D12 258330-0/2008/28E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Auttrit als Vorsitzenden und den Richter Dr. Dajani als Beisitzer über die Beschwerde des D.T., geb. 00.00.1973, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.01.2005, FZ. 04 06.245-BAL, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und D.T. gemäß § 7 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG 1997 wird festgestellt, dass D.T. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am 31.03.2004 gemeinsam mit seiner Ehegattin und seinem minderjährigen Sohn in das österreichische Bundesgebiet ein und brachte am selben Tag beim Bundesasylamt einen Asylantrag ein.
Am 26.08.2004 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Asylantrag vom Bundesasylamt im Beisein eines geeigneten Dolmetschers für die russische Sprache vor dem zur Entscheidung berufenen Organwalter des Bundesasylamtes niederschriftlich einvernommen. Sein damaliges Vorbringen wurde im Bescheid des Bundesasylamtes, Außenstelle Linz, vom 28.01.2005, FZ. 04 06.245-BAL, richtig und vollständig wiedergegeben, sodass der diesbezügliche Teil des erstinstanzlichen Bescheides auch zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses erhoben wird. Im Rahmen seiner Einvernahme legte der Beschwerdeführer seinen Führerschein und seine Geburtsurkunde sowie jene seiner Ehegattin sowie ihre Heiratsurkunde vor.
Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 28.01.2005, FZ. 04 06.245-BAL, den Asylantrag gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I) und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Asylwerbers in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zulässig sei (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde der Asylwerber "aus dem österreichischen Bundesgebiet" ausgewiesen (Spruchpunkt III).
In der Begründung des Bescheides wurde festgehalten, dass die Identität des Antragstellers aufgrund der Vorlage von nationalen Identitätsdokumenten feststehe. Weiter wurden Feststellungen zur Situation der Tschetschenen in und außerhalb Tschetscheniens getroffen und auch die Quellen hierfür angeführt. Unter anderem wurde festgestellt, dass abgeschobenen Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch die russischen Behörden gewidmet werde, insbesondere solchen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert hätten oder denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen würden.
In der Praxis werde an vielen Orten der legale Zuzug von Personen aus den südlichen Republiken der Russischen Föderation durch Verwaltungsvorschriften sehr stark erschwert. Diese Zuzugsbeschränkungen, die unabhängig von der Volkszugehörigkeit gälten, würden sich jedoch im Zusammenhang mit anti-tschetschenischer Stimmung stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen auswirken, sich legal dort niederzulassen.
Zusammenfassend stellte das Bundesasylamt fest, dass bei fehlendem politischen Einsatz für die tschetschenischen Rebellen und bei Fehlen nachweisbarer Hinweise für eine (drohende) gezielte individuelle Verfolgung durch russische Staatsorgane aus diesem Grund gegen den einzelnen / die einzelne könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in anderen Teilen der Russischen Föderation auch für ethnische Tschetschenen vorliegen könne. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit einer ethnisch motivierten Verfolgung ausgesetzt sei. Weiter könne nicht festgestellt werden, dass der Antragsteller wegen der Begehung eines besonders schweren Verbrechens zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides wegen dieses Verbrechens eine Gefahr für die Gemeinschaft darstelle.
Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt - nach einer umfassenden Darstellung der Voraussetzungen für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Asylwerbers - lediglich aus, der Antragsteller habe diesen Voraussetzungen für die Qualifizierung eines Erlebnisberichtes nicht entsprechen können. Vor dem Hintergrund dieser Prämissen sei die vom Antragsteller vor der Asylbehörde präsentierte "Fluchtgeschichte" tatsächlich als zu "blass", wenig detailreich und zu oberflächlich und daher in Folge keinesfalls als glaubhaft zu qualifizieren sei. Zusätzlich werde die persönliche Glaubwürdigkeit des Antragstellers durch dessen bisheriges Verhalten in Österreich erheblich beeinträchtigt. Seine Behauptung, internationalen Schutzes zu bedürfen, werde durch sein bisheriges Verhalten erheblich relativiert, weil von einer Person, welche tatsächlich dieses Schutzes bedarf, davon auszugehen sei, dass sie kein Verhalten setzt, durch welches sie allenfalls Gefahr läuft, diesen Schutz nicht zu erhalten oder dessen verlustig zu werden. Weiters ergebe sich aus dem Vorbringen des Antragstellers betreffend des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht, dass dem Antragsteller eine solche nicht offen stehen würde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 21.02.2005 am 28.02.2005 fristgerecht Berufung. Hinsichtlich des genauen Inhaltes der Berufung wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Am 14.09.2005 sowie am 28.11.2005 legte der Beschwerdeführer handschriftliche Eingaben an die Berufungsbehörde vor.
