S2 400.425-1/2008/9E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer- Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde des S.A., geb. 00.00.1990, StA: Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.06.2008, Zahl 08 00.406 EAST Ost, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin brachte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Begleitung ihres Ehemannes S.S. am 09.01.2008 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz ein.
Eine EURODAC-Abfrage ergab, dass die Beschwerdeführerin am 03.12.2007 in Polen erkennungsdienstlich behandelt worden war bzw. einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (AS 7).
Das Bundesasylamt richtete am 10.01.2008 ein Wiederaufnahmeersuchen an Polen. Mit Schreiben vom 17.01.2008, eingelangt am 21.01.2008, stimmte Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich zu (AS 81).
Bereits im Rahmen einer am 28.01.2008 von Dr. I.H., Ärztin für Allgemeinmedizin und psychotherapeutische Medizin, durchgeführten Untersuchung der Beschwerdeführerin für die Erstellung einer gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren gab die Beschwerdeführerin an, dass sie im vorigen Jahr ein Kind im fünften Schwangerschaftsmonat verloren habe.
Im Verlauf ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 04.02.2008 (AS 113ff) sprach sie abermals von einem Vorfall in Baku, den sie aber keinem Mann erzählen könne. Sie habe ihr Kind verloren. Daraufhin wurde die Einvernahme abgebrochen und mit einer gleichgeschlechtlichen Referentin am 11.02.2008 (AS 93ff) fortgeführt. Hierbei gab die Beschwerdeführerin an, dass sie während ihres Aufenthaltes in Baku ihr Kind verloren habe. Die Ärzte hätten die Totgeburt als Auswirkung der vielen negativen Erlebnisse in Tschetschenien und einer Traumatisierung begründet.
2. Mit dem hier angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 (1) lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO"), Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen zulässig sei.
Ebenso wurde erstinstanzlich über den den Ehegatten der Beschwerdeführerin betreffenden Antrag auf internationalen Schutz vom 09.01.2008 entschieden (Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.06.2008, Zahl: 08 00.404-EAST Ost).
3. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdevorlage langte laut Eingangsstempel des Asylgerichtshofes am 11.07.2008 bei diesem Gerichtshof ein.
In der Beschwerdeergänzung wird unter anderem vorgebracht, dass sich die Beschwerdeführerin vom 00.00.2008 bis 00.00.2008 erneut wegen starker Unterleibsschmerzen in stationärer Behandlung in der Klinik Baden befand. Der Beschwerdeführerin drohe im Falle ihrer Abschiebung nach Polen unter den gegenwärtigen Umständen eine unzumutbare psychische Belastung und sowohl ihr selbst als auch dem ungeborenen Kind eine extreme Gefahr im Hinblick auf die körperliche Integrität. Weiters wird darauf hingewiesen, dass dieser stationäre Spitalsaufenthalt infolge eines Zusammenbruchs der schwangeren Jugendlichen am 00.00.2008 deutlich zeige, dass eine Überstellung nach Polen auch eine medizinisch unvertretbare Gefahr für das ungeborene Kind bedeuten würde. Die Beschwerdeführerin habe schon einmal ein Kind aufgrund der von ihr nicht mehr bewältigbaren psychischen Belastungen aufgrund fluchtauslösender Ereignisse und der Situation der Flucht- bzw. Weiterflucht verloren.
4. Mit Schreiben vom 21.07.2008 reichte die Erstbehörde eine die Beschwerdeführerin betreffende Bestätigung über deren stationären Aufenthalt vom 00.00. bis 00.00.2008 in der Klinik Baden samt Arztbrief vom 00.00.2008 vor (OZ6), der eine Schwangerschaft der Beschwerdeführerin (7.SSW) mit Erbrechen ausweist und als Therapie körperliche Schonung vorschlägt.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Mit 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag im Jänner 2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBI. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.
Gemäß § 41 Abs. 3 erster Satz AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren gemäß § 41 Abs. 3 zweiter Satz AsylG zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist gemäß § 41 Abs. 3 letzter Satz AsylG auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Im Beschwerdefall traten nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides Umstände zu Tage, die eine nähere Prüfung gebieten, und zwar wurde eine Schwangerschaft der Beschwerdeführerin festgestellt, die bereits einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt und die ärztliche Anordnung körperlicher Schonung indizierte. Die Beschwerdeführerin berichtete im Laufe ihrer niederschriftlichen Einvernahme von einer vor etwa 1 1/2 Jahren erfolgten Totgeburt aufgrund ihrer negativen Erlebnisse in Tschetschenien und ihrer damit im Zusammenhang stehenden Traumatisierung. Im Beschwerdefall ist aktuell daher nicht auszuschließen, dass bei der Beschwerdeführerin eine Risikoschwangerschaft vorliegt. Es muss auf Basis eines schlüssigen Sachverständigengutachtens zunächst auf Sachverhaltsebene geklärt werden, welche Auswirkungen aktuell eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen auf ihre körperliche und geistige Integrität (bzw. die ihres ungeborenen Kindes) hätte. Sodann ist rechtlich zu prüfen, ob im Sinne der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund derer die aktuelle Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen eine Verletzung in Art. 3 EMRK darstellen würde und damit geboten wäre, vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen bzw. einen Aufschub der Durchführung der Ausweisung anzuordnen.
Sohin erweist sich der vorliegende Sachverhalt - ohne Verschulden der Erstbehörde - als so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Klärung dieser Frage hat in einem mängelfreien Verfahren durch Einholung eines schlüssigen Gutachtens samt Parteiengehörsgewährung zu erfolgen. Die erstinstanzliche Behörde wird wie oben ausgeführt festzustellen haben, ob und in wie weit im Falle der Beschwerdeführerin eine Risikoschwangerschaft besteht, und in wie weit diese und die damit im Zusammenhang stehenden medizinischen und psychischen Probleme der Beschwerdeführerin eine Auswirkung auf die Gesundheit ihres ungeborenen Kindes bewirken würden und diese einer aktuellen Überstellung nach Polen entgegenstehen.
Aus den dargelegten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.