TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/14 S13 401686-1/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.10.2008
beobachten
merken
Spruch

S13 401.686-1/2008/4E

 

Erkenntnis

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Kirschbaum als Einzelrichterin über die Beschwerde der A.T., geb. 00.00.1945, StA. Russische Föderation, p.A. European Homecare, Betreuungsstelle Traiskirchen, Otto-Glöckel-Straße 24, Hauptgebäude, 2514 Traiskirchen, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 06.09.2008, FZ. 08 05.548, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

Entscheidungsgründe

 

Sachverhalt und Verfahren

 

1. Der Sachverhalt, soweit er sich zweifelsfrei aus dem Akt des Bundesasylamtes und aus dem AIS ergibt, sowie das Verfahren vor dem Bundesasylamt stellen sich für den Asylgerichtshof wie folgt dar:

 

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 27.06.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Eine Eurocac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass die Beschwerdeführerin über Polen nach Österreich eingereist war. Die Erstbefragung fand am selben Tag statt und die Beschwerdeführerin wurde mit dem Ergebnis konfrontiert.

 

Am 02.07.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiedraufnahmeansuchen an die zuständigen polnischen Behörden.

 

Am 03.07.2008 wurde die Beschwerdeführerin darüber informiert, dass Verhandlungen mit Polen geführt werden und geplant sei ihren Antrag wegen Zuständigkeit Polen zurückzuweisen.

 

Am 04.07.2008 antworteten die polnischen Behörden und erklärten sich zur Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin bereits.

 

Am 09.07.2008 erfolgte die Untersuchung der Beschwerdeführerin zur gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren durch einen Facharzt für Psychiatrie.

 

Dabei gab die Beschwerdeführerin an, dass sie seit 1994 an Herzproblemen und unter Bluthochdruck leide. Außerdem habe sie große Ängste um ihr Leben, Schlafstörungen, innere Unruhe und das Gefühl ständiger Nervosität und Angespanntheit. Der Gutachter diagnostizierte bei der Beschwerdeführerin zwar eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung, stellte jedoch fest, dass eine Überstellung nach Polen keine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde. Der Sachverständige ergänzte, dass die Beschwerdeführerin das Bild einer "chronifizierten reaktiven Depression; DD. PTSD" zeige und schlussfolgerte dass, da die Beschwerdeführerin über starke innere Unruhe klagt, "eine weitere Verlängerung oder Agravierung derselben im Zusammenhang mit den cardialen Beschwerden evtl. lebensbedrohend" sei (vgl. AS 65 ff.).

 

Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25.07.2008 legte die Beschwerdeführerin eine Entlassungsbereicht des Städtischen Klinischen Krankenhauses G. (Tschetschenien) aus dem Jahre 2005 vor. Daraus geht hervor, dass die Beschwerdeführerin bereits seit dem Jahr 1994 "nach emotionalem Stress" unter Schmerzen im Bereich des Herzens leide. Diagnostiziert wurde u.a. eine Ischemische Herzkrankheit und eine Arteriosklerose der Aorten sowie der Venenaorten des Herzens "Risikostufe 3". (AS 85 ff.)

 

Ferner brachte die Beschwerdeführerin wahrheitsgemäß vor, dass in Österreich ihr Sohn mit seiner Familie als anerkannter Konventionsflüchtling lebe. Deshalb sei sie nach Österreich gekommen. Sie habe in der Heimat mit ihrem Sohn zusammengelebt und er kümmere sich jetzt um sie. Er besuche sie in der Betreuungsstelle und habe ihr schon mehrfach Lebensmittel mitgebracht.

 

Gegen den Sohn der Beschwerdeführerin ist ein Verfahren zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 9 AsylG eingeleitet, da er wegen Verstoß gegen § 114 Abs. 2 FPG (Schlepperei) zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sieben Monaten (fünf davon wurden unter Setzung einer Probefrist von drei Jahren bedingt nachgesehen) verurteilt worden ist.

 

Mit Bescheid vom 06.09.2008, FZ. 08 05.548 (im Folgenden: angefochtener Bescheid), wies das Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost) den Antrag der Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück.

 

Das Bundesasylamt stellt fest, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 (c) der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (im Folgenden: Dublin II-VO) Polen für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei (I.) und dass die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen wird und, dass demzufolge gemäß § 10 Abs. 4 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen zulässig sei (II.).

 

2. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin am 24.09.2008 Beschwerde beim Bundesasylamt erhoben.

 

In der Beschwerdeschrift wurde auf den psychischen und physischen Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin verwiesen und ausgeführt, dass bei einer Ausweisung und Überstellung nach Polen ein reales Risiko einer Retraumatisierung sowie einer lebensbedrohenden Verschlimmerung der Herzbeschwerden bestehen würde. Ferner wurde auch auf die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihrem Sohn und dessen Familie verwiesen, und ausgeführt, dass eine Ausweisung bzw. Überstellung nach Polen gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde. Weiters würde eine Ausweisung und Trennung von der Familie sich sehr negativ auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin auswirken. In weitere Folge wurde die medizinische Versorgung von Asylwerberin in Polen kritisiert.

