen.

 

II.3.8. Mit 1.1.2006 ist das Asylgesetz 2005 in Kraft getreten. Gemäß § 75 Abs.1 erster Satz AsylG 2005 sind alle am 31. 12. 2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Die letztgenannte Übergangsbestimmung normiert in ihrem Absatz 1, dass Verfahren zur Entscheidung von Asylanträgen, die bis zum 30. April 2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 126/2002 geführt werden.

 

II.3.9. Gemäß § 124 Abs.2 des ebenfalls mit 1.1.2006 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des Fremdengesetzes 1997 verwiesen wird, an deren Stelle die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes.

 

II.3.10. Gegenständlicher Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz wurde am 3.12.2001 gestellt, so dass die Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 vollinhaltlich zur Anwendung gelangen.

 

II.3.11. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge GFK) droht und keiner der in Art.1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK idF des Art. 1 Abs.2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974 ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4. 1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr -Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.

 

Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99720/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.6.1994, 94/19/0183; 18.2.1999, 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).

 

Gemäß § 8 Abs.1 AsylG hat die Behörde, im Fall einer Abweisung des Asylantrages von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist.

 

II.3.12. § 8 AsylG verweist durch die Übergangsbestimmung des § 124 Abs.2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) auf § 50 FPG.

 

Gemäß § 50 Abs.1 FPG ist die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK, BGBl. Nr. 210/1958 oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen der innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre.

 

Gemäß Abs.2 leg.cit. ist die Zurückweisung oder Zurückschiebung Fremder in einen Staat oder die Hinderung an der Einreise aus einem Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppen oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Gemäß § 50 Abs.3 FPG dürfen Fremde, die sich auf eine der in Abs.1 oder Abs.2 genannten Gefahren berufen, erst zurückgewiesen oder zurückgeschoben werden, nachdem sie Gelegenheit hatten, entgegenstehende Gründe darzulegen. Die Fremdenpolizeibehörde ist in diesen Fällen vor der Zurückweisung vom Sachverhalt in Kenntnis zu setzen und hat dann über die Zurückweisung zu entscheiden.

 

Der Prüfungsrahmen des § 50 Abs.1 FPG wurde durch § 8 AsylG auf den Herkunftsstaat des Fremden beschränkt.

 

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 FPG wurde bereits geprüft und verneint.

 

Der Asylgerichtshof hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des Beschwerdeführers in sein Heimatland Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtssprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen Bedrohung der relevanten Rechtsgüter, hinsichtlich derer der Staat nicht willens oder nicht in der Lage ist, Schutz zu bieten, glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist (VwGH 26.6.1997, 95/18/1291; 17.7.1997, 97/18/0336).

 

Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind, und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

II.4. Beweiswürdigung

 

Der Asylgerichthof gelangt nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Ergebnis, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keine Asylrelevanz zukommt und teilt somit die Beurteilung der belangten Behörde.

 

Der Asylgerichtshof bestreitet nicht, dass es im vom Beschwerdeführer genannten Zeitraum - Ende der neunziger Jahre, Anfang 2000 - zu Protesten der Dorfjugend gegen die in der Region tätigen Ölfirmen gekommen ist. Es ist dem Beschwerdeführer dabei aber nicht gelungen, seine persönliche Betroffenheit von diesen Ereignissen bzw. eine ihn betreffende asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen, sondern ist vielmehr der Eindruck entstanden, dass er diese tatsächlichen Geschehnisse lediglich als Rahmen für seine Fluchtgeschichte herangezogen hat.

 

Im Zusammenhang mit der Frage der Glaubwürdigkeit übersieht der Asylgerichtshof keineswegs, dass die geschilderten Ereignisse bereits mehrere Jahre zurückliegen und dem Beschwerdeführer daher zugestanden werden muss, sich nicht mehr an jedes Detail erinnern zu können. Es ist aber in Beweis würdigender Hinsicht ein bedeutsamer Unterschied, ob jemand infolge Zeitablaufes zu bestimmten Abläufen keine Angaben mehr machen kann und dies auch so sagt, oder aber - wie im Fall des Beschwerdeführers - zu ein und demselben Sachverhaltselement zwei völlig unterschiedliche Versionen schildert und dies auch nach Vorhalt nicht aufzuklären in der Lage ist.

 

Die mündliche Verhandlung war von weitgehend allgemeinen Ausführungen des Beschwerdeführers zur Lage in seiner Heimat gekennzeichnet. Der Genannte musste mehrmals -vergeblich - aufgefordert werden, zu seinen persönlichen Fluchtgründen Stellung zu beziehen. Er sprach generell von dem Protest der Jugendlichen seiner Region gegen die dort ansässigen großen Ölfirmen und davon, dass die Regierung durch Entsendung von Truppen versucht habe, die Lage zu kalmieren.

