S13 317.722-2/2008/4E
Erkenntnis
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde der T.C., geb. 00.00.1983, StA.
Russische Föderation, vertreten durch: Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, 5020 Salzburg, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.07.2008, FZ. 08 04.710, zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben.
Entscheidungsgründe
Sachverhalt und Verfahren
Verfahren vor dem Bundesasylamt
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, stellte am 13.08.2007 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
Mit Bescheid vom 07.02.2008, FZ. 07 07.378-EAST-WEST, wies das Bundesasylamt den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück.
In diesem ersten Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c) der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.) und die Beschwerdeführerin wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen sowie demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der Unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 06.03.2008, Zahl:
317.722-1/2E-XV/52/08, ab.
Die Beschwerdeführerin erhob dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof. Mit Beschluss vom 14.03.2008, Zl. AW 2008/19/0242 bis 0246-3, hat der Verwaltungsgerichtshof der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Am 29.05.2008 stellte die Beschwerdeführerin einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
Am folgenden Tag, dem 30.05.2008, erfolgte die Erstbefragung der Beschwerdeführerin durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion St. Georgen/Attergau-EAST in Anwesenheit eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch.
Am 02.06.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG zurückzuweisen und dass zu diesem Zwecke seit dem 02.06.2008 Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-VO geführt würden.
Am 09.06.2008 wurde die Beschwerdeführerin vom Bundesasylamt nach erfolgter Rechtsberatung in Anwesenheit des Rechtsberaters und eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Russisch einvernommen.
Im Zuge dieser Einvernahme wurde der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG ausgestellt und zwar mit der Begründung, dass auch der Ehemann der Beschwerdeführerin durch ein Versehen der Behörde ex lege zum Verfahren zuzulassen war.
Am 07.07.2008 langte eine Stellungnahme des rechtsfreundlichen Vertreters der Beschwerdeführerin beim Bundesasylamt ein, in welcher im Wesentlichen das polnische Asylverfahren bzw. die Versorgung von Asylwerbern in Polen kritisiert wurden und auf das Verhältnis des Ehemanns der Beschwerdeführerin zu seinen in Österreich lebenden Verwandten in Hinblick auf Art. 8 EMRK verwiesen wurde.
Mit Bescheid vom 22.07.2008, FZ. 08 04.710, wies das Bundesasylamt auch den zweiten Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück, ohne in die Sache einzutreten (in der Folge: angefochtener Bescheid).
Im angefochtenen Bescheid weist das Bundesasylamt den zweiten Asylantrag der Beschwerdeführerin mit der Begründung zurück, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c) der Dublin II-VO Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist (I.). Die Beschwerdeführerin wird gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig ist (II.).
Beschwerde
Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin am 01.08.2008 durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben. Die Beschwerde langte am 05.08.2008 beim Asylgerichtshof ein.
In der Beschwerdeschrift werden im Wesentlichen das polnische Asylverfahren und die Versorgung von Asylwerbern in Polen, insbesondere in medizinischer Hinsicht, kritisiert. Ferner wird auf die enge verwandtschaftliche Beziehung des Ehemanns der Beschwerdeführerin zu seinen in Österreich als anerkannte Konventionsflüchtlinge lebenden Verwandten verwiesen.
In einer Beschwerdeergänzung vom 19.08.2008 bringt die Beschwerdeführerin durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter im Wesentlichen vor, dass ihrem Ehemann am 27.05.2008 die Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG ausgehändigt worden sei und dies ex lege die Zulassung des Ehemanns der Beschwerdeführerin zum Verfahren bedeute. Diese Zulassung hätte nur bei Bekanntwerden von Tatsachen, welche im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung noch nicht bekannt gewesen seien und zu einer anderen Beurteilung der Zuständigkeitsfrage führen würden, rückgängig gemacht werden können.
Sachverhalt
Der für diese Erkenntnis relevante Sachverhalt ergibt sich unzweifelhaft aus dem Akt des Bundesasylamts.
Insbesondere ist die Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG an die Beschwerdeführerin selbst am 09.06.2008 nicht bestritten und ergibt sich auch aus der Ausfolgung der Bestätigung zur Ausstellung der Aufenthaltsberechtigungskarte und der fremdenpolizeilichen Information über die Ausstellung (AS. 71, 193).
Der Asylgerichtshof hat erwogen
Rechtlicher Rahmen
Gemäß § 73 Abs. 1 und § 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Asylverfahren das AsylG 2005 anzuwenden ist.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.
§ 28 Abs. 1 AsylG normiert, dass, wenn der Antrag voraussichtlich nicht zurückzuweisen ist, das Verfahren zuzulassen ist, soweit das Verfahren nicht vor Zulassung inhaltlich entschieden wird. Die Zulassung erfolgt durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte (§ 51 AsylG); eines Bescheides bedarf es dann nicht. Die Zulassung steht einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
§ 66 Abs. 4 AVG besagt, dass die Berufungsbehörde - außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall - sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden hat. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof
Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden, und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.
