TE AsylGH Erkenntnis 2008/10/15 D5 245932-0/2008

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Veröffentlicht am 15.10.2008
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Spruch

D5 245932-0/2008/10E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Vorsitzende und den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Beisitzer über die Beschwerde des A.B., geb. 00.00.1967, StA. von Usbekistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.12.2003, FZ. 03 21.997-BAT, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der Beschwerdeführer, ein usbekischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens, reiste seinen Angaben zufolge am 21.7.2003 zusammen mit seiner Ehefrau (AIS Zl. 03 21.998) und seinen minderjährigen Kindern (AIS Zl. 03 22.009, 03 22 008, 03 22.007) illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Am 18.11.2003 fand seine Einvernahme vor dem Bundesasylamt statt. Mit Bescheid vom 15.12.2003, Zahl: 03 21.997-BAT, wies das Bundesasylamt in Spruchteil I. den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab und erklärte in Spruchteil II. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Usbekistan gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 für zulässig. Nachdem dieser Bescheid dem Beschwerdeführer am 29.12.2003 persönlich ausgefolgt worden war, erhob er dagegen fristgerecht eine Beschwerde.

 

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 18.11.2003 beim Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer zu seinem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er habe 2003 einen Verkehrsunfall verursacht, wobei er einen Jungen überfahren habe, der einen Wirbelsäulenbruch erlitten habe und seitdem querschnittsgelähmt sei. Nach dem Unfall habe es eine Gerichtsverhandlung gegeben, in der er freigesprochen und nur zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Er habe dem Vater des verunfallten Kindes kurz vor der Gerichtsverhandlung Geld für die Linderung angeboten und habe sich auch bereit erklärt, für medizinische Kosten aufzukommen. Doch die Familie des verletzten Jungen habe ihn ins Gefängnis bringen wollen. Nach dieser Gerichtsverhandlung hätten die ersten Drohungen seitens der Familie des verletzten Jungen begonnen, dass er zum "Krüppel" gemacht werde, oder seine Kinder getötet werden würden. Danach sei es immer wieder zu Verfolgungshandlungen gekommen. Man habe sein Auto in Brand gesteckt und sei er danach von zwei Personen zusammengeschlagen worden, weil er bei der Polizei eine Anzeige erstatten habe wollen. Falls er von einer weiteren Verfolgung durch die Polizei nicht Abstand nehme, sei ihm gedroht worden, dass ihm noch Schlimmes passieren werde. Dies sei Ende Juni 2003 geschehen. Seine Ehefrau sei über Auftrag des Vaters des verletzten Kindes 2003 vergewaltigt und nackt auf der Straße liegen gelassen worden. In einem solchen Fall müsse er normalerweise seine Ehefrau verlassen, da diese eine große Schande sei. Aufgrund der massiven Übergriffe und Geschehnisse habe er mit seiner Familie Usbekistan verlassen, denn er könne sich nicht an die usbekischen Behörden wenden und habe auch kein Vertrauen in die Behörden. Auch sei der Vater des betreffenden Kindes, er heiße N.A., in Usbekistan ein reicher und einflussreicher Mann. Wenn er zurückkehren müsse, dann werde er und auch seine Kinder getötet werden.

 

Ergänzend brachte er weiters vor, dass er über seinen Vater von der Bezirksverwaltung seiner Stadt eine Bestätigung des Autounfalls und der darauffolgenden Ereignisse erhalten habe, welche vom Vorsitzenden der Bezirksverwaltung sowie von drei Nachbarn, die als Zeugen die Geschehnisse bestätigen würden, unterschrieben worden sei (Anm.: Diese Bestätigung in usbekischer Sprache wurde in Kopie dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt angeschlossen, siehe AS 47).

 

Im o.a. Bescheid vom 15.12.2003 stellte das Bundesasylamt zunächst als maßgebenden Sachverhalt fest:

 

Es werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei. In seinem Fall sei zum jetzigen Zeitpunkt kein Abschiebungshindernis im Sinne des § 57 FrG festzustellen gewesen.

 

Das Bundesasylamt führte sodann im o.a. Bescheid als Beweiswürdigung lediglich aus, dass die von dem Beschwerdeführer "getätigten Ausführungen zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben" werden.

