TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/14 E3 249872-0/2008

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Veröffentlicht am 14.10.2008
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Spruch

E3 249.872-0/2008-8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. HERZOG-LIEBMINGER als Vorsitzende und die Richterin Mag. GABRIEL als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Fr. Mittermayr über die Beschwerde des A.R., geb. 00.00.1963, StA. Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.04.2004, FZ 03 34.435-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gem. §§ 7, 8 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch: BF), ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 06.11.2003 durch den Zustellbevollmächtigen A. B. vom MigrantInnenverein St. Marx einen schriftlichen Asylantrag.

 

2. Zu einer vom Bundesasylamt für den 17.03.2004 anberaumten Einvernahme ist der Beschwerdeführer nicht erschienen, sodass sein Asylverfahren mangels Feststellbarkeit des maßgeblichen Sachverhaltes wegen Abwesenheit des Asylwerbers eingestellt wurde. Mit Schreiben vom 07.04.2004 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Fortsetzung seines Asylverfahrens.

 

3. Zu der vom Bundesasylamt für den 30.04.2004 anberaumten Einvernahme ist der Beschwerdeführer erschienen. Im Zuge der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer vor, er habe sein Heimatland im Februar 2002 aufgrund von Streitigkeiten mit seinen Nachbarn verlassen und sei am 05.03.2002 in Österreich eingereist. Die Streitigkeiten mit den Nachbarn würden seit 1983 bestehen, als der Vater des Beschwerdeführers den Nachbarn im Zuge einer Rauferei am Ohr verletzt habe. Sein Vater sei der Körperverletzung bezichtigt worden und habe für ein Jahr ins Gefängnis müssen. Der Beschwerdeführer sei von den Nachbarn einen Monat nach dem Vorfall verprügelt worden, wovon er noch heute eine Narbe am Auge habe. Er habe Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet, habe diese aber wieder zurückgezogen, da ihm der Staatsanwalt, welcher mit der Nachbarfamilie verwandt gewesen wäre, dazu geraten habe. Die Nachbarn seien 1984, als der Vater des Beschwerdeführers aus der Haft entlassen worden sei, aus Angst vor diesem weggezogen, seien aber 2001, nach dem Tod seines Vaters, wieder zurückgekommen und hätten den Beschwerdeführer bedroht. Im Juli 2001 hätten ihn die Nachbarn aus dem Auto heraus bedroht, als er mit dem Moped von der Arbeit nachhause gekommen sei. Sie hätten ihn auch angefahren, sodass er mit dem Moped umgefallen sei. Er habe am nächsten Tag Anzeige bei der Polizei erstattet. Diese habe jedoch gemeint, dass weitere Erhebungen nicht notwendig wären und hätten ihn des Weges verwiesen. In einen anderen Landesteil könne er nicht ziehen, da ihn die Nachbarn trotzdem finden würden. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, die Nachbarn könnten ihn umbringen.

 

4. Mit Bescheid vom selben Tag (30.04.2004), FZ. 03 34.435-BAE, welcher dem Beschwerdeführer sogleich im Amt ausgefolgt wurde, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 06.11.2003 gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl I 1997/76, idgF ab (Spruchpunkt I. ) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 leg. cit. für zulässig (Spruchpunkt II.).

 

Begründend führte die Erstbehörde sinngemäß aus, dass die vorgebrachte Verfolgung des Beschwerdeführers seitens Dritter aus keinem asylrelevanten Grund iSd GFK erfolgt sei. Abgesehen davon, sei die Türkei in der Lage und Willens, etwaige Verfolgungen durch Private bzw. Dritte hintanzuhalten und seinen Bürgern Schutz vor derartigen Verfolgungen zu gewähren. Darüber hinaus sei dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen gestanden, der Verfolgungsgefahr durch Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Landesteil der Türkei zu entgehen.

 

5. Mit Schriftsatz vom 10.05.2004 brachte der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.04.2004 fristgerecht Berufung (nunmehr: Beschwerde) ein. Nach anfänglicher Wiederholung des Fluchtvorbringens wird ausgeführt, dass es in der Türkei noch immer Ehren-, Blut- und langjährige Familienauseinandersetzungsdelikte gebe, die nach wie vor im "Privatbereich" erledigt würden und trotz aller Strafdrohungen nicht wirksam bekämpft werden könnten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe deswegen nicht, da die Sicherheitsbehörden über ein Informationsnetz mit Spitzeln und Informanten verfügen würden und es zudem noch Kopfjäger geben würde, sodass eine gesuchte Person in der ganzen Türkei ausfindig gemacht werden könnte.

 

6. Am 10.08.2005 langte beim Bundesasylamt eine auf den MigrantInnenverein St. Marx sowie auf Dr. Lennart BINDER LL.M. ad personam lautende Vollmacht ein.

 

7. Im Rahmen des Berufungsverfahrens beauftragte der Unabhängige Bundesasylsenat den Ländersachverständigen Mag. M.A. mit der Erstellung eines Beschwerdeführer-spezifischen Gutachtens. Dieses langte am 17.01.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein. Zur Blutrache als Prinzip der Sühnung von Verbrechen führte der Sachverständige aus, dass diese lediglich im Osten der Türkei (Kurdistan) und im Norden (Schwarzmeerküste) praktiziert werde. Voraussetzung für Blutrache sei jedoch, dass davor jemand ums Leben gekommen ist. Blutrache betreffe alle Familienangehörigen gleich. Deshalb sei aus der Tatsache, dass die übrigen Familienangehörigen des BF noch immer im Heimatdorf leben, abzuleiten, dass keine Bedrohung des BF vorliege. Im türkischen Strafgesetzbuch würden die Tötung aus dem Motiv der Blutrache, die Körperverletzung und die gefährliche Drohung sanktioniert. Die Behörde sei bei Verstößen gegen das Gesetz verpflichtet, entsprechende Ermittlungsschritte einzuleiten.

 

8. Dieses Gutachten wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 25.01.2008 mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zugestellt.

 

9. Am 07.02.2008 langte beim Unabhängigen Bundesasylsenat eine solche ein, in der beantragt wurde, in der Türkei zu erheben, wann die Tat stattgefunden habe, ob der Beschwerdeführer einen Anwalt mit dem Fall beauftragt habe und ob ein Protokoll seitens der türkischen Polizei aufgenommen worden sei.