Die (damalige) Berufungsbehörde, der Unabhängige Bundesasylsenat, führte am 24.04.2006 einen "selbständigen Augenschein" mit dem Zweck durch, die regionale Herkunft des Beschwerdeführers durch Kommunikation in tschetschenischer Sprache über vom Sachverständigen angesprochene Themen zu überprüfen. Dabei wurde unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprachen Russisch und Tschetschenisch sowie der länderkundlichen Sachverständigen Dr. L.L. erhoben, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers (gemeint wohl: betreffend seine Herkunft aus I. bzw. G., Tschetschenien) als glaubwürdig erscheine.
Mit Schreiben vom 16.05.2006 wurden dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz, sowie dem Beschwerdeführer zwei landeskundliche Gutachten, verfasst jeweils von Univ.Prof. Dr. H.G. H. und Dr. L.L., übermittelt und die Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen eingeräumt.
Zu den genannten Gutachten gab das Bundesasylamt, Grundsatz- und Dublinabteilung, eine Stellungnahme ab und beantragte die Abhaltung einer weiteren Berufungsverhandlung zur Abgabe einer vertieften Stellungnahme. Die Autoren der genannten Gutachten legten daraufhin eine Gegenäußerung zu dieser Stellungnahme vor, worauf das Bundesasylamt erneut eine schriftliche Stellungnahme abgab. Am 07. und 08.09.2006 sowie am 11. und 12.09.2006 führte der Unabhängige Bundesasylsenat eine "einseitige Anhörung" mit Vertretern des Bundesasylamtes durch.
Mit "Erkenntnis" des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.10.2006, Zahl 258.330/19-II/04/06 wurde der "Beschwerde" des D.T. vom 21.02.2005 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.01.2005, FZ. 04 06.245-BAL, stattgegeben und dem Asylwerber gemäß § 7 AsylG Asyl gewährt. Gemäß § 12 leg. cit. wurde festgestellt, dass dem Asylwerber damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
In der Begründung setzte sich der Unabhängige Bundesasylsenat vor allem mit den Sachverständigengutachten und den hierzu ergangenen Einwendungen des Bundesasylamtes auseinander und kam zu dem Schluss, dass dem Beschwerdeführer eine zumutbare Zuflucht in einem anderen Teil Russlands nicht zur Verfügung stehe.
Gegen diesen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates erhob der Bundesminister für Inneres mit Schriftsatz vom 30.11.2006 Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 26.06.2008, Zahl 2006/20/0759-5, wurde der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof dazu aus, die belange Behörde gehe - gestützt auf die bereits im Erkenntnis vom 19.12.2007, Zahl 2006/20/0771, dargestellten gutachterlichen Äußerungen - von einer asylrelevanten Verfolgung grundsätzlich aller (jedes beliebigen) Bewohner(s) Tschetscheniens tschetschenischer Ethnie aus, auf die vom nunmehrigen Beschwerdeführer vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung sei sie jedoch nicht eingegangen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis dargelegt habe, seien die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen nicht nachvollziehbar, in sich widersprüchlich und insgesamt nicht geeignet, die zusammenfassende Behauptung der Sachverständigen hinsichtlich der Verfolgungswahrscheinlichkeit eines beliebigen Tschetschenen zu tragen.
Aufgrund des Akteninhaltes steht nachstehender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Russland, Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen und wurde am 00.00.1973 in I. in Tschetschenien geboren. Der Beschwerdeführer besuchte dort von 1979 bis 1988 die Grundschule, sowie sodann in G. eine von 1988 bis 1989 eine technische Schule in G.. Dort arbeitete er in der Folge von 1989 bis 1990 sowie von 1991 bis 2003 als Hilfsarbeiter.
Der Beschwerdeführer ist verheiratet und hat einen Sohn sowie eine Tochter.