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid zu § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (= Spruchteil I.) insbesondere aus:

 

Der Beschwerdeführer habe im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme keinerlei Umstände anführen können, die die Annahme rechtfertigen würden, dass er persönlich in seinem Heimatstaat bzw. dem Land seines gewöhnlichen Aufenthaltes Verfolgungen im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, das heißt aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt wäre. Zu dem von ihm ins Treffen geführten Sachverhalt sei anzuführen, dass aus diesem keinesfalls eine Verfolgung aus einem der obzitierten Gründe ableitbar sei, zumal es sich hier um die Familienangehörigen des verletzten Jungen handeln würde, welche an ihm Rache nehmen hätten wollen, weil er den Jungen angefahren habe, was bedeute, dass es sich um eine Verfolgung durch Privatpersonen, nicht um eine Verfolgung ausgehend vom Staat, handeln würde. Die beiden von ihm genannten Vorfälle, als er niedergeschlagen worden sei und als sein Auto in Brand gesteckt worden sei, würden auch in Usbekistan strafbare Tatbestände darstellen. Dass der Staat diese Übergriffe geduldet hätte oder nicht gewillt gewesen wäre, ihm weiterzuhelfen, könne keinesfalls festgestellt werden. Es könne aber von keinem Staat der Welt verlangt werden, jeden denkbaren Übergriff Dritter präventiv zu verhindern, was sich auch daraus erkennen lasse, dass überall Institutionen zur Strafrechtspflege eingerichtet seien, die andernfalls überflüssig wären. In seinem Fall könne das Bundesasylamt keine konkret gegen ihn persönlich gerichtete Verfolgungshandlung im Sinne des Asylgesetzes feststellen, weshalb es keinesfalls zur Anerkennung seiner Person als Flüchtling kommen könne. Die vom Beschwerdeführer behaupteten Übergriffe würden nicht von staatlichen Stellen ausgehen und habe er auch nicht dargetan, dass diese Vorfälle von der Polizei geduldet worden seien. Um Asyl gewährt zu bekommen, sei es zwingend erforderlich, dass einer der bereits oben genannten Verfolgungsgründe vorliege, und dass diese Verfolgung vom Staat ausgehe bzw. dass der Staat aus diesen Gründen nicht gewillt sei, ihn zu schützen, was in seinem Fall nicht annähernd gegeben sei.

 

Das Bundesasylamt gelange daher nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass es nicht glaubhaft sei, dass dem Beschwerdeführer Verfolgung drohe und sei sein Asylantrag aus diesem Grund abzuweisen gewesen.

 

In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesasylamt betreffend die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Usbekistan gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (= Spruchteil II.) im Wesentlichen aus:

 

Das Bestehen einer Gefährdungssituation iSd § 57 Abs. 2 FrG 1997 sei bereits unter Spruchteil I. geprüft und verneint worden. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer drohenden Gefahr im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG sei es erforderlich, dass der Fremde, die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe, konkret und in sich stimmig schildern würde und dass diese Gründe objektivierbar seien. Diese Voraussetzung sei jedoch im Falle des Beschwerdeführers nach Ansicht des Bundesasylamtes keinesfalls gegeben. Er habe nämlich vorgebracht, er befürchte Verfolgung seitens unbekannter Personen, von denen er annehme, dass es sich um die Familienangehörigen des von ihm verletzten Jungen handle und diese Rache nehmen hätten wollen. Eine Gefährdung seiner Person im Sinne des § 57 FrG könne keinesfalls festgestellt werden. Das Bundesasylamt gelange zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen würden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr liefe, in Usbekistan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen sei, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung zulässig sei.

 

Gegen diesen o.a. Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 12.1.2004 fristgerecht eine Beschwerde, in der er eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, eine unrichtige rechtliche Beurteilung sowie eine Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machte und dies folgendermaßen begründete:

 

Zunächst habe das Bundesasylamt behauptet, dass er keinerlei Beweismittel zur Vorlage gebracht habe und sich daher die Entscheidung über seinen Asylantrag lediglich aus der Einvernahme seiner Person begründe. Wie aus der Niederschrift jedoch hervorgehe, habe er Beweismittel - eine Kopie von Dokumenten und eine Bestätigung über die von ihm dargebrachten Ereignisse - vorgelegt. Offensichtlich sei aber diesen vom Bundesasylamt keine Beweiskraft zugemessen worden.

