S9 401.574-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde der K.L., geb. 00.00.1967, StA. RUSSISCHE FÖDERATION, p. A. European Homecare, Betreuungsstelle Traiskirchen in 2514 Traiskirchen, Otto Glöckel-Straße 24, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.09.2008, FZ. 08 06.130-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) idF. BGBL. I Nr. 100/2005 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, reiste nach eigenen Angaben am 15.07.2008 illegal über POLEN in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie wurde hierzu am Tag der Antragstellung durch einen Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab sie im Wesentlichen an, sie hätten Inguschetien mit dem Zug über Moskau und Brest nach POLEN verlassen. In Terespol seien sie von den polnischen Behörden angehalten worden. Sie hätten einen Asylantrag gestellt und seien ihnen am 13.07.2008 die Fingerabdrücke abgenommen worden. Es habe eine kurze Erstbefragung stattgefunden. Danach habe man ihnen mitgeteilt, dass sie sich ins Lager Dembak begeben sollen. Sie seien jedoch nicht ins Lager Dembak sondern mit dem Taxi nach Warschau gefahren. Sie seien bei einer Busstation ausgestiegen und hätten dort circa drei Stunden gewartet, bis zwei Kombis gekommen seien. Sie seien mit diesen Kombis nach Österreich gefahren. Sie hätten für die Reise ¿ 2.000 für die gesamte Familie gezahlt.
Eine Eurodac-Anfrage vom selben Tag ergab, dass die Beschwerdeführerin am 13.07.2008 in POLEN einen Asylantrag gestellt hatte .
2. Das Bundesasylamt richtet am 21.07.2008 auf der Grundlage des Eurodac-Treffers ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) an die zuständige Behörde POLENS. Mit Schreiben vom 21.07.2008 (eingelangt am 22.07.2008) erklärte sich POLEN zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO für zuständig. Die entsprechende Mitteilung gemäß § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 über die Führung von Konsultationen mit POLEN erhielt die Beschwerdeführerin am 24.07.2008.
3. Auf der Grundlage einer am 05.08.2008 in der EAST-Ost stattgefundenen Untersuchung übermittelte Dr. S., Fachärztin für Psychiatrie, am 06.08.2008 eine Gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren. Die Ärztin kam zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin an keiner belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung leide und eine Überstellung nach POLEN nicht unzumutbar wäre.
4. Am 20.08.2008 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, zur Wahrung des Parteiengehörs im Beisein eines Rechtsberaters statt und brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, sie sei gemeinsam mit ihrem Ehegatten und ihren Kindern nach Österreich gereist. Ihre Angaben würden daher auch für ihre minderjährigen Kinder gelten. In Österreich würde seit circa einem Jahr auch ihr Neffe leben. Er sei immer wie ein Sohn für sie gewesen. Er habe eine "weiße Karte" in Österreich erhalten. Der Bruder ihres Ehegatten und dessen Familie sei mit ihnen nach Österreich gereist und befinde sich derzeit in Österreich. Auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, ihre Ausweisung nach POLEN zu veranlassen, gab die Beschwerdeführerin an, sie wolle nicht nach POLEN; sie würde lieber in Österreich bleiben. Ihr Mann habe Angst, in POLEN zu bleiben. Er sei in Russland öfter von Männern verschleppt worden und habe daher Angst, dass ihn diese Leute auch in POLEN finden und mitnehmen könnten.
5. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid des Bundesasylamtes vom 02.09.2008, FZ. 08 06.130-EAST Ost, wurde der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO POLEN zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach POLEN ausgewiesen und festgestellt, dass demzufolge eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach POLEN gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 zulässig sei.
Die Erstbehörde stützte ihre Entscheidung auf umfangreiche länderkundliche Feststellungen zu POLEN, insbesondere zum polnischen Asylverfahren und zur medizinischen Versorgung. Beweiswürdigend hielt die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass die Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht habe, dass sie konkret Gefahr liefe, in POLEN Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihr durch die Überstellung eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte drohen könnte. Der Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 03.09.2008 persönlich ausgefolgt.