 

10. Mit Einrichtung des Asylgerichtshofes wurde der gegenständliche Akt der Gerichtsabteilung E3 zugeteilt.

 

11. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verwaltungsakt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor der Erstbehörde, des Beschwerdeschriftsatzes, des Sachverständigengutachten von Mag. M.A. vom 10.10.2007 sowie der dazu abgegebene Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 07.02.2008.

 

II. DER ASYLGERICHTSHOF HAT ERWOGEN:

 

1. Am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 AsylG 2005 idgF entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge AsylG 2005) sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt." Gemäß § 44 Abs. 1 AsylG 1997 idF der AsylGNov. 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die bis zum 30.4.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl. I 126/2002 zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach AsylG 1997 zu führen. Anzuwenden war sohin das AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, die §§ 8, 15, 22, 23 Abs. 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden: "AsylG 1997"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005") anzuwenden. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die erkennende Behörde, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

2. Festgestellt wird nachfolgender Sachverhalt:

 

2.1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsbürger. Seine Identität steht fest. Der BF hielt sich von 1992 bis 1994 illegal in Österreich auf. Ende 1992 hat der BF eine Österreicherin geheiratet, welche sich jedoch wieder von ihm scheiden hat lassen und 1996 verstorben ist. 1994 wurde der BF aus Österreich ausgewiesen. Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Seine Mutter und seine Geschwister halten sich allesamt in der Türkei auf. Der BF hat seinen Heimatort, S. (Provinz Ankara), Ende 2001 verlassen. Bis zu seiner Ausreise im Februar 2002 hat der BF in Istanbul gelebt.

 

Im Heimatdorf des BF bestehen seit dem Jahr 1983, als der Vater des BF den Nachbarn im Zuge einer Rauferei am Ohr verletzt hatte, Streitigkeiten mit den Nachbarn. Der Vater des Beschwerdeführers wurde wegen Körperverletzung verurteilt und für ein Jahr inhaftiert.

 

Kurze Zeit nach diesem Vorfall war auch der BF in eine tätliche Auseinandersetzung mit den Nachbarn verwickelt. Er hat davon eine Narbe am Auge davongetragen. Die diesbezügliche Anzeige an die türkische Staatsanwaltschaft hat der BF von sich aus wieder zurückgezogen.

 

Die Nachbarn zogen im Jahr 1984 aus dem Heimatdorf des BF weg, kehrten jedoch 2001 wieder zurück. Im Juli 2001 wurde der BF auf dem Nachhauseweg von den Nachbarn bedroht und mit dem Auto angefahren, sodass er mit seinem Moped umgefallen ist. Am nächsten Tag hat der BF Anzeige bei der Polizei erstattet.

 

Nicht festgestellt werden konnte, dass die türkischen Sicherheitsbehörden nicht willens und in der Lage gewesen wären, dem BF im Zuge seiner Streitigkeiten mit den Nachbarn Schutz zu gewähren.

 

Eine Verfolgung des Beschwerdeführers iSd GFK aufgrund von Blutrache seitens der Nachbarfamilie konnte nicht festgestellt werden.

 

Darüber hinaus könnte der BF durch Verlegung seines Aufenthaltsortes in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates Schutz vor einer etwaigen Bedrohung finden.

 

2.2. Hinsichtlich der allgemeinen Lage in der Türkei zog die Erstbehörde als Entscheidungsgrundlage folgende Länderfeststellungen heran:

 

Die Türkei ist seit 1923 eine Republik (türkisch Türkiye Cumhuriyeti) mit Verfassung i.d.g.F von 1982.

 

Am 12. September 1980 putschte die Armee unter der Führung des Generalstabchefs Kenan Evren Als Staatspräsident und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates (Admiral Bülent Ulusu wurde Ministerpräsident) setzte er die Verfassung außer Kraft und verhängte das Kriegsrecht. Alle politischen Aktivitäten wurden untersagt, Tausende verhaftet und die Presse zensiert.

 

Die neue Verfassung, die 1982 in einem Referendum angenommen wurde, schrieb die "demokratisch legitimierte" politische Machtposition des Militärs fest.

 

Das Parlament besteht aus 550 Mitgliedern, die in der Regel alle 5 Jahre gewählt werden.

 

Die letzten Wahlen fanden am 3.11.2002 statt, wobei lediglich 2 Parteien die in der Türkei notwendige 10% Hürde erreichten.

 

Dies waren die AKP (Gerechtigkeits- und Fortschrittspartei) mit 34,3% der Stimmen, die mit Erdogan den Regierungschef stellen, und die CHP (Sozialdemokratische Republikanische Volkspartei) mit 19,4% der Stimmen.

 

Die Türkei hat ca. 67 Millionen Einwohner, wobei die ethnische Verteilung mit ca. 70% Türken, 20% Kurden, 2% Arabern, u.a. kleineren Volksgruppen (unter 1%) angegeben wird.

 

Größte Städte: Istanbul (über 10 Mio. Einwohner), Ankara (Hauptstadt, 3 Mio. Einwohner), Izmir (2,2 Mio), Adana (1,2 Mio), Bursa und Konya (über 1 Mio).

 

Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt. Die anhaltende schwere Wirtschaftskrise hat die wirtschaftlichen und sozialen Disparitäten noch verstärkt. Der Abwanderungsdruck aus dem Südosten in den Süden und Westen der Türkei und in das Ausland hält unvermindert an. Das Pro-Kopf-Einkommen ist im Vergleich zum Vorjahr stark gesunken (vgl. Ziff. I 3) und wird für 2001 unter 3.000 ¿ liegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der Türkei eine kleine Schicht von sehr Reichen den deutlich ärmeren breiten Bevölkerungsschichten gegenüber steht. Der aktuell gültige Netto-Mindestlohn beträgt etwa 125 ¿. Aufgrund Arbeitslosigkeit, Inflation bei gleichzeitigem horrenden Preisanstieg für Dollar-indexierte Waren (bes. Energie, Importe) hat es für die ärmeren Schichten eine deutliche Verschlechterung des Lebensstandards gegeben. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Arbeitslosenquote deutlich über den für Oktober 2001 offiziell angegebenen 6,9% liegt. Trotz Reformbemühungen der Regierung kennt die Türkei bisher weder eine funktionierende Arbeitslosenversicherung noch eine staatliche Sozialhilfe. Soziale Unterstützung Bedürftiger bleibt im wesentlichen der Großfamilie und religiösen Stiftungen überlassen. Bis auf wenige Ausnahmen muss jedoch niemand in der Türkei Hunger leiden. Es gibt keine generelle Existenzbedrohung, auch wenn die Wirtschaftskrise viele Familien in Existenznot gebracht hat.