 

Die gegenständliche Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 29.09.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen

 

Rechtlicher Rahmen

 

Gemäß § 73 Abs. 1 Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 (im Folgenden: AsylG), ist die geltende Fassung mit 1. Jänner 2006 in Kraft getreten. Es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Das vorliegende Verfahren ist seit 27.06.2008 anhängig; es ist daher nach der geltenden Fassung zu beurteilen.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO) zuständig ist, wobei die dort geregelten Zuständigkeitskriterien nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Gemäß Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO bestimmt, dass jener Mitgliedstaat, dessen Land-, See- oder Luftgrenze ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend illegal überschritten hat, für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, wenn der Grenzübertritt in besondere auf der Grundlage der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 (Eurodac-VO) festgestellt wird.

 

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den Kriterien der Art. 6 bis 13 Dublin II-VO nicht zuständig ist.

 

Nach der Judikatur ist dieses Selbsteintrittsrecht zwingend anzuwenden, wenn ein Asylbewerber mit dem Vollzug der Ausweisung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat der Gefahr der Folter oder unmenschlichen Behandlung (Art. 3 EMRK) oder der Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) ausgesetzt wäre (VfGH 08.03.2001, G 117/00 u.a.; VfGH 11.06.2001, B 1541/00; VfGH 15.10.2004, G 237/03 u.a.; VfGH 17.06.2005, B 336/05).

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 01.10.2007, G 179, 180/07 klargestellt, dass die Durchführung einer Ausweisung, wenn sie aus in der Person des Asylwerbers liegenden Gründen, die nicht von Dauer sind, Art. 3 EMRK verletzen würde, für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Er hat weiters festgestellt, dass derartige Hinderungsgründe jedenfalls dann nicht mehr als "vorübergehend" im Sinne des § 10 Abs. 3 AsylG anzusehen sind, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Asylbehörde bereits absehbar ist, dass diese Gründe innerhalb der Überstellungsfrist nach Art. 19 bzw. 20 der Verordnung Nr. 343/2003 Dublin II-VO (sechs Monate) nicht wegfallen werden. In einem solchen Fall sei daher von der Zurückweisung nach § 5 AsylG Abstand zu nehmen und - nach Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO - das Asylverfahren zuzulassen.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 AsylG ist in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung im Zulassungsverfahren der Beschwerde stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Zulässigkeit der Beschwerde und Verfahren vor dem Asylgerichtshof

 

Die Beschwerde ist fristgerecht beim Asylgerichtshof eingebracht worden, und es bestehen keine Bedenken gegen ihre Zulässigkeit.

 

Mit Beschluss vom 07.10.2008, GZ. S13 401.686-1/2008/2Z, hat der Asylgerichtshof der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte im Verfahren vor dem Asylgerichtshof von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

 

Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung

 

Der Asylgerichtshof stellt fest, dass das Bundesasylamt keine ausreichenden Sachverhaltsfeststellungen in Hinblick auf den Gesundheitszustand und die damit zusammenhängende Überstellungsfähigkeit der Beschwerdeführerin getroffen hat.

 

Das Bundesasylamt hat sich nämlich, erstens, auf ein unklares ärztliches Gutachten gestützt und, zweitens, nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Gutachter jedenfalls eine "lebensbedrohliche" Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin für möglich hält.

 

Der gutachterlichen ärztlichen Stellungnahme ist einerseits zu entnehmen ist, dass einer Abschiebung aus Österreich zwar keine schweren psychischen Störungen, die aus ärztlicher Sicht eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin bewirken würden, entgegenstehen. Andererseits hat der Gutachter in einer für den Asylgerichtshof nicht nachvollziehbaren Schlussfolgerung festgestellt, dass eine Verlängerung oder Agravierung der diagnostizierten Depression "eventuell lebensbedrohend" wäre.

 

Des Weiteren hat sich der Gutachter als Facharzt für Psychiatrie für die die Beurteilung der Überstellungsfähigkeit zwar offenbar ausschließlich auf des psychischen Zustands der Beschwerdeführerin beschränkt, hat dann aber vor einer "lebensbedrohliche" Verschlechterung im Zusammenhang mit "cardialen Beschwerden" gewarnt, sich mithin also auf eine Erkrankung gestützt, die er als solche gar nicht untersucht hatte.

 

Dennoch scheint es dem Asylgerichtshof nicht auszuschließen zu sein, dass die Schlussfolgerung des Gutachters über die Gefahr einer lebensbedrohenden Verschlechterung des psychischen Zustandes der Beschwerdeführerin aus medizinischer Sicht im Ergebnis richtig ist. Wie sich nämlich insbesondere aus dem vor nicht allzu langer Zeit (2005) erstellten Entlassungsbericht des Krankenhauses in der Heimat der Beschwerdeführerin ergibt, leidet sie seit vielen Jahren an verschiedenen Herzerkrankungen, ausgelöst durch "emotionalen Stress".

 

Den möglichen Zusammenhang von physischen und psychischen Erkrankungen der Beschwerdeführerin hätte das Bundesasylamt genauer untersuchen lassen müssen, um dann das Ergebnis einer entsprechenden rechtlichen Würdigung unterziehen zu können.

 

Rechtsfolge

 

Da das Bundesasylamt somit den maßgeblichen Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt hat, ist der Beschwerde stattzugeben, ohne dass es einer Prüfung etwaiger weiterer Gründe für die Rechtswidrigkeit der Entscheidung bedarf, und der angefochtene Bescheid wird gemäß § 42 Abs. 3 AsylG behoben.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
30.10.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten