TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/14 S11 401866-1/2008

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Veröffentlicht am 14.10.2008
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Spruch

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde des B. A. alias B. I., geb.00. 00.1982 alias 00. 00.1992, StA. Algerien alias Marokko, p.A. Betreuungsstelle Traiskirchen, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.09.2008, FZ. 08 07.629-East Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Der Beschwerdeführer reiste am 20.08.2008 illegal in Österreich ein und stellte am 23.08.2008 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am 25.08.2008 fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung sowie am 23.09.2008 eine Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs vor dem Bundesasylamt in Gegenwart eines Rechtsberaters und nach erfolgter Rechtsberatung statt.

 

Am 29.08.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund eines EURODAC-Treffers vom 25.08.2008 an Italien ein Ersuchen um Wiederaufnahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.

 

Am 01.09.2008 bestätigte der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG vom selben Tag, wonach beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Italien seit dem 29.08.2008 geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde dem Beschwerdeführer sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.

 

Italien hat nicht binnen der vorgegebenen Frist geantwortet und kam es daher zu einer Verfristung (Zustimmung durch Zeitablauf) gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO. Italien wurde am 16.09.2008 auf die Verfristung hingewiesen und aufgefordert, die notwendigen Schritte zur Rückübernahme des Beschwerdeführers einzuleiten und nachträglich eine Zustimmung zu senden.

 

Mit Schreiben vom 02.10.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am selben Tag, stimmten die italienischen Behörden der Übernahme des Beschwerdeführers zur Prüfung seines Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung zu.

 

Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor:

 

Am 19.08.2008 habe er spät nachts in Udine einen Zug bestiegen, mit dem er nach Milano habe fahren wollen. Er sei im Zug - vermutlich habe er versehentlich einen falschen erwischt - eingeschlafen und am 20.08.2008 in der Früh in Wien angekommen. Am Bahnhof in Wien sei er von der Polizei angehalten und - da er sich nicht ausweisen konnte - festgenommen worden. Er habe bei der Polizei falsche Personalien angegeben. Den Asylantrag habe er gestellt, da er gedacht habe, dass er dann gleich wieder aus der Haft entlassen werde. Er wolle in Österreich aber kein Asyl beantragen, sondern wieder nach Italien zurück. Er habe nie nach Österreich gewollt und sei lediglich versehentlich - da er vermutlich in den falschen Zug eingestiegen sei - hier her gekommen. Er wolle wieder nach Italien zurück und die Fortsetzung seines dortigen Asylverfahrens. In Österreich wolle er kein Asyl und auch keine weiteren Fragen mehr beantworten. Von den italienischen Behörden sei der Beschwerdeführer in einer Flüchtlingsunterkunft in Gradisca untergebracht worden, wo er bis zum 19.08.2008 gewohnt habe.

 

Aufgrund eines AFIS-Abgleiches ergab sich, dass der Beschwerdeführer am 12.08.2008 in Gradisca D-Isonzo (Italien) erkennungsdienstlich behandelt wurde und einen Asylantrag gestellt hat.

 

Am 23.09.2008 erfolgte in der Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen im Beisein eines Rechtsberaters eine Einvernahme bei der im Wesentlichen Folgendes vorgebracht wurde:

 

Die Frage nach Beweismitteln oder identitätsbezeugenden Dokumenten verneinte der Beschwerdeführer und gab an, er habe nichts. Einen Reisepass hätte er noch nie gehabt. Die falsche Identität bei der Erstbefragung habe er angegeben, da man ihm dazu geraten habe. In Italien habe er noch keine Einvernahme gehabt, das Verfahren sei noch offen.

 

Auf die Frage, weshalb der Beschwerdeführer den Abschluss seines Asylverfahrens in Italien nicht abgewartet habe, sagte er aus, er habe nach Österreich gewollt. Nach Problemen in Italien befragt, teilte der Beschwerdeführer mit, er habe Probleme mit Privatpersonen gehabt. Zwei Tage vor seiner Ausreise nach Österreich habe er von einem Marokkaner 1000 Euro für Handelsgeschäfte - der Beschwerdeführer habe mit Handys gehandelt - bekommen, da er aber Verluste gehabt hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen, diesem das Geld zurückzugeben. Dieser habe den Beschwerdeführer nun - einige Tage vor seiner Ankunft in Österreich - mit dem Umbringen bedroht. An die italienischen Behörden habe er sich nicht gewendet, sondern sei gleich mit dem Zug nach Österreich geflüchtet. In Österreich habe er weder Eltern noch Kinder, aber Freunde. Er lebe in keiner familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Einer Ausweisung nach Italien stünden die geschilderten Probleme entgegen, daher wolle er nicht nach Italien zurück.

 

2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 23.09.2008, FZ. 08 07.629-East Ost den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c iVm Art. 20 lit. c Dublin II-Verordnung Italien zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Italien ausgewiesen und demzufolge gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Italien zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person des Asylwerbers, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zum Privat- und Familienleben des Asylwerbers, zur Lage im Mitgliedstaat Italien, zum italienischen Asylverfahren, zum Refoulement, zur Ausweisung sowie zur Versorgung von Asylwerbern in Italien.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass sich keine Hinweise - weder aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers noch aufgrund sonstiger Umstände - ergeben hätten, dass der Beschwerdeführer an einer schweren körperlichen Krankheit oder schweren psychischen Störung leide. Der zuständigkeitsbegründende Sachverhalt ergebe sich aus den Angaben des Beschwerdeführers und aus dem unbedenklichen Akteninhalt. Im Bundesgebiet bestünden keine sozialen Anknüpfungspunkte, es wurden auch keine Personen vom Beschwerdeführer angegeben, zu denen ein besonderes Beziehungsverhältnis oder ein Pflege- oder Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Aus dem vagen Vorbringen des Beschwerdeführers sei keine mangelnde Schutzfähigkeit oder mangelnder Schutzwille der italienischen Polizeibehörden zu entnehmen. Auch seien seine Angaben über die privaten Probleme in Italien nicht glaubhaft, zumal sie mit den Aussagen bei der Erstbefragung im Widerspruch stünden.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht mittels Telefax am 03.10.2008 Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer ersucht darin höflichst, seinen Asylantrag zu akzeptieren, weil er sehr dringend den Schutz des österreichischen Staates benötige.

 

4. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 09.10.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in den jeweilig geltenden Fassungen nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis 12 beziehungsweise 14 und Art. 15 Dublin II-Verordnung, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-Verordnung zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung eingeleitete Aufnahmeersuchen an Italien erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den Beschwerdeführer (Art. 17 Abs. 1 Dublin II-Verordnung).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Italiens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung besteht. Eine ausdrückliche Zustimmung vom 02.10.2008 zur Aufnahme des Beschwerdeführers durch die italienischen Behörden liegt vor. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-Verordnung - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-Verordnung erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/ Liebminger, Dublin II-Verordnung, K13. zu Art 19 Dublin II-Verordnung).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-Verordnung, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-Verordnung), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-Verordnung umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschafts-rechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Beschwerde wurden in Österreich aufhältige Verwandte erwähnt oder eine familienähnliche Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers angegeben.

 

Da auch sonst im Verfahren keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, hervorgekommen sind (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11), ist daher im Ergebnis den Feststellungen der Erstbehörde zu folgen, wonach der Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Italien in seinem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt würde.

 

2.1.2.2. Kritik am italienischen Asylverfahren

 

Die aktuellen bzw. in Ermangelung relevanter Änderungen der allgemeinen Lage als aktuell anzusehenden Beweismittel und Quellen, auf welchen die erstinstanzlichen Feststellungen zu Italien beruhen, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der erstinstanzlichen Feststellungen nicht erkennbar und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden.

 

Da der Beschwerdeführer weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Beschwerde konkrete Gründe, die gegen eine Überstellung nach Italien sprechen, vorgebracht hat, ist von einer unmittelbaren Gefährdung des Beschwerdeführers nicht auszugehen. Dafür spricht auch das Telefax vom "Verein Menschenrechte Österreich" vom 25.08.2008, wonach der Beschwerdeführer so schnell wie möglich nach Italien zurück wolle.

 

Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 23.09.2008 wurde der Beschwerdeführer befragt, ob die bei der Ersteinvernahme am 25.08.2008 getätigten Aussagen der Wahrheit entsprechen, worauf er die Angabe einer falschen Identität eingestand und gleichzeitig aussagte, dass das später getätigte Vorbringen der Wahrheit entspricht.

 

Das Vorbringen, die privaten Probleme in Italien betreffend, steht somit sowohl im Widerspruch zu den Aussagen bei der Erstbefragung, als auch zur Antwort auf die am 25.08.2008 gestellte Frage über die Wahrheit seiner bisherigen Aussagen.

 

In Hinblick darauf, dass bei der Erstbefragung keinerlei dahingehende Erwähnungen getätigt wurden und mehrfach seitens des Beschwerdeführers der Wunsch einer raschen Rückkehr nach Italien geäußert wurde, konnte der Asylgerichtshof von der Glaubwürdigkeit der angegebenen Geschichte nicht überzeugt werden.

 

Nachdem sich der Beschwerdeführer - seinen Angaben zufolge - nicht an die italienischen Behörden gewandt hat, kann von mangelnder Schutzfähigkeit oder Schutzwilligkeit nicht gesprochen werden und ist es dem Beschwerdeführer - bei allfälligen zukünftigen Übergriffen - zumutbar sich den dortigen Polizeibehörden anzuvertrauen.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien keinesfalls eine Verletzung der Art. 3 und 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung dar.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Italien in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Glaubwürdigkeit, real risk, staatlicher Schutz
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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