 

Rückkehr:

 

Die Tatsache der Asylantragstellung allein ist strafrechtlich nicht relevant. Nur wenn der Betroffene in einem anderen Staat um politisches Asyl gebeten hat, wird er nicht staatlichen Repressionen ausgesetzt. Den türkischen Behörden ist bekannt, dass viele Türken aus wirtschaftlichen Gründen mit den Mitteln der Asylantragstellung versuchen, ein Aufenthaltsrecht zu erlangen. Sie wissen, dass der Weg vor allem über die Behauptung politischer Verfolgung führt. Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder, auch Ab- und Zurückgeschobene sowie abgelehnte Asylwerber, gleich welcher Volkszugehörigkeit, einer Personenkontrolle zu unterziehen.

 

Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle normalerweise ungehindert passieren. Wird der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird sie einer Routinekontrolle unterzogen, die eine Abgleichung des Fahndungsregisters nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhaltet. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in einem anderen Staat aufgehalten hat. Die Fragen der Vernehmungsbeamten bezieht sich regelmäßig auf Personalienfeststellungen, Grund und Zeitpunkt der Ausreise aus der Türkei, Grund der Abschiebung, eventuellen Vorstrafen im Ausland, Asylantragstellung, Kontakte zu illegalen türkischen Organisationen. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt (nachts, am Wochenende) und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, zwischen einigen Stunden und mehreren Tagen dauern.

 

Es gibt kein Zentralregister für Personenstandsangelegenheiten, das Personenstandsregister wird jeweils vor Ort geführt. Abgeschobene können in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend festgehalten werden. Besteht der Verdacht einer Straftat (z.B. Passvergehen, illegale Ausreise, Wehrpflicht) werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Nach dem türkischen Passgesetz, gemäß § 33 Abs. 1, wird die illegale Ausreise aus der Türkei, d.h. ohne gültigen Reisepass, mit bis zu 3 Monate geringer Haftstrafe oder mit Geldstrafe in der Höhe von mindestens 33.591.000 Türkische Lira bestraft. Wobei dies die Mindestgeldstrafe darstellt und der Richter in den meisten Fällen eine höhere Geldstrafe verhängt. Auch kann der Richter beide Strafen nebeneinander verhängen, d.h. Haft- und Geldstrafe. Schwierigkeiten für Abgeschobene können eintreten, wenn Befragung oder Durchsuchung des Gepäcks bei den Grenzbehörden oder Recherchen bei den Heimatbehörden den Verdacht der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen begründen. Die Betreffenden werden dann den zuständigen Sicherheitsbehörden übergeben. Eine in die Türkei zurückkehrende Person wird aber im Zuge der Routinekontrolle nicht etwa nur wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe misshandelt und gefoltert.

 

(Quellen:

http://www.encarta.msn.de/find/concise.asp?mod=1&ti=761575380&page=6#s37, www.ecoi.net, Fischer Weltalmanach 2003, Aktuell 2003, Bericht des Auswärtigen Amtes vom 01.03.2001 bzw. Februar 2002, Türkei, dem Fax der Österreichischen Botschaft Ankara vom 04.01.2001 und dem Länderbericht Türkei der Österreichischen Botschaft Ankara, Stand Oktober 2000, UBAS Zl. 214.850/4-IV/10/00, UBAS vom 06.11.2000, Zl.217.046/0-IV/11/00).

 

Das türkische Parlament hat nach der Abschaffung der Todesstrafe die Reformen im August 2002 fortgesetzt und eine Reihe weiterer Reformen verabschiedet, die das Land näher an die EU bringen sollen.

 

Hinzu kommen eine Reihe weiterer Liberalisierungen wie das Verbot willkürlicher Hausdurchsuchungen. Jüdische und christliche Gemeinden können ihr Eigentum nun als Besitz ihrer Stiftungen eintragen lassen, was einen besseren Schutz ihrer Eigentumsrechte bedeutet. Bisher hatte es geschehen können, dass sie auf die eine oder andere Weise zum Beispiel das Eigentumsrecht auf eine Kirche verloren. Daneben wurden aber auch einige Verschärfungen in die Gesetze eingewoben, wie die Möglichkeit, Internet-Cafés zu schließen, wenn von ihnen aus auf Web-Seiten zugegriffen wird, welche im Widerspruch zur unteilbaren Einheit des Staates, der allgemeinen Sicherheit, der Sitten und der verfassungsmäßigen Ordnung stehen.

 

Hinzu kommen auch von den Europäern ersehnte Gesetze gegen den Menschenschmuggel. Für den Fall, dass Schlepper Flüchtlinge etwa in schlecht gelüfteten Containern unterbringen und diese deshalb darin umkommen, drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis. Alle Beobachter waren ein wenig überrascht darüber, wie gut nach den hitzigen Auseinandersetzungen und den vielen taktischen Winkelzügen das Reformpaket durch das Parlament kam. Nachdem am Freitag die Abschaffung der Todesstrafe beschlossen worden war, schien es, als sei ein Damm gebrochen.

 

Die Straftatbestände der "Beleidigung" des Militärs und staatlicher Organe werden weitgehend gestrichen. Die Polizei muss sich strengeren rechtsstaatlichen Regeln unterwerfen.

 

Auch aus Brüssel war Lob zu hören. Der Kommissar für die EU-Erweiterung, Günter Verheugen, sagte, die Türkei sei ohne Zweifel an der Seite Europas. Die EU-Kommission begrüßte die neuen Gesetze. Sie erklärte aber auch, dass sie deren Anwendung genau verfolgen werde.

