D13 267162-0/2008/24E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Dajani als Vorsitzenden und den Richter Mag. Auttrit als Beisitzer über die Beschwerde desD.S., geb. 00.00.1972, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.12.2005, FZ. 04 09.895-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und D.S. gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 wird festgestellt, dass D.S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am 01.05.2004 in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am 05.05.2004 beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein.
Hierzu wurde der Beschwerdeführer am 10.05.2004 sowie am 30.05.2005 vom Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Sein damaliges Vorbringen wurde im Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Linz, vom 15.12.2005, FZ. 04 09.895-BAL, richtig und vollständig wiedergegeben, sodass der diesbezügliche Teil des erstinstanzlichen Bescheides auch zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses erhoben wird.
Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 15.12.2005, FZ. 04 09.895-BAL, den Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I) und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde der Asylwerber aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III).
In der Begründung des Bescheides wurde festgehalten, dass die Identität des Antragstellers aufgrund der Vorlage von nationalen Identitätsdokumenten feststehe. Weiter wurden Feststellungen zur Situation der Tschetschenen in und außerhalb Tschetscheniens getroffen und auch die Quellen hierfür angeführt. Unter anderem wurde festgestellt, dass Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens und Inguschetiens neben Moskau vor allem in Südrussland leben würden. Dort sei eine Registrierung auch grundsätzlich leichter möglich als in Moskau. Eine Registrierung sei auch in anderen Landesteilen mitunter erst nach Intervention von Nichtregierungsorganisationen, Duma-Abgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten bzw. dem Bezahlen von Bestechungsgeldern möglich gewesen. Nichtregistrierte Tschetschenen könnten allenfalls in der tschetschenischen Diaspora innerhalb Tschetscheniens untertauchen und dort überleben. Wie ihre Lebensverhältnisse seien, hinge insbesondere davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen.
Das Bundesasylamt zog aus diesen Feststellungen die Schlussfolgerung, dass bei fehlendem politischen Einsatz für die tschetschenischen Rebellen und bei Fehlen nachweisbarer Hinweise auf eine (drohende) gezielte individuelle Verfolgung durch russische Staatsorgane aus diesem Grund eine innerstaatliche Fluchtalternative auch für ethnische Tschetschenen vorliegen könne. Der Antragsteller habe keine Hinweise vorgebracht, die gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen würden.
Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt aus, dass den mehrfach und grundsätzlich divergierenden Angaben des Antragstellers bezüglich seiner Fluchtgründe die Glaubwürdigkeit versagt werden müsse. So habe der Antragsteller etwa im Rahmen seiner ersten Einvernahme eine Verhaftung geschildert, im Rahmen seiner zweiten Einvernahme jedoch eine andere bzw. weitere, weshalb das Vorbringen als gesteigert erachtet wurde. Soweit der Antragsteller darauf hingewiesen habe, dass er an Gedächtnisproblemen leide, hätten sich im Laufe der Einvernahmen keine Hinweise ergeben, dass die Vernehmungsfähigkeit des Antragstellers nicht gegeben gewesen sei. Hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Antragstellers werde darauf hingewiesen, dass sich aus einem amtsärztlichen Gutachten eindeutig ableiten lasse, dass der Antragsteller keiner dauerhaften medizinischen Behandlung bedürfe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 29.12.2005 fristgerecht Berufung. Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Berufung wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Die (damalige) Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, führte am 25.04.2006 einen "selbständigen Augenschein" durch. Dabei wurde unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprachen Russisch und Tschetschenisch sowie der länderkundlichen Sachverständigen Dr. L.L. erhoben, dass nach der genannten Sachverständigen keinerlei Zweifel bestehen, dass der Beschwerdeführer wie von ihm angegeben aus der Stadt Gudermes, Region Gudermes, Teilrepublik Tschetschenien, Russland stamme.
Mit Schreiben vom 16.05.2006 wurden dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz, sowie dem Beschwerdeführer zwei landeskundliche Gutachten, verfasst jeweils von Univ.Prof. Dr. H.G. H. und Dr. L.L., übermittelt und die Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt.
Zu den genannten Gutachten gab das Bundesasylamt, Grundsatz- und Dublinabteilung, eine Stellungnahme ab und beantragte die Abhaltung einer weiteren Berufungsverhandlung zur Abgabe einer vertieften Stellungnahme. Die Autoren der genannten Gutachten legten daraufhin eine Gegenäußerung zu dieser Stellungnahme vor, worauf das Bundesasylamt erneut eine schriftliche Stellungnahme abgab. Am 07. und 08.09.2006 sowie am 11. und 12.09.2006 führe der Unabhängige Bundesasylsenat eine "einseitige Anhörung" mit Vertretern des Bundesasylamtes durch.
Mit "Erkenntnis" des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 05.10.2006, Zahl 267.162/15-II/04/06, wurde der "Beschwerde" des D.S. vom 29.12.2005 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 15.12.2005, FZ. 04 09.895-BAL, stattgegeben und dem Asylwerber gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wurde festgestellt, dass dem Asylwerber damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
In der Begründung setzte sich der Unabhängige Bundesasylsenat vor allem mit den Sachverständigengutachten und den hierzu ergangenen Einwendungen des Bundesasylamtes auseinander und kam zu dem Schluss, dass dem Beschwerdeführer eine zumutbare Zuflucht in einem anderen Teil Russlands nicht zur Verfügung stehe.