Mit Beschluss vom 12.08.2008, GZ: S13 317.722-2/2008/2Z, hat der Asylgerichtshof der Beschwerde aufschiebende Wirkung gemäß § 37 Abs. 1 AsylG zuerkannt.
Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Rechtwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung
Die angefochtene Entscheidung ist rechtwidrig, da das Bundesasylamt verkannt hat, dass das Verfahren der Beschwerdeführerin durch die Ausfolgung der Aufenthaltberechtigungskarte bereits zugelassen war, und der Antrag der Beschwerdeführerin somit nicht mehr ohne Weiteres wegen Unzuständigkeit Österreichs nach § 5 AsylG zurückgewiesen werden konnte.
Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Beschwerdeführerin am 09.06.2008 eine Aufenthaltsberechtigungskarte ausgehändigt wurde. Damit war das Verfahren der Beschwerdeführerin zugelassen, da die Ausfolgung gemäß § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylG einen gesonderten Bescheid über die Zulassung zum Verfahren in Österreich ersetzt.
Dieser Zulassungsbescheid ist auch nicht durch den angefochtenen Bescheid aufgehoben worden. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Zwar bestimmt § 28 Abs. 1 Satz 3 AsylG ohne jede Einschränkung, dass die Zulassung nach § 28 Abs. 1 Satz 2 AsylG einem späteren zurückweisenden Bescheid nicht entgegensteht. Der Asylgerichtshof ist jedoch der Ansicht, dass diese Bestimmung nicht so verstanden werden kann, dass das Bundesasylamt einen Asylantrag nach einer gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 iVm § 51 AsylG erfolgten Zulassung auch dann noch wegen Unzuständigkeit Österreichs gemäß § 5 AsylG zurückweisen kann, wenn ihm die Unzuständigkeit zuvor bereits bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.
Die Bestimmung des § 28 Abs. 1 Satz 3 AsylG ist nämlich teleologisch reduziert so zu verstehen, dass eine Zurückweisung des Antrages nach erfolgter Verfahrenszulassung gemäß Satz 2 der Bestimmung nur noch unter bestimmten Voraussetzungen, dh. etwa bei Vorliegen von Wiederaufnahmetatbeständen nach § 69 AVG, zulässig ist.
Dies ergibt sich zum einen aus der Regierungsvorlage 952 XXII. GP, in der zu § 28 AsylG ausgeführt wird, dass die Praxis nach der AsylG-Novelle 2003 gezeigt habe, dass manche Zurückweisungstatbestände erst nach dem Zulassungsverfahren zu Tage treten und in diesen Fällen das Zulassungsverfahren umständlich wieder aufgenommen werden musste. Um dies in Zukunft zu verhindern, stehe nunmehr eine einmal erfolgte Zulassung einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen. § 28 Abs. 1 Satz 3 AsylG soll demnach va. solche Fälle regeln, in denen dem Bundesasylamt relevante Umstände erst nach Abschluss des Zulassungsverfahrens bekannt werden.
Zum anderen ist zu beachten, dass wenn § 28 Abs. 1 Satz 3 AsylG jedwede spätere Zurückweisung ermöglichen würde, das Bundesasylamt Verfahren durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte zunächst systematisch ohne nähere Prüfung zulassen und diese Zulassung dann stets nach genauer Prüfung des Sachverhalts widerrufen könnte. Dem steht die Konzeption der §§ 27 bis 29 AsylG entgegen, aus der klar erkennbar ist, dass für einen Asylwerber zum Zeitpunkt der Mitteilung nach § 29 Abs. 3 AsylG relative Sicherheit über den weiteren Verlauf des Verfahrens vorliegen soll (vgl. Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, Asylgesetz 2005 idF Asylgerichtshofgesetz 2008, 4. Auflage, K 12 zu § 28 AsylG, Seite 547; idS. vgl. auch UBAS vom 27.09.2007, Zahl:
314.661-1/2E-XIX/61/07).
Zum vorliegenden Fall stellt der Asylgerichtshof fest, dass dem angefochtenen Bescheid kein Zurückweisungstatbestand zu Grunde liegt, der erst nach der Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungskarte am 09.06.2008 aufgetreten bzw. bekannt geworden ist.
Dem Bundesasylamt war nämlich schon vor Erlass des ersten Zurückweisungsbescheides vom 07.02.2008 bekannt, dass die Beschwerdeführerin bereits in Polen einen Asylantrag gestellt hatte, weshalb es die Zulassung zum Asylverfahren auch zurückgewiesen hatte. Es ergeben sich auch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus dem Verwaltungsakt Anhaltspunkte dafür, dass der angefochtene Bescheid auf anderen Zurückweisungsgründen beruht.
Da der angefochtene Bescheid somit bereits wegen Verstoß gegen § 28 iVm. § 51 AsylG rechtwidrig ist, erübrigt sich das Eingehen auf die anderen Beschwerdegründe.
Rechtsfolge
Da im gegenständlichen Fall keine Entscheidung im Zulassungsverfahren mehr vorliegt, war der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos zu beheben.