 

(Quellen: NZZ, TAZ, Junge Welt, Frankfurter Rundschau, Die Welt, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Neues Deutschland, Salzburger Nachrichten, OÖ Nachrichten u.v.a., vom 5.8.2002)

 

www.ecoi.net,

http://www.nadir.org/initiativ/isku/AKTUELL/2002/32/index.html

 

2.3. Zur Lage in der Türkei betreffend Verfolgung aufgrund von Blutrache werden auf Grundlage des - dem BF zur Stellungnahme übermittelten - Sachverständigengutachtens von Mag. M.A. vom 10.10.2007 nachfolgende Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses getroffen:

 

Die Blutrache ist ein Prinzip zur Sühnung von Verbrechen, bei dem Tötungen durch Tötungen gerächt werden. Es stellt die Ultima Ratio der Konfliktbewältigung innerhalb der Fehde dar. Hierbei straft die Familie des Opfers den Täter und seine Familie um die Familienehre wiederherzustellen.

 

Von der Blutrache betroffen sind alle männlichen Mitglieder der Familie.

 

Blutrache wird in der Türkei im Osten (Kurdistan) und Norden (Schwarzmeerküste) praktiziert.

 

Die Bestimmung des Art. 82 Abs. 1 Zif. i türkisches Strafgesetzbuch lautet: "Wird die Tötung begangen [...] mit dem Motiv der Blutrache [...] so wird der Täter mit einer erschwerten lebenslänglichen Freiheitsstrafe bestraft."

 

Das Gesetz versucht damit einen Abschreckungseffekt zu schaffen, um die Blutrache zu verhindern (vgl. Christian Rumpf, Die Ehre im türkischen Strafrecht).

 

Bei Blutrache, wobei die Unversehrtheit der körperlichen Integrität des Einzelnen gefährdet wird, ist vorauszusetzen, dass dabei jemand davor ums Leben gekommen ist. Ist dies nicht der Fall kann zwar von Rivalität und einem Konflikt zwischen den Familien gesprochen werden, dies nimmt aber gewöhnlich nicht eine Dimension, bei der sich die Mitglieder der Familie um ihr Leben sorgen müssen.

 

Ob der Anfang mit einem Tötungsdelikt auch als Blutrache bewertet werden soll, wird zwar diskutiert, wird aber mehrheitlich von türkischen Juristen abgelehnt. Das türkische Recht geht daher vom "Beweggrund" (saik) aus und versucht Delikte mit Tötungen zu definieren.

 

2.4. Zur Strafverfolgung in der Türkei wird aufgrund des oben genannten Gutachtens folgendes festgestellt:

 

Körperverletzung wird im türkischen Strafrecht sanktioniert (Art. 88 türkisches StGB). Die Behörde ist nach dem Gesetz verpflichtet, der Strafprozessordnung entsprechende Schritte einzuleiten. Dabei werden bei den Ermittlungen die Personalien der Täter sowie ihre Beweggründe, der Tatort und die Tatzeit schriftlich festgehalten. Erfüllen die Ermittlungen einen strafbaren Tatbestand ist die Behörde verpflichtet dies dem zuständigen Gericht weiterzuleiten.

 

Auch gefährliche Drohung ist im türkischen Strafgesetzbuch ein strafbarer Akt. Laut Art. 108 des genannten Gesetzes sind für so ein Delikt ein bis zwei Jahre Zuchthaus vorgesehen.

 

3. Diese Feststellungen gründen sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

3.1. Die Identität des Beschwerdeführers wird durch den in Kopie vorgelegten türkischen Personalausweis als gegeben angenommen.

 

3.2. Das Vorbringen des BF hinsichtlich der im Heimatdorf des BF bestehenden Streitigkeiten mit den Nachbarn war als glaubhaft zu werten, da es durchaus nachvollziehbar ist, dass zwischen der Familie des BF und der Nachbarfamilie Animositäten aufgrund des Vorfalles im Jahr 1983 bestehen, wurde doch der Vater des BF aufgrund dessen verurteilt und hat der beteiligte Nachbar eine Verletzung am Ohr davongetragen.

 

3.3. Hingegen war die Behauptung des BF, er würde von den türkischen Sicherheitsbehörden keinen Schutz erhalten, nicht glaubwürdig. Aus den Aussagen des BF zu dem Vorfall nach der Verhaftung seines Vaters, als er am Auge verletzt wurde, ergibt sich, dass die Staatsanwaltschaft sehr wohl seine Anzeige entgegengenommen hat. Das Verfahren wurde lediglich deshalb eingestellt, da der BF diese Anzeige freiwillig zurückgezogen hat. Es kann auch nicht davon gesprochen werden, dass der BF gezwungen worden wäre, die Anzeige zurückzuziehen, gab der BF doch selbst an, dass ihm der angeblich mit der Nachbarfamilie verwandte Staatsanwalt lediglich dazu geraten hätte. Dass dem BF im Fall der Nichtzurückziehung der Anzeige Konsequenzen gedroht hätten, hat dieser bei seinen Einvernahmen nicht behauptet. Zumal der BF aus freien Stücken seine erhobene Anzeige zurückgezogen hat, kann jedoch nicht davon gesprochen werden, dass die Sicherheitsbehörden unwillig wären, ihm Schutz zu gewähren.

 

Ebenso verhält es sich mit der Behauptung des BF, er hätte im Juli 2001, als er von den Nachbarn bedroht und angefahren worden wäre, keinen Schutz von der Polizei erhalten. Allein aufgrund der Mitteilung durch die Polizei an den BF, dass es im angezeigten Fall "nicht notwendig wäre, weitere Erhebungen zu tätigen", kann nicht geschlossen werden, dass die Polizei unwillig sei, dem BF Schutz zu bieten.

 

Vielmehr ergibt sich aus dem eingeholten Ländergutachten von Mag. M.A. vom 10.10.2007, dass die türkischen Sicherheitsbehörden bei Verstößen gegen das Gesetz verpflichtet sind, entsprechende Ermittlungsschritte einzuleiten.

 

3.4. Nicht glaubhaft war weiters das Vorbringen des BF, er würde im Fall seiner Rückkehr von seinen Nachbarn umgebracht werden und es würde ihm Blutrache drohen. Wie aus dem im Beschwerdeverfahren eingeholten Sachverständigengutachten von Mag. M.A. hervorgeht, wird Blutrache nur noch im Osten (Kurdistan) und im Norden (Schwarzmeerküste) der Türkei praktiziert wird. Zumal der Heimatort des BF, S., in der Provinz Ankara, somit in der Zentraltürkei, liegt, ist allein aufgrund der geografischen Lage mit keiner Verfolgung des BF aufgrund von Blutrache zu rechnen.

