A6 310.148-2/2008/6E
Erkenntnis
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Unterer als Vorsitzende und die Richterin Dr. Schrefler-König als Beisitzerin, im Beisein der Schriftführerin VB Wilhelm über die Beschwerde des M.E., geb. 00.00.1977, Staatsangehöriger von Tschad, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 05.02.2007, Zl. 05 18.044-BAG, in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde vom 21.02.2007 wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
I.1. Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger des Tschad, reiste am 25.10.2005 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte noch am selben Tag einen Asylantrag.
I.2. Mit Bescheid des Bundesasylamt vom 23.11.2006, Zl. 05 18.044-BAG, wurde dieser Antrag gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl Nr. I 101/2003 abgewiesen, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Tschad gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Tschad ausgewiesen.
I.3. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer nach zweimaligem erfolglosem Zustellversuch direkt an seine Person am 28.11.2006 gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG durch Hinterlegung beim örtlich zuständigen Postamt ordnungsgemäß zugestellt und erwuchs mangels rechtzeitiger Erhebung eines Rechtsmittels am 13.12.2006 in Rechtskraft.
I.4. Gegen diese Entscheidung brachte der Beschwerdeführer am 20.12.2006 beim Bundesasylamt einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG sowie einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ein und erhob gleichzeitig Berufung (nunmehr Beschwerde) verbunden mit dem Antrag auf neuerliche Einvernahme. Im Wiedereinsetzungsantrag wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer seinen negativen, erstinstanzlichen Bescheid erst am 15.12.2006 erhalten habe und könne er dafür auch eine Bestätigung seitens der Post vorlegen. Da der Briefumschlag allerdings mit 27.11.2006 datiert gewesen wäre, wüsste er nicht, von welchem Datum nun auszugehen sei.
I.5. Die Ladung zu der daraufhin vom Bundesasylamt für den 15.01.2007, neun Uhr vormittags, anberaumten Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer im Wege der Hinterlegung beim örtlich zuständigen Postamt am 11.01.2007 zugestellt. Laut Aktenvermerk vom 19.01.2007 wurde dieser Ladungsbescheid - innerhalb zustehender zweiwöchiger Abholfrist - erst am 15.01.2007, nachmittags, vom Beschwerdeführer behoben.
I.6. Mit dem bekämpften Bescheid vom 05.02.2007 hat das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Ziffer 1 AVG abgewiesen. Begründend wurde im Wesentlichen aufgeführt, dass die Fristversäumnis mangels Glaubwürdigkeit der hiezu getätigten Angaben nicht durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignisses im Sinne des § 71 AVG verursacht worden sei.
I.7. Dagegen richtete sich die am 21.02.2007 im Wege seines rechtsfreundlichen Vertreters fristgerecht eingebrachte Berufung (nunmehr Beschwerde), in welcher geltend gemacht wurde, der Bescheid sei entgegen der postalischen Eintragungen auf dem entsprechenden Rückschein bereits nach einem ersten erfolglosen Zustellversuch beim Postamt hinterlegt worden, ohne einen gemäß § 21 Abs. 2 ZustellG entsprechenden zweiten Zustellversuch der Rsa-Sendung vorgenommen zu haben, weshalb keine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt sei.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
II.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.
II.1.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
II.1.3. Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.
II.1.4. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.
II. 1.5. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
II.1.6. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt. Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH 14.3.2001, 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).
II.1.7. Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die den Verfassungsgerichtshof) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt gemäß § 37 AVG den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Diese Anordnung des Gesetzgebers würde aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens wesentlicher Sachverhaltsermittlungen in erster Instanz zu einer Verlagerung des Verfahrens vor den Asylgerichtshof käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, eigentlich jene Behörde darstellt, die in einer Gesamtbetrachtung erstmals den für das Verfahren sowie für eine Entscheidung wesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dieser Gesichtspunkt ist auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - immer unter ausreichender Berücksichtigung des Parteieninteresses an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG einzubeziehen.
Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes beziehungsweise das diesem zugrunde liegende Verfahren so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Dem gegenständlichen Wiedereinsetzungsverfahren haftet insofern ein grober Verfahrensmangel an, als es das Bundesasylamt offensichtlich verabsäumt hat, dem Beschwerdeführer zur Behebung des am 11.01.2007 mittels postalischer Hinterlegung zugestellten Ladungsbescheides die gesetzlich vorgesehene zweiwöchige Abholfrist zur Verfügung zu stellen. Die seitens des Bundesasylamtes anberaumte niederschriftliche Einvernahme wurde für 15.01.2007, neun Uhr vormittags, angesetzt, obwohl der dahingehende Ladungsbescheid nachweislich erst am 09.01.2007 von der belangten Behörde ausgestellt und an den Beschwerdeführer versendet wurde. Bei der Post hinterlegte Sendungen sind jedoch gemäß § 17 Abs. 3 ZustellG mindestens zwei Wochen zur Abholung bereit zu halten und als daraus resultierender Konsequenz allfällige weitere Verfahrensschritte erst nach Ablauf dieser Frist anzusetzen. Demgemäß hätte die für 15.01.2007 anberaumte niederschriftliche Einvernahme frühestens nach Ablauf des 25.01.2007, also zehn Tage nach dem eigentlich angesetzten Termin, stattfinden dürfen, da ein Grund dieser Regelung unter anderem auch darin zu sehen ist, dem Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit zu bieten, sich gehörig auf die Verfahrenshandlung vorzubereiten. Eine Heilung dieses verfahrensrechtlichen Mangels wäre jedenfalls dann eingetreten, wenn das Bundesasylamt dem Ersuchen des Beschwerdeführers auf neuerliche Anberaumung einer niederschriftlichen Einvernahme zu einem späteren Termin entsprochen hätte (siehe Aktenvermerk vom 19.01.2007). Da eine zweite Einvernahme dem vorliegenden Akt nicht zu entnehmen ist und auch davon ausgegangen werden kann, dass der besagte Akt vollständig vom Bundesasylamt an den Asylgerichtshof übermittelt wurde (siehe Aktenvermerk vom 07.10.2008), ist daraus zu schließen, dass der bekämpfte Bescheid schlichtweg unter Umgehung der gesetzlichen Bestimmungen des Zustellgesetzes sowie ohne weitere Einvernahme des Beschwerdeführers abgefertigt wurde. Die Frage, ob eine neuerliche Einvernahme zur Entscheidungsfindung überhaupt notwendig gewesen wäre, stellt sich in diesem Fall nicht, da das Bundesasylamt offensichtlich aus eigener Initiative eine weitere Einvernahme im gegenständlichen Wiedereinsetzungsverfahren veranlasst und somit allem Anschein nach auch als unerlässlich angesehen hat.
Das Bundesasylamt hat daher im fortgesetzten Verfahren den Beschwerdeführer zu einer neuerlichen niederschriftlichen Einvernahme, diesmal unter Beachtung der gesetzlich vorgesehen Fristen zu laden und ihm ausreichend Gelegenheit zu bieten, sich auf diese Befragung vorzubereiten. Erst danach wird die belangte Behörde im Sinne der freien Beweiswürdigung eine Abwägung vorzunehmen haben, ob dem Vorbringen des Beschwerdeführers tatsächlich die Glaubwürdigkeit zu versagen ist. Eine allfällig gleichlautende Entscheidung wird unter Berücksichtigung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse entsprechend zu begründen sein, so dass sie einer nachfolgenden Kontrolle Stand zu halten vermag.
Im gegenständlichen Fall ist der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes beziehungsweise das diesem zugrunde liegende Verfahren im Ergebnis so mangelhaft, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
II.1.8. Von der durch § 66 Abs. 3 AVG eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn "hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil das Verfahren vor dem Asylgerichtshof - anders als das erstinstanzliche Asylverfahren - sich als Mehrparteienverfahren darstellt (vgl. § 67b Z 1 AVG), sodass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ-manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung, dies unter Berücksichtigung der §§ 51a bis d AVG und der Notwendigkeit der Ladung mehrerer Parteien, keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Hinzu kommt, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Asylgerichtshof als zentrale Bundesbehörde in Wien (mit einer Außenstelle in Linz) eingerichtet ist, sodass auch diesbezüglich eine Kostenersparnis nicht ersichtlich ist. Im Übrigen liegt eine rechtswidrige Ausübung des Ermessens durch eine auf § 66Abs. 2 AVG gestützte Entscheidung schon dann nicht vor, wenn die beteiligten Behörden ihren Sitz am selben Ort haben (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084, unter Verweis auf VwGH 29.01.1987, Zl. 86/08/0243).
II.1.9. Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall dem diesbezüglichen Antrag in der Beschwerde Rechnung zu tragen und das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass im Fall eines gemäß § 66 Abs. 2 AVG ergangenen aufhebenden Bescheides die Verwaltungsbehörden (lediglich) an die die Aufhebung tragenden Gründe und die für die Behebung maßgebliche Rechtsansicht gebunden sind (vgl. z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141); durch eine Zurückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befand (VwGH 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass das Bundesasylamt das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.