Gegen diesen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der Bundesminister für Inneres mit Schriftsatz vom 22.11.2006 Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 26.06.2008, Zahl 2006/20/0725-7, wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, die belange Behörde gehe - gestützt auf die bereits im Erkenntnis vom 19.12.2007, Zahl 2006/20/0771, dargestellten gutachterlichen Äußerungen - von einer asylrelevanten Verfolgung grundsätzlich aller (jedes beliebigen) Bewohner(s) Tschetscheniens tschetschenischer Ethnie aus, auf die vom nunmehrigen Beschwerdeführer vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung sei sie jedoch nicht eingegangen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis dargelegt habe, seien die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar, in sich widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen.
Aufgrund des Akteninhaltes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Russland, Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen und wurde am 00.00.1972 in W. geboren.
Der Beschwerdeführer hat seinen Heimatort G. im April 2004 verlassen und ist über Rostov und sodann über ihm unbekannte Länder nach Österreich gereist.
Der Beschwerdeführer hat im Jahr 1995 tschetschenische Widerstandskämpfer unterstützt, indem er verwundete Kämpfer zu einem Ort gebracht hat, wo diese medizinische Versorgung erhalten konnten. Neben Verwundeten hat der Beschwerdeführer auch Waffen und Wasser zu den Stützpunkten der Kämpfer transportiert, welche sich etwa 20 km von G. entfernt im Gebirge befanden. Im Winter 2003/04 wurde der Beschwerdeführer von unbekannten maskierten Männern von zu Hause verschleppt und an einen unbekannten Ort gebracht, wo er eine Woche lang festgehalten und verhört sowie im Zuge dessen auch misshandelt wurde. Der Beschwerdeführer wurde zu den Aufenthaltsorten der Kämpfer sowie deren Ausstattung mit Waffen befragt. Erst nach Zahlung eines Lösegeldes von USD 3000,- wurde der Beschwerdeführer wieder freigelassen. Da der Beschwerdeführer fürchtete, wieder verhaftet und misshandelt zu werden, hat er G. im April 2004 verlassen.
In Österreich leben ein Cousin sowie ein älterer Bruder des Beschwerdeführers.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung.
Die Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem bezüglich dieser Feststellungen glaubwürdigen Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahmen vom 10.05.2004 sowie vom 30.05.2005, aus der Beschwerdeschrift vom 29.12.2005, aus dem am 25.04.2006 abgehaltenen "selbständigen Augenschein", sowie aus den im Verfahren vorgelegten Urkunden, insbesondere einem russischen Inlandsreisepass.
Die Identität des Beschwerdeführers ergibt sich aus den von ihm vorgelegten und in ihrer Unbedenklichkeit auch nicht vom Bundesasylamt angezweifelten Personaldokumenten. Seine Herkunft aus Tschetschenien und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe ergeben sich insbesondere aus den Ausführungen der länderkundlichen Sachverständigen sowie der Dolmetscherin im "selbständigen Augenschein" vor dem Unabhängigen Bundesasylamt.
Der Beschwerdeführer hat im Zuge seines Asylverfahrens die vom Bundesasylamt im Rahmen seiner Beweiswürdigung aufgegriffenen Widersprüche hinreichend aufgeklärt und ausgeräumt. Der Beschwerdeführer hat in seiner zweiten Einvernahme nachvollziehbar und glaubwürdig dargelegt, dass er bei seiner ersten Einvernahme die Zeitpunkte zweier Vorfälle verwechselt habe - so sei er zunächst im Herbst 2003 ein erstes Mal von der Miliz verhaftet worden, wobei er nach tschetschenischen Kämpfern befragt, im Zuge der Anhaltung jedoch nicht misshandelt worden sei. Der von ihm bereits in der ersten Einvernahme geschilderte Vorfall, bei dem er eine Woche lang von unbekannten maskierten Männern festgehalten und misshandelt worden ist, sei dagegen im Winter 2003/04 geschehen und habe ihn schließlich zu seiner Ausreise im April 2004 veranlasst. Der Beschwerdeführer war im Rahmen seiner zweiten Einvernahme vor dem Bundesasylamt in der Lage, vermeintliche Widersprüche nachvollziehbar aufzuklären und konnte auch auf ausführliches Nachfragen durch die Behörde detaillierte Angaben zu den Umständen seiner Unterstützung für die tschetschenischen Kämpfer im Jahr 1995 sowie seiner Verschleppung machen, und hat Einzelheiten seiner Verschleppung und Anhaltung sowie auch die Umstände seiner Freilassung geschildert. Wenn das Bundesasylamt die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers im Wesentlichen auf die divergierenden zeitlichen Angaben des Beschwerdeführers zu den genannten Vorfällen in der ersten Einvernahme stützt, so ist dieser Widerspruch ein lediglich unterzuordnendes Indiz, welches das im Übrigen zu den Umständen der Verfolgungshandlungen widerspruchsfreie ausführliche Vorbringen nicht in Zweifel zu ziehen vermag. Zudem ist dem Beschwerdeführer seinem Vorbringen in der Beschwerde zuzustimmen, dass er im Rahmen der ersten Einvernahme in der Erstaufnahmestelle lediglich kurz zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die glaubwürdigen Ausführungen des Beschwerdeführers der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden können.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.
Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.
Durch die Behebung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 05.10.2006, Zahl 267.162/15-II/04/06, mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, Zahl 2006/20/0725-7, ist dieses Verfahren wieder in das Stadium vor Erlassung des behobenen Berufungsbescheides zurückgetreten. Da das seinerzeit verfahrensführende Senatsmitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates nicht zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde und es sich um ein Verfahren gegen einen abweisenden Bescheid handelt, ist das gegenständliche Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) von dem nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung zuständigen Senat zu führen.
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, iVm Artikel 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn in objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 6.10.1999, 99/01/0279, mwN).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 28.03.1995, Zl. 95/19/0041; VwGH vom 27.06.1995, Zl. 94/20/0836; VwGH vom 23.07.1999, Zl. 99/20/0208; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 99/20/0373; VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN; VwGH vom 12.09.2002, Zl. 99/20/0505 sowie VwGH vom 17.09.2003, Zl. 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2003, Zl. 99/01/0256 mwN).
Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht zu "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, "The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509 mwN sowie VwGH vom 20.09.2004, Zl. 2001/20/0430). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH vom 26.02.2002, Zl. 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus Sicht des erkennenden Senates des Asylgerichtshofes nicht von einer generelle Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend anhand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (siehe hierzu das im Gegenstand ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, 2006/20/0724-8, sowie das diesem zugrunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007, 2006/20/0771).
Im vorliegenden Fall besteht für den Beschwerdeführer angesichts des zu seinen Asylgründen festgestellten Sachverhalts eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr.
Der Beschwerdeführer hat im Rahmen seiner Einvernahme glaubwürdig dargestellt, dass er im Jahr 1995 tschetschenischen Widerstandskämpfern Unterstützung geleistet hat und in der Folge Verfolgungshandlungen durch unbekannte maskierte Männer ausgesetzt war. Im Winter 2003/04 wurde der Beschwerdeführer von zu Hause verschleppt und an einen unbekannten Ort gebracht, wo er eine Woche festgehalten, zu seinen Kenntnissen über den Tschetschenischen Widerstand befragt und hierbei misshandelt wurde, und erst durch Zahlung eines Lösegeldes durch seine Verwandten wieder freigekommen ist. Die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung ist aus diesem Grund auch objektiv nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer durch seine Tätigkeit für die tschetschenischen Kämpfer ins Blickfeld der russischen Behörden bzw. diese unterstützender Gruppierungen geraten ist.
Der Beschwerdeführer wurde nicht bloß Opfer einer allgemein gegen alle männlichen Tschetschenen im wehrpflichtigen Alter gerichtete Aktion, sondern wurde gezielt von zu Hause aus verschleppt und im Rahmen seiner einwöchigen Anhaltung zu seinen Kenntnissen über tschetschenische Widerstandskämpfer und deren Ausstattung mit Waffen befragt und misshandelt. Es besteht für ihn daher die individuelle Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner Unterstützung der tschetschenischen Widerstandskämpfer.
Es ist davon auszugehen, dass abgeschobenen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben, von den russischen Behörden besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, wobei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann - und zwar wegen der individuellen Erlebnisse des Beschwerdeführers als auch der notorischen Situation in Tschetschenien - dass dies mit Eingriffen von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Beschwerdeführers einher geht.
Daher ist im Sinne einer Prognoseentscheidung im konkreten Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien aus in seiner Person gelegenen Gründen, und zwar aufgrund seiner Ethnie sowie seiner politischen Gesinnung, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlich relevanten Verfolgung seitens der russischen Behörden sowie seitens Gruppierungen, die diese unterstützen und gegen ehemalige Widerstandskämpfer vorgehen, ausgesetzt ist. Aufgrund seiner Tätigkeit im tschetschenischen Widerstand und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer Kenntnisse über tschetschenische Widerstandskämpfer besitzt, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer von Seiten der russischen Behörden hinreichenden Schutz vor Übergriffen durch Dritte erwarten könnte.
Wie in den Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides ebenfalls festgehalten, haben insbesondere (aber nicht nur) Tschetschenien besondere Schwierigkeiten, sich außerhalb der Republik Tschetschenien registrieren zu lassen und führt die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte. Der Beschwerdeführer verfügt über keinerlei Verwandte oder Freunde in der Russischen Föderation außerhalb der tschetschenischen Republik. Es liegen daher aus Sicht des erkennenden Senates keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer inländischen Schutzalternative vor.
Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht einerseits wegen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung, andererseits wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit verfolgt zu werden, außerhalb der Russischen Föderation befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren und auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlußgründe vorliegt.
Gemäß § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund Asylantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.