 

Des Weiteren ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten, dass Blutrache (in den genannten Gebieten) lediglich zur Sühnung von Verbrechen angewandt wird, bei denen ein Familienangehöriger zuvor umgebracht wurde. Voraussetzung für Blutrache ist also, dass jemand ums Leben gekommen ist.

 

Dass dem BF von den rivalisierenden Nachbarn aufgrund einer von seinem Vater im Jahr 1983 begangenen Körperverletzung (Verletzung am Ohr), die weder eine Invalidität noch andere negative Folgewirkungen für den verletzten Nachbarn nach sich gezogen hat, 25 Jahre nach diesem Vorfall nach dem Leben getrachtet wird, erscheint daher als äußerst unwahrscheinlich.

 

Darüber hinaus führt der Sachverständige aus, dass Blutrache alle Familienangehörigen gleich betrifft. Der BF gab im Zuge seiner Einvernahme am 30.04.2004 vor dem Bundesasylamt an, dass sich ein Bruder und zwei Schwestern nach wie vor im Heimatland des BF aufhalten würden. Unter Berücksichtigung des eingeholten Sachverständigengutachtens, wonach von Blutrache nur männliche Familienmitglieder betroffen sind, spricht somit auch der weitere Verbleib des Bruders des BF im Heimatdorf gegen die Annahme, dass der BF in seinem Heimatland von Blutrache betroffen wäre.

 

3.5. Die Feststellungen zur Lage in der Türkei hinsichtlich Blutrache und Strafverfolgung beruhen im Wesentlichen auf dem im Rahmen des Beschwerdeverfahrens eingeholten Gutachten des Mag. M.A., eines studierten Politologen und hinsichtlich der aktuellen Situation in der Türkei publizistisch ausgewiesenen länderkundlichen Sachverständigen.

 

Bereits aus den von der Erstbehörde als Entscheidungsgrundlage herangezogenen Länderberichten geht hervor, dass in der Türkei jedenfalls keine Situation herrscht, in der die Staatsgewalt zusammengebrochen wäre oder systematische schwere Menschenrechtsver-letzungen zu erkennen wären. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass sich, wie eine Gesamtschau der Länderberichte und des Sachverständigengutachten zeigen, die Lage in der Türkei seit Jahren im Wesentlichen unverändert darstellt. Zum Entscheidungszeitpunkt sind auch keine Umstände notorisch, aus denen sich eine ernste Verschlechterung der Lage in der Türkei ergeben würde.

 

4. Rechtlich folgt daraus:

 

4.1. Nichtgewährung von Asyl gemäß § 7 AsylG 1997:

 

4.1.1. Gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I 126/2002 ist Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1, Abschnitt A, Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt des aus Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention übernommenen Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung.

 

Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Zu fragen ist daher nicht danach, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht. (VwGH vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH vom 25.1.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH vom 26.2.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH vom 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, Zl. 95/20/0239; VwGH vom 16.02.2000, Zl. 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH E vom 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH E vom 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183, VwGH E vom 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Daher muss die Verfolgungsgefahr (bzw. die wohlbegründete Furcht davor) im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben.

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlings-Konvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

4.1.2. Obgleich zwischen dem BF und seinen Nachbarn Streitigkeiten bestanden haben, stellen die aus diesen resultierenden Animositäten seitens der Nachbarn mangels Erheblichkeit keine Verfolgung iSd GFK dar. Es kann nämlich nicht davon gesprochen werden, dass die dem BF drohende "Verfolgung" durch seine Nachbarn geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des laut Länderfeststellungen gewährleisteten Schutzes seines Heimatstaates zu begründen.

 

4.1.3. Der BF vermochte (wie unter Pkt. 3 dargelegt) nicht glaubhaft zu machen, dass ihm im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Blutrache durch die Angehörigen der Nachbarfamilie drohen würde.

 

Dem BF wäre es aber - selbst bei Glaubwürdigunterstellung seines Vorbringens hinsichtlich einer ihm drohenden Blutrache- möglich und zumutbar, sich im Falle der behaupteten Bedrohungen an die türkischen Sicherheitsbehörden zu wenden, welche willens und fähig wären, ihm Schutz zu gewähren.

 

Auch wenn ein solcher Schutz (so wie in keinem Staat auf der Erde) nicht lückenlos möglich ist, stellen die vom BF geschilderten Übergriffe in der Türkei offensichtlich amtswegig zu verfolgende strafbare Handlungen dar und andererseits existieren in der Türkei Behörden welche zur Strafrechtspflege bzw. zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit berufen und auch effektiv tätig sind. Die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit der Behörden ist somit gegeben (vgl. hierzu auch die Ausführungen des VwGH im Erk. vom 8.6.2000, Zahl 2000/20/0141 zu den Voraussetzungen der Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des türkischen Staates; Im soeben zitierten Erk. führte der weiter aus: "Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem die Gewährung von Asyl an einen algerischen Staatsangehörigen betreffenden Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256, ausgesprochen, dass mangelnde Schutzfähigkeit des Staates nicht bedeute, dass der Staat nicht mehr in der Lage sei, seine Bürger gegen jedwede Art von Übergriffen durch Dritte präventiv zu schützen, sondern dass mangelnde Schutzfähigkeit erst dann vorliege, wenn eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung "infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt" nicht abgewendet werden könne (wobei auf die hg. Erkenntnisse vom 7. Juli 1999, Zl. 98/18/0037, und vom 6. Oktober 1999, Zl. 98/01/0311, Bezug genommen wird). Dies sei dann der Fall, wenn für einen von dritter Seite Verfolgten trotz des staatlichen Schutzes der Eintritt eines - entsprechende Intensität erreichenden - Nachteiles mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei.