Der Beschwerdeführer hat sein Heimatland bereits im Sommer 2003 verlassen, wobei ihm ein Mal die Einreise in die Slowakei nicht gelang und er einmal von Weißrussland aus nicht weiterreisen konnte. Er hat sich sodann über einen Mittelsmann einen Pass besorgen lassen und hat G. Anfang Februar 2004 erneut verlassen und ist über Brest/Weißrussland zunächst nach Polen, später nach Tschechien und schließlich Ende März 2004 nach Österreich gereist.
Der Beschwerdeführer hat als Widerstandskämpfer am ersten Tschetschenienkrieg teilgenommen und wurde im Krieg schwer verletzt. In der Folge wurde er drei Mal von Spezialeinheiten des Militärs entführt und jeweils gegen die Zahlung von Lösegeld wieder freigelassen. Die erste Entführung fand im Oktober 200 statt, die zweite im Winter 2002, die letzte im Januar 2003. Aus diesem Grund beschloss der Beschwerdeführer, Tschetschenien zu verlassen.
Der Beschwerdeführer lebt gemeinsam mit seiner Ehegattin und seinen zwei minderjährigen Kindern seit März 2004 in Österreich, im August 2004 wurde eine weitere Tochter des Beschwerdeführers in Österreich geboren.
Mit Urteil des Landesgerichtes L., wurde der Beschwerdeführer wegen §§ 127 und 130 StGB zu sieben Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, davon fünf Monate bedingt bei einer Probezeit von drei Jahren.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus folgender Beweiswürdigung.
Die Feststellungen zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem bezüglich dieser Feststellungen glaubwürdigen Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Einvernahme vom 15.06.2005, aus der Beschwerdeschrift vom 18.07.2005, aus dem am 25.04.2006 abgehaltenen "selbständigen Augenschein", sowie aus den im Verfahren vorgelegten Urkunden, insbesondere einer Heiratsurkunde und einem russischen Auslandsreisepass (AS 37-43) sowie zwei Bestätigungen der itschkerischen Republik betreffend seine Teilnahme als Widerstandskämpfer am ersten Tschetschenienkrieg von 1994 bis 1996.
Die Identität des Beschwerdeführers ergibt sich aus den von ihm vorgelegten und in ihrer Unbedenklichkeit auch nicht vom Bundesasylamt angezweifelten Personaldokumenten. Seine Herkunft aus Tschetschenien und die Zugehörigkeit zur tschetschenischen Volksgruppe ergeben sich insbesondere aus den Ausführungen der länderkundlichen Sachverständigen sowie der Dolmetscherin im "selbständigen Augenschein" vor dem Unabhängigen Bundesasylamt.
Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchgründen im Rahmen seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt sind hinreichend klar, konkret und widerspruchsfrei. Der Beschwerdeführer hat nachvollziehbar geschildert, dass er am ersten Tschetschenienkrieg als Widerstandskämpfer teilgenommen hat und in der Folge drei Mal von einer Spezialeinheit des russischen Militärs entführt und festgehalten worden ist. Dabei ist er jeweils lediglich durch die Zahlung von Lösegeldern durch seine Verwandten wieder freigelassen worden. Der Beschwerdeführer schilderte etwa ausführlich die Höhe und Art der Lösegeldleistungen. Soweit das Bundesasylamt daher rügt, die Angaben des Beschwerdeführers seien zu oberflächlich, ist hinzuzufügen, dass der Beschwerdeführer auch in keinster Weise zu Details seines Fluchtvorbringens näher befragt wurde.
Soweit das Bundesasylamt rügt, dass die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers durch sein bisheriges Verhalten in Österreich - namentliche eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von sieben Monaten, hiervon fünf Monate bedingt - geschmälert würde, und mutmaßt, dass eine Person, die tatsächlich des internationalen Schutzes bedürfe, kein solches Verhalten setzen würde, durch welches sie Gefahr laufe, diesen Schutz nicht zu erhalten, ist diese Argumentation zunächst reine Spekulation und zudem unschlüssig, wenn im folgenden Absatz festgestellt wird, dass es sich bei der Nichtanwendung des § 13 AsylG um eine komplexe juristische Frage handelt, welche der Asylwerber bei Begehung einer Straftat sicher nicht differenziert ins Kalkül ziehen würde. In Anbetracht der Tatsache, dass die Straftat des Beschwerdeführers schon hinsichtlich der Art wie auch hinsichtlich der verhängten Strafe unter jener hohen Schwelle liegt, welche die Judikatur der Höchstgerichte für die Anwendbarkeit des § 13 AsylG gesetzt hat, kann dem Beschwerdeführer nicht unterstellt werden, dass er die Verweigerung des Asyls dadurch in Kauf genommen hätte.