 

In der sehr allgemein gehaltenen Begründung habe das Bundesasylamt weiters ausgeführt, dass der von ihm vorgebrachten Sachverhalt, der offensichtlich nicht angezweifelt worden sei, zu keiner Asylgewährung führen könne. Hinsichtlich dieser Ausführungen habe sich das Bundesasylamt geirrt. Es sei unbestritten, dass er einen Verkehrsunfall mit Personenschaden verursacht habe und von Privatpersonen verfolgt werde, die bereits Anschläge gegen ihn und seine Familie verübt hätten. Da diese Personen bereits weitere Anschläge angekündigt hätten, sei auch davon auszugehen, dass diese im Falle seiner Rückkehr nicht ausbleiben würden und sei daher sein Leben und das seiner gesamten Familie in Gefahr. Wie er bereits ausgeführt habe, seien Anschläge verübt worden, die ohne Folgen für die Täter geblieben seien. Versuche seinerseits, eine Verfolgung einzuleiten, seien erfolglos geblieben. Daraus gehe hervor, dass die Behörde nicht gewillt sei, ihn und seine Familie vor einer solchen Verfolgung zu schützen. Tatsächlich habe die verfolgende Personengruppe unter der Führung von Herrn N. die Macht, ihren Einfluss dahin gehend geltend zu machen, dass im Zuge der Verfolgung seiner Person und seiner Familie mit keinerlei Maßnahmen seitens der heimischen Behörden zu rechnen sei. Es sei hinlänglich bekannt, dass in seinem Heimatland einflussreiche Personen, eine solche sei Herr N., Probleme mit den heimischen Behörden aus dem Weg schaffen würden bzw. diese erst gar nicht bekommen würden. Nähere Recherchen über die Einflussnahme von wohlhabenden Personen in seinem Heimatland seien vom Bundesasylamt trotz des gesetzlichen Auftrages nicht getätigt worden. Wäre sie dem nachgegangen, so wäre die erstinstanzliche Behörde zu dem Schluss gekommen, dass er sich dieser Verfolgung nur durch das Verlassen seines Heimatlandes entziehen haben können. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass der Staat nicht in der Lage sei oder gewillt sei, den Beschwerdeführer und seine Familie vor Verfolgung zu schützen. Er habe daher diese Verfolgung zu verantworten.

 

Da er entgegen der Feststellung des Bundesasylamtes Verfolgung ausgesetzt wäre, vor der ihm der Staat nicht schützen könne oder wolle, sei ihm daher ein weiterer Verbleib in seiner Heimat nicht zumutbar und könne er sich lediglich durch eine Flucht einer weiteren Verfolgung entziehen.

 

Er stelle daher folgende Anträge,

 

den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - bezüglich des Spruchpunktes I. zu beheben und ihm in Österreich Asyl zu gewähren,

 

den angefochtenen Bescheid - allenfalls nach Verfahrensergänzung - bezüglich des Spruchpunktes II. zu beheben und festzustellen, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 AsylG nach Usbekistan unzulässig sei.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

Der Beschwerdeführer hat in seinem Asylantrag im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht:

 

Er habe am 27.5.2003 einen Verkehrsunfall verursacht, wobei er einen Jungen überfahren habe, der einen Wirbelsäulenbruch erlitten habe und seitdem querschnittsgelähmt sei. Nach dem Unfall habe es eine Gerichtsverhandlung gegeben, in der er freigesprochen und nur zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei. Nach dieser Gerichtsverhandlung hätten die ersten Drohungen seitens der Familie des verletzten Jungen begonnen, dass er (der Beschwerdeführer) zum "Krüppel" gemacht werde oder dass seine Kinder getötet werden würden. Danach sei es immer wieder zu Verfolgungshandlungen gekommen. Man habe sein Auto in Brand gesteckt und sei er in der Folge von zwei Personen zusammengeschlagen worden, weil er bei der Polizei eine Anzeige erstatten habe wollen. Falls er von einer weiteren Verfolgung durch die Polizei nicht Abstand nehme, sei ihm gedroht worden, dass ihm noch Schlimmes passieren werde. Dies sei Ende Juni 2003 geschehen. Die Familie des verletzten Jungen habe ihn ins Gefängnis bringen wollen. Seine Ehefrau sei über Auftrag des Vaters des verletzen Kindes am 5.7.2003 vergewaltigt und nackt auf der Straße liegen gelassen worden. In einem solchen Fall müsse er normalerweise seine Ehefrau verlassen, da diese eine Schande sei. Aufgrund der massiven Übergriffe und Geschehnisse hätten sie ihr Heimatland verlassen, denn er könne sich nicht an die usbekischen Behörden wenden und habe auch kein Vertrauen in die Behörden. Auch sei der Vater des betreffenden Kindes, er heiße N.A., in Usbekistan ein reicher und einflussreicher Mann. Wenn er zurückkehren müsste, dann werde er oder seine Familienangehörigen getötet werden.