6. Gegen genannten Bescheid richtet sich die fristgerecht auf dem Faxwege am 15.09.2008 eingebrachte Beschwerde, in welcher sie im Wesentlichen behauptete, dass aufgrund des Vertretens rechtlicher Sonderpositionen gegenüber tschetschenischen Asylwerbern die Gefahr bestehe, dass die Beschwerdeführerin nicht den benötigten Schutz in POLEN erhalte und in der Folge eine Abschiebung in den Verfolgerstaat befürchten müsse. Diesbezüglich wurde auf die Anfragebeantwortung von ACCORD vom 05.03.2008 zur "Situation tschetschenischer Asylwerber in POLEN (insbesondere Lage in Aufnahmeeinrichtungen, Bedrohung durch Kadyrowzy und medizinische Versorgung) verwiesen. Überdies würde eine Ausweisung im Falle einer Trennung von ihrer volljährigen in Österreich aufhältigen Tochter Art. 8 EMRK verletzen.
II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den Ausführungen zu Punkt I sowie aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:
Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.
Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 ist ein nicht gemäß § 4 AsylG 2005 erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG 2005 mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.
2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit der Republik POLEN gemäß Art. 16 Abs 1 lit. c Dublin II VO kraft vorangegangener erster Asylantragstellung in der Europäischen Union gemäß Art 13 Dublin II VO besteht. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.
Ebenso unbestritten ist im Asylverfahren der Beschwerdeführerin noch keine Sachentscheidung in POLEN gefallen.
2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.
2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II VO).
Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG 2005, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Im vorliegenden Fall lebt der Neffe der Beschwerdeführerin seit circa einem Jahr in Österreich. Hierzu ist zunächst anzuführen, dass die Beziehung zwischen Tante und Neffe von der oben zitierten Judikatur des EGMR nicht grundsätzlich umfasst ist. Es ist daher zu prüfen, ob die vom EGMR geforderte Beziehungsintensität im gegenständlichen Fall vorliegt. Der Aktenlage ist kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis - weder in finanzieller noch in emotionaler Hinsicht -zu entnehmen. Daran vermag die Behauptung der Beschwerdeführerin, ihr Neffe sei wie ein Sohn für sie, nichts zu ändern. Im Übrigen ist die Beschwerdeführerin den diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid in der Beschwerdeschrift nicht entgegengetreten.
Es kann daher im gegenständlichen Fall nicht von der vom EGMR geforderten Beziehungsintensität gesprochen werden, weshalb eine Ausweisung der Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht keinen unzulässigen Eingriff in ihr durch Art. 8 EMRK gewährleistetes Recht auf Privat und Familienleben darstellt.
Da auch die Beschwerden ihres Ehegatten und ihrer Kinder gegen die bescheidmäßige Zurückweisung ihrer Asylanträge gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 vom Asylgerichtshof abgewiesen wurden, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin nach POLEN einen unzulässigen Eingriff in ihre durch Art 8 EMRK garantierten Rechte auf Privat und Familienleben darstellen könnte.
2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylwesen
Ein hinreichend konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass POLEN in Hinblick auf tschetschenische Asylwerber unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden. Hieran ändert auch die in der Beschwerde zitierte Anfragebeantwortung von ACCORD vom 05.03.2008 nichts. Diese erscheint nicht geeignet den länderkundlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid konkret entgegenzutreten; dies insbesondere deshalb, weil daraus kein die Beschwerdeführerin unmittelbar betreffendes konkretes Vorbringen abzuleiten ist. Der bloße Umstand, dass eine Reihe von Asylverfahren negativ endet (wobei in POLEN notorischerweise AntragstellerInnen aus Tschetschenien zumindest tolerierten Aufenthalt erhalten) ist mangels Bestehens eines allgemeinen Konsenses über eine Gruppenverfolgung von Tschetschenen in Russland (auch in Österreich wird eine solche in der Regel nicht bejaht) und mangels verifizierbarer Angaben über ein Fehlverhalten polnischer Behörden im vorliegenden Fall kein ausreichendes Argument die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG erschüttern zu können.