Der Beschwerdeführer, der im ersten Krieg als Widerstandskämpfer gekämpft hat, hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass er aufgrund seiner Tätigkeit im Widerstand sowie seiner dreimaligen Entführung durch Spezialeinheiten des russischen Militärs ins Blickfeld der russischen Behörden geraten ist.
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die Ausführungen des Beschwerdeführers der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt werden können.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1. Juli 2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I. Nr. 100/2005, außer Kraft.
Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nicht anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen.
Durch die Behebung des Bescheides des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 20.10.2006, Zahl 258.330/19-II/04/06, mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, Zahl 2006/20/0759-5, ist dieses Verfahren wieder in das Stadium vor Erlassung des behobenen Berufungsbescheides zurückgetreten. Da das seinerzeit verfahrensführende Senatsmitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates nicht zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde und es sich um ein Verfahren gegen einen abweisenden Bescheid handelt, ist das gegenständliche Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr. 76/1997, idF BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) von dem nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung zuständigen Senat zu führen.
Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951, BGBl. Nr. 55/1955, iVm Artikel 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.01.1967, BGBl. Nr. 78/1974, ist als Flüchtling anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die "begründete Furcht vor Verfolgung". Die begründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn in objektiver Weise eine Person in der individuellen Situation des Asylwerbers Grund hat, eine Verfolgung zu fürchten. Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthalts zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr. Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen stellen im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr dar, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 6.10.1999, 99/01/0279, mwN).
Trotz der äußerst problematischen Situation von Angehörigen der tschetschenischen Volksgruppe, insbesondere in Tschetschenien, kann aus Sicht des erkennenden Senates des Asylgerichtshofes nicht von einer generelle Verfolgung nur allein wegen der Zugehörigkeit zur tschetschenischen Ethnie ("Gruppenverfolgung") gesprochen werden, sondern ist weiterhin jeder konkrete Einzelfall umfassend anhand der in der Genfer Flüchtlingskonvention taxativ aufgezählten Verfolgungsgründe zu prüfen (siehe hierzu das im Gegenstand ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2008, 2006/20/0724-8, sowie das diesem zugrunde liegende Erkenntnis vom 19.12.2007, 2006/20/0771).
Im vorliegenden Fall ist in Anbetracht der von dem Beschwerdeführer begangenen Straftaten das Vorliegen eines Asylausschlussgrundes zu prüfen.
Gemäß § 13 Abs. 2 AsylG ist Asyl ausgeschlossen, wenn Fremde aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik darstellen oder von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechen rechtskräftig verurteilt worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, die sich an Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, Seiten 227 f anlehnt, ist dieser der Bestimmung des Art. 33 Z 2 GFK 2. Fall nachgebildete Ausschlussgrund nur dann gegeben, wenn der Fremde 1. ein besonders schweres Verbrechen verübt hat, 2. dafür rechtskräftig verurteilt wurde, 3. gemeingefährlich ist und 4. die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen (siehe insbesondere VwGH 06.10.1999, 99/01/0288 mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof führt in diesem genannten Erkenntnis aus, dass unter den Begriff des "besonders schweren Verbrechens" nach herrschender Lehre und des Völkerrechts nur Straftaten fallen, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen.
In seinem Erkenntnis vom 03.12.2002, Zahl 99/01/0449, führt der Verwaltungsgerichtshof illustrativ an, dass in Deutschland für die Qualifikation einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens das Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren normiert wurde und diese Grenze wegen der "vergleichbaren Traditionen in der Strafrechtspflege" auch auf Österreich übertragbar sei.