 

Nach mehrmaliger Nachfrage nach seiner persönlichen Involvierung gab der Beschwerdeführer letztlich an, sein Name befände sich auf einer Liste der Polizei, da er wahrscheinlich namentlich mit einem der Anführer der Dorfjugend verwechselt würde.

 

Vor der belangten Behörde - konkret bei seiner Einvernahme am 4.3.2002 - hatte der Beschwerdeführer eine entsprechende Liste oder mögliche Verwechslung mit keinem Wort erwähnt, obwohl davon ausgegangen werden muss, dass die ihn betreffenden Ereignisse damals zeitlich wesentlich näher waren und somit nicht nachvollzogen werden kann, warum er somit gerade bei dieser Einvernahme solch entscheidende Details unerwähnt gelassen hat.

 

Insgesamt fanden die Angaben des Beschwerdeführers, die dieser in der mündlichen Verhandlung tätigte, keine Deckung mit seinen früheren, vor der belangten Behörde getroffenen, Aussagen. Damals hatte er noch behauptet, als Folge der Auseinandersetzungen zwischen der Dorfjugend und der Polizei im Mai 2000 davon gelaufen und sich zwei Tage im Busch versteckt zu haben. Erst eineinhalb Jahre später, im November 2001, seien in seinem Heimatdorf plötzlich Polizisten erschienen, um jene Jugendlichen zu verhaften, die im Zusammenhang mit der Ermordung von Polizisten im Zuge der damaligen Ausschreitungen gestanden hätten. Aus Angst vor einer solchen Festnahme sei er davon gelaufen.

 

In der mündlichen Verhandlung erwähnte er trotz mehrmaliger Nachfrage mit keinem Wort, wegen des Verdachts der Ermordung von Polizisten gesucht zu werden, sondern einzig und allein wegen seines Namens, der sich, möglicherweise aufgrund einer Verwechslung, auf einer Liste der Polizei befunden habe.

 

Über Vorhalt dieser Divergenzen zog sich der Beschwerdeführer darauf zurück, nicht richtig verstanden worden zu sein, war aber gleichzeitig nicht in der Lage, das vermeintliche "Missverständnis" aufzuklären, sondern verfiel immer wieder in allgemeine Ausführungen zur angespannten Lage in seiner Heimat.

 

Selbst wenn man aber, rein hypothetisch, den Wahrheitsgehalt der Angaben des Beschwerdeführers unterstellen wollte, ist im Ergebnis nichts zu gewinnen, zumal davon ausgegangen werden muss, dass sich der Beschwerdeführer durch Vornahme eines innerstaatlichen Ortswechsels vor diesen regional begrenzten Schwierigkeiten wirksam schützen hätte können. In der mündlichen Verhandlung mit der Möglichkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative konfrontiert, äußerte sich der Genannte nicht zu dieser Frage. In diesem Zusammenhang muss der Vollständigkeit halber erwähnt werden, dass den Angaben des Beschwerdeführers gemäß dessen Vater und Geschwister nach wie vor in Nigeria beheimatet sind und offenkundig ohne größere Probleme dort leben können.

 

Insgesamt sind somit die Voraussetzungen für eine Asylgewährung, unabhängig von der Beurteilung des Wahrheitsgehaltes, im Fall des Beschwerdeführers nicht erfüllt.

 

Zur Frage des Refoulementschutzes wird auf die zutreffenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verwiesen. Die Sachlage hat sich nach dem Dafürhalten des Asylgerichtshofes zwischenzeitlich nicht nachteilig verändert, vielmehr haben die politischen Entwicklungen seit dem Jahr 1999 weitgehend zu einer Stabilisierung der Verhältnisse geführt und wurden seitens der Regierung große Anstrengungen in Richtung eines Demokratisierungsprozesses und Schaffung eines Rechtsstaates unternommen.

 

Es sind somit während des gesamten Verfahrens keine Anhaltspunkte zu Tage getreten, die auf die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK oder darauf hindeuten würden, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr in eine auswegslose und die Existenz bedrohende Lage geriete. Die Deckung der existentiellen Grundbedürfnisse kann aus den Feststellungen als gesichert angenommen werden.

 

Es ist während des gesamten Verfahrens kein Anhaltspunkt hervor gekommen, der die Rückführung des Beschwerdeführers aus einem der genannten Gründe unzulässig erscheinen lässt. Der Beschwerdeführer hat angegeben, den Beruf des Bäckers erlernt und in diesem Beruf auch gearbeitet zu haben. Es ergibt sich für den Asylgerichtshof kein Hinweis darauf, dass dem Genannten nach dessen Rückkehr eine Wiederaufnahme dieser Tätigkeit und somit die Grundsteinlegung für den Aufbau einer eigenen Existenz nicht möglich sein sollte.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Glaubwürdigkeit, innerstaatliche Fluchtalternative, Lebensgrundlage, non refoulement
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten