TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/15 D5 245931-0/2008

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Veröffentlicht am 15.10.2008
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Spruch

D5 245931-0/2008/8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Vorsitzende und den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Beisitzer über die Beschwerde der A.D., geb. 00.00.1971, StA. von Usbekistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.12.2003, FZ. 03 21.998-BAT, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Die Beschwerdeführerin, eine usbekische Staatsangehörige muslimischen Glaubens, reiste ihren Angaben zufolge am 21.7.2003 zusammen mit ihrem Ehemann (AIS Zl. 03 21.997) und ihren minderjährigen Kindern (AIS Zl. 03 22.009, 03 22 008, 03 22.007) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Am 28.11.2003 fand ihre Einvernahme vor dem Bundesasylamt statt. Mit Bescheid vom 10.12.2003, Zahl: 03 21.998-BAT, wies das Bundesasylamt in Spruchteil I. den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab und erklärte in Spruchteil II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Usbekistan gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 für zulässig. Nachdem dieser Bescheid der Beschwerdeführerin am 29.12.2003 persönlich ausgefolgt worden war, erhob sie dagegen fristgerecht eine Beschwerde.

 

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 28.11.2003 beim Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin zu ihrem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:

 

Ihr Ehemann habe 2003 einen Verkehrsunfall verursacht, wobei er einen Jungen, der nicht älter als 10 Jahre gewesen sei, verletzt habe. Der Junge sei über die Straße gelaufen und ihr Mann habe nicht rechtzeitig bremsen können. Es sei zu einer Gerichtsverhandlung gekommen, in der ihr Mann freigesprochen und nur zur Bezahlung einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Die Familienangehörigen des Jungen seien über den Freispruch erzürnt gewesen und hätten Rache geschworen. 2003 sei das Auto ihres Mannes in Brand gesteckt worden. Sie nehme an, dass ihr Mann eine Anzeige bei der Polizei erstattet habe. Am 2. oder 3.7.2003 sei ihr Mann von zwei Personen geschlagen und am Fuß sowie im Brustbereich verletzt worden. 2003 sei es zu einem weiteren Vorfall gekommen. Sie habe ihre Tochter vom Kindergarten abgeholt und sei ihr auf dem Weg nach Hause auf den Kopf geschlagen worden. Daraufhin sei sie bewusstlos geworden. Sie könne nicht genau sagen, was passiert sei, außer, dass sie niedergeschlagen worden sei und dass sie glaube, vergewaltigt worden zu sein. Sie hätte starke Kopfschmerzen gehabt, ansonsten könne sie sich an keine Details erinnern. Als sie wieder aufgewacht sei, sei sie nackt gewesen und seien Männer und Frauen um sie herum gestanden. Eine Frau habe ihr aus Mitleid Kleidung gegeben und hätte sie bedeckt. Die Leute aus der Nachbarschaft hätten sie nach Hause gebracht. Dieser Vorfall sei in ihrem Land eine Schande. Sie hätte nur zwei Möglichkeiten gehabt, entweder sich von ihrem Ehemann scheiden zu lassen oder Selbstmord zu begehen. Sie habe keine Anzeige bei der Polizei erstattet. Das wäre eine noch größere Schande für ihren Mann und ihre Familie gewesen. Ihr Mann habe gemeint, dass es besser wäre, das Heimatland zu verlassen.

 

Im Zuge des erstinstanzlichen Verfahrens legte die Beschwerdeführerin folgende Personaldokumente vor:

 

Heiratsurkunde Nr. 00, ausgestellt am 00.00.1991 von Standesamt T., bei welcher im AIS "Klassifizierung Echt" vermerkt ist;

 

eine Kopie ihres usbekischen Reisepasses und

 

Kopien der Geburtsurkunden ihrer Kinder.

 

Im o.a. Bescheid vom 10.12.2003 stellte das Bundesasylamt zunächst als maßgebenden Sachverhalt fest:

 

Es werde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. In ihrem Fall sei zum jetzigen Zeitpunkt kein Abschiebungshindernis im Sinne des § 57 FrG festzustellen gewesen.

 

Das Bundesasylamt führte sodann im o.a. Bescheid als Beweiswürdigung lediglich aus, dass die von der Beschwerdeführerin "getätigten Ausführungen zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben" werden.

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid zu § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (= Spruchteil I.) insbesondere aus:

 

Die Beschwerdeführerin habe im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahme keinerlei Umstände anführen können, die die Annahme rechtfertigen würden, dass sie persönlich in ihrem Heimatstaat bzw. dem Land ihres gewöhnlichen Aufenthaltes Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, das heißt aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt wäre. Zu dem von ihr ins Treffen geführten Vorfall aus 2003 sei anzuführen, dass aus diesem keinesfalls eine Verfolgung aus einem der obzitierten Gründe ableitbar sei. Wie sie selbst ins Treffen geführt habe, habe es sich ihrer Meinung nach um die Familienangehörigen des verletzten Jungen gehandelt, der von ihrem Mann angefahren worden sei, weil sie Rache nehmen hätten wollen. Daher sei sie dieser Schmach ausgesetzt gewesen. Es habe sich somit um einen Übergriff durch Privatpersonen gehandelt. Derartige Übergriffe würden auch in Usbekistan einen strafbaren Tatbestand darstellen. Eine Billigung derartiger Übergriffe durch den usbekischen Staat könne keinesfalls konstatiert werden. Es liege jedoch außerhalb der Möglichkeit eines Staates, jeden denkbaren Übergriff Dritter präventiv zu verhindern, was sich auch daraus erkennen lasse, dass überall Institutionen zur Strafrechtspflege eingerichtet seien, die andernfalls überflüssig wären. In ihrem Fall sei nicht annähernd eine gegen sie persönlich gerichtete Verfolgungshandlung im Sinne des Asylgesetzes festzustellen gewesen, weshalb es keinesfalls zur Anerkennung ihrer Person als Flüchtling kommen könne. Dieser von ihr vorgebrachte Übergriff gehe - wie gesagt - nicht vom Staat aus und könne auch nicht von einer Billigung des Übergriffes ausgegangen werden. Ihre Beweggründe dafür, keine Anzeige bei der Polizei einzubringen, seien insofern unbeachtlich, als sie keinerlei Rückschlüsse darauf geben würden, dass staatliche Organe sich ihres Anliegens nicht angenommen hätten.

 

Darüber hinaus könne sie sich nach Ansicht des Bundesasylamtes durch Übersiedlung in einen anderen Ort in Usbekistan der Schmach, die sie den Leuten in ihrem Heimatland gegenüber empfunden habe, entziehen. Aus diesem subjektiv empfundenen Gefühl könne jedenfalls kein Grund für die Anerkennung als Flüchtling abgeleitet werden. Hinsichtlich weiterer Übergriffe, die die Beschwerdeführerin auch in anderen Teilen Usbekistans befürchte, ist nochmals darauf zu verweisen, dass es in Usbekistan staatliche Stellen gebe, die für die Sicherheit im Lande zuständig seien und sich auch mit Sicherheit derartiger Übergriffe annehmen würden, wie sie dies doch auch bereits im Fall des brennenden Fahrzeuges ihres Mannes getan hätten. Das Bundesasylamt gelange nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass es nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführerin Verfolgung drohe und sei ihr Asylantrag aus diesem Grund abzuweisen.

 

In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesasylamt betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Usbekistan gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (= Spruchteil II.) im Wesentlichen aus:

 

Das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 57 Abs. 2 FrG 1997 sei bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer drohenden Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG sei es erforderlich, dass der Fremde, die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe, konkret und in sich stimmig schildern würde und dass diese Gründe objektivierbar seien. Diese Voraussetzung sei jedoch im Falle der Beschwerdeführerin nach Ansicht der Behörde keinesfalls gegeben. Sie habe nämlich vorgebracht, sie befürchte Verfolgung seitens unbekannter Personen, von denen sie annehme, dass es sich um die Familienangehörigen des verletzten Jungen handle, der von ihrem Ehemann angefahren worden sei, und diese nun Rache nehmen hätten wollen. Es könne, wie auch schon in der Begründung über die Abweisung ihres Asylantrages ausgeführt worden sei, jedenfalls auch von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen werden. Eine Gefährdung ihrer Person im Sinne des § 57 FrG könne keinesfalls festgestellt werden. Das Bundesasylamt gelange zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen würden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Usbekistan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen sei, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig sei.

 

Gegen diesen o.a. Bescheid erhob die Beschwerdeführerin am 12.1.2004 fristgerecht eine Beschwerde, in der sie eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, eine unrichtige rechtliche Beurteilung sowie eine Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machte und dies folgendermaßen begründete:

 

In der sehr allgemein gehaltenen Begründung habe das Bundesasylamt ausgeführt, dass der von ihr vorgebrachte Sachverhalt, der offensichtlich nicht angezweifelt worden sei, nicht zur Asylgewährung führen könne. In diesen Ausführungen habe sich das Bundesasylamt geirrt. Unbestritten sei, dass ihr Mann, der einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe, von Privatpersonen verfolgt werde, die bereits Anschläge gegen ihn und gegen die Beschwerdeführerin verübt hätten. Da diese Personen weitere Anschläge angekündigt hätten, sei auch davon auszugehen, dass solche im Falle ihrer Rückkehr nicht ausbleiben würden und sei daher ihr Leben und das ihrer gesamten Familie gefährdet.

 

Wie sie bereits ausgeführt habe, seien Anschläge verübt worden, die ohne Folgen für die Täter geblieben seien. Versuche ihrerseits, eine Verfolgung einzuleiten, seien erfolglos geblieben. Daraus gehe hervor, dass die Behörde nicht gewillt sei, sie und ihre Familie vor einer solchen Verfolgung zu schützen. Tatsächlich habe die verfolgende Personengruppe unter der Führung von Herrn N., wie bereits dargelegt, die Macht ihren Einfluss dahin gehend geltend zu machen, dass diese im Zuge der Verfolgung ihrer Person und ihrer Familie mit keinerlei Maßnahmen seitens der heimischen Behörden zu rechnen hätten. Es sei hinlänglich bekannt, dass in ihrem Heimatland einflussreiche Personen, und eine solche sei Herr N., Probleme mit den heimischen Behörden aus dem Weg schaffen würden und diese erst gar nicht bekommen würden. Nähere Recherchen über die Einflussnahme von wohlhabenden Personen in ihrem Heimatland seien vom Bundesasylamt trotz des gesetzlichen Auftrages nicht getätigt worden. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass der Staat nicht in der Lage sei oder gewillt sei, die Beschwerdeführerin und ihre Familie vor Verfolgung zu schützen. Der Staat habe daher diese Verfolgung zu verantworten.

 

Auch die Tatsache, dass sie durch die erlittenen seelischen Qualen und aufgrund der Tradition ihres Heimatlandes nicht mehr dorthin zurückkehren könne, wurde seitens des Bundesasylamtes in keinster Weise berücksichtigt. Aufgrund ihres Geschlechtes sei sie eine besonders gefährdete Person, da sie gemäß den Traditionen mit einer solchen Schmach nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen könne. Es wäre ihr also ein Weiterleben nicht möglich, auch wenn sie ihr Gatte entgegen der Tradition weiterhin unterstützen würde. Da sie entgegen der Feststellung des Bundesasylamtes Verfolgung ausgesetzt wäre, vor der sie der Staat nicht schützen könne oder wolle, sei ihr daher ein weiterer Verbleib in ihrer Heimat nicht zumutbar und könne sie sich lediglich durch eine Flucht einer weiteren Verfolgung entziehen.

 

Sie stelle daher folgende Anträge,

 

den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - bezüglich des Spruchpunktes I. zu beheben und ihr in Österreich Asyl zu gewähren,

 

den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und festzustellen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 8 AsylG nach Usbekistan unzulässig sei.

 

Am 29.6.2006 langte beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein die Beschwerdeführerin betreffender Psychotherapeutischer Befundbericht von Hemayat, Verein zur Betreuung von Folter- und Kriegsüberlebenden, ein, worin es heißt, dass bei der Beschwerdeführerin eine post-traumatische Belastungsstörung vorliege (= OZ 0/3).

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht:

 

Ihr Ehemann habe am 27.5.2003 einen Verkehrsunfall verursacht, wobei er einen Jungen - nicht älter als 10 Jahre - verletzt habe. Es sei zu einer Gerichtsverhandlung gekommen, in der ihr Mann freigesprochen und nur zur Bezahlung einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Die Familienangehörigen des Jungen seien mit dem Urteil nicht einverstanden gewesen und hätten Rache geschworen. In weiterer Folge sei das Auto ihres Mannes in Brand gesteckt worden und sei es zu körperlichen Übergriffen gegen ihren Mann gekommen, der geschlagen und misshandelt worden sei. 2003 sei ihr auf der Straße auf den Kopf geschlagen worden und sei sie bewusstlos geworden; sie könne nicht genau wiedergeben, was passiert sei, nehme aber an, dass sie vergewaltigt worden sei; als sie wieder aufgewacht sei, sei sie ganz nackt gewesen und seien Männer und Frauen um sie herum gestanden. In ihrem Heimatland sei dies eine große Schande und aufgrund ihres muslimischen Glaubens hätte sie entweder ihren Mann verlassen oder sich umbringen müssen.

 

Dem Bundesasylamt ist anzulasten, dass es sich in der Begründung des o. a. Bescheides, ausgehend von der bloßen (beweiswürdigenden) Feststellung, dass die getätigten Ausführungen der Beschwerdeführerin "zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben" werden, nicht ordnungsgemäß mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt hat, und zwar aus folgenden Gründen:

 

1.1. Da seitens der Beschwerdeführerin im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 28.11.2003 sehr detailliert und ohne ständiges Nachfragen von den Vorkommnissen in ihrem Herkunftsstaat erzählt wurde, sich insbesondere ihre Aussagen und jene ihres Ehemannes hinsichtlich der fluchtauslösenden Ereignisse im Wesentlichen völlig decken und beide ihre "Fluchtgeschichte" mit eigenen Erlebniswahrnehmungen geschildert haben, erscheint für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes die Vorgangsweise des Bundesasylamtes nicht nachvollziehbar, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Vorbringen der Beschwerdeführerin überhaupt nicht auseinanderzusetzen, sondern lediglich durch die Verwendung allgemein gehaltener Textbausteine die Voraussetzungen für die Glaubwürdigkeit eines Vorbringens anzuführen und daran anschließend in nur einem Satz festzuhalten, dass die getätigten Ausführungen "zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben" werden.

 

1.2. Weiters mangelt es dem o. a. Bescheid an aktuellen Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Usbekistan und zum konkreten Vorbringen der Beschwerdeführerin. Das Bundesasylamt hat keine einzige Quelle bzw. einen keinzigen aktuellen Länderbericht zum Vorbringen der Beschwerdeführerin, einerseits zur Situation von Frauen muslimischen Glaubens in Verbindung mit dem (vorgebrachten) sexuellen Eingriff und andererseits zur daraus resultierenden Situation für die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat, herangezogen bzw. entsprechende Feststellungen im o.a. Bescheid getroffen, die der Beweiswürdigung und/oder der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt werden hätten können. Wenn das Bundesasylamt in der rechtlichen Würdigung des o.a. Bescheides ausführt, dass die von der Beschwerdeführerin dargestellten Drohungen nicht staatlich motiviert gewesen seien, sondern es sich um "Übergriffe durch Privatpersonen" - durch die Familienangehörigen des verletzten Jungen - handeln würde, dass derartige Übergriffe auch in Usbekistan einen strafbaren Tatbestand darstellen würden und dass eine Billigung derartiger Übergriffe durch den usbekischen Staat keinesfalls konstatiert werden könnten, hält der zuständige Senat des Asylgerichtshofes dem entgegen, dass derartige Argumentationen bzw. Begründungen nur auf der Basis von (zuvor getroffenen) konkreten Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin in schlüssiger Weise möglich sind.

 

In dem Ermittlungsverfahren des Bundesasylamtes wurde weiters nicht geprüft, ob sich die Beschwerdeführerin und ihre Familie vor etwaigen weiteren - Rache bedingten - Übergriffen der Familienangehörigen des durch den Verkehrsunfall verletzten Jungen unter staatlichen Schutz hätte stellen können.

 

Ohne notwendiger Befassung mit entsprechendem Länderdokumentationsmaterial - einerseits zur Situation von Frauen (muslimischen Glaubens) als Opfer eines sexuellen Eingriffs sowie der daraus resultierenden Situation der Familie der Beschwerdeführerin bei einer etwaigen Rückkehr und andererseits zur entsprechenden Schutzwilligkeit bzw. -fähigkeit des Herkunftsstaates - war es dem Bundesasylamt aber auch verwehrt, abschließend die Frage zu beurteilen, ob das von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Vorbringen asylrelevant sein könnte oder eben nicht.