 

Die belangte Behörde leitete aus dem Umstand, dass der türkische Staat bereits die Androhung einer schweren und rechtswidrigen Schadenszufügung strafgerichtlich verpöne, jedenfalls aber eine mit dem Motiv der Blutrache begangene Tötung mit der [Anm: nunmehr in der Türkei nicht mehr angewandten] Todesstrafe bedrohe, die nicht unschlüssige Folgerung ab, dass der türkische Staat gewillt sei, den erforderlichen Schutz zu gewähren. Nach den Feststellungen der belangten Behörde hat der türkische Staat sowohl den Willen als auch die Fähigkeit, den Beschwerdeführer vor den Gefahren einer befürchteten Blutrache ausreichend zu schützen. Die Beschwerde hält dem Argument, der Beschwerdeführer hätte bei staatlichen Stellen Schutz vor Verfolgung finden können, lediglich entgegen, dass ein einmal gegebenes Versprechen, für eine getötete, nahe stehende Person Blutrache zu verüben, nicht einfach wieder zurückgenommen werden könne. Das Versprechen, Blutrache zu üben, binde - nach islamischer Weltanschauung - jene Person, die das Versprechen abgegeben habe, und keine wie auch immer geartete Strafdrohung könne eine die Vollziehung der Blutrache versprechende Person von der Ausübung ihrer nunmehrigen "Pflicht" abschrecken. Der Vollzug der versprochenen Blutrache werde zur Lebensaufgabe des Versprechenden. Es erscheine nicht möglich, sich unter den Schutz des türkischen Staates zu stellen, weil der Beschwerdeführer rund um die Uhr bis zu seinem Lebensende vom türkischen Staat beschützt werden müsste. Der türkische Staat habe weder die finanziellen Mitteln noch ein Interesse an einem solchen Personenschutz.

 

... Die belangte Behörde hat ...klar zum Ausdruck gebracht, dass sie von einer ausreichenden Schutzgewährung durch den türkischen Staat ausgehe und sie hat den Beschwerdeführer erfolglos aufgefordert, Beweismittel vorzulegen, die diese Annahme erschüttern könnten .... Staatliche Schutzgewährung ist um so eher zu erwarten, als es sich bei den mutmaßlichen Verfolgern um verhältnismäßig leicht auszuforschende Verwandte des vom Beschwerdeführer widerrechtlich Getöteten handeln würde. Der Beschwerdeführer hat überdies nicht einmal den Versuch unternommen, etwa durch Anzeige im Sinne des Art. 191 des türkischen Strafgesetzbuches staatlichen Schutz vor möglicher Blutrache in Anspruch zu nehmen. Es ist auch nicht offenkundig, dass der Beschwerdeführer der von ihm behaupteten Gefahr in der gesamten Türkei ausgesetzt wäre und ihm daher keine Möglichkeit offen stünde, innerhalb seines Heimatstaates einen sicheren Aufenthaltsort zu finden.").

 

Die bloße Möglichkeit, dass staatlicher Schutz nicht rechtzeitig gewährt werden kann, vermag eine gegenteilige Feststellung nicht zu begründen, solange nicht von der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit der Nichtgewährung staatlichen Schutzes auszugehen ist.

 

4.1.4. Selbst unter der Annahme, dass der Beschwerdeführer - im Widerspruch zu den Länderfeststellungen - von den türkischen Sicherheitsbehörden keinen Schutz vor der nichtstaatlichen Verfolgung erhalten würde, wäre es dem Beschwerdeführer im gegenständlichen Fall durch eine Wohnsitzverlegung innerhalb der Türkei möglich gewesen einer solchen zu entgehen. Wie sich aus den getroffenen Länderfeststellungen ergibt, gibt es in der Türkei kein Zentralregister für Personenstandsangelegenheiten. Das Personenstandsregister wird jeweils vor Ort geführt. Es erscheint daher äußerst unwahrscheinlich, dass Privatpersonen wie die Angehörigen der Nachbarfamilie den BF im gesamten türkischen Staatsgebiet ausfindig machen könnten. Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, dass der BF keine weiteren Bedrohungen durch die Nachbarn während seines Aufenthalts in Istanbul von Ende 2001 bis zu seiner Ausreise im Februar 2002 ins Treffen führte. Daraus ist ersichtlich, dass sich der BF sehr wohl durch Umzug in einem anderen Landesteil der Verfolgung entziehen hätte können.

 

Zur Möglichkeit der Inanspruchnahme bzw. des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative ist noch wie folgt auszuführen:

 

Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine so genannte innerstaatliche Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.03.1999, Zl. 98/01/0352). Nach der Rechtsprechung des VwGHs muss sich die Verfolgungsgefahr auf das gesamte Staatsgebiet beziehen. Nach einer in der ältren Rechtssprechung verwendeten Formulierung darf in keinem Teil des Herkunftsstaates Verfolgungssicherheit bestehen (VwGH 10.3.1993, Zl. 03/01/002). Nach der jüngeren Rechtsprechung ist mit dieser Formulierung jedoch nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, die Formulierung sei dahingehend zu verstehen, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen -mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeiten innerhalb des Herkunftsstaates- im gesamten Herkunftsstaat auswirken müsse (VwGH 9.11.2004, Zl 2003/01/0534; VwGH 24.11.2005, 2003/20/0109).

 

Um vom Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, müssen die Asylbehörden über Ermittlungsergebnisse verfügen, die die Sicherheit der Asylwerber dartun (vgl. etwa VwGH 8.9.1999, Zl. 99/01/0126; VwGH 16.2.2000, Zl 99/01/0149). Es muss konkret ausgeführt werden, wo der Beschwerdeführer tatsächlich Schutz vor der von ihm geltend gemachten Bedrohung finden könnte. Entsprechend dem "Ausschlusscharakter" der innerstaatlichen Fluchtalternative nimmt der Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich eine Beweislast der Asylbehörde an: Es müsse Sache der Behörde sein, die Existenz einer innerstaatlichen Fluchtalternative aufzuzeigen und nicht umgekehrt Sache des Asylwerbers, die Möglichkeit einer theoretisch möglichen derartigen Alternative zu widerlegen (vgl. VwGH 9.9.2003, Zl.2002/01/0497).