Die aktuellen auf Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation beruhenden Feststellungen des Bundesasylamtes zu POLEN, die in der erstinstanzlichen Einvernahme vorgehalten wurden, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt. Hervorzuheben ist insbesondere, dass bei tschetschenischen Antragstellern aus POLEN praktisch keine Abschiebungen in die Russische Föderation erfolgen. Aus einer Mitteilung des Verbindungsbeamten des BMI in POLEN vom 23.08.2007 geht hervor, dass die jüngsten Änderungen in der polnischen Gesetzeslage für Fremde und Asylwerber insbesondere die Einführung des subsidiären Schutzes entsprechend gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben betreffen sollen. Die Einführung des "subsidiären Schutzstatus" neben Flüchtlingsstatus und "tolerated stay" lässt ebenso keine potentielle Gefährdung tschetschenischer Schutzsuchender erkennen, sodass auf die näheren Details des Inkrafttretens der jeweiligen Regelungen und des genauen Inhalts vorangegangener Gesetzesänderungen hier mangels Entscheidungsrelevanz nicht näher einzugehen war, da jedenfalls keine dieser Gesetzesänderungen Grund zur Annahme gibt, dass POLEN nunmehr allgemein oder im Besonderen gegenüber tschetschenischen Schutzsuchenden bedenkliche Sonderpositionen verträte.
Zur allgemeinen Versorgung von Asylwerbern in POLEN, denen "tolerated stay" zuerkannt wurde, steht unwidersprochen fest, dass solchen Personen die gleichen sozialen Rechte zuerkannt werden, wie polnischen Staatsbürgern. Der Verbleib in Flüchtlingslagern ist, wie nunmehr hervorgekommen ist, in Einzelfällen auch länger als 3 Monate nach Statuszuerkennung möglich. Das Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik ist gesetzlich mit der Integration auch dieser Personengruppen betraut und diesbezüglich auch aktiv tätig. Die rasche Reaktion der polnischen Behörden auf den Zuwachs an Antragstellern in der 2. Jahreshälfte 2007 (Bau neuer Flüchtlingsunterbringungsstätten) zeigt, dass die entsprechenden Verpflichtungen tatsächlich ernst genommen werden.
2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in POLEN
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach POLEN nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine Existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre.
In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das jüngste diesbezügliche Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).
Zusammenfassend führt der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. vs. the United Kingdom).
Akut Existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach POLEN sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Gutachterliche Stellungnahme von Dr. S., Fachärztin für Psychiatrie, vom 06.08.2008 zu verweisen, wonach die Beschwerdeführerin an keiner belastungsabhängigen krankheitswertigen psychischen Störung leide. Einer Überstellung nach POLEN stehe aus ärztlicher Sicht keine medizinischen Bedenken entgegen.
Es stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach POLEN keinesfalls eine Verletzung des Art. 3 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dar.
2.1.2.4. Bedrohung durch russische/tschetschenische Staatsangehörige in POLEN
Das entsprechende vage Vorbringen der Beschwerdeführerin kann in Ermangelung irgendwelcher Informationen, wonach die polnischen Sicherheitsorgane entgegen ihren asylrechtlichen Verpflichtungen systematisch mit russischen Organen kooperierten (entsprechende Belege wurden auch nicht erbracht), - bereits unbeschadet der Frage der Glaubwürdigkeit - nicht als relevant im Hinblick auf eine allfällige erheblich wahrscheinliche Verletzung des Art 3 EMRK gewertet werden.
Darüber hinaus ist grundsätzlich von Amts wegen nicht bekannt ist, dass der polnische Staat die Menschenrechte nicht achte oder an sich nicht in der Lage sei Menschenrechte sowie Leib und Leben von Menschen zu schützen, und der Beschwerdeführerin bei allfälligen gegen sie gerichteten kriminellen Handlungen in POLEN nicht die Möglichkeit offen stände, diese zur Anzeige zu bringen und staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen. Somit kann im konkreten Fall bei einer Rückkehr kein reales Risiko für die Beschwerdeführerin erblickt werden.
2.1.2.5. Zusammenfassend sieht der Asylgerichtshof im Einklang mit der diesbezüglichen Sichtweise der Erstbehörde keinen Anlass, Österreich zwingend zur Anwendung des Art 3 Abs. 2 VO 343/2003 infolge drohender Verletzung von Art 3 oder Art 8 EMRK zu verpflichten.
2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
2.2. Spruchpunkt II:
Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung der Beschwerdeführerin erforderlich erscheinen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
2.3. Gemäß § 41 Abs 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.