 

Die auf das mangelhafte Ermittlungsverfahren gestützten - oben bereits genannten - Begründungen des Bundesasylamtes für die Abweisung des Asylantrages der Beschwerdeführerin stellen daher schwere Mängel im o.a. Bescheid dar.

 

1.3. Angesichts obiger Erwägungen ist als maßgebend festzuhalten, dass im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesasylamt schwere Mängel aufgetreten sind, die von fehlenden Ermittlungen bis zu mangelhaften Begründungen im erstinstanzlichen Bescheid reichen.

 

1.4. Im weiterzuführenden Verfahren wird das Bundesasylamt folglich das Vorbringen der Beschwerdeführerin eingehend und umfassend zu würdigen haben, wobei eine abschließende Beurteilung der Angaben der Beschwerdeführerin auf deren Asylrelevanz nur im Zusammenhang mit aktuellen und umfassenden Länderfeststellungen zur Situation in Usbekistan von Frauen (muslimischen Glaubens) als Opfer eines sexuellen Eingriffs und unter der Prüfung erfolgen kann, ob hinsichtlich etwaiger weiterer Übergriffe der Privatpersonen - der Familienangehörigen des durch den Verkehrsunfall verletzten Jungen - die Schutzwilligkeit bzw.

 

-fähigkeit des Herkunftsstaates gegeben wäre.

 

Auch wird das Bundesasylamt im weiterzuführenden Verfahren auf den nunmehr vorgelegten Befundbericht, welcher nach der erstinstanzlichen Entscheidung des Bundesasylamtes vorgelegt wurde, (auch beweiswürdigend) einzugehen haben und in diesem Zusammenhang aktuelle Feststellungen zur medizinischen Versorgungslage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zu treffen haben.

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren nach leg. cit. gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes. Daher ist das Verfahren der Beschwerdeführerin von dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes (D/5) weiterzuführen.

 

2.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.4.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.6.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr gleichermaßen für den Asylgerichtshof.

 

2.4. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft mit dem Hinweis auf die fehlende Asylrelevanz der Beschwerdeführerin könnte im gegenständlichen Fall nach Ansicht des zuständigen Senates des Asylgerichtshofes nur dann das maßgebende Ergebnis einer Prüfung sein, wenn der Beschwerdeführerin damit entgegengetreten werden könnte, dass nach vollständiger Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes - insbesondere zur Situation von Frauen (muslimischen Glaubens) als Opfer eines sexuellen Eingriffs - keine Umstände zu Tage treten, die auf eine Gefährdung iSd GFK schließen lassen. Nur in dieser Form hätte das Bundesasylamt im gegenständlichen Fall eine abschließende (negative) Glaubwürdigkeitsprüfung in schlüssiger Weise vornehmen können.

 

Das Bundesasylamt hat es unterlassen, "brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen" (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; vgl. auch VwGH v. 30.9.2004, Zl. 2001/20/0135), die eine verlässliche Beurteilung ermöglichen würden, ob der Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Usbekistan asylrelevante Verfolgung droht.

 

Hinsichtlich der gebotenen Ermittlungen zur Situation der Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.4.2001, Zl. 99/20/0301, ausgeführt, dass zur Abgrenzung einer konkreten, von einem Asylwerber vorgebrachten Fluchtgeschichte zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat eine - je nach Fall unterschiedliche detaillierte - Ermittlung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat notwendig sei. Darüber hinaus erweise sich die Ermittlung dieser Situation auch im Bereich der Feststellung nach § 8 AsylG als unentbehrlich, stelle sie doch den Hintergrund für die Beurteilung der Zulässigkeit einer der dort genannten Rückbringungsmaßnahmen dar (ibid).

 

Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens fehlt eine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Da für die Lösung der Frage, ob die Beschwerdeführerin der Gefahr einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt ist, die Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens notwendig ist, hätte es im konkreten Fall jedenfalls weitergehender Ermittlungen zum Vorbringen der Beschwerdeführerin bedurft.

 

Folglich ist das Ermittlungsverfahren betreffend die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin mangelhaft geblieben und erweisen sich auch die darauf gestützten Begründungen im o.a. Bescheid als mangelhaft. Die aufgezeigten Mängel sind wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vermeidung der Mängel zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis hätte führen können.

 

Fest steht, dass das Bundesasylamt den Sachverhalt im gegenständlichen Fall so mangelhaft ermittelt hat, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme unvermeidlich erscheint.

 

Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor dem Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde.

 

Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
11.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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