 

Aufgrund des sich Versteckthaltens kann noch nicht von einer innerstaatlichen Fluchtalternative gesprochen werden (etwa VwGH 18.4.1996, Zl.95/20/0295; VwGH 20.3.1997, Zl 95/20/0606; in diesem Sinne ebenfalls VwGH 29.10.1998, Zl. 96/20/0069). Ebenso darf der Betroffene im sicheren Landesteil nicht in eine aussichtslose Lage gelangen und jeglicher Existenzgrundlage beraubt werden. Solcherart wird dem Kriterium der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative Beachtung geschenkt (VwGH 8.9.1999, Zl. 98/01/0614, VwGH 6.10.1999, Zl. 98/01/0535, VwGH 8.6.2000, 99/20/0597, VwGH 19.10.200, 98/20/0430; VwGH 19.10.2006, Zl. 2006/0297-6; VwGH 24.1.2008, Zl. 2006/19/0985-10). Maßgebliche Faktoren zur persönlichen Zumutbarkeit können das Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale und andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten, sowie gegebenenfalls bereits erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen sein. Es wird jedoch die Ansicht vertreten, dass schlechte soziale und wirtschaftliche Bedingungen in dem betreffenden Landesteil die innerstaatliche Fluchtalternative nicht grundsätzliche ausschließen (sieheVwGH 8.9.1999, 98/01/0620; VwGH 26.6.1996, 95/20/0427) Ein bloßes Absinken des Lebensstandards durch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative, welches jedoch noch über dem Niveau der aussichtslosen Lage ist daher bei Bestehen einer Existenzgrundlage hinzunehmen.

 

Zu den bereits getroffenen Ausführungen kommt noch hinzu, dass das verfolgungssichere Gebiet eine gewisse Beständigkeit in dem Sinne aufweisen muss, dass der Betroffene nicht damit rechnen muss, jederzeit auch in diesem Gebiet wieder die Verfolgung, vor der er flüchtete, erwarten zu müssen (VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401, in diesem Sinne auch VwGH 19.2.2004, Zl. 2002/20/0075; VwGH 24.6.2004, Zl. 2001/20/0420).

 

Ebenso muss das sichere Gebiet für den Betroffenen erreichbar sein, ohne jenes Gebiet betreten zu müssen, in welchem er Verfolgung befürchtet bzw. muss im Rahmen der Refoulementprüfung feststehen, dass eine Abschiebung in dieses sichere Gebiet möglich ist (VwGH 26.6.1997, Zl.95/21/0294; in diesem Sinne auch VwGH 11.6.1997, Zl. 95/21/0908, 6.11.1998, Zl. 95/21/1121; VwGH 10.6.1999, 95/21/0945, ähnlich VwGH 17.2.2000, 9718/0562).

 

Zum Wesen und den Voraussetzungen der innerstaatlichen Fluchtalternative vgl. weiter: Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR), Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft (1979), Rz 91; Art. 8 der Richtlinie 2004/83 EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Person, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des gewährten Schutzes ("Statusrichtline); Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, S. 357 ff.

 

Speziell zur Türkei führte der VwGH aus, dass für Kurden aus dem Osten der Türkei z. B. in Istanbul eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen kann (vgl. z. B. VwGH 5.6.1996, Z. 95/20/0394, 24.10.1996, 95/20/0560, 19.6.1997, 95/20/0782, siehe aber auch VwGH 21.11.1996, 95/20/0577). Dies muss für ethnische Türken umso mehr gelten

 

Aus den oa. Ausführungen ergibt sich im gegenständlichen Fall Folgendes: Beim BF handelt es sich um einen jungen, gesunden, mobilen, arbeitsfähigen, in der Türkei sozialisierten männlichen Türken, welcher bereits in der Vergangenheit außerhalb seines Heimatortes lebte und in der Lage war, außerhalb seines Heimatortes sein Leben zu meistern. Auch geht aus dem Akteninhalt hervor, dass der BF vor seiner Ausreise bereits in Istanbul lebte, ohne dort vom behaupteten Täter in irgendeiner Form behelligt worden zu sein. Weder aus dem Vorbringen noch aus den sonstigen Ermittlungen ergeben sich irgendwelche Hinweise, dass der BF beispielsweise in Istanbul nicht dauerhaft sicher wäre. Weder stellt der BF eine dort eine besonders exponierte Persönlichkeit dar, noch liegen hinweise vor, dass der Täter über irgendwelche qualifizierte logistische Instrumentarien verfügen würde, den BF etwa in Istanbul ausfindig zu machen. Aufgrund der Vielzahl der Einreisemöglichkeiten in die Türkei auf dem Land-, Wasser- und Luftweg ist es dem BF ebenfalls möglich etwa nach Istanbul einzureisen ohne jenes Gebiet betreten zu müssen, in dem er befürchtete Verfolgung behauptet.

 

4.1.5. Auch das Vorliegen eines Nachfluchtgrundes ist im gegenständlichen Fall zu verneinen. Nach den getroffenen Feststellungen gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass türkische Staatsangehörige die aus dem Ausland in ihre Heimat zurückkehren, nunmehr asylrelevanten Verfolgungshandlungen ausgesetzt wären.

 

4.1.6. In einer Gesamtschau sämtlicher Umstände, und mangels Vorliegens bzw. Glaubhaftmachung einer aktuellen Verfolgungsgefahr aus einem in der GFK angeführten Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides abzuweisen.

 

4.2. Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des BF in die Türkei gem. § 8 Abs. 1 iVm § 50 FPG:

 

4.2.1. Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Demnach wäre die Verweisung des § 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechende Bestimmung" des FPG zu beziehen, das ist § 50 FPG. Anzumerken ist, dass sich die Regelungsgehalte beider Vorschriften (§ 57 FrG und § 50 FPG) nicht in einer Weise unterscheiden, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre. Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 FrG bezieht, lässt sich insoweit auch auf § 50 FPG übertragen.

 

Die Zurückweisung, die Hinderung an der Einreise, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre (§ 8 Abs 1 AsylG iVm § 50 Abs. 1 FPG) bzw. dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der GFK iVm § 50 Abs. 2 FPG und § 8 Abs 1 AsylG), es sei denn es bestehe eine inländische Fluchtalternative.