Allerdings genügt es nicht, dass der Beschwerdeführer ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwer wiegend erweisen, wobei Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen sind. Nur gemeingefährliche Straftäter dürfen in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden. Besteht für das zukünftige Verhalten des Täters eine günstige Prognose, darf § 13 Abs. 2 AsylG iSd Art. 33 Abs. 2 GFK nicht angewendet werden. (VwGH vom 06.10.1999, Zahl 99/01/0288)
Im konkreten Fall ist sohin festzuhalten, dass die vom Beschwerdeführer begangene Straftat schon von der Art des Deliktes aber auch der verhängten Strafe unter der vom Verwaltungsgerichtshof angesetzten Schwelle des Asylausschlussgrundes liegt, zumal die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers nunmehr vier Jahre zurück liegt und der Beschwerdeführer seither unbescholten geblieben ist.
Es ist daher im Sinne des oben zitierten in dem vorliegenden Fall ergangenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes die vorgebrachte individuelle Verfolgungsbehauptung einer rechtlichen Beurteilung zu unterziehen:
Für den Beschwerdeführer besteht angesichts des zu seinen Asylgründen festgestellten Sachverhalts eine objektiv nachvollziehbare Verfolgungsgefahr.
Der Beschwerdeführer hat im Rahmen seiner Einvernahme glaubwürdig dargestellt, dass er als Widerstandskämpfer gekämpft hat und nach dem Krieg von Spezialeinheiten des russischen Militärs drei Mal entführt und nur gegen die Zahlung von Lösegeld wieder freigelassen wurde. Die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung ist aus diesem Grund auch objektiv nachvollziehbar, da der Beschwerdeführer durch seine Tätigkeit für die tschetschenischen Kämpfer ins Blickfeld der russischen Behörden geraten ist.
Der Beschwerdeführer wurde daher nicht bloß Opfer einer allgemein gegen alle männlichen Tschetschenen im wehrpflichtigen Alter gerichtete Aktion, sondern wurde gezielt mehrmals von zu Hause aus verschleppt. Es besteht für ihn daher die individuelle Gefahr einer Verfolgung aufgrund seiner Unterstützung der tschetschenischen Widerstandskämpfer.
Wie in dem angefochtenen Bescheid auch festgestellt wurde, ist davon auszugehen, dass abgeschobenen Personen, die sich in der Tschetschenienfrage besonders engagiert haben, von den russischen Behörden besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, wobei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann - und zwar wegen der individuellen Erlebnisse des Beschwerdeführers als auch der notorischen Situation in Tschetschenien - dass dies mit Eingriffen von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Beschwerdeführers einher geht.
Die dem Beschwerdeführer drohende Verfolgung steht durchaus mit den taxativ in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründen in Bezug, nämlich dem Tatbestand der - wenn auch im vorliegenden Fall nur unterstellten - staats- bzw. russlandfeindlichen Gesinnung, wobei nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes selbst eine unterstellte politische Gesinnung für die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales ausreichend ist (z.B. VwGH vom 18.07.2002, Zahl 2000/20/0108; 31.01.2002, 99/20/0531; 21.08.2001, 2000/01/0087).
Daher ist im Sinne einer Prognoseentscheidung im konkreten Fall davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien aufgrund seiner Ethnie sowie seiner politischen Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlich relevanten Verfolgung seitens der russischen Behörden ausgesetzt ist.
Wie in den Feststellungen des erstinstanzlichen Bescheides ebenfalls festgehalten, haben insbesondere (aber nicht nur) Tschetschenien besondere Schwierigkeiten, sich außerhalb der Republik Tschetschenien registrieren zu lassen und führt die mangelnde Registrierung zu einer Beschneidung der meisten zivilen, sozialen und ökonomischen Rechte. Der Beschwerdeführer verfügt über keinerlei Verwandte oder Freunde in der Russischen Föderation außerhalb der tschetschenischen Republik. Es liegen daher aus Sicht des erkennenden Senates keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer inländischen Schutzalternative vor.
Zusammenfassend wird festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht einerseits wegen einer ihm unterstellten politischen Gesinnung, andererseits wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit verfolgt zu werden, außerhalb der Russischen Föderation befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren und auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlußgründe vorliegt.
Gemäß § 12 AsylG ist die Entscheidung, mit der Fremden von Amts wegen oder auf Grund Asylantrages Asyl gewährt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.