 

Dem Bundesasylamt ist anzulasten, dass es sich in der Begründung des o. a. Bescheides, ausgehend von der bloßen (beweiswürdigenden) Feststellung, dass die getätigten Ausführungen des Beschwerdeführers "zum Gegenstand dieses Bescheides" erhoben werden, nicht ordnungsgemäß mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt hat, und zwar aus folgenden Gründen:

 

1.1. Da seitens des Beschwerdeführers im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 18.11.2003 sehr detailliert und ohne ständiges Nachfragen von den Vorkommnissen in seinem Herkunftsstaat erzählt wurde, sich seine Aussagen und jene seiner Ehefrau hinsichtlich der fluchtauslösenden Ereignisse im Wesentlichen völlig decken und beide ihre "Fluchtgeschichte" detailreich und mit eigenen Erlebniswahrnehmungen geschildert haben, erscheint für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes die Vorgangsweise des Bundesasylamtes nicht nachvollziehbar, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers überhaupt nicht auseinanderzusetzen, sondern lediglich durch die Verwendung allgemein gehaltener Textbausteine die Voraussetzungen für die Glaubwürdigkeit eines Vorbringens anzuführen und daran anschließend in nur einem Satz festzuhalten, dass die getätigten Ausführungen "zum Gegenstand dieses Bescheides erhoben" werden.

 

Insbesondere ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass das Bundesasylamt die im Zuge der erstinstanzlichen Einvernahme vorgelegte Bestätigung des Beschwerdeführers keiner Übersetzung zukommen hat lassen und in keinster Weise als Beweismittel berücksichtigt bzw. beweiswürdigend in die erstinstanzliche Entscheidung miteinbezogen hat.

 

1.2. Weiters mangelt es dem o.a. Bescheid an aktuellen Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Usbekistan und zum konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers. Das Bundesasylamt hat keine einzige Quelle bzw. keinen einzigen aktuellen Länderbericht zum Vorbringen des Beschwerdeführers herangezogen bzw. entsprechende Feststellungen getroffen, die der Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung zugrunde gelegt werden hätten können. Wenn das Bundesasylamt in der rechtlichen Würdigung des o.a. Bescheides ausführt, dass die vom Beschwerdeführer dargestellten Drohungen nicht staatlich motiviert gewesen seien, sondern es sich um "Übergriffe durch Privatpersonen" - durch die Familienangehörigen des verletzten Jungen - handeln würde, dass derartige Übergriffe auch in Usbekistan einen strafbaren Tatbestand darstellen würden und dass eine Billigung derartiger Übergriffe durch den usbekischen Staat keinesfalls konstatiert werden könnten, hält der zuständige Senat des Asylgerichtshofes dem entgegen, dass derartige Argumentationen bzw. Begründungen nur auf der Basis von (zuvor getroffenen) konkreten Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in schlüssiger Weise möglich sind.

 

In dem Ermittlungsverfahren des Bundesasylamtes wurde in diesem Zusammenhang weiters nicht geprüft, ob sich der Beschwerdeführer und seine Familie vor etwaigen weiteren - Rache bedingten - Übergriffen der Familienangehörigen des durch den Verkehrsunfall verletzen Jungen unter staatlichen Schutz hätte stellen können.

 

Ohne notwendiger Befassung mit entsprechendem Länderdokumentationsmaterial zur Situation des Beschwerdeführers bei einer etwaigen Rückkehr, war es dem Bundesasylamt aber auch verwehrt, die Frage zu beurteilen, ob die zu erwartenden Übergriffe seitens der Familienangehörigen des verletzten Jungen asylrelevant sein könnten oder eben nicht.

 

Die auf das mangelhafte Ermittlungsverfahren gestützten - oben bereits genannten - Begründungen des Bundesasylamtes für die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers stellen daher schwere Mängel im o.a. Bescheid dar.

 

1.3. Angesichts obiger Erwägungen ist als maßgebend festzuhalten, dass im erstinstanzlichen Verwaltungsverfahren vor dem Bundesasylamt schwere Mängel aufgetreten sind, die von fehlenden Ermittlungen bis zu mangelhaften Begründungen im erstinstanzlichen Bescheid reichen.

 

1.4. Im weiterzuführenden Verfahren wird das Bundesasylamt folglich das Vorbringen des Beschwerdeführers eingehend und umfassend zu würdigen haben, wobei eine abschließende Beurteilung der Angaben des Beschwerdeführers auf deren Asylrelevanz nur im Zusammenhang mit aktuellen und umfassenden Länderfeststellungen zur Situation des Beschwerdeführers und der Prüfung erfolgen kann, ob hinsichtlich etwaiger weiterer Übergriffe der Privatpersonen - der Familienangehörigen des durch den Verkehrsunfall verletzten Jungen - die Schutzwilligkeit bzw. -fähigkeit des Herkunftsstaates gegeben wäre.

 

Auch wird das Bundesasylamt im weiterzuführenden Verfahren die bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Bestätigung der Bezirksverwaltung sowie die Zeugenaussagen der Nachbarn einer Übersetzung zukommen lassen müssen und diese beweiswürdigend zu berücksichtigen haben.

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren nach leg. cit. gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers von dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes (D/5) weiterzuführen.

 

2.2. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

2.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. März 2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe auch die Nachweise im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer ¿obersten Berufungsbehörde' zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt: "Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.4.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.6.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr gleichermaßen für den Asylgerichtshof.

 

2.4. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen; § 44 AsylG 1997 gilt.

 

Die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft mit dem Hinweis auf die fehlende Asylrelevanz des Beschwerdeführers könnte im gegenständlichen Fall nach Ansicht des zuständigen Senates des Asylgerichtshofes nur dann das maßgebende Ergebnis einer Prüfung sein, wenn dem Beschwerdeführer damit entgegengetreten werden könnte, dass nach vollständiger Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes keine Umstände zu Tage treten, die auf eine Gefährdung iSd GFK schließen lassen. Nur in dieser Form hätte das Bundesasylamt im gegenständlichen Fall eine abschließende (negative) Glaubwürdigkeitsprüfung in schlüssiger Weise vornehmen können.

 

Das Bundesasylamt hat es unterlassen, "brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen" (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; vgl. auch VwGH v. 30.9.2004, Zl. 2001/20/0135), die eine verlässliche Beurteilung ermöglichen würden, ob dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr nach Usbekistan asylrelevante Verfolgung droht.

 

Hinsichtlich der gebotenen Ermittlungen zur Situation des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.4.2001, Zl. 99/20/0301, ausgeführt, dass zur Abgrenzung einer konkreten, von einem Asylwerber vorgebrachten Fluchtgeschichte zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat eine - je nach Fall unterschiedliche detaillierte - Ermittlung der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat notwendig sei. Darüber hinaus erweise sich die Ermittlung dieser Situation auch im Bereich der Feststellung nach § 8 AsylG als unentbehrlich, stelle sie doch den Hintergrund für die Beurteilung der Zulässigkeit einer der dort genannten Rückbringungsmaßnahmen dar (ibid).

 

Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens fehlt eine ausreichende Beurteilungsgrundlage. Da für die Lösung der Frage, ob der Beschwerdeführer der Gefahr einer Verfolgung iSd GFK ausgesetzt ist, die Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens notwendig ist, hätte es im konkreten Fall jedenfalls weitergehender Ermittlungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers bedurft.

 

Folglich ist das Ermittlungsverfahren betreffend die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers mangelhaft geblieben und erweisen sich auch die darauf gestützten Begründungen im o.a. Bescheid als mangelhaft. Die aufgezeigten Mängel sind wesentlich, weil vorweg nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Vermeidung der Mängel zu einem für den Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte führen können.

 

Fest steht, dass das Bundesasylamt den Sachverhalt im gegenständlichen Fall so mangelhaft ermittelt hat, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme unvermeidlich erscheint.

 

Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes ist der Ansicht, dass die schweren Mängel vom Bundesasylamt zu sanieren sind, da im gegenteiligen Fall der Großteil des Ermittlungsverfahrens vor dem Asylgerichtshof als gerichtliche Beschwerdeinstanz verlagert würde und somit - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - der zweiinstanzliche Verfahrensgang unterlaufen würde.

 

Aus den dargelegten Gründen ist gemäß § 66 Abs. 2 AVG der o.a. Bescheid zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
11.11.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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