 

Zur Auslegung des § 8 AsylG iVm § 50 FPG 2005 ist die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 37 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992 und § 57 Fremdengesetz, BGBl I Nr. 126/2002 BGBL, heranzuziehen. Danach erfordert die Feststellung nach dieser Bestimmung das Vorliegen einer konkreten, den Berufungswerber betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122, VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (z.B. VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294, VwGH 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438, VwGH 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427, VwGH 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028). Im Übrigen ist auch im Rahmen des § 8 AsylG zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Bei der Entscheidungsfindung ist insgesamt die Rechtsprechung des EGMR zur Auslegung der EMRK, auch unter dem Aspekt eines durch die EMRK zu garantierenden einheitlichen europäischen Rechtsschutzsystems als relevanter Vergleichsmaßstab zu beachten. Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom und Henao v. The Netherlands, Unzulässigkeitsentscheidung vom 24.06.2003, Beschwerde Nr. 13669/03).

 

4.2.2. Wie bereits oben ausgeführt, gelang es dem BF nicht, eine Verfolgung im Sinne der GFK darzutun, daher bleibt zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall begründete Anhaltspunkte dafür gibt, der BF liefe Gefahr, in der Türkei, einer Bedrohung im Sinne des § 50 Abs. 1 FPG unterworfen zu werden.

 

Unter Berücksichtigung der unter Punkt 3 getroffenen Würdigung der Ergebnisse des Beweisverfahrens kann nicht angenommen werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein könnte, sodass die Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 EMRK bedeuten würde. Der BF ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mann in mittlerem Alter, der in seinem Heimatland als selbständiger Friseur tätig war. Es ist daher nicht ersichtlich, warum ihm eine Existenzsicherung in seinem Heimatland nicht zumutbar sein sollte, wie es auch vor der Ausreise möglich war. Weiters befinden sich auch noch seine Mutter und seine Geschwister im Herkunftsstaat und ist somit ferner auch ein soziales Bezugsnetz vorhanden. Aus den getroffenen Länderfeststellungen des ergibt sich auch, dass die Grundversorgung der Bevölkerung in der Türkei sehr wohl gesichert ist. Er ist gesund und arbeitsfähig und ist daher davon auszugehen, dass er ohne jedes substantiierte Vorbringen nicht als im Sinne der EMRK gefährdet anzusehen ist.

 

Der Asylgerichtshof verkennt dabei nicht, dass die wirtschaftliche Situation in der Türkei schlechter ist als in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, bzw in Österreich, aus den Berichten geht aber keinesfalls hervor, dass sie dergestalt wäre, dass das existentielle Überleben gefährdet wäre.

 

Der BF hat schließlich auch weder eine lebensbedrohende Erkrankung noch einen sonstigen auf seine Person bezogenen "außergewöhnlichen Umstand" behauptet oder bescheinigt, der ein Abschiebungshindernis im Sinne von Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG darstellen könnte.

 

Davon, dass praktisch jedem, der in die Türkei abgeschoben wird, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene, kann aufgrund der getroffenen Feststellungen nicht die Rede sein.

 

Besondere Umstände (zB schwere Krankheit, entsprechend der Judikatur des EGMR), die ausnahmsweise gegen eine Rückkehr sprechen würden, sind im vorliegenden Verfahren nicht hervorgekommen. Da gegen den Beschwerdeführer in der Türkei keine behördlichen Fahndungsmaßnahmen bestehen, hat er auch im Falle der Rückkehr im Zuge der Einreisekontrolle mit keinen Sanktionen zu rechnen.

 

Vor allfälligen Übergriffen oder Bedrohungen seitens der Nachbarn könnte, wie bereits ausgeführt, staatlicher Schutz bei den Behörden des Heimatlandes erlangt werden.

 

Somit war die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des Bescheides des Bundesasylamtes abzuweisen und insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

 

5. Gemäß § 41 Abs 7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67 d AVG. Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG, dass die dort als Rechtsfolge vorgesehene sinngemäße Anwendung des AVG 1991 unter dem Vorbehalt anderer Regelungsinhalte des B-VG, des AsylG 2005 und des VwGG steht. Derartige ausdrückliche andere Regelungen für das Verfahren vor dem Asylgerichtshof sind, in den in der Erläuterung laut AB 371 XXIII.GP genannten §§ 20, 22 und 41 AsylG 2005 enthalten, wohl aber auch in den §§ 42, 61 und 62 AsylG 2005. Es ergibt sich aus § 23 AsylGHG somit die Anwendung von Verfahrensbestimmungen für den Asylgerichtshof in allen anhängigen Verfahren einschließlich der gemäß den Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führenden Verfahren, ohne dass es dafür einer Nennung dieser Bestimmungen (auch) im § 75 Abs. 1 AsylG 2005 bedürfte. § 41 Abs. 7 ist daher im gegenständlichen Verfahren anwendbar.

 

Der Sachverhalt ist zusammengefasst, wie dargestellt, aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde sowie der Beweisaufnahme vom 25.01.2008 - welche den Parteien des Verfahrens schriftlich zur Kenntnis gebracht wurde (zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise siehe Erkenntnis des VwGH vom 17.10.2006, Zahl: 2005/20/0459-5, ebenso Beschluss des VwGH vom 20.6.2008, Zahl 2008/01/0286-6) und ihnen eine Frist zur Stellungnahme eingeräumt wurde - welcher der Beschwerdeführervertreter auch nachgekommen ist - als geklärt anzusehen (entspricht der bisherigen Judikatur zu § 67d AVG).

 

Es ergab sich sohin auch weder in der Beschwerde noch in der Stellungnahme des Beschwerdeführervertreters zum Ergebnis der Beweisaufnahme ein Hinweis auf die Notwendigkeit, den maßgeblichen Sachverhalt mit dem Beschwerdeführer zu erörtern (vgl. VwGH 23.01.2003, 2002/20/0533, VwGH 01.04.2004, 2001/20/0291).

 

Der Beschwerdeführer brachte überdies in der Beschwerde keine substantiierten Einwände ein, welche weitere Ermittlungsschritte notwendig gemacht hätten. Auch der im Beschwerdeverfahren bestellte Rechtsvertreter des BF, stellte in seiner Stellungnahme zu den übermittelten Länderfeststellungen lediglich den Antrag, in der Türkei zu erheben, wann die Tat [gemeint: jener Vorfall, als der BF von seinen Nachbarn mit dem Auto angefahren worden sei] stattgefunden habe, ob der Beschwerdeführer einen Anwalt mit dem Fall beauftragt habe und ob ein Protokol

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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